Schritte in der Dunkelheit von Night_Baroness ================================================================================ Kapitel 4: Violett ------------------ Ihre Augen weiteten sich vor Überraschung, als sie die Leiche erblickte. Sein Gesicht war schmerzverzerrt, als wäre er ein Krieger, der eine grausige Schlacht hinter sich hatte. Einen Todeskampf. Seine Augäpfel schienen beinahe aus den Höhlen zu quellen und blickten anklagend zum Himmel empor. Warum? Seine brüchigen, grotesk verfärbten Lippen schienen genau dieselbe bittere Frage zu stellen, ohne jemals eine Antwort zu erhalten. Warum? „Zyankali.“ Ai blickte ihn schockiert an. „Du meinst…?“ „Seine Lippen sind violett verfärbt und…“, er schnupperte, „es lässt sich ein leichter Mandelgeruch nachweisen. Das spricht eindeutig für Zyankali.“ Sie nickte immer noch in einer Art Trance gefangen und ließ ihren Blick voller Anspannung über den toten Körper schweifen, als sie unsanft zur Seite gestoßen wurde. „Er wurde zweifellos ermordet!“ Alle Augen richteten sich auf Kogoro Mori, der offensichtlich, sehr darauf bedacht lässig zu wirken, vom Statistenzelt herübergeschlendert war und sich nun einen Weg durch die fassungslose Menge bahnte. Ein Raunen wurde hörbar. Konnte das möglich sein? Würden sie gleich den schlafenden Kogoro, den Meisterdetektiv in seinem Element erleben? „Tja.“ Kogoros Augen funkelten ebenso wie seine Zähne, als er ein triumphierendes Lächeln aufsetzte. „Welch ein Glück für Sie, dass ich den Fall bereits durchschaut habe. Sehen Sie…“ Er ging einen Schritt vor und stand nun direkt vor der Leiche. Sowohl Conan, als auch Vermouth beobachteten ihn aufmerksam. Würden seine Schlussfolgerungen wie gewohnt ins Leere laufen und er sich in Widersprüchen verstricken, die ein unüberwindbar klebriges, verworrenes Spinnennetz darstellten oder würden sie Zeuge eines lichten Momentes werden? Während er sich zur Leiche hinunterbeugte, konnte Conan einen kurzen Augenblick lang wahrnehmen, was unter der Fassade lag. Obwohl Kogoro sich alle Mühe gab, professionell zu wirken, was an sich schon eine Leistung war, wurde ihm klar, dass der Mord ihn persönlich getroffen hatte. Katsuragi war ein alter Freund von ihm gewesen und Kogoro musste zweifellos schockiert sein, mehr noch, er musste tief getroffen sein. Dennoch hatte er nun wieder eine Maske kühler, wenn auch leicht arroganter Gewissheit aufgesetzt und stellte sich nun mit naiver Sicherheit der Aufklärung des Verbrechens. Alle lauschten gespannt. „Nun…“ Er räusperte sich. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass das Opfer vergiftet wurde. Immerhin ist es tot, ohne Stich- oder Schusswunden aufzuweisen.“ Er zeigte auf einem Becher, der eine gelbliche Flüssigkeit enthielt, von der neben dem Toten schon einiges verschüttet worden war. „Außerdem hat er gerade eben etwas getrunken. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass er daran gestorben ist.“ Conan musterte ihn mit einer Mischung aus angespannter Erwartung und steigender Beunruhigung. Wusste Kogoro diesmal wirklich, wovon er redete? Es war ihm schon öfter aufgefallen, dass er, wenn Fälle ihn persönlich betrafen, zur Höchstform auflaufen konnte. Aber konnte er den Fall wirklich so schnell gelöst haben? Seine Augen wanderten zu Vermouth. War es wirklich ihr Werk? Es sah zwar nicht nach einem typischen Mord der Organisation aus, aber vielleicht war ihr keine Wahl geblieben, vielleicht... Kogoro ließ seinen Blick, während Conans Gedankenspielen, weiter über die Menge schweifen. „Wer war für die Getränke zuständig?“ Ein dicklicher Mann, von seinem Englisch her zu schließen, amerikanischer Herkunft, räusperte sich. „Das war ich. Ich bin allgemein für das Catering verantwortlich.“ Alle Augen waren nun auf ihn gerichtet. Mit schmal zusammengekniffenen wulstigen Schweinsaugen warf er Kogoro unsichere Blicke zu. „Wieso fragen Sie?“ Conan schüttelte den Kopf und lächelte gequält. Oh nein… Doch es war schon zu spät. Kogoro streckte mit einer geschmeidigen Bewegung seinen Finger aus und tippte damit fast die Nasenspitze des verängstigten Mannes an. „Das fragen Sie noch? Ganz klar, Sie sind der Mörder!“ Kogoros Deduktionen hatten alle so sehr in ihren Bann gezogen, dass niemand bemerkt hatte, wie Vermouth sich von der Gruppe entfernt hatte. Diese trat nun schon zweiten Mal in dieser Stunde den Weg zu den Toiletten und wählte – ebenfalls zum zweiten Mal –Gins Nummer. „Was willst du schon wieder?“, blaffte er, offenbar nicht gerade begeistert über ihren Anruf. „Es gibt Probleme.“ „Und die wären?“ Er kurbelte das Fenster seines Porsche 356A herunter und warf seine Zigarette aus dem Fenster, deren Rauch wie ein geisterhafter Schatten gen Himmel wanderte. Eine Krähe, die bis eben an dieser Stelle nach Brotkrumen gehackt hatte, flog mit einem wütenden Krächzen auf und stieg mit mächtigen Flügelschlägen in die lieblos schwarze Nacht auf, in der sich lediglich die diffusen Lichter Tokyos spiegeln konnten. Wie das zahnlose Grinsen eines alten Mannes, dachte Gin vollkommen zusammenhangslos. „Hörst du mir zu?“ Vermouth klang langsam erheblich genervt. Er seufzte. „Mir bleibt ja keine andere Wahl, also wer wurde ermordet?“ „Hotaru Katsuragi.“ Gin riss überrascht die Augen auf. Die Lichter seines Wagens blitzen im Licht eines vorbeifahrenden Autos auf, sodass es so wirkte, als hätte er ebenfalls seine Verblüffung bekunden wollen und irritiert geblinzelt. „Soll das ein Witz sein? Er sollte doch sterben!“ „Ja, aber durch unsere Hand und…“ Kurzes Schweigen. „Ich glaube, es ist weg.“ Er stieß zischend Luft aus. „Das ist eine Katastrophe, weißt du das? Wenn es in die falschen Hände gerät, kann nicht einmal mehr der Boss deinen hübschen Arsch retten.“ Sie lachte trocken ohne jeden Humor und wollte etwas erwidern, doch er unterbrach sie und nahm seine Ausführungen mit kehliger Raucherstimme nahtlos wieder auf. „Und nicht nur das. Wir wären alle dran. Du würdest also gut daran tun, dich in Bewegung zu setzen und Teufel nochmal diese Scheiße in Ordnung zu bringen.“ Ohne ihre Antwort abzuwarten, legte er auf und begann mit einem bösen Grinsen eine SMS zu tippen. Der Boss hatte zweifellos ein Recht darauf zu erfahren, dass Vermouth es verbockt hatte. Wer weiß, vielleicht würde sie doch schneller ein Loch im Kopf haben, als ihr lieb war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)