the ice kingdom von P-Chi (Falsche Entscheidung) ================================================================================ Kapitel 3: Insignien -------------------- Am Ende des Tunnels, der Höhle oder was auch immer, wo ich das helle Licht gesehen hatte, befand sich ein geöffnetes Tor aus Eis. Ich war noch unschlüssig, ob ich eintreten sollte, zumal ich keine schlafenden Bären wecken wollte, da schickte mich Twinny auch schon weiter und glitt die Eiswand entlang. Zögerlich setzte ich einen Schritt vor den anderen, bis ich in den, zugegeben, beeindruckenden Saal trat, der in etwa dieselbe Größe wie die Cafeteria in meiner Schule hatte. Der Boden war pechschwarz. Vermutlich war das Eis zwischen mir und dem Meer so durchsichtig wie Glas und ließ ihn deshalb so dunkel erscheinen, allerdings drehte sich mir bei diesem Anblick der Magen um. Noch dazu machten die vielen verschiedenen Eisstatuen mit ihren erstarrten Bewegungen und leeren Augen, die mich alle anzustarren schienen, keinen sehr vertrauenserweckenden Eindruck. Ich hatte Twinny aus den Augen verloren und machte vor den Stufen zu einem Thron halt, der majestätisch vor mir aufragte, zu meinem Glück – oder Unglück? – leer war. „Du bist also die unverschämte Göre, die einen der Xiovi geärgert hat“, sagte plötzlich jemand so erschreckend laut, dass ich zusammen zuckte. Die Stimme hatte kein Echo und dröhnte mir dennoch durch den Kopf, außerdem fühlte sie sich so schwer an, dass ich glaubte, von einer unsichtbaren Kraft niedergedrückt zu werden. „Wer spricht da?“, schaffte ich es die Frage aus meiner Kehle zu pressen, obwohl mir vor Angst die Zähne klapperten und fügte verstimmt hinzu: „Ich habe niemanden geärgert!“ Die Wand hinter dem Thron zitterte wie eine unruhige Wasseroberfläche, als ein gigantischer Schlangenkopf durch das Eis erschien und sich zu mir herabschlängelte. Sein großer Körper umkreiste mich, sperrte mich ein und schnitt mir jegliche Fluchtmöglichkeit ab, bis ich nur noch klirrende Kälte um mich spürte, weitaus schlimmer, als es mir noch zuvor ergangen war. „Freches Gör“, grollte die Schlange mit den schillernden Schuppen und den frostigen Augen, die, obwohl sie so leer und nichtssagend waren, direkt in mich hineinsehen zu sehen schienen. „Twinny hat mir davon berichtet. Du hast einen der Wölfe getreten.“ „Aber er hat mich gebissen!“, verteidigte ich mich und fragte mich gleichzeitig in aller Stille, warum ich mich überhaupt rechtfertigen musste. Der Schlangenkopf beugte sich zu mir hinab, bis wir auf etwa derselben Augenhöhe waren und mich ihre hervorschnellende, blaue Zunge beinahe streifte. „Die Xiovi sind heilige Geschöpfe. Es ist verboten sie zu verletzen, selbst wenn sie es auf dich abgesehen haben. Sie haben dich getestet – und du bist durchgefallen. Nicht, dass mich das sonderlich überrascht.“ Bildete ich mir das ein oder stieß die Schlange einen abfälligen Seufzer aus? „Entschuldige mal, aber ich habe nicht darum gebeten, hier zu landen!“, empörte ich mich in aller Deutlichkeit und verschränkte die Arme. Langsam aber sicher konnte ich nicht mehr behaupten, das alles nur zu träumen. Es fühlte sich zu real an, zu greifbar. Als wurde ich in irgendein Videospiel gesaugt und musste mir meinen Weg zurück in die echte Welt erkämpfen. Dann war dieses Schlangen-Monster nach diesen Wölfen wohl Level 2, huh? „Hast du die Insignien am Eingang nicht gelesen?“, fragte die Schlange zischelnd und verkleinerte den Kreis in dem ich stand, als würde sie mich zerquetschen wollen. „Insignien?“, fragte ich dumm. „Ah, natürlich hast du das nicht getan. Was frage ich eigentlich noch? Ihr törichten Menschen glaubt doch, euch über alles hinwegsetzen zu können.“ „Was ... was steht auf diesen Insignien?“ „Dies und das. Zum Beispiel, dass hier ein verbannter Gott lebt und dich fressen könnte, wenn ihm langweilig ist.“ Die Schlange zitterte vor unterdrücktem Lachen und brachte die Höhle zum erbeben. Eispartikel prasselten von der Decke herab und ich dachte, mir würde jeden Moment der Boden unter den Füßen wegbrechen. Mir schnürte sich die Kehle zu, als mir der Schweiß ausbrach und die Angst sich wie ein Lauffeuer in mir ausbreitete. Jeder Muskel in meinem Körper verkrampfte sich, bis meine Knie nachgaben und ich auf das glatte Eis unter mir sank. Nur am Rande realisierte ich, dass ich wohl gerade eine Panikattacke erlebte, als ich mich vergeblich versuchte an dem Eis festzuhalten, während alles um mich herum aus den Fugen geriet. „Reiß dich zusammen, Mensch, das ist kein Grund gleich die Nerven zu verlieren.“ Ich riss den Kopf hoch, als ich diese normal klingende Stimme hörte und traute meinen Augen nicht. Meine Panik war wie weggeblasen, als ich statt der Riesenschlange einen älteren Jungen sah, der genauso gut aus irgendeinem Märchen hätte entspringen können. Er hatte perlweißes Haar und so blasse Haut wie ich sie mir nur erträumen konnte. Das Gesicht war etwas schmal belegt, ebenso wie die blutleeren Lippen, die wirkten, als wäre er zu lange in kaltem Wasser geschwommen. Seine Augen dagegen hatten sich kaum verändert. Mit ihrer eisblauen Farbe verstärkten sie nur noch das Gefühl von absoluter Gefühllosigkeit und Tyrannei. Abgerundet wurde sein Anblick nur noch von den schneeweißen Klamotten und seinem majestätischen Auftreten. Ich hatte keinen Zweifel mehr, dass es sich hierbei um einen Gott handelte. „Hör auf Wurzeln zu schlagen und steh auf. Von diesem bemitleidenswerten Anblick wird mir ja schlecht.“ Ein sehr herrischer Gott ohne Sinn von Anstand. Ich rappelte mich mit zittrigen Knien hoch und atmete tief aus. Mir war noch immer unangenehm übel von dem ganzen Stress, doch seine nüchterne Mentalität brachte mich auf den Boden der Tatsachen zurück. „Wenn du ein Gott bist, dann kannst du mir sicher sagen, wie ich nach Hause komme, nicht wahr?“ Er neigte den Kopf und tippte sich mit dem Zeigefinger nachdenklich auf den Mund. „Ich könnte ... wenn ich wollte.“ „Aber du willst nicht?“, riet ich und beobachtete genervt, wie sich seine Lippen zu einem gemeinen Grinsen verzogen. An was für einen sadistischen Gott war ich da nur geraten? „Es kommt darauf an, ob du bereit bist einen angemessenen Preis dafür zu zahlen, Mensch.“ „Mein Name ist Norah, nicht ‚Mensch‘. Und ich tue alles, um zu meiner Familie zurückzukehren.“ „Das höre ich gern.“ Sein Grinsen wurde breiter und zeigte eine Reihe von blendenden Zähnen. Sein Blick wanderte zu einer nächstgelegenen Eiswand, doch statt blauen Augen, hatte sein Spiegelbild grüne. „Ich bringe dich zu deiner Familie. Aber vergiss nicht, je beschwerlicher die Reise, desto höher der Preis.“ „Danke!“, jauchzte ich glücklich und unendlich erleichtert. Ich hatte schon Angst gehabt, für immer hier festzusitzen, doch als auch der Rest seiner Worte zu mir durch sickerten, runzelte ich die Stirn. „Moment mal. Eine Reise? Kannst du nicht einfach irgendeinen Zauberspruch aufsagen und mich aus der Höhle rauslassen?“ Der eisäugige Gott machte einen unverschämten Laut, als würde er mit einem bockigen Kind reden und rieb sich Kopfschüttelnd die Stirn. „Ich bin ein Gott und kein verdammter Zauberstabschwinger! Dieses Tor ist nur der Eingang. Man kommt rein, aber nicht wieder raus. Der Ausgang befindet sich an einem vollkommen anderen Ort, an den ein Mensch wie du niemals alleine hinkommen könnte.“ „Toll.“ Die mangelnde Begeisterung war mir angesichts dieser Neuigkeit deutlich anzusehen. „Wenn du verbannt bist, kannst du die Höhle dann überhaupt verlassen?“ „Na sieh mal einer an, da hat ja doch jemand zugehört.“ Er winkte ab. „Keine Sorge, Mensch, die Verbannung wurde schon vor Jahrhunderten aufgehoben.“ Ich knirschte mit den Zähnen und trat unwohl von einem Fuß auf den anderen. Es ärgerte mich, dass er sich über mich lustig machte, aber noch wollte ich es mir nicht mit ihm verscherzen. Ich brauchte ihn, auch wenn es mir nicht passte. Als er näher an mich herantrat, bis sein frostiger Atem mein Gesicht streifte und mir einen Schauer den Rücken unterjagte, hielt ich unweigerlich die Luft an. „Nun denn“, hauchte er mit einem leidenschaftslosen Lächeln. „Sollen wir den Pakt besiegeln?“ Ich schluckte und nickte zögerlich. „Aber nur damit wir uns richtig verstehen, ich werde nicht meine Seele oder mein Erstgeborenes an dich verkaufen.“ Der Gott blickte mich einen Moment mit großen Fischaugen an, dann brach er in lautes Gelächter aus, bis er sich eine gefrorene Träne aus dem Augenwinkel kratzen musste. „Herrlich! Ich habe selten so gelacht! Oh, war das etwa dein ernst?“ Ich kniff die Augen zusammen und verschränkte die Arme. „Mein voller ernst.“ Er schnaubte und strich sich eine weiße Haarsträhne aus dem Gesicht. „Du verwechselst mich mit einem Dämon. Ein bisschen schwer von Begriff, huh?“ „Jetzt entschuldige mal!“, brauste ich auf und warf die Arme vor Frustration in die Luft. Was war nur los mit diesem Typen?! Jedes Wort aus seinem Mund war pure Gemeinheit! Doch bevor ich eine Schimpftirade loslassen konnte, die sich gewaschen hatte, trat er noch näher heran, bis seine Brust meine berührte und seine Hände meine Arme packten. Ich war auf der Stelle still. „Kein Grund sich zu entschuldigen“, schnurrte er und ich fühlte mich wie ein Kaninchen, das wie gelähmt in die hypnotisierenden Augen einer Schlange starrte. „Du darfst deine Seele und deine zukünftigen Kinder behalten, kleines Mädchen. Der Preis wird sich schon ergeben, wenn wir am Ende unserer Reise sind.“ Und mit diesen Worten legte er seine eiskalten Lippen auf meine. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)