Story of the Dead von Flordelis ================================================================================ 2. [Escaping the Dead – Act 1]: Deceiving Hideaway -------------------------------------------------- Unruhig blickte Nozomu aus dem Fenster auf die Straße hinab. Es war etwas mehr als eine Stunde her, dass sie sich aus dem Laden im Erdgeschoss in den ersten Stock des Gebäudes zurückgezogen hatten. Es war ein Aufenthaltsraum, bestückt mit einem einfachen Tisch, mehreren grauen Klappstühlen, aber auch einem Fernseher, einem Telefon, einem Herd, einer Spüle, einem Kühlschrank und einem Vorratsschrank. Zetsu hatte vorhin in beides hineingesehen und dabei festgestellt, dass sie – sofern sie zu viert bleiben würden – Vorräte für ein paar Tage besaßen. Nozomu hoffte allerdings, dass sie nicht so lange bleiben müssten, auch wenn diese Hoffnung mit jeder verstreichenden Minute weiter schwand. Zu Beginn waren auf der Straße noch Menschen umhergelaufen, Autos waren gefahren, abgesehen von Kleinigkeiten hatte alles normal gewirkt. Doch inzwischen sah er nur noch selten Menschen, die meisten Wesen, die dort herumschlurften waren einmal menschlich gewesen, aber nun waren sie... untot. Zombies, wie Zetsu und der Ladenbesitzer – Sudou-san – sie genannt hatte, auch wenn Nozomu dieses Wort nicht verwenden wollte. Das würde bedeuten, das normale Leben würde enden und sie befänden sich direkt in einem Horrorfilm für den er nie einen Vertrag unterschrieben hatte. Nein, er wollte das Wort vermeiden, so lange es ging. Aber er konnte nicht verleugnen, dass diese Wesen ihm Furcht einjagten, obwohl sie nicht sonderlich schnell zu sein schienen und sich nur an Geräuschen orientierten. Aber die Beharrlichkeit, mit der sie sich vorwärts bewegten und das leise, seelenlose Stöhnen, das sie dabei ausstießen, jagten ihm etliche Schauer über den Rücken und ließen ihn immer wieder wünschen, nach der Fernbedienung greifen und einfach umschalten zu können. Während er am Fenster stand, saßen Zetsu und Sudou auf zwei Klappstühlen, die Köpfe in den Nacken gelegt, um zu dem an der Decke angebrachten Fernseher hinaufzusehen. Jeder einzelne Sender zeigte den aktuellen Stand der Dinge in der Stadt – offenbar empfing das Gebäude nur lokale Sender – und verriet, an welchem Ort die meisten Wesen gesichtet waren, um die Zuschauer zu warnen, sich von diesen fernzuhalten. Irgendwo hatten die Reporter bereits Experten gefunden und ins Studio eingeladen, um sich dort mit ihnen zu unterhalten, aber viel Wissenswertes gaben sie nicht von sich. Nozomu war sogar davon überzeugt, dass einer dieser Experten lediglich jede Menge Zombiefilme angesehen hatte, während ein anderer wohl nur ein Priester oder sonst etwas war und deswegen immer wieder die Bibel, die Hölle und irgendwelche Sünden in seine Antworten einflechtete. Zwischendurch waren Regierungsvertreter zu sehen, die versuchten, das alles herunterzuspielen und nach logischen Ausflüchten suchten, aber das hinderte in dieser Situation keinen Sender daran, seine Nachrichten weiter zu zeigen. Während Sudou das alles interessiert betrachtete, war Zetsu deutlich anzumerken, dass er nur etwas benötigte, um sich von seinen Gedanken abzulenken. Obwohl er zum Fernseher hinaufsah, betrachtete er einen Punkt direkt daneben, hinter seiner Stirn arbeitete es und Nozomu konnte sich denken, worum es ging. Es waren dieselben Gedanken, die auch Nozomi sicherlich durch den Kopf gingen. Sie saß abseits von den anderen, den Rücken zum Fernseher und auch zum Fenster gewandt und starrte auf das Handy, das sie in der Hand hielt. Nozomu warf einen Blick über ihre Schulter und bemerkte, dass ihr Display verriet, dass auch das Handynetz überlastet war und es ihr unmöglich machte, ihre Eltern zu erreichen. Andersherum selbstredend genauso. Als sie bemerkte, dass Nozomu hinter ihr stand, hob sie den Blick und sah ihn aus herzerweichend traurigen Augen an. „Nozomu-chan... denkst du, meinen Eltern geht es gut?“ „Natürlich“, versicherte er ihr hastig, auch wenn er sich da gar nicht so sicher war. „Sie sind bestimmt in Sicherheit und machen sich furchtbare Sorgen um dich. Und nicht mehr lange, dann seid ihr wieder zusammen.“ In diesem Moment hoffte und glaubte Nozomu noch, dass die Polizei und das Militär eingreifen und die Zivilisten in Sicherheit bringen würden, auch wenn ihm bewusst war, dass es sich dabei um keine leichte Angelegenheit handelte. In den Nachrichten war jedenfalls noch nichts von irgendwelchen derartigen Aktionen zu hören. Nozomi lächelte nach seinen Worten ein wenig zuversichtlicher, aber ihre traurigen Augen veränderten sich kein bisschen, was ihm einen leichten Stich in die Brust versetzte. „Denkst du, Satsuki-senpai ist auch in Ordnung?“, fragte sie leise. Nozomu rief sich die energische Schulsprecherin mit dem flammend roten Haar und den türkisfarbenen Augen ins Gedächtnis und nickte dann lächelnd. Doch ehe er etwas sagen konnte, ergriff Zetsu das Wort: „Die Zombies haben vermutlich mehr Angst vor ihr, als alle anderen vor denen. Also ich würde es jedenfalls.“ Das beruhigte sie allerdings nicht sonderlich, weswegen Zetsu überraschend sanft lächelte. „Nein, wirklich. Senpai wird schon durchkommen. Außerdem weißt du ja gar nicht, wie schlimm es an unserer Schule aussieht.“ Von diesem Raum aus konnten sie nicht zur Monobe Akademie sehen, weswegen keiner von ihnen wusste, wie es dort aussehen mochte. Nozomu hoffte, dass die Schule annähernd sicher war. Sie war umgeben von hohen Mauern und besaß Vorräte für mehrere Tage, sogar Wochen, wenn es sein musste. Solange kein Infizierter auf dem Gelände gewesen war... „Mit den anderen ist sicherlich alles in Ordnung“, sagte Nozomu. „Bestimmt sind wir die einzigen Schüler, die in Gefahr sind.“ Er lächelte ein wenig, um sie von ihren Sorgen abzubringen, aber obwohl sie das Lächeln erwiderte, war sie weiterhin unruhig, aber das war verständlich. Er fühlte sich ebenfalls rastlos und zumindest Zetsu machte auf ihn denselben Eindruck, während Sudou wirkte, als ob er sich regelmäßig in derartigen Situationen befinden würde. Etwas, worum er ihn nicht beneidete. Mit einem tiefen Seufzen erhob Zetsu sich von seinem Stuhl und trat an das Telefon, das an der Wand neben der Tür angebracht war. Einst war es wohl mal weiß gewesen, aber inzwischen erinnerte die Farbe viel mehr an beige, es war wohl schon sehr lange an diesem Ort. Zetsu störte sich nicht daran und nahm den Hörer ab. Prüfend hielt er sich diesen ans Ohr und betätigte dann einige der Tasten, was Nozomu sagte, dass es funktionierte, denn er erkannte schnell die Nummer, die er wählte. Kaum hatte er die letzte Ziffer eingegeben, hielt er sich den Hörer erneut ans Ohr und wartete. Unwillkürlich stellte Nozomu fest, dass er den Atem angehalten hatte, genau wie Nozomi, die Zetsu anstarrte und darauf wartete, was geschehen würde. Es dauerte nicht lange, bis er plötzlich Luft holte und dann zu sprechen begann: „Nagamine-san, hier ist Akatsuki.“ Er lauschte einen Moment den Worten der anderen Person, während Nozomi sich aufgeregt von ihrem Stuhl erhob und mit raschen Schritten durch den Raum lief. „Ja, sie ist auch hier, Moment.“ Zetsu reichte ihr den Hörer, als sie bei ihm angekommen war, damit sie sich mit ihren Eltern unterhalten könnte, was sie auch sofort tat, während Zetsu sich zu Nozomu stellte und sie aus wenigen Schritten Entfernung beobachtete. „Seit wann kennst du die Nummer der Nagamines auswendig?“, fragte Nozomu mit gerunzelter Stirn. „Eifersüchtig?“, konterte Zetsu lächelnd und zwinkerte ihm zu. „Ich nehme dir Nagamine schon nicht weg.“ Eine typische Reaktion, weswegen er dafür nur ein Augenrollen erntete. „Nun schau nicht so. Ich war es nur leid, dass sie ständig auf ihr Handy gestarrt hat.“ „Machst du dir keine Sorgen?“ Diese Frage ließ Zetsus Lächeln erlöschen. Unangenehm berührt wandte er den Blick ab, antwortete aber dennoch: „Natürlich bin ich besorgt. Ich hoffe, dass meine Mutter und meine Tante in Sicherheit sind und dass dort, wo mein Vater und mein Onkel ist, keine Zombies herumrennen. Aber es nützt nichts, wenn ich deswegen auch alle anderen in Panik versetze.“ Nozomu sah ihn nur schweigend an und versuchte, sich etwas zu überlegen, was seinen Freund aufmuntern könnte, aber bei diesem war es wesentlich schwerer, als bei Nozomi, weswegen er nichts zu sagen wusste. Doch noch ehe ihm etwas einfallen könnte, lächelte Zetsu wieder. „Machst du dir um irgendetwas Sorgen?“ Nozomu runzelte die Stirn, während er die Arme vor der Brust verschränkte. „Natürlich. Um uns, unsere Mitschüler, Sanae-sensei, deine Familie, Nozomis Familie...“ Er hoffte wirklich, dass es den anderen in der Monobe Akademie gut ging, aber viel mehr Personen gab es nicht um die er sich sorgen musste. Seine Eltern waren schon vor mehreren Jahren spurlos in einem Kriegsgebiet verschwunden und seine Sorgen um sie war schon lange vergangen. Er war der Überzeugung, dass sie tot waren und deswegen gab es keinen Grund, nun an sie zu denken und sich vielleicht vorzustellen, wie sie gerade um ihr Überleben kämpften, wie sie gebissen wurden, wie sie sich verwandelten... Er schüttelte hastig den Kopf, um die Gedanken zu verdrängen und stellte fest, dass Nozomi das Gespräch beendet hatte und sich umdrehte, sie lächelte. „Meinen Eltern geht es gut, sie haben sich zu Hause verbarrikadiert und sagen, ich soll hier bleiben, wenn ich hier in Sicherheit bin und darauf warten, dass sich die Situation wieder beruhigt.“ Sie wirkte deutlich erleichtert, was Zetsu zu beruhigen schien und Nozomu doch verwunderte. Er konnte sich nicht entsinnen, dass die beiden sich irgendwann einmal so gut verstanden hätten. Aber das schien gerade auch nicht weiter wichtig. „Sind wir hier denn sicher?“ Alle drei blickten zu Sudou hinüber, der nachdenklich die Stirn runzelte. „Wir haben alle Türen unten verschlossen und Nachrichten geschrieben, falls etwaige Überlebende vorbeikommen. Solange die Zombies also nicht lesen können...“ Er unterbrach sich selbst, als ein lauter Knall aus dem Nebenraum erklang. Sofort schienen sie allesamt einzufrieren, ihre Blicke auf die Tür konzentriert. Nach einer kurzen Pause ertönte es ein weiteres Mal, worauf die folgende Stille umso drückender wirkte. Dann knallte es wieder. Und wieder. Und wieder. „Was ist das?“, wisperte Nozomi ängstlich. „Es klingt, als würde jemand versuchen, durch die Wand zu brechen“, antwortete Zetsu leise. „Er kennt die Tür nicht.“ Das war es, was ihnen allen verriet, dass es sich dabei nicht um einen Menschen, einen Überlebenden handelte, sondern um etwas ganz anderes. Sudou runzelte abfällig die Stirn. „Verdammt, ich hatte gehofft, dass heute noch keiner da von denen da war.“ „Vielleicht ist es der Hausmeister?“, vermutete Nozomu. Sudou fluchte leise und erhob sich von seinem Stuhl. „Wir können ihn da nicht einfach herumlaufen lassen. Wer weiß, ob dieser Zombie nicht noch andere anlockt.“ Er nahm den Revolver, den er auf dem Tisch abgelegt hatte und ging mit diesem im Anschlag zur Tür. „Ihr bleibt hier“, wies er sie an. „Ich brauche niemanden, der mir möglicherweise im Weg steht, wenn ich schießen muss.“ Alle drei Anwesenden nickten zustimmend, auch wenn Nozomu es recht überraschend fand, dass Nozomi nichts dazu sagte, sonst war sie wesentlich empfindlicher, was Gewalt anging – aber vielleicht war sie auch schon weiter als er gedacht hätte und betrachtete diese Wesen wirklich als Lebensform, auf die man keine Rücksicht nehmen musste. Angespannt blickten sie zur offenen Tür, die einen verlassenen Gang zeigte und lauschten auf das, was Sudou tat. Als seine Schritte verstummten, glaubte Nozomu, regelrecht sehen zu können, wie er vor der anderen Tür erst einmal innehielt, und tief durchatmete, während das Etwas immer noch gegen die Wände knallte, in einer Lautstärke, als würde es mit dem Kopf direkt dagegenrennen und Nozomi jedes Mal zusammenzucken ließ. Plötzlich ertönte ein Schuss, gefolgt von einem erfreuten Heulen, hastigen Schritten und im nächsten Moment erklang ein lautes Fluchen von Sudou. Die Geräusche, die sie hören konnten, verrieten, dass etwas schief gegangen und er in einen Nahkampf geraten war. Ein Kampf, der sich anscheinend nicht positiv für Sudou entwickelte, wie aus einem plötzlich, von Schmerzen erfüllten Schrei zu hören war. Ein weiterer Schuss erklang, dann ein leises Röcheln und damit schien der Kampf beendet. Aber Sudou kam nicht zurück. Nozomu und Zetsu warfen sich einen Blick zu, beide wussten genau, was der jeweils andere dachte und nickten sich gegenseitig zu. Während sein Freund vorauslief, wandte Nozomu sich vorher noch einmal an Nozomi, die sich erschrocken die Hand vor den Mund hielt. „Du wartest hier, verstanden? Wenn etwas Außergewöhnliches passiert, schrei.“ Sie nickte knapp, worauf er herumfuhr und Zetsu in den Nebenraum folgte. Es war vielmehr ein Lagerraum, in dem allerlei Putzutensilien aufbewahrt wurden, nur wenige Schritte von der Tür entfernt lag eine leblose Gestalt in einem blauen Overall, offenbar wirklich der Hausmeister. Sudou hockte neben der Tür, eine heftig blutende Verletzung am Hals, die durch den Angriff verursacht worden sein musste. Zetsu kniete neben ihm und der Blick in seinen Augen verriet Nozomu, dass es keine Hoffnung für Sudou gab und es besser war, ihn aufzugeben. „Das war es dann wohl“, bemerkte der Mann mit einem bitteren Lächeln auf dem Gesicht. „War keine lange Zeit für uns, was?“ Keiner der beiden Jungen sagte etwas. Nozomu kannte ihn kaum, aber seine Anwesenheit war beruhigend gewesen. Der Mann hatte Sicherheit ausgestrahlt, nichts schien ihn zu überraschen... ohne ihn wären sie wieder nur drei Jugendliche, die versuchen mussten, sich in einer untergehenden Welt durchzuschlagen. „Ihr müsst hier verschwinden“, sagte Sudou. „Nehmt euch Rucksäcke, Vorräte, versucht, zu euren Familien zu kommen. Irgendwohin, wo ihr sicherer seid.“ Nozomu hatte gehofft, dass es ohne den Hausmeister wieder sicher wäre und das wollte er auch gerade sagen, als plötzlich ein dumpfer Schlag aus dem oberen Stockwerk erklang, gefolgt von weiteren, die teilweise gleichzeitig erklangen und damit verrieten, dass es mehrere waren, die dort oben nach einem Weg zu ihnen suchten. Sie waren an diesem Ort wirklich nicht sicher. „Aber wir können Sie nicht einfach hierlassen“, erwiderte Nozomu. „Sie müssen-“ „Red nicht so viel, Junge!“, unterbrach Sudou ihn ungeduldig. „Du weißt doch selbst, was mit jenen passiert, die gebissen wurden.“ Er wollte widersprechen, dass sie sich da nicht sicher sein konnten, dass es durchaus möglich war, dass dieser Mann anders infiziert worden war, aber er tat es nicht. Sudou würde so oder so sterben, das war gewiss. Würden sie ihn mitnehmen, wäre er lediglich ein unnötiges Gewicht, selbst wenn er sich nicht verwandelte. Ihnen blieb nichts anderes übrig, als ihn zurückzulassen. Zetsu stand widerwillig auf, um die Rucksäcke an sich zu nehmen, die sich ebenfalls im Lager befanden. „Komm jetzt“, sagte Zetsu ruhig, als er an ihm vorbeiging und den Raum verließ. Nozomu neigte den Oberkörper vor Sudou und folgte seinem Freund dann, nachdem der Mann ihm ungeduldig mit der Waffe zu verstehen gab, dass er verschwinden sollte. Sie waren nur wenige Schritte gelaufen, als erst ein leises Klicken und dann ein lauter Schuss ertönte – im nächsten Moment gab es ein dumpfes Geräusch, als der Revolver auf dem Boden landete. Nozomu und Zetsu blieben zeitgleich stehen, sahen aber weder zurück, noch blickten sie sich gegenseitig an. Sie starrten geradeaus und zumindest Nozomu spürte ein flaues, bitteres Gefühl in seinem Magen. In so kurzer Zeit hatte er den Tod zweier Menschen beigewohnt und obwohl er sie beide nicht näher gekannt hatte, erfüllte es ihn mit Bitterkeit und der unangenehmen Erkenntnis, dass das Leben, so wie er es kannte, wirklich vorbei war. Der Chor an verzweifeltem Stöhnen und lautem Klatschen aus der oberen Etage gab ihm dabei recht. Zetsu senkte den Kopf ein wenig. „Es wird Zeit, dass wir verschwinden.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)