Story of the Dead von Flordelis ================================================================================ 1. [Awakening of the Dead – Act 2]: Ward of the Dead ---------------------------------------------------- Kakeru hasste die Krankenstation der Kouryoukan Akademie. Wenngleich das vielleicht zu speziell ausgedrückt war, denn eigentlich konnte er weder Krankenstationen noch Krankenhäuser oder sonstige Einrichtungen ausstehen, in denen Kranke untergebracht wurden. Er verband keinerlei gute Erinnerungen mit ihnen und deswegen war er froh, dass er nicht derjenige war, der auf dem weiß bezogenen Bett auf eine Untersuchung wartete – sondern Yuka. Sie wirkte schon den ganzen Morgen ungewöhnlich blass, was ihr zierliches Äußeres nur unterstrich und leider gar nicht mit ihrem kinnlangen braunen Haar und ihren blauen Augen harmonieren wollte. Kakeru hatte quasi nur darauf gewartet, dass sie zusammenbrechen würde – und das war nicht lange nach Beginn des Unterrichts auch geschehen, weswegen sie nun hier waren und auf die Schulärztin warteten, die sich wieder einmal irgendwo anders herumtrieb. Sie schwiegen, allerdings nicht, weil es zwischen ihnen nichts zu sagen gab, sondern aus Rücksicht auf den anderen Schüler, der bereits in einem der Betten gelegen hatte, als sie hereingekommen waren. Kakeru hatte versucht, einen genaueren Blick auf ihn zu werfen, aber er lag vollkommen ruhig auf der Seite, die Decke bis an die Nasenspitze hochgezogen. Die Blicke, die Yuka immer wieder zu ihm hinüberwarf, verrieten, dass sie um den Zustand des Unbekannten besorgt war. Um die Wartezeit zu überbrücken, ging Kakeru ans Fenster, um hinauszusehen, er strich das blaue Haar aus der Stirn und kam dabei mit der Hand auf die Augenklappe, die sein rechtes Auge verdeckte, was zu einem Schaudern seinerseits führte. Hastig konzentrierte er sich lieber wieder auf das, was draußen zu sehen war. Da der Unterricht gerade im vollen Gange war, liefen keine Schüler über den Hof, dafür aber ein Mann, den er auf diese Entfernung nicht erkennen konnte. Es schien ein Lehrer – oder jedenfalls ein Erwachsener – zu sein, sein schwankender Gang ließ darauf schließen, dass es ihm entweder nicht gut ging – oder er einfach nur hoffnungslos betrunken war. Da er das einzig Interessante dort unten war, blieb Kakerus Blick auf ihn gerichtet. Er wartete darauf, dass jemand auf ihn aufmerksam wurde und sich entweder um ihn kümmern oder ihn des Schulgeländes verweisen würde. Ein leises Rascheln verriet, dass der Unbekannte sich ein wenig bewegte, möglicherweise schlief er also doch nicht so tief, wie Kakeru angenommen hatte. Es war die Gelegenheit, um nachzusehen, ob er diesen Schüler kannte, aber sein Blick blieb auf den Hof gerichtet, wo nun endlich Bewegung in die anderen Erwachsenen gekommen war. Der Direktor, selbst auf diese Entfernung klar durch seinen weißen Haarkranz erkennbar, lief auf den Schwankenden zu. Einige Schritte hinter ihm, folgte der Hausmeister in seinem üblichen grauen Overall, er hielt einen Rechen in seiner Hand, als würde er den vermeintlichen Eindringling – Kakeru glaubte nicht mehr, dass es wirklich ein Mitglied des Lehrkörpers war – damit am Liebsten vom Gelände scheuchen. Und viele Schritte später, fast so als wäre sie nur zufällig da, folgte auch die Schulärztin. Ihr weißer Kittel leuchtete geradezu im Sonnenlicht, lediglich ihr hochgestecktes schwarzes Haar schaffte es, dass man sie nicht nur als verwaschenen Fleck wahrnahm. In einem Moment der Anspannung, beugte Kakeru sich ein wenig weiter vor, so dass seine Stirn auf der kühlen Glasscheibe auflag, die ihm verriet, dass alles, was er beobachtete, wirklich geschah. Der Direktor schien auf den Schwankenden einzusprechen, vermutlich bat er ihn gerade höflichst, das Gelände zu verlassen, ehe man auf deutlichere Maßnahmen zurückgreifen musste. Offensichtlich interessierte sich dieser Mann aber nicht für Diplomatie. Er hob den Kopf, der Oberkörper schwankte immer noch vor und zurück, Kakeru konnte sich richtig vorstellen, wie er den Direktor verständnislos musterte. „Kakeru?“ Yukas Stimme wurde von dem Rascheln begleitet, das einfach nicht nachlassen wollte, aber er wandte den Blick nach wie vor nicht von der Szene ab. Der Eindringling griff nach den Schultern seines Gegenübers als wollte er verhindern zu stürzen – im nächsten Moment versenkte er bereits seine Zähne in den Hals des Schulleiters. Den Schrei konnte Kakeru selbst durch das geschlossene Fenster und auf diese Entfernung hören. Die Schrecksekunde der beiden Begleiter ging vorüber, der Hausmeister holte mit dem Rechen aus, um den Angreifer zum Rückzug zu zwingen. Getroffen von der stumpfen Seite des Rechen, hob der Mann den Kopf wieder, ohne den Direktor loszulassen. Blut schoss aus der offenen Wunde und bespritzte den Angreifer, der sich nicht von dem Hausmeister beeindrucken ließ. „Kakeru!?“ Yukas Stimme wurde ein wenig eindringlicher, in diesem Moment glaubte er noch, es läge daran, dass sie den Schrei gehört hatte oder seine Anspannung bemerkte. Er wich vom Fenster zurück, strebte bereits in Richtung Telefon, um die Polizei zu rufen, als Yuka noch einmal seinen Namen rief, geradezu panisch diesmal. Er konnte sie nicht länger ignorieren und sah zu ihr hinüber – gerade rechtzeitig, um zu sehen, dass der Schüler auf dem anderen Bett sich inzwischen aufgerichtet hatte. Seine Haut war derart aschfahl, dass sie bereits grau zu sein schien, die Augen waren mit einem milchig-weißen Film überzogen, Geifer tropfte aus dem geöffneten Mund, ein leises Knurren, das jegliche Menschlichkeit vermissen ließ, erklang daraus. Geistesgegenwärtig griff Kakeru nach einer großen Schere, die auf dem Schreibtisch der Ärztin lag. Nach dem eben beobachteten Angriff war er davon überzeugt, dass auch dieser Unbekannte nichts Gutes im Schilde führte. „Yuka, sei vorsichtig!“ Der Unbekannte wandte sich ihm zu, die Augen, in denen man jede Spur von Leben vergeblich suchte, fokussierten ihn allerdings nicht, sie sahen nur in die ungefähre Richtung aus der seine Stimme erklungen war. Er ist blind?, fuhr es ihm durch den Kopf. Zu seinem Glück hörte Yuka auf seinen Rat, vorsichtig zu sein und sagte nichts mehr, sie rührte sich nicht einmal ein bisschen, obwohl ihr Körper zitterte wie Espenlaub. Mit einem wilden Schrei stürzte sich der Unbekannte auf Kakeru. Ein scharfer Schmerz fuhr ihm durch den Kopf, als er auf dem Boden aufschlug, die Schere fiel ihm aus der Hand und blieb erst wenige Meter entfernt von ihm wieder liegen. Ihm blieb jedoch keine Gelegenheit, auch nur in ihre Richtung zu sehen, denn er versuchte verzweifelt, den wild knurrenden Unbekannten, der auf ihm lag, von seiner Kehle fernzuhalten. Während er seine Arme mit aller ihm zur Verfügung stehenden Kraft gegen den Oberkörper des Angreifers stemmte, fielen ihm plötzlich unzählige Filme ein, in denen er ähnliche Situationen erlebt hatte – und in keinem war es gut ausgegangen. Der Unbekannte verfügte über erstaunlich viel Kraft, wilder Wahnsinn stand in seinem Blick, ein Versuch, normal mit ihm zu reden war mit vollkommener Sicherheit vergebliche Mühe. Allerdings machte er sich weniger Sorge um sich selbst, sondern mehr um Yuka, die diesem Kerl schutzlos ausgeliefert wäre, sobald er von ihm getötet worden war. Das durfte er nicht zulassen! „Yuka!“, stieß er hervor. „Lauf weg! Schnell!“ Er konnte den Blick nicht ihr zuwenden, um sicherzustellen, dass sie seinem Ruf auch wirklich folgte, sein Angreifer nutzte inzwischen sein Körpergewicht aus, um doch noch an Kakerus Hals zu kommen und dort ein Stück Fleisch herauszureißen und es erforderte seine ganze Aufmerksamkeit sich diesem zu erwehren. Aber er konnte hören, wie jemand die Schere aufhob, neben ihn trat – und nach einem ekelhaften Knacken, erschlaffte der Angreifer plötzlich und mit der Anspannung des Körpers, verschwand auch die Bedrohung. Kakeru schob ihn hastig von sich herunter und erkannte angewidert, dass jemand ihm die Schere mit aller Macht durch den Hinterkopf gejagt hatte. Er wandte hastig den Blick von diesem ab, ehe er zu würgen beginnen würde, stand auf und sah Yuka an. Ihre Uniform war mit Blut gesprenkelt und verriet, dass sie für diese Tat verantwortlich war, dennoch lächelte sie als befände sie sich auf einem netten Spaziergang. „Kakeru, alles in Ordnung?“ Er überlegte, sie darauf anzusprechen, dass sie gerade einen überaus brutalen Mord begangen hatte, aber dann fiel ihm nicht nur der Mann vom Hof wieder ein, er dachte auch daran, dass die Situation ohne ihr Eingreifen äußerst übel hätte enden können – und solange ihr die Ausmaße ihrer Tat noch nicht bewusst waren, empfand er es als überflüssig, sie mit dem Kopf darauf zu stoßen, vor allem da es Notwehr gewesen war. Deswegen nickte er nur, was ihr Lächeln noch eine Spur herzlicher werden ließ. „Ich bin so froh.“ Ihm war immer noch übel, nicht nur wegen der Todesart, sondern auch wegen der zuvor verspürten Furcht und seinem sicheren Ableben vor den Augen. Die Leiche hatte Yuka offenbar bereits vergessen, denn sie kehrte ohne weitere Umschweife auf ihr Bett zurück, um dort weiterhin auf die Ankunft der Ärztin zu warten. Das erinnerte den immer noch nervösen Kakeru daran, dass er noch einmal nachsehen sollte, wie die Sache auf dem Hof inzwischen aussah. Er machte einen Bogen um den Toten – für einen kurzen Moment fürchtete er tatsächlich, dass der Unbekannte nach seinem Fuß greifen und ihn zum Fallen bringen könnte – und kehrte zum Fenster zurück. Der Direktor lag reglos in einer erstaunlich großen Blutlache auf dem Boden, von dem Angreifer, dem Hausmeister oder der Ärztin war nichts mehr zu sehen, aber eine rote Spur verriet, in welche Richtung zumindest einer von ihnen gegangen sein mochte. Noch während Kakeru dieser mit den Augen zu folgen versuchte, um einen der anderen zu entdecken, bemerkte er eine Regung, die vom Direktor kam. Es waren kraftlose Bewegungen, wie bei eingeschlafenen Gliedmaßen und obwohl die Menge des verlorenen Blutes Kakeru sagte, dass er unmöglich noch leben konnte, so stand er doch plötzlich wieder aufrecht, mit leicht vornübergebeugten Oberkörper. Kakeru blinzelte mehrmals, als könne er das Bild damit vertreiben, doch er stand immer noch da – und lief im nächsten Moment sogar schwankend in irgendeine Richtung davon, seine Bewegungen erinnerten an den Angreifer von zuvor. Wie von einem elektrischen Schlag getroffen, fuhr Kakeru weg vom Fenster. Dem Leichnam wieder ausweichend – plötzlich erschien ihm seine Furcht von zuvor gar nicht mehr so abwegig –, lief er hastig zu dem schwarzen Telefon, das an der Wand neben der Tür hing. Die Nummer des Notrufs war schnell gewählt, aber was er dann statt eines Ruftons oder einer routinierten Frage nach dem Grund des Anrufes hörte, ließ ihm einen eiskalten Schauer über den Rücken laufen: „Die Notrufzentrale ist aktuell überlastet. Bitte bewahren Sie Ruhe und bleiben Sie in der Leitung. Sie werden dem nächsten freien Mitarbeiter zugeteilt.“ Die weibliche Stimme, die ihm das mitteilte, klang ruhig und souverän, ein wenig blechern durch die Aufnahme vielleicht, aber nichtsdestotrotz einfach beneidenswert. Es fiel ihm schwer, ruhig zu bleiben und nicht einfach wieder aufzulegen und neu zu wählen, in der Hoffnung, dass er vielleicht nur eine schlechte Leitung erwischt hatte. Wenn schon die Notrufzentrale überlastet war, was mochte dann im Rest der Stadt los sein, das noch nicht an ihre Ohren gedrungen war? Yuka bemerkte seine Unruhe offenbar, denn ihre nächste Frage klang tatsächlich besorgt: „Was ist los, Kakeru?“ Ihm wurde bewusst, dass einer von ihnen beiden ruhig bleiben musste, denn in Panik zu geraten brachte niemandem etwas und würde sie nur in Gefahr bringen, wenn die Stadt wirklich gerade im Chaos versank. Daher wollte er ihr sagen, dass es keinen Grund gab, beunruhigt zu sein, aber noch ehe er dazu kam überhaupt den Mund zu öffnen, hörte er aufgeregte Schreie, die durch das ganze Schulgebäude hallten. Was auch immer ihn und den Direktor angegriffen hatte, war nun dabei, die restlichen Schüler heimzusuchen – und er wusste genau, tief in seinem Inneren, dass dies erst der Anfang eines Albtraums war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)