Moments von NinaNachtigall ================================================================================ Kapitel 1: 2002 --------------- 2002 “Luke! Hast du den Hammer gesehen? Wo... – Ah schon gut, ich hab ihn gefunden“, rief Lauren durch die komplette Wohnung. Ihre laute Stimme hallte von den weißen Wänden des noch fast unmöblierten Wohnzimmers wieder. Luke war in der Küche und packte gerade einige braune Umzugskisten aus. Jetzt allerdings steckte er den Kopf zur Tür hinein und sah Lauren auf dem erdfarbenen Cordsofa stehen. Die Schuhe hatte sie davor ausgezogen. Sie stand auf Zehenspitzen, hatte den besagten Hammer in der rechten Hand und fixierte mit der anderen einen Nagel an der Wand. „Was hängst du da auf?“ Luke trat nun komplett in das Wohnzimmer hinein. Die Fenster zu dem kleinen Balkon standen offen, weil der beißende Geruch der Wandfarbe noch in der Luft hing. Von draußen drang frühlingshafte Luft herein und mischte sich unter Chemischen. Die Rothaarige schien zu konzentriert auf ihre Arbeit, um zu antworten, stattdessen nickte sie hinab zu dem Fotorahmen, der neben ihr auf der Couch lag. Wohl eine Aufforderung, dass er ihr genau diesen reichen sollte. Noch während Luke den Raum durchquerte, ganz vorsichtig, weil der Teppich neu war, ertönte das Hämmern. Er hätte ja vorgeschlagen ihr zu helfen, aber Lauren bekam alles alleine hin. Sie hätte auch die Möbel im Alleingang aufgestellt, wenn er sie nicht aus der Küche geschickt hätte, um sich eine andere Beschäftigung zu suchen. Sie war zu ungeduldig und deswegen musste selbstverständlich ein Bild hängen noch bevor das Wohnzimmer, überhaupt richtig eingerichtet war. Der Sofatisch stand noch in seine Einzelteile zerlegt im Hausflur. Sie hatte ihn von Lukes Vater bekommen, als kleiner Beitrag zur ersten gemeinsamen Wohnung. Solange Lauren noch mit angestrengten und hoch konzentrierten Gesicht noch den Nagel in die Wand hämmerte, streckte er eine Hand nach dem Bilderrahmen aus und drehte ihn um. Darauf waren drei Kinder zu sehen. Zwei Mädchen und ein Junge. Zwei Blonde und eine Rothaarige. Sie saßen alle drei an einem gedeckten Tisch, auf dem eine Geburtstagstorte mit genau elf Kerzen stand. Er brauchte nicht nachzuzählen um das zu wissen, denn er kannte das Foto und es war sein elfter Geburtstag gewesen. Das war nur ein paar Monate nachdem er Lauren zum ersten Mal getroffen hatte. 4. Mai 2002 Hogwarts. Wie oft in der letzten Woche hatte sie Mathilde darüber reden hören. Im Sommer würde Gabrielle wohl auf diese Schule gehen, die irgendwo im fernen Schottland lag. Irgendwo, weil niemand wusste wo genau sie lag, zumindest nicht Leute wie sie und ihr Vater. Muggel, so wurden sie genannt. Menschen ohne magische Begabung. Lauren hatte nie sonderlich darüber nachgedacht ob es in Ordnung war, dass man ihnen einen Namen gab, als wären sie eine andere Rasse. Sie hatte akzeptiert, dass es Magie gab, nachdem Mathilde und ihre Tochter bei ihnen eingezogen waren. Das war jetzt fast drei Jahre her. Für ein Mädchen in ihrem Alter hatte das natürlich etwas faszinierendes gehabt zu erfahren, dass all die Märchen, die ihre Eltern ihr erzählten wahr waren. Es gab alles von dem sie je nur gelesen hatte. Feen. Kobolde. Riesen. Einhörner. Hexe. Veelas~. Sie hatte niemanden davon erzählen dürfen, aber es war immer ganz lustig gewesen Mathilde beim kochen zuzusehen, wenn auch anfangs ungewohnt, wenn sich Gegenständen von unsichtbaren Händen geführt durch die Luft bewegten, oder das Geschirr sich plötzlich begann von selbst abzuspülen. Seit ein paar Tagen hatte als das einen seltsam bitteren Geschmack, denn bis jetzt hatte sie nie einen großen Unterschied zwischen sich und ihrer Stiefschwester gesehen. Aber jetzt sollte sie plötzlich auf dieses Internat gehen. Lauren selbst würde hier in London auf eine Mädchenschule gehen. Sie wollte nicht unvernünftig sein, weil sie wusste, dass sie ihrem Vater nur unnötig Probleme machen würde, aber war es fair, dass Gabrielle diese Chance bekam? Irgendwann im Winter hatte sie das erste Mal etwas verschwinden lassen. Danach war Mathilde ganz aufgeregt gewesen, als hätte sie vorher nicht gewusste, dass ihr Kind so etwas konnte, aber Lauren hatte Gabby das vorher schon einmal machen sehen. Damals hatte ihr Vater ihnen verboten vor dem Essen von den Keksen zu naschen und Mathilde hatte das Blech auf ein hohes Regal gestellt und ihre Schwester hatte es irgendwie geschafft es dort hinunter zu holen. Aber Mathilde und Gabrielle waren nicht die Einzigen die eine solche Begabung hatten. Die Johnsons die nicht mal ganz einen Block von ihnen entfernt wohnten waren wohl ebenfalls eine sogenannte Zaubererfamilie. Mit einem der Jungen hatte Gabrielle Tanztraining. Sie hatte seinen Namen vergessen. Ob er wohl auch auf diese Schule in Schottland gehen würde? Lauren stieß ein Seufzen aus und verzog das kindliche, runde Gesicht zur einer Schnute. Sie hatte keinen Grund schlechte Laune zu haben und das hatte sie nach dem Fechttraining auch sonst nie. Der Tag war sogar eigentlich viel zu schön dazu. Die Turnhalle war nicht weit von ihrem Haus entfernt, weswegen ihr Vater sie alleine gehen ließ. Bis eben war sie noch von einem anderen Mädchen aus ihrer Klasse bereitet wurden. Einer, die auch ein Muggel wie sie war und aus einer ganz normalen Familie stammte. Das rothaarige Mädchen schob ihren Rucksack hoch, der fast von ihren Schultern gerutscht wäre und kickte einen Stein vor sich her. Sie hatte den Weg durch den kleinen Park gewählt in dem fast nur Erwachsene mit ihren Hunden spazieren gingen oder Leute joggten. Heute Morgen hatte Mathilde noch von einer Einladung gesprochen, die bald ankommen würde. Eine Einladung von dieser Schule natürlich und sie würden dann einkaufen gehen müssen in dieser Straße, die angeblich irgendwo in London existierte und die Leute wie sie ebenfalls nicht betreten konnten. Lauren mochte das Gefühl gar nicht, welches dieses ganze Gerede in ihr auslöste. Vor allem weil sie wusste, dass es keinen einleuchtenden Grund dazu gab auf Gabby eifersüchtig zu sein. Wenn man es genau betrachtete, dann kümmerte sich Mathilde mindestens genauso engagiert um sie und war noch aufgeregter als sie was die Auswahl der richtigen Muggelschule, wie sie diese nannte betraf, wahrscheinlich auch aufgeregter als ihr Vater. Da dachte sie doch viel lieber an das Fechttunier, welches Ende dieses Monats stattfinden würde. Sie hoffte, dass ihr Vater die Einverständniserklärung unterschreiben würde, dann könnte sie mit den anderen Mädchen aus ihrem Verein übers Wochenende in ein Camp fahren. Darauf freute sie sich jetzt schon seit mindestens einen Monat. Zumindest in ihrem Verein gab es nur das eine Thema. Kein Hogwarts. Keine Muggel. Lauren wurde aus ihren Gedanken gerissen, als sie hinter sie Schritte hörte und jemand laut einen Namen rief. Bevor sie sich allerdings umdrehen konnte rannte ein Hund in einem unglaublichen Tempo an ihr vorbei. Seine Ohren flatterten im Wind und seine Leine streifte lose über den Kiesweg. Er schien irgendetwas zu jagen, denn es raschelte in den Büschen und der Bassett sprang beherzt hinter her in das Blätterwerk, nur um Sekunden später hinter einem Kaninchen – oder war es ein Hase? –, das um sein Leben fürchtete über den Weg zu jagen. „Rantanplan!“, hörte sie wieder die Stimme, als sie schon selbst halb losgelaufen war um den Hund aufzuhalten. Der flüchtige Blick über ihre Schulter offenbarte einen Jungen, dem der Hund anscheinend weggelaufen war. Lauren war ihm näher und wollte selbstverständlich helfen, obwohl der Bassett eigentlich so schien, als würde er den Spaß seines Lebens haben. Sie hatte gar nicht gewusst, dass diese Tiere so schnell laufen konnte, denn die waren ihr immer eher ein bisschen träge vorgekommen, mit ihren langen Ohren. Ein Wunder, dass er nicht aus Versehen auf diese drauf trat. Das rothaarige Mädchen machte einen Satz nach vorne und wollte wohl auf die Leine treten, verpasste diese aber knapp. Da vorne war schon das Ende des Parks. Der Weg führte direkt auf ihren Häuserblock zu. Ah, verdammt. Wieso blieb der Hund nicht einfach stehen? Stopp! Sofort! Es gab diese bestimmten Momente in denen die Zeit ein wenig langsamer zu verlaufen schien. Nicht wie dann, wenn man sich vor der Klasse blamierte oder so, sondern wenn etwas geschah, was eigentlich gar nicht geschehen durfte. Das Kaninchen rannte weiter, nur sein Verfolger schien sich kein Stück weiter bewegen zu können. Voran das lag verstand Lauren erst, als der Hund ein eher ängstliches Jaulen von sich gab, er schwebte knapp einen Meter über dem Weg. Seine kurzen Beinchen strampelten gegen die Luft an, aber er fand natürlich keinen Halt. Lauren hielt die Luft an und im gleichen Augenblick schien der Zauber sich zu lösen. Sie machte einen Satz nach vorne und streckte die Arme von sich um den Bassett zu fangen. „Uff.“ Das Gewicht des Hundes riss sie mit nach vorne und sie schrammte mit den Knien über den Boden. Den Schmerz bemerkte das rothaarige Mädchen eigentlich gar nicht, denn der Hund sprang aus ihrem Armen, als sein Herrchen hinter ihr auftauchte. “Ist alles okay?“ Lauren kam vorsichtig auf ihre Beine. Ihre Knie brannte und die helle Strumpfhose, die sie getragen hatte, war nicht nur dreckig, sondern auf kaputt. Der blonde Junge, der vielleicht so alt wie sie war schien besorgt. Er hatte die Leine seines Hundes aufgehoben und sah zu der Verletzung hinab, die halb so schlimm war, wie sie aussehen mochte. Letztes Jahr war sie von einem Baum runtergefallen und hatte sich den Arm gebrochen, das war wesentlich schlimmer gewesen. Schlimm war nur, das ihre Hände zitterten und sie nicht verstehen konnte was gerade geschehen war. Hatte er das auch gesehen? Hatte sie sich das nur eingebildet? Hunde schwebten nicht ohne Grund durch die Gegend. „Hast du gerade … – “ “Du solltest besser auf deinen Hund aufpassen und ihn nicht frei rumlaufen lassen“, funkte Lauren ihm dazwischen. Sie kräuselte ihre Nase und klopfte sich immer noch mit zitternden Fingern den Dreck und Staub von ihrem grünen Lieblingskleid. Ihre roten Locken hatten sich aus dem Zopf gelöste und hingen wild in ihr Gesicht. „Sorry“, nuschelte er und schob verlegen eine Hand in seinen Nacken. Seine blauen Augen allerdings lagen immer noch so neugierig auf ihr, als wäre sie ein Alien. Was wollte er? Hatte sie etwas im Gesicht? Unbewusst zog sie ihre Unterlippe ein. Sie wusste doch auch nicht was geschehen war. „Er haut eigentlich nicht so einfach ab...“ Zur ihrer Erleichterung nahm der fremde Junge endlich den Blick von ihr und sah stattdessen tadelnd zu dem Bassett, der vollkommen unschuldig wirkte und sogar brav neben dem Jungen saß. Bevor Lauren allerdings noch etwas sagen konnte tauchte ein weitere Lockenschopf hinter ihm auf. Die blonden Locken hüpften lustig auf und ab, als das Mädchen näher gelaufen kam. Es war ihre Stiefschwester, die sie aber erst, auf den zweiten Blick wahrzunehmen schien, denn sie hatte nur Augen für Rantanplan. „Da bist du ja!“ Die Überraschung war groß, als sie ihre eigene Schwester entdeckte, mit den dreckigen Händen und der aufgerissenen Strumpfhose. “Er wollte einen Hasen jagen“, erklärte der Junge. Lauren war sich sicher, dass es ein Kaninchen gewesen war. „Weit ist es nicht gekommen.“ “Ist alles in Ordnung?“ Das war wieder Gabrielle, die besorgt zu ihrer Schwester sah und bereits in ihrer knallpinken, herzförmigen Umhängetasche nach einem Pflaster suchte. Bevor Lauren die Chance hatte sich endlich vorzustellen oder die Blonde zu beruhigen, kam der Junge ihr bereits wieder dazwischen: “Stell dir vor, Gabby, Rantanplan hat fliegen gelernt.“ “Sieht gut aus, oder?“, suchte die rothaarige Hexe nach Bestätigung, nachdem sie das Foto aufgehangen hatte. “Fantastisch“, gab Luke schmunzelnd zurück. Seine Freundin drehte sich auf dem instabilen Untergrund zu ihm um und streckte die Arme aus. „Eine echte Heimwerkerin.“ Er sah zu ihr hoch und nahm schließlich den Wink an, in dem er ihre Hüfte umfasste und sie mit einem Ruck vom Sofa hob. Wo er sich schon ein mal so nah bei sich hatte, drückte er einen Kuss auf ihren wirren Haarschopf. „Willkommen zu Hause.“ Kapitel 2: 2004 --------------- 27. Oktober 2004 Er würde zu spät zum Unterricht kommen und das alles nur weil am frühen Ausnahmezustand in ihrem Schlafsaal geherrscht hatte. Chaos ausgelöst von einer Ratte, die sich aus einem anderen der Jungenschlafsäle im Kerker zu ihnen verirrt hatte. Die Gänge waren komplett leer, denn das Frühstück in der Großen Halle war bereits beendet und der Unterricht hatte bereits begonnen. Mit hastigen Schritten durchquerte der Erstklässler den Eingangsbereich hin zu der Haupttreppe, die in die höheren Stockwerke führte. Die wachsamen Augen der Portraits an den Wänden folgten ihm und noch im Gehen streifte er sich seinen schwarzen Umhang, mit dem Zeichen für das Hause Slytherin, über. Immer zwei Stufen auf einmal nehmend erklomm er die Treppe. Seine Schritte halten von den Wänden wieder und waren neben seinem hastigen Atem das §inzige was überhaupt zu hören war. Eulendreck, gerade zu Verteidigung gegen die dunklen Künste würde er zu spät kommen. Professor MacAvoy war nicht gerade einer der lockeren Lehrer, die Mal ein Auge zudrückten, sondern er hatte von der ersten Stunde an, den neuen Schüler verständlich machen wollen, wer hier die Autorität war und es war ihm gelungen. Ein komischer Kauz war dieser Kerl und er wollte nicht unbedingt der Erste sein, der unangenehm auffiel und für Punktabzug sorgte. Was beinah unvermeidlich war. Das Schuljahr hatte er vor ein paar Wochen angefangen und alles war für viele der Erstklässler immer noch völlig neu und verwirrend. Von den Treppen, die ständig ihre Richtung änderte, wie sie gerade lustig waren, hatte er bereits gewusst, aber niemand hatte ihn darauf vorbereitet, dass diese derart störrisch sein konnten. Dazu kam, dass jeder Gang noch irgendwie alle gefühlt gleich aussah. Eine geschlossene Tür nach der anderen. Leere Flure. War der Raum für Verteidigung gegen die dunklen Künste nun im zweiten Stockwerk, oder doch im Dritten? Der Junge mit den dunklen Haaren und den auffallend blauen Augen schnaubte entnervt und strich sich die Fransen aus dem Gesicht. Seine Haare waren mal wieder zu lang geworden. Er war auf dem oberen Treppenabsatz stehen geblieben und schien sichtlich unentschlossen und orientierungslos. “Kann ich dir helfen, mein Kleiner?“ Der Angesprochene blickte sich um. Die Stimme kam aus einem der Potraits, welches direkt am Eingang zum zweiten Stock lag. Er starrte den alten Zauberer in seinem violletten Umhang misstrauisch an. Von einem Ravenclaw hatte er bei der Besenflugstunden gehört, dass die Portraits ihn mit ihrem Ratschlägen einen Streich gespielt hatte. Sie hatten ihn in eine Sackgasse gelockt und er hatte eine geschlagene Stunde gebraucht um zurück zu seinem Gemeinschaftsraum zu finden. Erstes hatte der Slytherin nicht vor sich in die Irre führen zu lassen und zweitens hasste er es von irgendjemanden Kleiner genannt zu werden und schon gar nicht von einem Mann aus einem magischen Portrait. Er war schließlich keine Fünf mehr. “Nein, danke. Ich find den Weg schon“, antwortete der Schüler deswegen ein wenig kurz angebunden. Der Zauberer schien allerdings nicht beleidigt, sondern lächelte gutmütig. „Du solltest dich beeilen, sonst kommst du zu spät zum Unterricht.“ Die Belehrung zeigte seine Wirkung, auch wenn der Slytherin fand, dass er diesen Hinweis wirklich nicht gebraucht hätte. Eilig nahm er die nächste Treppe nach oben. Er bog in einem Gang ein, der ihm irgendwo her bekannt vorkam, nur um plötzlich vor einer weiteren steinernen Treppe zu stehen die geschwungen wohl zu irgendeinen Turm hoch führte, oder vielleicht auch nicht. Nein, hier war er eindeutig falsch. Trotzdem wagte er einen Blick die Treppe hochzuwerfen, um ausmachen wohin diese führen könnte. “Ich würde da nicht hochgehen.“ Der Slytherin wirbelte herum und rechnete fast damit sich mit noch einem altklugen Portrait auseinandersetzen zu müssen, aber stattdessen stand ein blonder Junge nur ein paar Meter von ihm entfernt. Wo immer dieser auch hergekommen war. Der Gryffindor schien mindestens ein Jahr über ihn zu sein und er stand mit einer Selbstverständlichkeit in dem Gang, als wäre er absolut nichts Ungewöhnliches daran, dass er gerade ebenso wie er selbst im Unterricht sitzen sollte. “Ich hab Peeves eben hier entlang schweben sehen und er hat auf die Stufen irgendwelche Schleim geschüttet“, erklärte der blonde Gryffindor weiter. “Danke für die Warnung.“ Der Erstklässler ließ seine abwehrende Haltung fallen und begann den anderen Jungen eingehender zu betrachten. Er war ein kleines Stück größer als er selbst, sah aber blass aus, wenn nicht sogar fast ein wenig kränklich, was aber auch an dem Licht hätte liegen können. Er konnte sich nicht erinnern ihn vorher schon einmal gesehen zu haben, aber das musste rein gar nichts bedeuten. Er war ja schon froh, wenn er einigermaßen seinen Stundenplan auf die Reihe bekam und sich nicht wie gerade in diesem Moment vollkommen verfranzte. Vielleicht wäre es doch angebracht nach dem Weg zu fragen, wenn er gerade schon einmal die Möglichkeit dazu hatte. „Ich wollte nur zum Klassenzimmer für Verteidigung“, gab er selbstbewusster zurück, als er sich eigentlich spürte. Der andere Junge grinste, als würde er sich über irgendetwas amüsieren, oder sich gar über ihn lustig machen. “Das ist aber im zweiten Stock.“ Der Slytherin zog die Augenbrauen zusammen. “Klar.“ Wusste er natürlich. Zumindest sollte es so wirken. Er wollte ja nicht ganz als der letzte Troll dastehen. Er musste sich mittlerweile wirklich beeilen, wenn er nicht wollte, dass es zum Punktabzug noch eine saftige Strafarbeit hagelte. Er wollte sich gar nicht vorstellen was der Professor für Verteidigung sich alles ausdenken konnte. Das verbissene Gesicht ließ zwar kaum auf sonderliche Kreativität schließen, aber das musste ja nicht unbedingt was bedeuten. Der Erstklässler setzte sich wieder in Bewegung und wollte sich an dem komischen Jungen vorbei schieben. „Eh...danke...“ Seine Worte gingen fast in einem scheußlich, kratzigen Lachen unter, welches verdächtig nach dem Geräusch klang, welches erzeugt wurde, wenn man mit einem Nagel über Glas für, nur gehässiger. ' Sospan fach yn berwi ar y tan, sospan fawr yn berwi ar y llawr, a'r grath. Mae bys Mari-Ann wedi brifo, a Dafydd y gwas ddim yn iach...' Der schiefe Gesang kam immer näher und plötzlich tauchte Peeves, der Poltergeist aus einer der dicken Steinwände auf. Seine hässliche Gestalt schimmerte leicht grünlich und seine dunklen Augen blitzen auf, als er die beiden Schüler entdeckte. Er unterbrach sein kleines Ständchen und begann breit und schadenfroh zu grinsen. “Ei Ei, wen haben wir denn hier? Eine Schlange und einen Löwen, die den Unterricht verpassen? Nana, so gehört sich das aber nicht. Da müsste man direkt Mister Filch rufen... – oder noch besser einen der Lehrer.“ Das Lachen, welches auf diese Ansage folgte war gackernd und derart laut, dass sie befürchten mussten, dass jeden Moment tatsächlich ein Lehrer auftauchen würde. “Verschwinde gefälligst, Peeves!“, rief der blonde Junge, der nun neben ihm stand, genervt. Wenn auch er Angst hatte davor entdeckt zu werden, dann ließ er es sich nicht anmerken. Der Slytherin sah aus den Augenwinkeln, wie der Andere in seine Hosentasche griff und seinen Zauberstab aus hellem Holz hervorzog. “Jaja, ich sollte euch beide dringend melden“, amüsierte sich der Poltergeist weiter, auch wenn er den Zauberstab bereits entdeckt hatte, schien er keinen sonderlichen Respekt vor den Schülern zu haben. Wieso auch? Denn schließlich hatte der Geist vor so gut wie niemanden Respekt, außer vielleicht der Schulleiterin. Da konnte ihn ein Zauberstab kaum beeindrucken. Trotzdem schwang der Löwe ihn durch die Luft und richtete ihn auf eine der Kerzen im Gang, die direkte neben Peeves an der Wand hing. „Incendio!“, blaffte er und die Flamme der Kerze flammte wie eine Stichflamme auf und brannte heller als noch Sekunden zuvor, aber Peeves ließ sich nicht abbringen. Der Slytherin wusste zwar nicht ganz genau was er tun sollte, aber im nächsten Moment hatte auch er seinen Zauberstab schon in der Hand. Auf die schnelle fiel ihm kein Spruch ein, der Sinn ergeben hätte, er war immerhin erst im ersten Schuljahr. Also machte er nur eine ungeduldige und unsauber ausgeführte Bewegung. Im nächsten Augenblick erfüllte das Zerspringen von Glas den Flur und Splitter stoben durch die Gegend. Das Glas um die längliche Kerze herum war zersprungen. Das war zwar nicht ganz das was er beabsichtigt hatte, aber es erfüllte seinen Dienst. Peeves wurde abgelenkt und diesen kleinen Moment nutzen die beiden Jungs um sich an ihm vorbei zu stehlen. Dem Löwen folgte die Schlange. Sein Arm streifte den Geist nur, aber selbst diese kurze Berührung hinterließ ein Gefühl, als hätte er gerade in eiskaltes Wasser gegriffen. Er erschauderte und die Nackenhaare stellten sich auf, aber er lief weiter. Peeves fluchen verfolgte sie, als sie die Treppe nach unten nahmen und an dem Portrait mit dem Zauberer vorbei in den zweiten Stock flohen um sich dort hinter einer der großen, steinernen Statue zu verstecken. Das Herz klopfte beiden Jungen bis in den Hals und sie versuchten vollkommen still zu sein. Der Poltergeist rief nach ihnen und der Slytherin entschloss sich, dass es besser war, wenn er jetzt in den Unterricht gegen würde. Er sah zu dem Zweitklässler und grinste leicht. “Oliver. Oliver Coven“, erklärte er und streckte dem Blonden seine Hand entgegen, die dieser sofort erfasste. “Michail van der Fecht“, erwiderte er und grinste mindestens genau so breit. Er war Samstagmorgen und man konnte kaum ignorieren, dass Halloween immer näher rückte. Die Schüler waren aufgeregt und überall im Schloss tauchten plötzlich Kürbisse auf, ob nun im Essen, oder einfach nur als Dekoration. Auch Oliver freute sich schon auf sein erstes Halloween auf Hogwarts und trotzdem stocherte er an diesem Morgen schlecht gelaunt in seinen Bohnen herum und schob sie von einer Seite seines Teller auf den anderen. Gegenüber von ihm saßen zwei Mädchen aus seinem Jahrgang. Charlotte und Lilian. Die beiden redeten laut über ihre Kostüme die sie zu Halloween tragen würden und schienen in ihrer Begeisterung kaum zu stoppen, so wie sie kicherten. Oliver sah kurz zu ihnen auf und dachte dann lieber wieder an seine Strafe, die er heute Abend bei Professor McAvoy abzusitzen hatte. So in Gedanken versunken merkte er erst im letzten Moment, dass sich jemand neben ihn auf den Platz schob, der nicht die übliche Krawattenfarbe hatte, die an diesem Tisch vorherrschte. Auch die beiden Mädchen blickte auf und musterten den blonden Jungen. Es war Michail. Der Slyhterin war nicht minder überrascht über diese Feststellung. Der Löwe schien ihm beste Laune zu haben. Er war immer noch so blass im Gesicht wie gestern, aber sein gewinnendes Lächeln spielte darüber hinweg. Merkte er nicht, dass er am falschen Tisch saß? “Reichst du mir mal die Milch?“, fragte er und schüttete sich ungerührt Müsli in die Schüssel, die vor ihm stand. Oliver kam seiner Bitte nach, ohne auch nur eine Frage zu stellen, obwohl ihm so einige auf der Zunge lagen, aber er hatte so das Gefühl, dass der Gryffindor sich gleich von selbst erklären würde. Aber erst wurde in alles Gemütlichkeit das Frühstück zubereitet, als wäre es das Normalste auf der Welt als Löwe am Tisch der Feinde, also sprich, der Slytherins, zu sitzen. “Ich hab gehört, dass es gestern Punktabzug gab“, begann er das Gespräch. Oliver sah ihn von der Seite an und brummte nur leise. “Ich bin Dank Peeves eine Viertelstunde zu spät gewesen.“ Fünfzehn Punkte hatte der Lehrer für Verteidigung gegen die dunklen Künste ihm dafür abgezogen, dabei hatte er ihm erklärt, dass das garantiert nicht seine Schuld gewesen war. „Bist du da wenigstens noch weggekommen?“ Immerhin hatte der Poltergeist immer noch nach ihnen gesucht und er wusste nicht, ob Michail vielleicht nicht doch auch irgendwo dort Unterricht gehabt hatte. Der blonde Löwe nickte nur und in seinen grauen Augen blitze der kindliche Schalk auf. „Klar, gar kein Problem. Ich ken'n eine Abkürzung aus dem zweiten Stock“, antwortete er und senkte dabei fast verschwörerisch die Stimme. Lilian und Charlotte hatten zum Glück wieder ihr Gespräch über den Halloweenabend aufgenommen. “Wie meinst du das?“, halte Oliver skeptisch und doch mit einem Hauch von Bewunderung für den Älteren nach. Dieser lachte nur leise und lehnte sich ihm nun ein kleines Stück entgegen und stützte dabei einen Ellbogen auf den stabilen Tisch. „Ich zeig's dir. Wir treffen uns heute Abend im zweiten Stock, wenn du dich traust.“ Mit diesen Worten, erhob er sich vom Tisch der Schlange, ohne sein Müsli überhaupt wirklich angerührt zu haben... Kapitel 3: 1998 --------------- „Es war einmal vor langer, langer Zeit in einem weit entfernten Königreich, da lebte ein König mit seinen zwei Töchtern, die beide von unglaublicher Schönheit waren. Eines Tages musste der König sich auf große Reise begeben und die beiden Prinzessinnen waren sehr traurig, da versprach der König ihnen von seiner Reise etwas mitzubringen was sie sich wünschten. Als er die jüngere Prinzessin fragte, sagte diese sie wünsche sich den schönsten Diamanten, den er finden können und er solle Strahlen wie der Regenbogen am Himmel. 'Gut', sagte der König. 'Ich werde dir diesen Diamanten bringen.' Danach fragte er seine älteste Tochter, was sie sich wünschte er würde ihr es von der Reise mitbringen. 'Nichts weiter als ein singendes, springendes Löweneckerchen', antwortete die Prinzessin, die von allen für ihre atemberaubenden Schönheit und ihre Sanftmut bewundert wurde. So zog der König am nächsten Morgen los und begab sich auf die lange Reise, die Wochen andauerte. Auf seinem Rückweg beschloss er nach den versprochenen Geschenken für seine beiden Töchter Ausschau zu halten. Als erstes fand er den Diamanten für seine jüngste Tochter. Dieser strahlte tatsächlich wie der Regenbogen. Auch fand er ein Kleid aus purer Seide, welches er beschloss der Königin mitzubringen. Nur das Geschenk für seine zweite Tochter fand er nirgendwo. Als er schon aufgeben wollte und sich in einem Wald nicht unweit von seinem Schloss entfernte, geschah etwas Unaussprechliches. Der König war müde von der langen, anstrengenden Reise und ruhte mit seinem Pferd am Rand des Weges unter einem Baum, da hörte er plötzlich das Zwitscher eines Vogels, welches so wunderschön war, dass es ihn im Herzen berührte und als er es wagte aufzublicken entdeckte er über sich in den Ästen das Löweneckerchen, welches sich seine Tochter von ihm gewünscht hatte. Er nahm einen Leinensack vom Sattel seines Pferdes und wollte es einfangen, aber gerade als er den Sack über es gestülpt hatte und vom Baum hinunterstieg erschien ein Löwe. Unter seinem fürchterlichen Gebrüll erschrak der König. 'Du wagst es in meinem Reich zu wildern, Mann?', brüllte der Löwe. 'Dafür werde ich dich fressen müssen.' 'Nein, Löwe, verschone mein Leben', bettelte der König in seiner Verzweiflung und fiel vor dem Löwen auf die Knie. 'Ich gebe dir dafür auch alles was du haben willst.' 'Wirklich alles?', fragte der Löwe und schien sich besänftigen. 'Wenn das so ist, dann möchte ich das haben, was dir zu Hause zuerst über den Weg läuft.' Der König erschrak sehr, aber er sah sein Leben in Gefahr und kannte keinen anderen Ausweg, als dem Löwen seinen Gefallen zu gewähren und mit schweren Herzen den Heimweg anzutreten. In sieben Tagen, so hatte der Löwe gesagt würde der Löwe sich holen was ihm Zustand. Je weiter der König sich von dem Wald entfernte desto fröhlicher wurde er, denn es konnte gut sein, dass der alte Schlosshund ihm als erstes entgegen kommen würde, oder gar eines der Hühnern. Ja, der König fand sogar, dass er den Löwen ganz schön reingelegt hatte. Doch als er im Schloss ankam, war es seine älteste Tochter, die ihn als Erstes entgegen kam, weil sie ihn so sehr vermisst hatte. Da wurde der König sehr traurig und er beichtete seiner Familie, welches Geschäft er eingegangen war und als sieben Tage vergangen waren, fuhr eine Kutsche vor das Schloss und holte die tapfere Prinzessin ab, die darauf bestand, dass ihr Vater zu seinem Wort stehen musste. Sie wurde mit in den dunklen Wald genommen und dort in eine Höhle geführt, die weit unter die Erde führte. Man brachte sie in eine fein hergerichtetes Zimmer und dort wartete sie Stunde um Stunde, bis die Sonne unterging. Erst dann öffnete sich die Tür und ein edler, staatlicher Prinz kam herein. Da wunderte sich die schöne Prinzessin, aber der Prinz erklärte ihr, dass er unter einem Fluch stand, der besagte, dass er tagsüber in der Gestalt eines Löwen leben musste, aber nachts seine eigene Gestalt annehmen könnte. Er versprach ihr, dass sie nichts vor ihm zu befürchten hatte und das er gut für sie sorgen würde. Seine Augen waren so ehrlich und er hatte ein solch edles Gemüt, dass er ihr auf der Stelle gefiel und als der Prinz um ihre Hand anhielt, stimmte sie sofort zu. Da wurde Hochzeit gehalten und die Prinzessin lebte glücklich bei ihrem Prinzen. Am Tag schlief sie und in der Nacht wachte sie mit ihm zusammen. Doch eines Tages bekam sie die Nachricht, dass ihre Schwester heiraten würde und es erfasste sie ein schlimmes Gefühl von Heimweh und sie bat ihren Prinzen ihre Familie sehen zu dürfen, denn diese wusste schließlich nicht wie es ihr erging. Der Prinz willigte ein sie zu der Hochzeit zu begleiten, aber nur unter der Bedingung, dass der König für ihn einen Raum bauen würde, in dem kein Licht fiel, denn wenn Licht auf ihn fallen würde, dann würde er sich in eine Taube verwandeln und sieben Jahre durch die Welt streifen müssen. Also war es beschlossen und als der Tag kam, hatte man für den Prinzen einen Kiste aus Holz errichtete in die kein Licht dringen konnte. Die Prinzessin war frohen Mutes, denn sie freute sich ihre Familie wiederzusehen. Sie feierte mit ihren Freunden und versicherte dem König, dass es ihr gut beim dem Prinz ginge. Doch als sie am Abend zu der Kiste kommen wollte, um ihren Geliebten herauszulassen, flatterte ihr ein schneeweißes Täubchen entgegen. Das Holz war an einer Stelle gesplittert und ein Strahl der untergehenden Sonne hatte den Prinzen berührt und ihn in eine Taube verwandelt. Die Prinzessin war vollkommen verzweifelt, aber das Täubchen sprach zu ihr: 'Ich bin gezwungen für sieben Jahr durch die Welt zu wandern, aber alle paar Meter werde ich eine Feder und einen Blutstropfen fallen lassen, damit du weißt wohin ich fliege.' Und so flog es davon und die Königstochter packte ihre Sachen und folgte entschlossen den Federn, die ihr Prinz ihr hinterließ, damit sie ihren Weg finden würde. Die tapfere Prinzessin wanderte über Hügel und Täler. Wochen vergingen. Wochen wurden zu Monaten und Monate zu Jahren und als es fast soweit war, dass ihr Prinz sich zurück verwandeln würde verlor sie seine Spur. Sie suchte überall nach der Feder und den Blutstropfen, doch konnte keines von beiden finden. In ihrer Verzweiflung flehte sie den Wind an. 'Wind, der du über alle Felder wehst, hast du vielleicht mein Täubchen gesehen?' Und der Wind, der Mitleid mit dem armen Mädchen hatte, brauste über alle Wälder und Steppen, aber er fand kein Täubchen. Die Prinzessin wandte sich an die Sonne, die weit über ihr stand. 'Liebe Sonne, die du strahlst bis in die finsterste Ecke. Hast du vielleicht mein Täubchen gesehen?' Und die Sonne hatte Mitleid mit dem armen Mädchen und leuchtete in jede noch so dunkle Ecke, aber nirgends fand sie das weiße Täubchen. Die Prinzessin weinte bis es Nacht würde und der silberne Mond aufging. 'Lieber Mond', sprach sie dann. 'Du wachst über die Nacht und den Schlaf. Hast du vielleicht mein Täubchen gesehen?' Doch auch der Mond hatte es nirgends gesehen, aber er hatte so viel Mitleid, mit der wunderschönen Prinzessin und schenkte ihr eine Schattuelle, in der sich drei Haselnüsse befanden. Wenn sie Hilfe brauchte, dann sollte sie diese öffnen und sie würden ihr helfen....“ Selina gähnte und konnte die müden Kinderaugen kaum noch offen halten. Ihre Mutter klappte das Buch zu und zog vorsichtig die Decke ein bisschen höher. „Da ist aber jemand müde“, lächelte sie. “Nicht aufhören. Gleich kommt doch die Stelle in der Prinzessin Selina Prinz Michail vor dem Drachen rettet“, bettelte das müde Mädchen. Das war ihre absolute Lieblingsstelle, aber ihre Mutter kannte kein Erbarmen. “Morgen wieder.“ Sie gab ihr einen Kuss auf den Lockenkopf und löschte das Licht im Kinderzimmer. Kaum wurde es dunkle um sie herum, war Selina auch schon eingeschlafen. Vielleicht träumte sie davon, wie sie eines Tages Prinz Michail begegnen würde, aber sie hätte wohl kaum damit gerechnet, dass es gerade in Schottland während eines Quidditchspiel sein würde. Kapitel 4: 2013 --------------- 2013 6. November 2013 Oliver schloss die Haustür auf und rückte gleichzeitig mit einem Fuß den Fußabtreter wieder in die richtige Position. Sein Blick streifte flüchtig das Türschild mit dem Nachnamen, bevor er eintrat. Der Flur im Inneren des Hauses war dunkel und nur aus der Küche fiel ein Spalt Licht in diesen. Der Schotte schlüpfte aus seiner ledernen Jacke und schob seine Schuhe direkt neben die kleineren seines Sohnes, die eine sandige Spur auf dem Boden hinterlassen hatten. Die Jacke wurde an die Garderobe gehangen. Die Wohnung wirkte vollkommen still und selbst als er durch die Tür in die erleuchtete Küche trat, war dort kein Zeichen, dass irgendjemand zu Hause war. Amelia hatte die Rollladen vor den Fenstern bereits heruntergelassen. Auf dem Tisch lag immer noch die Zeitung, die er am Morgen noch gelesen hatte. Sie war aufgeschlagen und offenbarte den Sportteil. Oliver ließ seinen Blick aufmerksam durch die Küche und das angrenzende Wohnzimmer schweifen, welches im Dunkeln lag, erst dann führten seine Schritte ihn hin zum Küchentisch. Seine Finger griffen nach dem gräulichen Papier, um die Zeitung ordentlich zu falten. Es war mehr als seltsam, dass die Neuseeländerin um diese Zeit nicht zu Hause war, vor allem wenn man bedachte was heute für ein Tag war. Der Coven hatte sich noch nie viel aus seine eigenen Geburtstag gemacht, aber nur weil man sich daraus nichts machte hieß das nicht, dass man sich nicht trotzdem freute, wenn jemand daran dachte. Natürlich hatte Amelia heute morgen ein Frühstück vorbereitet gehabt – den Kaffee hatte er sich aber wie immer selber machen müssen – und sie hatte ihm gratuliert. Trotzdem hätte er sich gefreut nach Hause zu kommen und seine Familie bei sich zu haben. Es war immer noch ungewohnt in diesen Kategorien zu denken und wenn er sich in der Wohnung umsah, die Fotos an der Wand entdeckte, die ein Kleinkind mit dunklen Haare und blauen Augen zeigte, den er auf den Arm hatte, dann kam ihm das immer noch vor wie das Leben eines anderen. Oliver riss sich von den melancholischen Gedanken los und schob die Zeitung zurück auf den Tisch, doch bevor er sich komplett abwenden konnte fiel seine Augenmerk auf einen Buchstaben, der der in einem magischen Glanz aufflackerte und schließlich konstant glimmte. Der Schotte stutzte und beobachtete wie diesem Buchstaben scheinbar wahllos andere folgte. Jemand hatte die Zeitung anscheinend verzaubert und nicht einfach irgendjemand. 'Geh die Treppe hoch', ließ sich nach Sekunden entziffern. Er hatte nicht umsonst eine Ausbildung als Auror gemacht, um den einfachen Code nicht entziffern zu können, aber wie hatte er denken können, dass Amelia sich den Spaß nehmen lassen würde? Es war ein Spiel. Ganz nach dem Geschmack der Neuseeländerin und Oliver konnte eigentlich gar nicht anders als ergeben den Kopf hängen zu lassen und leise zu schmunzeln. Was sie sich wohl dieses Mal ausgedacht hatte? Er brauchte nicht lange zu überlegen, ob er der Anweisung folgen würde. Die Zeitung wurde auf dem Tisch zurückgelassen. Ob sie sich wohl oben versteckte, um ihn zu überraschen? Nein, wahrscheinlich nicht. Die Dunkelhäutige war noch nie sonderlich gut gewesen sich irgendwie zu verbergen. Sie wusste, dass er sie sofort gefunden hätte und dazu hätte sie keinen solchen Aufwand veranstaltet. Er konnte sie förmlich vorstellen wie viel Spaß sie dabei gehabt hatte das zu planen und vor ihm geheim zu halten. Dazu dieser kecke Ausdruck in ihren braunen Augen, wenn sie einen ,nach ihrer Meinung, unglaublich genialen Plan hatte. Ohne das Licht einzuschalten durchquerte er den Flur und nahm die Treppe, die nach oben in die erste Etage des kleinen Hauses führte. Die engen Stufen knarrten leise unter seinen Bewegung. Auch hier brannte kein Licht, aber seine Augen hatten sich bereits an die Dunkelheit um ihn herum gewöhnt. Die Tür zum Schlafzimmer stand weit offen und er nahm das mal als die Einladung, dass er eintreten sollte. Hier erst wurde der Lichtschalter auf der linken Seite neben der Tür betätigt. Das Schlafzimmer sah aus wie immer. Bücher und Zeitschriften lagen vor dem Bett und auf dem Nachttischen herum, daneben Fotorahmen und Kinderspielzeug, welches James wohl hierher geschleppt hatte. Auf der geblümten Tagesdecke allerdings lagen ein paar seiner Klamotten. Ein Hemd, so wie ein Weste und eine dunkle Hose, darauf ein einfacher Zettel. 'Zieh dich um und danach schau in den Briefkasten. Post ist da! Erinnerst du dich daran, wo wir uns zum zweiten Mal getroffen haben? Du brauchst einen Tipp? Leg die CD ein!' Oliver runzelte die Stirn und hob den Zettel mit Amelias Handschrift hoch. Unter diesem befand sich tatsächlich ein CD. Ein Glück, dass er mittlerweile mit diesen Muggeldingen souverän umzugehen wusste oder wenigstens nicht mehr lange überlegen musste. Amelia hatte anscheinend vorsorglich einen alten CD-Player auf seinen Nachttisch gestellt. Dieser wurde schon fast fachmännisch von ihm in Betrieb genommen – einmal auf die Schulter geklopft! Kaum hatte er auf den Play-Knopf gedrückt erklangen aus den Boxen die unverkennbaren Stimmen der Beatles. Der Schotte hätte gelacht, wenn er sich nicht seltsam dabei vorgekommen wäre. Natürlich erinnerte sich an St. Petersburg und auch an den Tag, an dem er die Neuseeländerin dort getroffen hatte. Die Hand ruckte instintiv hoch zu seiner Nase. Das war ein Schmerz für den er entlohnt worden war. Die Beatles dudelten im Hintergrund weiter, während er sich umzog. Was auch immer Amelia mit ihm vorhatte, er beschloss mitzuspielen, wie es immer getan hatte bei ihr. Nur um einen Wunsch zu bekommen, oder einen Kuss. Er gab allerdings keinen Grund sich allzu sehr zu beeilen, wenn sie sich schon eine Überraschung ausdachte, dann konnte er sie auch ein wenig warten lassen. Dass er kommen würde, daran musste sie keinen Zweifel haben. Sie wusste wie sie ihn richtig zu animieren hatte und irgendwo auch eine gewisse Neugierde weckt. Als er den Weg hinunter zu Tür bestritt war er mittlerweile sicher, dass er wohl das Haus verlassen würde. Mit einem Griff überprüfte er den Sitz der magischen Uhr an seinem Handgelenk und den Platz seines Geldbeutels. Alles war da. Die Lederjacke streifte er sich ein weiteres Mal über, bevor er die Haustür öffnete und wie befohlen den Briefkasten aufschloss, der gleich unter dem Messingtürschild mit ihrem Namen hing. Er zog einen unfrankierten Brief hervor und öffnete, ohne lange darüber nachzudenken den Umschlag. Darin befand sich nicht viel, außer einer Stadtkarte. Wobei es genauer gesagt nur ein Teil einer solchen war, den Amelia anscheinend ausgeschnitten hatte. Mit einem bunten Stift hatte sie wie bei einem dieser Kinderrätsel in denen man durch ein Labyrinth von der Seite zur anderen kommen musste, einen Weg gezeichnet. Ein Straßenname war eingekreist. “Meinst du, dass Oliver sich darüber freuen wird?“ “Nein, er hasst Überraschungspartys. Ich hab's mal im ersten Semester versucht...“, antwortete Michail grinsend über den Lärm im Pub hinweg. Das Liverpool lag in einem Außenbezirk der Stadt und war nicht sonderlich bekannt. Es war kleiner als sein russische Namensvetter in St. Petersburg, dafür auch etwas übersichtliche und es liefen nicht nur die Beatles. Anya und Michail saßen auf einer der Eckbänke im hinteren Teil des kleinen Gastraumes. Von hier aus hatte man einen guten Blick auf die Tür. Michail hatte einen Arm um die Russin gelegt, sah sie aber nicht an, weil die Tür ein weiteres Mal aufschwang, aber nur eine Gruppe Muggel den Pub betrat. Ob der schottische Miesepeter sich überhaupt dazu hinreißen lassen würde auf dieses kleine Versteckspiel einzugehen? “Als Ehrengast kann man es sich anscheinend leisten die Anderen warten zu lassen“, beschwerte Anya sich und blickte dabei derart verdrießlich drein, dass man denken konnte sie hätte tatsächlich schlechte Laune. Ihre Augenbrauen hatte sich zusammengeschoben und auf ihrer Stirn bildetet sich diese typische, skeptische Falte, die der Russe nur mit einem Lachen beantworten konnte und dazu einen Kuss auf ihren blonden Haarschopf, was für ein Schnauben sorgte. Michail bekam den spitzen Ellbogen in die Seite und wollte sich gerade darüber beschwere womit er denn das verdient hätte, als Amelia von der Bar zurückkam. Sie trug ein Tablett vor sich her. „Hier Micha, für dich das Bier und für dich das Wasser.“ Amelia ließ sich mit einem wissenden Lächeln an ihre Freundin auf den Stuhl gegenüber des russischen Pärchens fallen. “Bist du dir sicher, dass er die Zeitung überhaupt anfassen wird?“, erkundigte Anya sich und nippte an ihrem Wasser. Die Neuseeländerin wollte zur einer beruhigenden Antwort ansetzen, als Michail ihr zuvor kam: „Achtung!“ Die Freunde zogen wie einstudiert gleichzeitig die Köpfe ein und macht sich so weit klein, dass sie beinah unter dem Tisch verschwanden. Oliver sah sich um und wenn er sie bereits entdeckt hatte, dann ließ er sich davon nichts anmerken. Amelia spähte hinter ihrem Stuhl hervor und beobachtete wie der Schotte sich in Richtung der Bar bewegte und ihnen somit den Rücken zudrehte. Er trug das was sie ihm zuvor rausgelegt hatte und alleine das war ein kleiner Triumph. Sie tauschte einen flüchtigen Blick mit Anya, bevor sie sich unsinniger weise so leise wie möglich vom Stuhl erhob und sich zwischen einer kleineren, feiernden Gruppe hindurch zur Bar schob. Ihr Herz klopfte aufgeregt in ihrer Brust, als wäre das nicht das tausendste Mal, dass sie den Schotten sah, sondern das Erste. Sie fühlte sich an das Gefühl erinnert, als sie ihn zwischen den vielen Menschen entdeckt hatte. Das war eine Geschichte, die man seinen Kindern erzählte. Eine Geschichte, die voller Zufälle trotzte und sie trotzdem hier her geführt hatte. Amelia sog tief Luft in ihre Lunge und trat neben ihn an den Tresen. „Hi“, hauchte sie atemlos und viel zu leise, um wirklich die Geräuschkulisse übertönen zu können. Trotzdem wendete Oliver sich ihr halb zu und kaum trafen seine atemberaubend hellen Augen auf sie, war das schon das breite Lächeln auf ihrem weichen Züge und erhellte das runde Gesicht. Er schien nicht überrascht zu sein sie zu sehen. Ohne etwas zu sagen glitt sein Blick über ihr blaues Kleid und er lehnte sich ihr entgegen. Seine Finger strichen die schwarzen Locken zurück, die über ihre Schultern fielen. Der Ausdruck in seinen Augen bekam etwas Sanftes, als er den Abstand zwischen ihnen schloss … – stoppte. „Nicht hier?“,fragte sie lachend. “Micha starrt uns schon Löcher in den Hinterkopf“, gab er gedämpft zurück und als sie bei zu dem Tisch sahen, winkte der Russe zu ihnen hinüber. “Alles Gute zum Geburtstag, Pom.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)