Ambition von Kuponuss (Eine Studie über Prof. Hojo) ================================================================================ Kapitel 1: Ambition ------------------- Es war früh morgens. 4:38 Uhr und 24 Sekunden. Stille und Dunkelheit durchzogen das ShinRa-Hauptquartier, das zwar zu Schlummern schien, seinen Betrieb jedoch nie einstellte. In den sich verzweigenden Strukturen des 86. Stockes wurden die Gänge von den gedimmten, grünen Notstromleuchten im Boden erhellt. Der Mond hielt sich größtenteils hinter einer breiten Wolkendecke versteckt, spendete jedoch ausreichend Licht durch die Fensterfront, um einen Schatten auf dem Gang erkennbar zu machen. Dumpfe Schritte durchbrachen nur kurzzeitig die Stille, denn sie waren die einzigen um diese Uhrzeit. Die Schritte verstummten, der Schatten blieb vor einer Tür stehen, auf der ein großes Zeichen für Biogefährdung prangte. Der Mond durchbrach die Wolkendecke und erhellte eine Gestalt in einem langen, weißen Kittel, die nach etwas in der Seitentasche suchte und eine ID-Karte sowie einen Transponder hervorzog. Die Karte wurde durch den Schlitz in der Nähe des Türrahmens gezogen, ein Eingabefeld aktivierte sich. Die Gestalte tippte einen achtstelligen Code ein und legte die linke Hand auf ein Scan-Feld. Kurz darauf ertönte ein bestätigendes Signal und das Eingabefeld schaltete sich in den Stand-by-Modus. Schließlich kam der Transponder zum Einsatz und öffnete der Gestalt im weißen Kittel die Tür zum Bereich der Gentechnikabteilung. Die Tür surrte leise auf, automatisch sprang das Licht an als die Person eintrat und die Tür sich wieder schloss. Die Person, ein Mann, durchquerte den großen Raum, der an den Seiten mit großen Kühlsystemen und Tanks gesäumt war, in denen eine leicht grünlich schimmernde Flüssigkeit versetzt mit Wasser gelagert wurde. Im Vorbeigehen prüfte er die Anzeigen: 8°C Temperatur, Sauerstoffgehalt 21%, pH-Wert 7,4, Mako-Konzentration 62% – Werte, die er in diversen Versuchen erprobt hatte und mit denen sich am besten experimentieren ließ. Kleine Säulen Luftblasen stiegen aus der metallenen Siebplatte im Boden der Behälter auf und versetzten die Flüssigkeit stets in kleine dynamische Bewegungen. Der Mann steuerte auf eine Kühlanlage zu, die bis unter die Decke reichte und sich 7 Meter an der Wand entlang erstreckte. Das riesige Ungetüm war durch dickes Sicherheitsglas abgeschottet, das keine UV-Strahlung durchließ. Von Innen wurde die Kühlanlage mit unipolarem Kunstlicht beschienen, sodass man den Stickstoffnebel erkennen konnte, der die Anlage leicht verhüllte, die Sicht auf die vielen Metallfächer aber nicht verdeckte, die dreistellige Nummern trugen. Die Kühlmotoren vibrierten leise. Am linken Ende der Kühlanlage befand sich erneut ein Eingabefeld, das der Mann mit seiner ID-Karte und dem Zahlencode aktivierte. Auf dem Display erschien die Nachricht „Guten Morgen, Professor Hojo.“ und die Aufforderung, ein Fach und eine weiterführende Nummer einzugeben. Hojo rückte seine Brille zurecht, er wählte zwei Fächer aus und gab fünf Nummern ein. Hinter der Glaswand setzten sich drei winzige, fahrbare Greifarme in Bewegung, die auf Bahnen zwischen den Kästen fuhren. Die Fächer öffneten sich, als die kleinen Roboterarme sich näherten, hinein glitten und kurz darauf je zwei Reagenzgläser hervor holten. Eilig traten sie den Weg zum Display an, unter dem sich eine Klappe befand. Als die Geräusche der Greifarme verstummt waren, sprang der Öffnungsknopf von Rot auf Grün. Hojo betätigte ihn und zog die fünf ausgewählten Reagenzgläser, die in einem passenden Ständer aufgereiht waren, hervor. Der Wissenschaftler wandte sich ab und schritt auf ein sauber aufgeräumtes Laborpult am Ende des Raumes zu, an das sich ein Schreibtisch anschloss. Den daneben stehenden Schrank öffnete er mit seinem Transponder und zog einen Ordner mit der Aufschrift |µ| – εуλ 1999/08 hervor. Er legte ihn auf den Schreibtisch und schlug gezielt Seiten in der Kategorie „SOLDAT Eignungstest: Gewebeproben“ auf. Seine Handgriffe verliefen nach Routine, die Miene glich einer undurchsichtigen Maske und seine verengten Augen verschwanden zuweilen hinter den sich spiegelnden Gläsern der Brille, als er ein Reagenzglas aus dem Gestell nahm und es prüfend gegen das Licht hielt. Die Probe war vollständig lysiert, es blieb nur eine rosig-trübe Flüssigkeit im Glas, die zäh an den Seiten herunter rann, als er es ein paar Mal kräftig schüttelte. So verfuhr er mit drei weiteren Proben, die fünfte jedoch ließ er unberührt. Hojo zog einen Stift aus seiner Manteltasche und notierte auf einer leeren Seite im Ordner den 16. August und die Zeilen: • Fortsetzung der Untersuchung der Subjekte 99-46-03, 99-47-03, 99-48-03, 99-49-03 • Gewebezerkleinerung mit Blutprobe vom 1999/08/15 • Analyse der genetischen Beständigkeit bei Zugabe von Jenova-Zellen (Isolierung 94) Hojo plante seine Vorgehensweise sorgfältig. Er führte ausführliche Aufzeichnungen über Versuche, eingefrorene Proben, Chemikalien und Weiteres. Den Arbeitsplatz verließ er stets so aufgeräumt, dass man denken konnte, es wäre niemand dort gewesen. Seine Mitarbeiter ließen gebräuchliche Chemikalien meist am Platz stehen, schrieben sich Merkzettel über Enzyme und Pufferzusammensetzungen auf, die sie an ihre Regale klebten. Bei manchen hatte er sogar ein Foto von der Familie dort hängen sehen. Sie alle arbeiteten lang und intensiv in den von der Öffentlichkeit abgeschotteten Laboren, sodass sie nur gelegentlich am Wochenende Zeit für den Partner oder die Kinder fanden. Hojo gefiel diese Art des häuslichen Einrichtens am Arbeitsplatz nicht, aber da sich die Leistung seiner Mitarbeiter dadurch nicht zu verringern schien, ignorierte er es. Für ihn spielte es keine Rolle, da sein Leben nun einmal im Labor stattfand und er sich mit seiner Arbeit gänzlich identifizieren konnte. Es kam nicht selten vor, dass er früh am Morgen – wie in diesem Moment – allein durch die Labore streifte und experimentierte und spät nachts die Abteilung als letzter abschloss. Es gab einfach zu viele Facetten an seinem Projekt, die es zu erforschen galt, als dass er wegen zwischenmenschlicher Interaktionen die Zeit verschwenden wollte. Hojo stand auf und ging zu einem Kühlschrank in der Nähe der großen Kühlanlage. Er holte zwei zugeschraubte Plastikfläschchen heraus, setzte sich am Laborpult auf einen Hocker und legte sich Pipetten und passende Spitzen zurecht. Mit schnellen Handgriffen gab er zunächst einige 100 Mikroliter der ersten Lösung – Mako 73% – in die vier Reagenzgläser, als die darin enthaltende Flüssigkeit sich von rosig zu bräunlich färbte. Ein paar längliche Haarsträhnen fielen ihm beim Vorgehen ins Gesicht, wie immer, wenn er sich etwas vorne über beugte, aber es störte ihn nicht im Geringsten. Seine Aufmerksamkeit galt den Reagenzgläsern, deren bräunliche Trübung allmählich von grünlich-schimmernden Wirbeln durchzogen wurde. Schließlich gab er geringe Mengen der anderen Lösung hinzu, eine Lösung mit der Aufschrift „J-C-Iso94“. Er schüttelte die Gläser leicht – die grünlichen Schlieren tanzten wild durcheinander – und stellte sie in ein Heizgerät bei 37°C. „Sie hatten ja keine Ahnung, Gast.", dachte Hojo, während er mit verschränkten Armen zusah, wie das Heizgerät die Gläser sanft hin und her wiegte und so Sauerstoff unter die Flüssigkeit hob. „Sie hatten es einfach nicht verstanden, wie man wirksame Ergebnisse erzielt.“ Hojo erinnerte sich daran, wie Gast ihn vor etwa 24 Jahren in sein Büro bestellte. Sein Gesicht wirkte frischer, seine Augen etwas klarer als heutzutage, aber ansonsten hatte er sich äußerlich nur geringfügig verändert. Hojo trug einen Schnellhefter bei sich, als er sich vor Gasts Schreibtisch stellte, der gerade noch eine Liste ausfüllte. Gast verlor sich in seinem Büro in Akten, Heften und losen Zetteln, die sich durcheinander auf seinem Tisch stapelten und die er etwa alle zwei Wochen sorgfältig sortierte, um am nächsten Tag erneut das Durcheinander aufkeimen zu lassen. Trotz dessen war es nur ein offensichtliches Chaos, denn Gasts Ordnung bestand nicht in Papierform sondern in seinem Kopf. „Dr. Hojo“, begann Gast schließlich, schob das Schreibzeug beiseite und sah ihn an. Hojo erwiderte einen unbeirrten Blick. „Ich habe gehört, Ihre Forschungsergebnisse nehmen Gestalt an. Alle anderen Arbeitsgruppen haben Probleme, die in einen Wirtsorganismus eingeschleusten Jenova-Zellen zu lokalisieren und erneut daraus zu isolieren. Ich nehme an, dass es bei Ihnen zu funktionieren scheint?“ Hojo nickte. „Ja, Professor. Wir präparieren die Zellen mit einem Marker, der eine erhöhte Mako-Konzentration aufweist. So können wir sie im Organismus unter dem Trippel-Materiamikroskop mit dem Aufsatz 2D, 5A und 6A gut sichtbar machen. Die Isolierung gestaltet sich schwieriger. Wir sind dabei eine Methode zu entwickeln, das Wirtszellenmaterial vollständig zu zerstören ohne die J-Zellen in Mitleidenschaft zu ziehen, um sie vielfach wiederverwenden zu können.“ Gast nickte langsam, seine Nachdenklichkeit sah man ihm jedoch an. „Ein ankonzentrierter Marker also. Wie viel Prozent Mako verwenden Sie dafür anstatt der derzeit gängigen 8%?“ Hojo ahnte, dass seinem Vorgesetzten die Antwort nicht gefallen würde. „Das Neunfache.“, sagte er in ruhigem Ton. Gasts Augen weiteten sich, er runzelte ungläubig die Stirn. „72% Mako, sagen Sie? Das liegt weit über der letalen Dosis eines normalen Organismus von 45%!“ „Ja, das ist richtig.“, entgegnete Hojo und bemühte sich, seinen Tonfall nicht ungeduldig wirken zu lassen. „Aber wir haben die Zellen und den Organismus Schritt für Schritt an die erhöhte Konzentration gewöhnt und sie täglich um 5% erhöht. Die Umgebungstemperatur sollte 13°C nicht überschreiten und der Sauerstoffgehalt nicht mehr als 25% betragen.“ Immer noch ungläubig schüttelte Gast den Kopf, erhob sich von seinem Stuhl und schritt nachdenklich auf und ab. Hojo dachte, dass es Gast wohl nicht gefiel, so weit vom vorgeschriebenen Protokoll, das der Professor geschrieben hatte, abzuweichen. „Diese Werte hören sich doch ziemlich unrealistisch an.“, setzte Gast an. Hojos Mine verdunkelte sich, was der Professor in Gedanken versunken nicht registrierte und sich leicht gegen die Tischkante lehnte. „Wie viele Zellen sterben nach erfolgreicher J-Zellen-Integration?“ Bei dieser Fragen lies Hojo diverse Momente im Labor vor seinem inneren Auge Revue passieren, in denen er Wochenlang – Monatelang – nach einem geeigneten Weg gesucht hatte, die Integrierung erfolgreich durchzuführen und zu lokalisieren. Diesen Weg hatte er nun gefunden. Aber das war die Frage, vor der er trotz seiner Überzeugung von dieser Methode bedenken hatte. Er biss sich auf die Lippe. „Die Sterberate beträgt 98,4%, Professor.“ Die beiden Männer schauten sich einen Moment lang an. Hojos Augen waren fest, gar kalt, in Gasts spiegelte sich ein Anflug von Entsetzen wider. „Dr. Hojo“, begann er und strich sich über die Stirn. Er war, als suchte er nach den passenden Worten. „Dr. Hojo, sind Sie sicher, dass Sie wissen, was Sie tun?“ Hojo umklammerte die Mappe in seiner Hand fester. Wie ein starker Puls durchströmte ihn für einen Moment etwas, das tief aus seinem Innern kam. Er ließ es sich kaum anmerken, aber diese Unterstellung erfüllte ihn mehr und mehr mit negativen Emotionen. Selbst von seinem Vorgesetzten wollte sich Hojo das nicht gefallen lassen. „Professor, der Weg funktioniert. Ich habe die Methode in mehreren Experimenten ausprobiert. Man muss Geduld haben und ein Gewebe finden, das unter dem verstärkten Einfluss von Nervenimpulsen und positiv wirkenden Gewebshormonen steht. Zumindest ist das meine Theorie. Sehen Sie hier.“ Hojo öffnete die Mappe und zog ein Blatt mit einer Tabelle und einer Schlussfolgerung im Bezug darauf hervor, das er Gast mit ausgestrecktem Arm entgegen hielt. Er zitterte leicht. War er nervös? Nein, es war eher etwas Anderes… „Ich vermute, dass nur Wirtszellen mit einer überdurchschnittlichen Überlebensrate durch positive Einflüsse eine gute Überlebenschance besitzen.“ Gast nahm das Blatt entgegen, setzte sich seine Lesebrille auf, die noch auf dem Schreibtisch neben den Akten lag, und überflog den Text. „Etwas vage am Ende. Aber zugegeben, es ist gar nicht schlecht durchdacht.“ „Es ist ziemlich genau durchdacht.“, schob Hojo hinterher, woraufhin Gast die Augenbrauen hochzog und ihn dazu veranlasste zu verstummen und leicht verlegen zur Seite zu schauen. Kurzes Schweigen trat ein, Gast ordnete sichtlich seine Gedanken zum Thema. Schließlich sagte er: „Dr. Hojo, das ist eine ungewöhnliche und bislang nicht sehr ergiebige Methode, die wohl jedoch mehr Erfolg brachte, als alle Anläufe zuvor. Lassen Sie mir ihre Ergebnisse hier, ich werde sie studieren.“ Hojos Haltung entspannte sich. Gast schien seine Methode doch ansprechend zu finden. Dreizehn lange Tage wartete Hojo gespannt auf die Rückmeldung, von der er sich einiges erhoffte. Gast war ein intelligenter Forscher, er würde sicherlich den Nutzen dieser Methode über die Ausbeute stellen. Hojo machte sich zum ersten Mal in seinem Leben Hoffnung, einen großen Schritt durch seine Akribie nach vorne zu machen, die er beim Experimentieren an den Tag legte. Doch Gast zerschlug sie in abertausende kleine Fragmente. Der Professor teilte Hojo mit, dass sein ausgearbeiteter Weg den Sinn, Leben zu Erschaffen, verfehle und daher nicht als gängige Methode für die anderen Arbeitsgruppen zu etablieren sei. Ihm wolle er jedoch das Vorgehen erlauben, damit er weiterhin Grundlagenforschung betreiben könne. Gast sagte, dass er dennoch mit Hojos Arbeit zufrieden sei. Er war ein Lügner, was Hojo damals wie heute dachte. Gast hatte seine Intentionen nicht verstanden – niemals verstanden – und das Bahnbrechende in seinen Arbeiten stets unterschätzt oder missverstanden. Doch heute stand Hojo in der höchsten Position der Forschungsabteilung und seine Projekte spalteten sich dank seiner Pionierarbeit vor 24 Jahren in immer detailliertere Aspekte auf. Gast dagegen war… nichts dergleichen mehr. Hojo wandte sich erneut seinem Laborpult zu, auf dem ein Reagenzglas im Gestell übrig geblieben war. Mit emotionslosem Blick fixierte er die sich darin befindende, durchsichtige Flüssigkeit, bis er es schließlich in die Hand nahm und vorsichtig schwenkte. Aufgespritzte Tropfen sickerten an der Glaswand zurück in den Pool, der aus isolierter DNA und sterilem Wasser bestand. Von außen war die Beschriftung |µ| – εуλ 1980/01-1.2 eingraviert. In der Kühlanlage befand sich ein zweites Röhrchen mit exakt demselben Inhalt, den Hojo nicht herausholte, wenn es nicht unumgänglich war. Aber die Probe zwischen seinen knorrigen Fingern war nicht für praktisches Handwerk sondern für kreative Impulse gedacht. Auf Hojos Gesicht erschien ein Grinsen. Ganz gleich, wer das damalige Projekt geleitet hatte oder was die Leute dachten, weil sie es nicht wussten – dies war voll und ganz seine Schöpfung. Diese DNA war die Frucht seiner langenjährigen Forschungsarbeit mit vielen Rückschlägen und das nur, weil er seinen eigenen Weg gegangen war. Seine Ziele waren sein höchstes Gut und er tat alles um sie zu erreichen, ungeachtet dessen, was es kostete. Es war das einzige, was für ihn zählte. Gast hatte diese Denkweise, so Intelligent Hojo auf seinem Fachgebiet auch sein mochte, immer bemängelt. Nicht das sich gesetzte Ziel sei entscheidend, sondern stets den Weg zu überdenken, den man gehe, um es zu erreichen, weil sich Ziele im Laufe der Zeit durch die Erfahrung, die man sammle, ändern könnten. So etwas Unwissenschaftliches aus dem Mund des Professors zu hören, der für den Konzern forschte, einen künstlich erschaffenen Cetra zu züchten, hatte Hojo damals sehr irritiert. Einige Wochen hatte er darüber nachgedacht und versucht, diesen Hinweis irgendwie bei seiner Tätigkeit zu beherzigen. Aber es machte für ihn keinen Sinn. Es gab ein Ziel und er wollte es erreichen, das war der Weg nach oben. Sollte Gast seinem Prinzip doch selbst die Treue erweisen, er würde schon sehen, was er davon hatte – genauso war es dann auch geschehen. „Mein Werk, mein kostbares Subjekt.“, raunte Hojo und lachte erstickend, während er das Reagenzglas mit der ganzen Faust umschloss. Nach einer Stunde Inkubationszeit holte Hojo die vier anderen Reagenzgläser aus dem Heizgerät und stellte sie sortiert zurück in das Gestell. Erneut öffnete er das Fläschchen „J-C-Iso94“, träufelte geringe Mengen hinein, schwenkte sie sanft hin und her. Nach einigen Minuten Wartezeit hielt er sie prüfend nacheinander gegen das Licht. Probe 46, 47 und 49 wiesen nun eine dunkelrötliche, semi-transparente Flüssigkeit auf, 48 jedoch wurde von schwarzen Schlieren durchzogen, die sich immer weiter ausbreiteten und selbst die sich darin befindliche bräunliche Flüssigkeit finster färbten. Es schien, als bewegten sich die dunklen Fasern in einem eigenen Rhythmus im engen Gefäß. Bei einem Außenstehenden hätte der Anblick ein unbehagliches Gefühl ausgelöst, Hojo jedoch verzog nur das Gesicht. Er schüttelte das Glas etwas fester, sodass die letzten hellen Stellen von den Schlieren schwarz gefärbt wurden. „Minderwertig.“, sagte er kalt, „Absolut minderwertiges Material.“, und notierte die Ergebnisse ausführlich auf dem vorbereiteten Blatt. Hatte dieses raue Volk von Turks wieder einmal einen SOLDAT-Anwärter aufgetrieben, der zwar physische Leistungen erbringen mochte, psychisch jedoch instabil war wie ein Kartenturm. Es brauchte nur ein Windstoß kommen, der ihn zum einstürzen brachte – ein Windstoß in Form Jenova-Zellen. Doch dafür waren sie Hojo viel zu kostbar als dass er sie an einem Probanden vergeuden wollte, der das medizinische Eignungsgutachten nicht erfüllte. Die vollständige Zersetzung der Gewebeprobe durch die Zugabe von J-Zellen unter Stress hatte es gezeigt. „So etwas würde dir niemals passieren.“, sagte Hojo selbstsicher und wandte sich dabei dem unbehandelten Reagenzglas zu, das er an den äußeren Rand des Gestells positioniert hatte, um einen möglichst großen Abstand zu den anderen Gläsern zu schaffen. Er schloss die Augen und schob unter einem Grinsen die Brille zu Recht. „Von meinen Projekten bist und bleibst du die Nummer 1.“ Ganz gleich, wie viele Gewebeproben er unter Extrembedingungen testete oder wie sehr sich junge Männer für das SOLDAT-Programm empfohlen, ganz gleich, wie sich ihre Leistungen steigerten oder er neue Subjekte für seine anderen Themengebiete erhielte – nie würde es je wieder so Bahnbrechend für seine Forschungen sein wie jenes Projekt. Das S-Projekt. „Dr. Hojo, Danke, dass Sie Zeit gefunden haben.“ Es war früh am Morgen auf der Dachterrasse des ShinRa-Hauptquartiers. Der Himmel war von dunklen Wolken verhangen, sinnflutartige Massen regneten auf die Erde nieder. Am Rande der Balustrade aus Beton stand Prof. Gast mit einem schwarzen Regenschirm und blickte über die große Stadt, die an Regentagen eine noch größere Bedrücktheit und Unpersönlichkeit ausstrahlte als sonst. In einiger Entfernung zu ihm stand Hojo, dem die Regentropfen Haut und Haare durchnässten. Sein Gesicht wirkte davon völlig unbeeindruckt. „Ich überbringe keine guten Neuigkeiten aus Nibelheim.“, begann Gast langsam und wandte sich schließlich zu ihm um. Seine Wangen waren fahl, die Augen dunkel unterlaufen. „Mittlerweile sind vier Wochen seit der Geburt vergangen und Lucrecias Zustand hat sich nicht gebessert.“ Er seufzte. „Ihre Schmerzen scheinen sich trotz der starken Schmerzmittel, die wir ihr verabreichen, nur phasenweise zu verringern. In ähnlichen Schüben treten die Wahnvorstellungen auf, sodass wir bereits ein paar Mal die Befürchtung hatten, sie würde sich von den Fixierungen des Krankenbettes losreißen. Es tut mir leid, aber ich befürchte, dass sie nie wieder die junge Frau wird, die sie einmal war.“ Hilflos fuhr sich Gast mit der Hand übers Gesicht und blickte Hojo an, wie ihm der Regen von den Brillengläsern tropfte. Er schien seine Emotionen vollkommen unter Kontrolle zu halten, denn es zeigte sich nicht eine Regung in seinem knochigen Gesicht. Aber Hojo hatte alles begriffen, denn er nickte. „Ich verstehe.“ Schweigen trat ein, das vom Plätschern des Regens auf die Kacheln des Daches ein wenig erträglicher gemacht wurde, als es in einem Raum der Fall gewesen wäre. „Wie geht es dem Kind?“, fragte Gast schließlich. „Es ist wohl auf.“, antwortete Hojo. „Die Blutwerte sind gut, die Reflexe funktionieren feinfühlig und auch die Wahrnehmungstests ergaben positive Ergebnisse.“ Gast lächelte. Die Situation war schwer, aber diese Nachricht ließ ihn sie für einen Moment vergessen. „Und wie macht er sich so, wenn Sie ihn auf dem Arm halten?“, fragte Gast, immer noch lächelnd. „Ich weiß es nicht, ich hatte bislang nicht viel Körperkontakt zu ihm.“, antwortete Hojo ohne großes Interesse. „Ich werde so verfahren, wie wir es vor Projektbeginn geplant haben.“ Erschüttert runzelte Gast die Stirn. „Aber Hojo, die Umstände haben sich geändert!“, rief er. „Soll das Kind ohne Bezug zu einem Elternteil aufwachsen?“ „Sie dürfen nicht vergessen, mit welchem Kind wir es hier zu tun haben.“, entgegnete Hojo scharf und atmete tief durch. „Es darf nicht erfahren, wie und warum es geboren wurde, da wir nicht wissen, inwiefern es sich auf die Psyche auswirkt. Wahrscheinlich hätte Lucrecia ihr Herz ohnehin zu sehr an ihn gehängt. Es war wohl Schicksal.“ Hojo kam es vor, als wollte Gast nicht glauben, was er sagte. Aber jedes seiner Worte war ihm wohlbedacht über die schmalen Lippen gekommen. „Ohne festen Bezug wird er wohlmöglich mehr darauf angewiesen sein, auf seine innere Stimme zu hören. Und genau das ist es doch, was wir bewirken wollen. Dass er die Bestimmung findet, die in seinen Genen ruht.“ Gast schluckte, aber er nickte. „Ich verstehe. Natürlich ist es das, was wir erreichen wollen. Aber wie können Sie als am nächsten Beteiligter nur so unberührt davon bleiben?“ Er faltete seinen Regenschirm zusammen und sie ließen beide den schweren Moment von Angesicht zu Angesicht auf sich wirken. Kälte und Nässe gaben ihnen das Gefühl, mitten in der Realität zu stehen. Aber Gast besaß das ungute Gefühl, als wollte ihm die Kontrolle darüber in naher Zukunft entgleiten. „Meine Verbundenheit zeigt sich in anderer Form, Professor.“, antwortete Hojo schließlich und er nahm seine Brille ab, um den direkten Blick auf seine unerschütterlichen Augen preiszugeben. „Außerdem werde ich das Kind ja nicht sich selbst überlassen. Es wird genügend Leute geben, die sich alle um ihn kümmern. Wenn Sie wieder nach Midgar zurückkehren, können Sie sich meinetwegen auch gerne einbringen. Ich vermute, dass es ihnen nichts ausmachen würde?“ „Nein, ganz im Gegenteil.“, äußerte Gast freundlich. Trotz seiner Freude, dass das menschliche Wesen, das unter seiner Projektleitung entstanden war, derzeit wohlauf war, gelang ihm kein Gedankengang ohne einen Anflug von Sorge. Von weit her erklang das laute Geräusch rotierender Metallblätter. Aus Westen näherte sich ein Helikopter, der das Emblem des ShinRa-Konzerns an seinen Seiten trug. „Ich werde bald wieder hier sein.“, sagte Gast und beobachtete, wie der Helikopter immer näher auf sie zuflog. „Falls es Neuigkeiten gibt, werde ich mich früher bei Ihnen melden.“ Hojo nickte und wandte sich ab um zu gehen, als Gast ihn aufhielt. „Das habe ich ganz vergessen.“, sagte er leicht verlegen. „Wie ist sein Name?“ Irritiert blickte sich Hojo um. Die Regentropfen schienen wie schwerfällige Geschosse auf dem Boden aufzuschlagen und Gast kam es vor, als dehnte sich einen Moment die Zeit. „Sephiroth.“, antwortete Hojo und kehrte Gast erneut den Rücken zu. „Sein Name ist Sephiroth. Es war Lucrecias Wunsch. Sie hatte ihn mir wenige Tage vor der Geburt verraten. Ich sehe es als ihren letzten Willen an.“ Seit diesem Tag waren bereits 19 Jahre und einige Monate vergangen. Dennoch kam es Hojo bei diesen Erinnerungen vor, als rinne der kalte Regen wie an jenem Tag seinem Rücken hinab. In all dieser Zeit hatte er es nicht geschafft, eine emotionale Bindung zu ihm aufzubauen. Wenn Sephiroth ihm auf dem Gang oder in den Laboren begegnete, behandelte er Hojo wie einen Fremden und es machte Hojo nicht das Geringste aus. Wenn er den Menschen vor sich hatte, kamen Hojo keine Gefühle in den Sinn, aber sobald es etwas war, dass sich in kleine Teile zerschneiden und in Reagenzien einfrieren lies, gingen seine Erinnerungen und Empfindungen sogar soweit mit ihm durch, dass er mit ihnen sprach. Ehrlicher mit ihnen sprach, als mit jedem Menschen. „Scheint, als mussten Sie sich trotz allem etwas eingestehen, Professor Gast.“, dachte Hojo, während er den Ordner zurück in den Schrank einschloss, das Gestell mit den Gläsern in die Hand nahm und auf die Kühlanlage zuschritt, um die Proben zurück in den Schlaf zu schicken, der ihre Zellen jung hielt, falls er sie noch einmal gebrauchten sollte – wovon bei einer Probe nicht mehr auszugehen war. „Egal wie viel Angst es ihnen im Nachhinein auch gemacht haben mag, sie wussten genau, dass ich etwas Großartiges – Einzigartiges – geschaffen habe. Sie mögen das Projekt geleitet haben, aber die Schöpfung ist mein. Er geht seinen Weg und ich werde ihm folgen. Denn sein Ziel ist das meine, da ich es erforschen will. In dieser Hinsicht sind wir doch verbunden, fast so als wären wir…“ Hojo brachte den Gedanken nicht zu Ende. Zu absurd war für ihn die Vorstellung, dass er sich selbst in seinem Geist nicht ausmalen konnte, wie es sein würde, wenn sie tatsächlich normal verbunden wären, wie Vater und Sohn. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)