Some Days von Jisbon (I can't even trust myself [SasuSaku]) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Tag 1 Irgendwer kotzte sich da draußen die Seele aus dem Leib. Und egal, wer es war, Sakura konnte ihn verstehen. An manchen Tagen hasste sie ihr Leben. Sie hasste das Mystic Noir, den Drecksladen, in dem sie tanzte und zwischen den Auftritten kellnerte. Sie hasste die Gäste, das schummerige Licht, die absurde Mischung aus Prunk und Verfall, die abblätternden Tapeten und die Musik aus den Charts. Und sie hasste es, dass das Mystic Noir versuchte, sich über den französischen Namen zum Nachfolger des Moulin Rouge zu erklären. Vergebliche Liebesmühe. Trotzdem gab es einen festen Kreis an Stammkunden, den es immer wieder hierherzog. Warum auch immer. Aber so sehr sie das Mystic Noir auch hasste, sie hatte auch Grund, es zu lieben. Oder, korrigierte sie sich, dankbar zu sein. Man musste es ja nicht gleich übertreiben. Als vor zwei Jahren alles in die Brüche gegangen war, und sie die Ballett Akademie hatte verlassen müssen, hatte sie hier Arbeit und einen Platz zum Schlafen gefunden. Am Anfang war es ein richtiger Schock gewesen, die lichtdurchfluteten Räume mit den weiß gekalkten Wänden und die klassische Musik zu verlieren. Aber mittlerweile hatte sie sich ganz gut eingelebt. Nein, nicht eingelebt. Sie wollte hier nicht bleiben. Und jeden Tag kämpfte sie hart dafür, hier wieder rauszukommen. Nächste Woche hatte sie ihr zweites Vortanzen für die Rolle der Prinzessin Odette im Schwanensee. Das Mystic würde nicht ihr Grab werden, so viel war sicher. Und genau deshalb sollte sie zusehen, dass sie wieder rein kam. Ihre Pause war zu Ende und sie brauchte die Trinkgelder, um ihre Ballettstunden bezahlen zu können. Sie sprang auf, schloss das Fenster des winzigen Pausenraums, knipste das Licht aus und zog die Tür hinter sich zu. Die kalte Luft begrüßte sie wie einen lange verlorenen Freund. Beiläufig realisierte sie, dass es im Hinterhof inzwischen wieder still war. Ihr unbekannter Seelenverwandter hatte seine Magenprobleme also wieder in den Griff bekommen. Eilig steuerte sie auf die Hintertür zu, nur um dort mit jemandem zusammenzustoßen. Ein schmerzhafter Tritt auf den Fuß, ein Stoß gegen die Schulter - und noch etwas Anderes. Einen Moment lang war ein vertrauter Geruch da. Ärgerlich brachte Sakura ihren Fuß in Sicherheit und machte, mehr hüpfend als gehend, ein paar Schritte nach hinten. „Pass doch auf, du Idiot!“ Erst schien es, als wollte er sie einfach stehen lassen. Dann drehte er sich plötzlich zu ihr um. Und die Welt kippte von einer Seite auf die andere. „Freut mich zu sehen, dass du dich nicht verändert hast.“ Zwei Jahre. Zwei Jahre, seit er aus ihrem Leben verschwunden war. Zwei Jahre, in denen sie nichts von ihm gehört hatte. Und jetzt stand er auf einmal wieder vor ihr, als ob er vom Himmel gefallen wäre. Sasuke Uchiha. Der Fluch ihres Lebens. Und leider auch die Liebe. Aber damit war es jetzt vorbei. Sie hatte ihre Lektion gelernt, und zwar auf die schmerzhafte Art. Schließlich war sie nur wegen ihm im Mystic Noir gelandet. Es war typisch für ihn, dass er genau in dem Moment auftauchte, in dem alles kurz davor war, wieder gut zu werden. Sein Timing war schon immer gut gewesen. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und begegnete seinem Blick. „Da irrst du dich.“ Er lächelte dünn. „Umso besser.“ Und schon konnte sie nicht anders, als sich den Kopf darüber zu zerbrechen, was er damit meinte. Und das, obwohl sie ganz genau wusste, dass es keine Rolle mehr spielte. Sicher hielt er sie für eine dumme Kuh, die sprang, wenn er es wollte. Und das Schlimmste war, dass er mit dieser Einschätzung auch noch recht hatte. Jedenfalls war es früher immer so gewesen. Er hatte sich jedenfalls nicht verändert. Oder nur wenig. Immer noch sah er verboten gut aus. Und immer noch war ihm sein Aussehen egal. Der schwarze Anzug und das weiße Hemd waren zerknittert, seine Haare waren strubbelig und nachlässig frisiert. Aber er wirkte älter, abgekämpfter. Eigentlich hätte sie sich über dieses kleine Zeichen, dass es ihm auch nicht nur gut ergangen war, freuen müssen, aber das war nicht der Fall. Und noch etwas fiel ihr auf: Er hatte getrunken. Nicht, dass er geschwankt oder gelallt hätte, aber in den letzten zwei Jahren hatte sie genug Betrunkene gesehen, um das beurteilen zu können. „Warum trinkst du mehr als du vertragen kannst?“ Er warf ihr einen spöttischen Blick zu. „Und warum tanzt du in so einem miesen Schuppen?“ Sakura biss die Zähne zusammen. Sie hätte doch wissen müssen, dass er so reagieren würde. Angriff war schon immer seine Art gewesen, sich zu verteidigen. Und sie musste endlich damit aufhören, daran zu denken, wie es früher gewesen war. „Das weißt du doch am besten.“ Sasuke nickte, erkannte ihren Vorwurf scheinbar an. Falls überhaupt möglich, machte sie das noch wütender. Wenn er wenigstens etwas, irgendetwas gesagt hätte… Nicht, dass es etwas hätte besser machen können. Aber dass er gar nicht erst versuchte - schlicht, weil es ihm egal war, welche Folgen seine Entscheidung für sie gehabt hatte -, das war ein weiterer Schlag ins Gesicht. Und jeder einzelne tat immer noch weh. Sie atmete tief durch und bemühte sich, unbeeindruckt zu wirken. „Tja, war nett mit dir zu plaudern. Aber ich muss jetzt gehen, der miese Schuppen wartet auf mich.“ Sie stolzierte an ihm vorbei, drehte sich aber nach ein paar Schritten noch einmal zu ihm um. Sie hoffte wirklich, dass sie das Zittern in ihrer Stimme unterdrücken konnte. „Komm nicht wieder, Sasuke. Bitte.“ Tag 2 Er hätte nicht herkommen sollen, schließlich hatte sie ihn selbst darum gebeten. Aber wann hatte er sich schon darum geschert, was sie wollte? Genau deshalb fand er sich auch am nächsten Abend im Mystic Noir wieder. Sasuke hatte sich für einen Tisch in einer der Nischen entschieden, von wo aus er einen guten Blick auf die Bühne hatte. Nicht, dass es da etwas zu sehen gegeben hätte. Die war nämlich leer, und ein kleines Schild informierte ihn darüber, dass die nächste „Darbietung“ in einer Stunde stattfinden würde. Er grinste abfällig und nahm einen weiteren Schluck von seinem Whiskey. Ekelhaft, genau wie alles Andere. „Darf es noch etwas sein?“ Die Frage wurde gleichgültig heruntergeleiert und hatte absolut nichts Einladendes. Sasuke warf einen bedeutungsvollen Blick auf sein immer noch dreiviertel volles Glas und war im Begriff, die (offensichtlich blinde) Kellnerin wegzuschicken. Dann aber fiel ihm etwas ein: „Ja. Sag deiner Kollegin Sakura, dass ich trotzdem wieder hier bin.“ Die schlecht gefärbte Blondine kaute auf ihrem Kaugummi herum, ließ eine Blase aufsteigen und platzen. „Und warum sollte ich das tun?“ Immer dasselbe. Egal, wohin er ging, egal, mit wem er es zu tun hatte - die Spielregeln blieben immer die gleichen. Gibst du mir etwas, bekommst du etwas von mir. Nur einmal war es anders gewesen. „Darum.“ Er holte seine Brieftasche heraus, griff nach dem ersten Schein und ließ ihn ihr vor die Füße fallen. Es würde reichen. Mit Kleingeld hatte er noch nie seine Zeit verschwendet. Die Kellnerin bückte sich, griff nach dem Schein und ließ ihn hastig verschwinden. „Was soll das?!“ Zehn Minuten. Sie musste sich wirklich geändert haben, wenn sie es über sich brachte, ihn so lange warten zu lassen. „Setz dich doch.“ „Danke, ich stehe lieber.“ Wenn er nur ein bisschen Anstand gehabt hätte, dann hätte der mörderische Blick, der diese Worte begleitete, ihn auf der Stelle zu einem Haufen Asche verbrennen lassen. Aber den hatte er anerkanntermaßen noch nie gehabt. „Wie du weißt, muss ich gleich tanzen.“ „Musst du nicht.“ Der harte Zug um Sakuras Mund vertiefte sich noch. Sie wollte ihm widersprechen, aber er kam ihr zuvor. Manche Dinge änderten sich eben doch nicht. „Was glaubst du denn, was das für ein Laden ist? Ich zahle, also kannst du bleiben.“ „Ich will aber nicht.“ Damit wandte sie sich zum Gehen. In einer einzelnen, fließenden Bewegung war er auf den Beinen, packte sie am Arm und zog sie zurück zum Tisch. Ihr Arm war dünn, aber kräftig. So, wie sie selbst. Sie würde sich losreißen, er spürte, wie sie die Muskeln anspannte. Woher nahm sie diese Kraft eigentlich? Er suchte ihren Blick. „Bitte.“ Sie wusste doch, wie sehr er dieses Wort hasste. Einen Moment - einen sehr langen Moment - zögerte sie. Dann nickte sie. „Also gut. Aber nicht zu lange.“ Ein Kompromiss, mit dem er leben konnte. Sie zog sich den gegenüberstehenden Stuhl -selbstverständlich den am weitesten entfernten - heran. „Also?“ Müde, resigniert, und doch war etwas Hoffnung in ihrer Stimme. Weil manche Dinge sich eben doch nicht änderten. „Willst du wissen, ob ich meine Zeit damit verschwendet habe, dich zu vermissen?“ Sasuke trank einen weiteren Schluck. Er kannte die Antwort. Sie hatte, aber sie hatte es eben auch geschafft, damit aufzuhören. Bis jetzt. Oder jedenfalls war es das, was sie fürchtete. Seltsam, dass es ihm so viel leichter fiel, sie einzuschätzen, als sich selbst. In dieser Sache sah er einfach nicht klar. Und das war einer der Gründe, warum er sie hatte wiedersehen wollen. Es war nichts Romantisches, vermutlich war es nur seine Eitelkeit, die ihn hergetrieben hatte. Er hatte sie immer so leicht haben können, er hatte sie so leicht verletzten können und trotzdem hatte sie immer versucht, ihn vor sich selbst zu schützen. Womit sie auch die Einzige war. „Du hast wieder jemanden?“ Er hatte gehofft, sie mit dieser Frage aus dem Konzept bringen zu können, wurde aber enttäuscht. Einen Moment zögerte sie, bevor sie nickte. Ein seltsames Gefühl. Er war erleichtert. Erleichtert, dass sie ihm nicht länger die Verantwortung für ihr Leben zuschob. Er hatte seinen Plänen, seiner Rache an seinem Bruder immer alles untergeordnet. So jemand konnte denjenigen, der dumm genug war, sein Herz an ihn zu hängen, nur Unglück bringen. Also war es eine gute Sache für sie beide. Er musste kein schlechtes Gewissen mehr haben, weil er keine Rücksicht auf sie nahm und sie hatte die Chance, glücklich zu sein. Und trotzdem ärgerte er sich. Weil sie ihn ersetzt hatte. Weil es jemanden gab, der alles besser machte, alles mit ihr teilte. Weil sie nichts mehr verband. Er war wirklich ein verdammter Idiot. „Schön. Ich hoffe, er passt gut auf dich auf.“ Ein schwaches Lächeln umspielte ihre Lippen. „Besser als du auf jeden Fall.“ Sie schwiegen sich an. Nervös strich Sakura sich eine lose Haarsträhne hinters Ohr. „Warum bist du wieder hier, Sasuke?“ Natürlich hätte er lügen können, aber warum sollte er das tun? Er nahm einen weiteren Schluck und sagte dann: „Itachi ist wieder in der Stadt.“ Ihr Blick verdüsterte sich und er fügte hinzu: „Und ich wollte dich sehen.“ Sie glaubte ihm nicht, das war nicht zu übersehen. Trotzdem lächelte sie zögerlich. „Ich weiß zwar nicht, seit wann du höfliche Lügen erzählst, aber…danke.“ „Ich lüge nie. Das solltest du doch wissen.“ Tag 3 Tief durchatmen. Konzentration. Haltung. Sakura musterte ihr eigenes, müdes Gesicht, was ihr aus dem hohen, nur an einer Seite von feinen Rissen durchzogenen Spiegel entgegenblickte. Sie war eine verzauberte Prinzessin, und nur die Liebe ihres Prinzen konnte sie erlösen. Sie war… Mit einem frustrierten Aufschrei ließ sie die Arme sinken. Einen Scheiß war sie! Sie war keine Prinzessin, ihr Prinz kein Prinz und die verdammte Liebe war doch erst Schuld an ihren Problemen. Und trotzdem kreisten ihre Gedanken nur um ihn. Noch einmal tief durchatmen, die Gedanken auf das Wesentliche fokussieren. Sie würde kein zweites Mal alles wegwerfen. Sakura zog ihre Arm- und Beinstulpen noch einmal hoch und startete das Lied von vorne. Sie beugte sich vor und wartete ab. In ihrem Leben durfte es keinen Platz für etwas Anderes als das Tanzen geben. Oder, wie es ihre strenge Lehrerin an der Akademie ihnen jeden Tag eingebläut hatte: „Wenn euer Herz nicht beteiligt ist, braucht ihr euch gar nicht erst auf eine Bühne zu wagen. Das Publikum wird euch davonjagen, und das zu recht. Schließlich haben sie ein Recht auf eure Leidenschaft. Wenn ihr ihm die nicht geben könnt, dann seid ihr Betrüger.“ Langsam wurde sie ruhiger, Sasuke verschwand aus ihren Gedanken. Es gab nur noch die Musik, auf die sie mit ihren Bewegungen reagierte. Sie wurde schneller, die Choreographie anspruchsvoller. Den Spiegel brauchte sie jetzt nicht mehr. Alles war richtig, in diesem Augenblick. Und dann war es plötzlich vorbei, der Bann war gebrochen. Es hatte geklingelt. Zuerst stand sie nur da und wusste noch nicht einmal genau, wo sie war. Oder wer. Aber der Moment ging vorbei und sie war wieder in ihrer schäbigen kleinen Wohnung. Und sie erinnerte sich daran, dass sie niemanden erwartete. Schließlich war heute ihr freier Tag. Immer noch etwas außer Atem öffnete sie die Tür. Und wünschte sich sofort, sie hätte es nicht getan. Sasuke. Später konnte sie nicht mehr sagen, ob ihr Herz schon vorher so schmerzhaft schnell geschlagen hatte, oder ob das erst bei seinem Eintritt eingesetzt hatte. Zuerst sahen sie sich nur an. Prüfend. Er wirkte ganz ruhig. Sie dagegen konnte sich immer noch nicht bewegen. Es war, als ob sie gerade erst aufgewacht wäre, und noch nicht herausgefunden hatte, ob sie noch träumte oder schon wach war. Auch nicht, als er seine Hände ausstreckte und ihren Kopf zu sich heranzog. Natürlich wusste sie, dass es idiotisch wäre, sich von ihm küssen zu lassen. Und dass es wieder ein Ende mit Schmerzen sein würde. Aber in diesem Moment war ihr das egal. Zuerst war es ein beinahe schüchterner Kuss. Fragend. Nach und nach wurde er leidenschaftlicher, verzweifelter. Schließlich trennten sie sich atemlos voneinander. Sakura war einfach nur verwirrt. Drei Tage war ihre letzte Begegnung her, und nichts hatte sie auf das vorbereitet, was gerade passiert war. „Kann ich reinkommen?“ „Warum?“ Er warf ihr einen spöttischen Blick zu. Verlegen trat sie zur Seite, wiederholte ihre Frage aber: „Warum?“ „Warum nicht?“ er sah sich nach einer Sitzgelegenheit um, stellte aber fest, dass es, außer ihrem Bett, keine gab und entschied sich fürs Stehen. „Oder hast du etwa Angst, dass ich dir wieder das Herz brechen könnte? Brauchst du nicht, du hast doch ihn.“ Sakura biss sich auf die Lippe. Deshalb war er gekommen? Darum der Kuss? Weil sie behauptet hatte, einen Freund zu haben? Ja, das passte zu ihm. Und zu ihr passte es, dass sie doch wieder darauf angesprungen war. Wie absurd. Die Sache mit dem Freund war eine Schutzbehauptung gewesen, weil sie nicht hatte zugeben wollen, dass sie sich nicht einmal vorstellen konnte, sich nach ihm auf einen anderen einzulassen. Sie hatte einfach nicht gewollt, dass er erfuhr, wie groß der Krater wirklich war, den er in ihrem Leben hinterlassen hatte. Das wäre einfach zu demütigend gewesen. Sie würgte ihren Mp3-Player ab und ließ sich auf ihr Bett fallen. „Nebenbei: Durch wen hast du mich eigentlich ersetzt?“ Unwillkürlich ballte Sakura bei seinen Worten die Hände zu Fäusten. Was fiel ihm eigentlich ein? In diesem Augenblick hasste sie ihn. Er tauchte hier auf (selbstverständlich uneingeladen), benahm sich einfach widerlich und stellte dann noch Fragen, auf deren Antwort er nicht das geringste Recht hatte, nur weil sie sich einmal geliebt hatten. Das heißt, sie hatte ihn geliebt, bei ihm hatte sie das nie so genau gewusst. Dafür wusste sie es jetzt umso genauer: Sie hatte seiner Eitelkeit geschmeichelt. Die Euphorie vom Tanzen war mittlerweile komplett verflogen. Und genau deshalb würde sie ihre Lüge auch nicht zugeben. Wenn sie ihm auch nur ein bisschen wehtun konnte, dann würde sie das tun. Ihr Blick fiel auf eins der Fotos an ihrer Pinnwand. Es war vor etwas mehr als einem halben Jahr entstanden, weil Naruto, ihr Sandkastenfreund, gefunden hatte, dass sie „mal raus musste“. Auf dem Foto hatte er den Arm um ihre Schulter gelegt und sie strahlten beide in die Kamera. Gemacht hatte das Foto Hinata, das Mädchen, in das Naruto heimlich verliebt war. Aber das wusste Sasuke ja nicht. „Naruto.“ Er runzelte angewidert die Stirn und schwieg einen Moment. „Naja, ich schätze, du musstest Abstriche machen.“ Jetzt reichte es. Wütend sprang sie auf. „Was fällt dir eigentlich ein?! Du spielst dich auf, als hätte ich dich betrogen! Dabei bist du doch abgehauen! Ohne ein Wort, ohne je einen Gedanken daran zu verschwenden, was das für mich bedeutet! Ich kann doch nicht ewig auf dich warten, ich…“ Atemlos brach sie ab. Sasuke grinste. „Wenn du wirklich mit ihm glücklich sein willst, solltest du die Vergangenheit loslassen. Denn wenn es so ist, wie du sagst, bedeutet sie doch nichts mehr.“ Er forderte sie heraus. Vor allem der sanfte Spott, mit dem er die Worte „wenn“ und „doch“ aussprach, war schon wieder eine Beleidigung. Sie wollte ihm gerade eine scharfe Antwort geben, als sie zum zweiten Mal abrupt unterbrochen wurde. Ihr Handy klingelte. Einmal, zweimal, dreimal. Sasuke griff neben sich, warf einen Blick auf das Display und hielt es ihr dann hin. „Du solltest drangehen. Scheint wichtig zu sein.“ Ärgerlich schnappte sie sich das weiter wütend vor sich hinplärrende Handy aus seiner Hand. Ino, ihre beste Freundin. Das bedeutete drei Dinge: Es war garantiert wichtig, das Klingeln würde so schnell nicht aufhören - und wenn sie sie wegdrückte, konnte sie sich schon mal nach einer neuen Identität umsehen. „Danke. Du findest ja alleine raus.“ Sie nahm das Gespräch an und zog die Badezimmertür hinter sich zu. Sie hatte sicher keine Angst, dass er ihr die Wohnung ausräumen oder demolieren könnte (beides war unter seiner Würde), aber sie wollte ihn weder sehen, noch vor ihm telefonieren. Und da das Bad ihr einziges Zimmer mit Tür war, flüchtete sie sich hierher. Zwei Stunden und siebenundvierzig Minuten später verließ Sakura ihr Badezimmer wieder. Ihr rechtes Ohr glühte, teils von den deftigen Geschichten, die sie zu hören bekommen hatte, teils vom Druck des Hörers. Tanzen konnte sie für heute vergessen. Dafür war sie viel zu aufgewühlt und gleichzeitig viel zu erschöpft. Am besten, sie ging früh ins Bett. Blieb nur ein Problem: Es war schon belegt. Zuerst traute sie ihren Augen nicht. Sasuke war nicht gegangen, er war geblieben. Auf der einzigen Sitzgelegenheit, die ihr rein funktionelles Zimmer zu bieten hatte: ihrem Bett. Und da lag er, ausgestreckt. Als wäre er einfach umgefallen. Oder erschossen worden. Er sah friedlich aus. Trotzdem musste sie ihn stören. Sakura beugte sich über ihn und griff nach seiner Schulter. „Sasuke? Steh auf!“ Diesmal rüttelte sie ihn stärker, „Du musst aufstehen!“ Plötzlich schlug er die Augen auf und sah sie an. „Sakura? Ich bin so verdammt müde.“ Von seinem Spott und seiner Wut war jetzt nichts mehr übrig. Und die Art, wie er ihren Namen ausgesprochen hatte…so sehnsüchtig. Sie sollte nicht drauf reinfallen. „Ich sollte jetzt gehen.“ Er richtete sich auf. Einen Moment lang rang Sakura mit sich. „Nein, bleib ruhig. Schlaf dich aus.“ Vorsichtig schob sie ihn zurück. Ein weiterer Fehler in einer langen Kette von Fehlern. „Aber rück ein Stück. Ich kann deinetwegen nicht auf dem Fußboden schlafen.“ „Gut.“ Und so kam es, dass sie zum ersten Mal seit zwei Jahren wieder die Nacht mit Sasuke verbrachte. Am nächsten Morgen wachte sie allein auf. Der Platz neben ihr war leer, die Wärme kaum noch spürbar. Sasuke war weg. Aber er hatte etwas zurückgelassen: Auf dem Nachttisch lag eine sauber gefaltete zweihundert Dollar Note. Als ob sie eine Hure wäre. Tag 4 Er hatte einen großen Fehler gemacht. Nein, nicht einen, einen ganzen Haufen. Und alle wegen ihr. Sasuke nahm einen letzten Zug von seiner Zigarette und schnipste sie danach vom Dach. Er hätte nicht herkommen dürfen. Nicht in diese Stadt, nicht in diesen beschissen Klub, nicht in ihre Wohnung. Er hätte sie nicht küssen und ganz sicher hätte er nicht in ihrem Bett schlafen dürfen. Wenigstens war er früh genug aufgewacht, um zu verschwinden, während sie noch schlief. Und er war sich so sicher gewesen, dass sie ihm nichts bedeutete. Nur deshalb hatte er sie wiedersehen wollen. Um sich zu beweisen, dass er ein Leben zerstören konnte, ohne Reue zu empfinden. Das hatte ja großartig geklappt. Seit er sie in diesem gammeligen Hinterhof über den Haufen gerannt hatte, hatte er sich zum Narren gemacht. Und alles nur, weil sie so dagestanden hatte. Es war einfach lächerlich. Aber er konnte einfach nicht vergessen, wie sie dagestanden hatte, mit dieser durchsichtigen Strumpfhose und dem billigen, nicht weniger durchsichtigen Rock - ohne selbst billig zu wirken. An einem Ort, an dem sie nichts zu suchen hatte. An den er sie gebracht hatte. Nicht, dass er nicht versucht hätte, zu vergessen. Er hatte geraucht und getrunken (beides nicht zu knapp), zuletzt war er sogar im Bordell gewesen. Was natürlich alles noch schlimmer gemacht hatte. Einen ganzen Haufen williger Frauen zu haben (darunter sogar eine, die ihr flüchtig ähnlich sah) hatte ihn nicht befriedigt. Es hatte ihn nur angeekelt. So sehr, dass er sie einfach hatte sehen müssen. Weil sie anders war. Wie unter Zwang war er erst zum Mystic Noir gerast, nur, um dort herauszufinden, dass sie ihren freien Tag hatte. Er hatte gezahlt, um zu erfahren, wo sie wohnte. Und der Rest war Vergangenheit. Das wirklich Schlimme war nicht, was er getan hatte. Schlimm war, was passiert war: Sie hatte seine Gedanken beherrscht. Während er bei ihr gewesen war, hatte er nicht ein einziges Mal an Itachi gedacht. Er hatte nicht geplant, er war seiner Rache keinen Schritt näher gekommen. Dafür hatte er sich rächen müssen. Für sie und auch für sich. Damit die Fronten klar blieben. Er warf einen Blick auf seine Uhr. Schon fast sieben. Er sollte wirklich machen, dass er loskam, anstatt hier zu sitzen, und sich den Kopf über Dinge zu zerbrechen, die er nicht ändern konnte. Schließlich musste er sich mit Leuten treffen, die Informationen über den Menschen hatten, der schuld daran hatte, dass sein Leben so verpfuscht war, wie es nun einmal war. Und doch: Er hatte lange nicht mehr so gut geschlafen. „Können Sie sich denken, wozu wir Sie einladen möchten?“ „Kaffee und Kuchen?“ Sasuke warf einen angewiderten Blick auf den gut gelaunten Polizisten. Wie absurd. Jetzt, wo er sich endlich entschieden hatte, was er tun wollte, wo er auf dem Weg war, sich eine Waffe zu besorgen, um es zu Ende zu bringen, da musste er in eine Polizeikontrolle geraten. Weil er zu schnell gefahren war. „Wirklich gut! Die Papiere, bitte.“ Er reichte ihm die Geforderten und sah dabei seinen gegenüber zum ersten Mal richtig an. Irgendetwas kam ihm flüchtig bekannt vor, auch wenn er nicht sagen konnte, woher. „Sie sind mehr als zwanzig Kilometer zu schnell gefahren, und da wir dummerweise immer noch Innerorts sind…“ Und auch die Stimme kannte er, auch wenn er sie seit einer halben Ewigkeit nicht mehr hatte hören müssen. Naruto Uzumaki. Was für eine Ironie, dass sein Nachfolger ausgerechnet ein Bulle sein musste. Ob den beiden klar war, was für ein verdammtes Klischee sie waren? Die Sandkastenfreunde, die Hure und der Polizist? Natürlich war Sakura keine Hure, aber… Nur mühsam gelang es ihn, sich daran zu erinnern, dass ihn das nichts anging. Und dass Naruto für Sakura sicher der Richtige war. Er war zuverlässig, trug sie garantiert auf Händen und machte sie bestimmt niemals traurig. Vermutlich hätte er ihm deshalb am liebsten das blöde Grinsen aus dem Gesicht geprügelt. „…wird das leider ziemlich teuer, Herr…“ Die Erkenntnis kam langsam, aber sie kam. Und er hatte nicht einmal Gewalt anwenden müssen, um ihm die Heiterkeit aus dem Gesicht zu wischen. „…Uchiha.“ Und dann, nach einem kurzen Moment stieß er hervor „Was willst du hier?!“ Vermutlich hätte er sich geschmeichelt fühlen müssen, dass Naruto ihn immer noch als Bedrohung wahrnahm. Aber die Wahrheit war viel einfacher: Er war schon immer gegen Sakuras und seine Beziehung (auch wenn das Wort nicht wirklich beschrieb, was sie gehabt hatten) gewesen, weil er fand, dass Sasuke ihr nicht gut tat. Womit er natürlich recht gehabt hatte. „Heimweh.“, erklärte er spöttisch, „Und die Sehnsucht nach einer gemeinsamen …Bekannten.“ Narutos Augen verengten sich. Er hatte verstanden. „Egal, was für ein krankes Spiel du da spielst: lass sie da raus. Sie hat schon genug gelitten, als du sie hast fallen lassen.“ Sasuke bemühte sich, sich seine Wut nicht anmerken zu lassen. Er wusste das alles. Das alles und noch mehr. Trotzdem konnte er nicht anders. Aber das würde er ganz sicher nicht mit diesem Idioten diskutieren. „Aber du warst doch da, um ihr aufzuhelfen. Eigentlich müsstest du mir also dankbar sein.“ Naruto schien verwirrt. Dann erschien ein Grinsen auf seinem Gesicht, was absolut nichts Heiteres hatte, sondern mehr wie ein Blecken der Zähne wirkte. „Natürlich. Ich bin dir unfassbar dankbar dafür, dass du meine Freundin wie den letzten Dreck behandelt hast. Und dass du…“ „Sonst wärst du doch nie zum Schuss gekommen, oder?“, unterbrach Sasuke ungeduldig die Aufzählung seiner Schandtaten. Allerdings war sein Mund dieses Mal schneller als sein Hirn gewesen. So etwas hatte er nicht sagen wollen. Es klang so eifersüchtig. Aber dafür war es jetzt zu spät. Wenigstens hatte er die Genugtuung, seinen Konkurrenten diesmal ausschließlich verwirrt zu sehen. Er öffnete den Mund, schloss ihn gleich wieder, nur um gleich wieder zum Sprechen anzusetzen. Schließlich schüttelte er den Kopf, drückte auf ein paar Knöpfe auf dem Gerät, welches an seinem Gürtel hing und reichte Sasuke dann einen Ausdruck. „Du hast keinen Wohnsitz in der Stadt, also musst du sofort bezahlen. Und dein Hotel nennen. Für eventuelle Rückfragen.“ Sasuke tat beides, musste sich aber eingestehen, dass er enttäuscht war, über die fehlende Reaktion auf seine Kriegserklärung. Narutos Vertrauen in sie musste wirklich gigantisch sein. Noch ein Pluspunkt für die beiden, noch ein Minuspunkt für ihn. „Und was das Andere angeht…“ diesmal klang er vorsichtiger „Ich nehme an, du hast Sakura schon gesprochen?“ „Ja. Aber frag sie doch selbst, mit wem sie die letzte Nacht verbracht hat.“ Und dann gab er Gas. Narutos Antwort wollte er nämlich gar nicht hören. Momentan war er einfach nicht er selbst. Als er, spät an diesem Abend, in sein Hotel zurückkehrte, wurde er schon erwartet. Aber nicht von ihr, obwohl er das schon fast gehofft hatte. Nein, es war nur der Portier. „Guten Abend. Es wurde etwas für Sie abgegeben.“ „Von einer Dame?“ Warum versuchte er sein Glück eigentlich immer wieder? Sakura würde nicht kommen, dafür hatte er schließlich selbst gesorgt. Er kannte die Antwort: Weil sie der einzige Mensch war, den er in diesem Moment um sich haben wollte. Weil sie ihn, wenigstens für einen Augenblick, das Gewicht der unter seinem Sitz verstauten Pistole vergessen lassen konnte. „Nein, von einem Taxifahrer. Ich habe es auf Ihr Zimmer bringen lassen.“ Sasuke bedankte sich, ließ sich den Schlüssel geben und nahm den Lift. Er hatte keine Ahnung, was ihn erwartete. Er kannte niemanden, der Grund hatte, ihm etwas zu schenken. Oder der wusste, wo er wohnte. Blieb also nur noch eine Bombe von Naruto. Wobei der ihm ja mehr als deutlich zu verstehen gegeben hatte, dass er so etwas nicht nötig hatte. Als er die Tür öffnete, hätte er fast gelacht. Keine Bombe, stattdessen eine dreistöckige Torte, rosa und gelb gestreift. Laut dem Karton handelte es sich um das Modell „Frühlingstraum“, in den Geschmacksrichtungen Erdbeere und Marzipan. Genau die Sorten also, die er am meisten hasste. Und über allem thronte eine Platte, auf der mit geschwungener Schrift „Arschloch“ stand. Sie hatte also doch an ihn gedacht. Noch einmal nahm er sich den Kasten zur Hand. Diesmal fiel ihm auch die Karte auf. „Da du offensichtlich nichts mit deinem Geld anfangen kannst, habe ich das für dich übernommen. Ich hoffe, dir wird von dir selber schlecht. Ansonsten: lass dir die Torte schmecken. Sakura.“ Noch nie hatte sie ihn so gut verstanden. Tag 5 Die Erinnerung an die dümmsten Blicke, die sie in ihrem Leben je hervorgerufen hatte - als sie in der edlen Konditorei ihre perfekte Torte ausgesucht und dann das „Arschloch“ Schild bestellt hatte - zauberte ihr ein Lächeln ins Gesicht. Aber die Erinnerung an die Standpauke, die Naruto ihr kurz davor gehalten hatte, vertrieb diesen Anflug von Heiterkeit wieder. Er hatte ja recht: Sie sollte sich von Sasuke fernhalten. Sie sollte froh und dankbar dafür sein, dass er sich aus ihrem Leben verabschiedet hatte. Jedenfalls nahm sie an, dass er das damit hatte ausdrücken wollen. Aber die Wahrheit sah anders aus. Zuerst war sie nur wütend gewesen, sie hätte ihn in der Luft zerreißen können. Aber dann war die Angst zurückgekommen, die Angst um ihn. Und sie wollte, dass er jetzt, in diesem Moment, vor ihr stand, damit sie ihm beides ins Gesicht sagen konnte. Die Art, wie er sich in ihrem Leben zurückgemeldet hatte, seine müden Augen, und wie er sie jetzt zurückgestoßen hatte… Das wirkte, als ob er auf eine Katastrophe zusteuerte. Und als ob er es wusste. Und wenn sie sich wichtig nahm, wirkte es, als ob er sich wünschte, dass jemand ihn aufhielt. Dass sie ihn aufhielt. Also genau das, was sie vor zwei Jahren nicht gekonnt hatte. Und jetzt? Wie lagen die Dinge jetzt? Wenn er ihr die Möglichkeit geben würde, hätte sie dann diesmal die Kraft? Oder würde sie wieder alles hinschmeißen, für die vage Hoffnung auf…Etwas? Ärgerlich warf sie ihren Kajalstift nach ihrem Spiegelbild. Morgen hatte sie ihr großes Vortanzen, aber daran konnte sie nicht denken. Sie konnte an überhaupt nichts denken, außer… Die Tür des kleinen Pausenraums wurde aufgerissen. Ihre Kollegin Kaja, wie üblich mit einem Kaugummi bewaffnet, streckte ihren Kopf durch die Tür. „Dein komischer Typ ist wieder hier!“ Er saß wieder auf demselben Platz wie beim letzten Mal. Er trank dasselbe, und sein Glas war etwas mehr als halb voll. Fast hätte man glauben können, dass nur ein paar Minuten vergangen waren, seit er sie zum ersten Mal hier herbestellt hatte. Natürlich war das nicht der Fall. Erstens ging es um Tage und zweitens hatte sich alles geändert. Weil sie einen Blick hinter seine Maske geworfen hatte. Und egal, wie sehr er sich wünschen mochte, das zurücknehmen zu können, sie konnte nicht vergessen, was sie da gesehen hatte. Wie müde er eigentlich war. Und wie satt er das Ganze hatte. Sasuke sah sie an und lächelte flüchtig. „Setz dich doch.“ „Danke, ich stehe lieber.“, wiederholte sie ihre Antwort vom letzten Mal, zog sich aber gleichzeitig einen Stuhl heran. Stille. „Hast du dich eigentlich mal gefragt, warum ich dich damals mitgenommen habe?“ Er stellte die Frage beiläufig. Als ob ihn die Antwort zwar interessieren würde, es aber eben sehr viel Wichtigeres gäbe. Als ob es nicht um die große Tragödie ihres Lebens ginge, sondern nur um eine Randnotiz auf Seite zwölf. Etwas von der alten Wut meldete sich zurück, aber die Trauer war stärker. Das, was für sie alles gewesen war, war für ihn nicht genug gewesen. Sie strich sich eine lose Haarsträhne hinters Ohr und rang sich ein Lächeln ab. „Nur ein paar tausend Mal. Verrätst du es mir?“ Er schien zu überlegen, nahm einen Schluck von seinem Whiskey. „Purer Egoismus. Ich schätze, ich wollte, dass du mich aufhältst.“ Das hatte sie gewusst, oder wenigstens vermutet. Aber dass er es aussprach, überraschte sie. Als ob es keine Rolle mehr spielte, was sie wusste. „Und warum habe ich es nicht geschafft, dir diesen Wunsch zu erfüllen?“ Er schien verwundert. „Hast du doch.“ Zuerst glaubte sie, sie hätte sich verhört. Waren sie jetzt bei der versteckten Kamera gelandet? Sie warf alles weg, er verschwand einfach und jetzt behauptete er, es wäre nicht umsonst gewesen? „Entschuldige, aber die Meinung hast du exklusiv… Du hast mich doch sitzen lassen, oder irre ich mich da?“ Er lehnte sich zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Wenn er so kippelte sah er aus wie ein kleiner Junge. „Es ist schwer zu erklären.“ Sakura kicherte freudlos. Ja, das war es in der Tat. Ruckartig beugte er sich vor, so dass sein Gesicht nur noch wenige Zentimeter von ihrem entfernt war. Er wirkte gequält, das Sprechen fiel ihm offensichtlich schwer. „Ich wollte es, wirklich. Und ich bin dir dankbar, dass du es versucht hast.“ Er suchte einen Moment lang nach Worten, „Aber als ich aufgewacht bin und du neben mir lagst, da wurde mir klar, wie sinnlos das alles ist. Und dass ich so nicht weitermachen konnte. Weil es etwas gab, das ich tun musste. Dass ich vorher nicht so leben konnte.“ Sakura schluckte hart. Er war noch nie so offen mit ihr gewesen, hatte sie noch nie so nah an sich heran gelassen. Und das nur, um ihr zu sagen, dass sie ihm nicht genug gewesen war. Es tat weh. Tränen traten ihr in die Augen, aber sie blinzelte sie entschlossen weg. Ihm so nahe zu sein, tat vielleicht weh, aber wenn sie jetzt weinte, würde sie den Bann garantiert brechen. In der Hinsicht war Sasuke wie alle Männer: Eine weinende Frau würde ihn garantiert in die Flucht schlagen. Und wenn er jetzt ging, würde sie nie erfahren, warum er zurückgekommen war. Denn dass es da etwas gab, stand außer Frage. „Also habe ich es getan.“ Ja, das wusste sie. Aus der Zeitung. Itachis Haus war in dieser Nacht bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Der Hausherr war allerdings mit einer leichten Rauchvergiftung ins Krankenhaus gekommen. Was er am nächsten Morgen verlassen hatte, genau wie die Stadt. Sie begegnete seinem Blick. Er wollte, dass sie verstand. Aber das konnte sie nicht. Warum reichte ihm dieses Leben nicht? Es war doch auch so schon schwer genug. Warum musste er also den großen Rächer machen? Sie rückte ein Stück von ihm ab. Es war sinnlos, mit ihm darüber zu sprechen, das wurde ihr jetzt in aller Konsequenz klar. Sie hatte es schon einmal versucht. Und war dabei gescheitert. Egal, wie Sasuke das jetzt bewerten mochte. Alles, was sie tun konnte, war, sich nicht noch einmal mit reinreißen zu lassen. Egal, was ihr Herz dazu sagte. Das musste sie für sich tun. Sie verschränkte die Arme vor der Brust, wie um ihm seine Grenzen aufzuzeigen. „Warum bist du heute hier, Sasuke?“ Sie wollte die Antwort nicht wissen. „Ich zeige es dir.“ Eine Pistole. Beinahe harmlos lag sie auf dem Sitz. Im schwachen Schein der Laterne schimmerte sie matt. Automatisch machte Sakura ein paar Schritte zurück und brachte sich in Sicherheit. Ihr Herz schlug vor Angst rasend. Sasuke hatte die Arme verschränkt und wirkte so unbeteiligt wie immer. Das war also sein großer Plan? „Wann?“ Ihre eigene Stimme war so leise, dass sie sie kaum selbst hören konnte. „Morgen.“ Ihre Gedanken rasten. Mord! Deshalb war er hier hergekommen, um ihre Absolution für einen Mord zu bekommen? Sakuras Hände zitterten mit einem Mal so stark, dass sie sie in ihren Jackentaschen verstecken musste. Wenn er so weit war, dann konnte sie wirklich nichts mehr für ihn tun. Sie konnte sich nur noch selbst schützen. Denn selbst wenn er davon käme: So jemanden wollte sie nicht lieben. Konnte sie nicht lieben. „Und dann erschießt du ihn.“ Er nickte. Und mit einem Mal war sie ganz ruhig. Im Auge des Hurrikans war es ja auch still. „Dann erschieß dich am besten gleich mit.“ Einen flüchtigen Moment glaubte sie, Schmerz in seinen Augen zu sehen, aber das konnte auch eine, vom schlechten Licht geförderte, Wunschvorstellung sein. „Oder willst du mir erzählen, dass du auch nur einen Gedanken verschwendet hast, wie du danach leben willst?“ Keine Antwort war ja bekanntermaßen auch eine Antwort. Ihre Fingernägel bohrten sich schmerzhaft in ihre Handflächen. „Aber ich werde nicht da sein, um auf deiner Beerdigung zu tanzen. Morgen habe ich mein Vortanzen.“ Erstaunlich, wie leicht es ihr fiel, so zu reden. Als ob sie gar nicht da wäre. Beim letzten Mal hatte sie sich in seine Arme geworfen. Geweint. Gefleht. Argumentiert. Am liebsten hätte sie das wieder getan. Wenn sie nur die Hoffnung gehabt hätte, dass es ihn umstimmen könnte, hätte sie es sofort getan. Aber die Entscheidung lag bei ihm. Und wenn er sich kaputt machen wollte, dann würde er das tun. Egal, was sie sagte. Es fiel ihr trotzdem schwer, ihn nicht zu berühren. „Tu es nicht.“ Oder zu flehen „Bleib bei mir. Sei da.“ Zögerlich streckte sie ihm die Hand hin. „Etwas solltest du noch wissen. Ich habe dich angelogen. Es gibt keine Beziehung mit Naruto. Hat es nie gegeben.“ Einen langen Moment tat Sasuke nichts. Dann schüttelte er kaum merklich den Kopf. „Danke.“ Und dann stieg er in sein Auto und fuhr. Lies sie zurück. Endgültig. Und als seine Scheinwerfer in der Dunkelheit verschwanden, brach der erste Schluchzer aus ihr heraus. Und dann konnte sie gar nicht mehr aufhören. Sie würde ihn nicht wieder sehen. Tag 6, 785 Tage zuvor „Ans Meer?!“ Sakuras Stimme lang schrill und ungläubig. „Das ist nicht dein Ernst, oder?“ Gerade noch war sie überglücklich gewesen, weil sie die Hauptrolle bekommen hatte. Und jetzt war dieses ängstliche Flattern im Magen wieder da. Warum hatte Sasukes Gegenwart eigentlich immer diese Wirkung auf sie? Manchmal war er wie ein Eimer eiskaltes Wasser, den sie unvermutet über den Kopf gegossen bekam. Und selbst wenn alles gut zu sein schien, wartete dieser Eimer doch immer im Hintergrund auf seinen Einsatz. „Warum nicht?“ Sasuke drückte seine Zigarette auf dem „Rauchen verboten“ Schild aus. „Du wolltest doch, dass ich in der Stadt bleibe. Obwohl ich dir erklärt habe, warum ich gehen muss.“ Fröstelnd rieb Sakura die Hände aneinander. Erklärt hatte er es ihr wirklich, aber verstanden hatte sie es nicht. Obwohl, ‚verstanden‘ war das falsche Wort. Nachvollziehen traf es besser. Es ging wieder um seinen Bruder, den Mann, den er am meisten auf der Welt hasste. Manchmal hatte sie wirklich Angst, dass es nur dieser Hass war, der ihn antrieb. Über den Mann, der auch auf ihr Leben einen großen Einfluss hatte, wusste sie fast nichts. Nur, dass Sasuke ihm die Schuld am Tod der Eltern gab. Und dass er ihm nie vergeben wird. Als er ihr vor ein paar Tagen erzählt hatte, dass er sich rächen würde, hatte sie natürlich versucht, es ihm auszureden. Weil sie Angst um ihn hatte. Aber auch aus einem anderen, weniger selbstlosen Grund: Weil sie ihn nicht verlieren wollte. Er hatte nicht gesagt, was genau er vorhatte, und sie hatte nicht gefragt, weil sie es nicht wissen wollte. Wenn sie gewusst hätte, was er vorhatte, dann hätte sie auch ein Urteil fällen müssen. Entscheiden, ob sie so jemanden weiter lieben konnte. Und sie fürchtete sich davor, es trotzdem zu können. Nur eins hatte er, in seiner typisch wegwerfenden Art gesagt: „Natürlich muss ich danach von hier verschwinden.“ In diesem Moment hätte sie ihm alles versprochen. „Wann?“ fragte sie mit heiserer Stimme. „Samstag.“ Das hatte etwas Endgültiges. Darüber würde er nicht mit sich reden lassen. Und der Blick, der dieses Wort begleitet hatte, hatte etwas Herausforderndes. Er wusste ganz genau, was das für sie bedeutete: Sie würde nicht nur die beiden Generalproben, sondern auch die Aufführung verpassen. Sie hatte über ein halbes Jahr für diese Rolle gekämpft, war mit ihr aufgestanden und ins Bett gegangen. Weil sie ihr eine Karriere als professionelle Tänzerin praktisch garantierte. Und er erwartete, dass sie darauf verzichtete. Einfach so. Für ihn. Trotzdem musste sie es versuchen. Immerhin bestand die winzige Chance, dass sie ihn missverstanden hatte. Dass er nicht so grausam sein wollte. „Aber…“ „Ja.“ Er stand auf, klopfte sich etwas Staub von der Hose und streckte ihr dann seine Hand hin. „Du wolltest doch, dass ich bleibe. Beweis mir, wie sehr.“ Einen langen Moment zögerte sie, obwohl sie tief in ihrem Inneren wusste, dass die Entscheidung schon fest stand: sie nahm seine Hand. Tag 7-Teil 1 ‚Dann erschieß dich am besten gleich mit‘, das waren ihre Worte gewesen. So hatte er sie noch nie erlebt. So distanziert. Und so entschlossen. Kaum zu glauben, dass sie ihn die ganze Zeit über angelogen hatte. Und dass er nichts bemerkt hatte. Aber wenn es das nicht war, woher nahm sie dann die Kraft, ihn so wegzuschicken? Schließlich liebte sie ihn, daran hatte er nie gezweifelt. Er schloss die Augen und lehnte sich einen Moment lang zurück. Natürlich hatte sie recht gehabt: Er hatte geplant, aber nie für die Zukunft. Wie auch? Bis jetzt hatte ihn die diffuse Gewissheit angetrieben, dass „danach“ alles anders sein würde. Dass er von dem Gefühl befreit wäre, noch eine Schuld abtragen zu müssen. Dass er endlich frei wäre. Und jetzt hatte sie ihn gezwungen, über sich nachzudenken. Und gleichzeitig hatte sie ihn vor die Wahl gestellt: sie oder…das. Er warf einen Blick auf die Pistole. Sie lag immer noch auf dem Beifahrersitz. Bis jetzt hatte er sich nicht überwinden können, sie noch einmal in die Hand zu nehmen. Es war, als hätte es ihre Reaktion gebraucht, um ihm deutlich zu machen, wie endgültig das hier war. Und dass es für ihn kein Zurück geben würde. Nicht zu ihr, und nicht in das andere, das normale Leben. Er würde ein Getriebener bleiben. Aber das war es wert. Und plötzlich war da der Gedanken an ein „oder“. Er zweifelte. Auch das war ihre Schuld. „Was willst du wirklich?“ Das wäre die Frage, die sie ihm stellen würde. Wenn sie hier wäre. Er wollte sie. Das war ihm vielleicht nie so klar gewesen wie jetzt, wo sie unerreichbar geworden war. Aber spielte das überhaupt eine Rolle? Er hatte für diesen Moment gelebt, verdammt noch mal! Und er konnte es sich nicht leisten, jetzt sentimental zu werden. „Bleib bei mir.“ Unwirsch schüttelte er den Kopf, um ihr Bild und ihre Stimme aus seinen Gedanken zu vertreiben. Es war nicht mehr wichtig, es durfte nicht mehr wichtig sein. Sie würde darüber hinwegkommen, und er… Schritte! Automatisch schloss sich seine Hand um das kalte Metall. Da war er! Sasuke fühlte das Blut in seinen Ohren rauschen, als er einen Blick auf das erschreckend vertraute Gesicht erhaschte. Da war er: Der Mann, den er geliebt und gehasst, bewundert und verachtet hatte, wie keinen Zweiten. Er sah müde aus. Und mit einem Mal wusste er, was er zu tun hatte. Tag 7-Teil 2 Noch vier Minuten. Ihre letzte Konkurrentin war seit etwa zehn Minuten da drinnen. Fahrig absolvierte Sakura ihre Aufwärmübungen. Die vertrauten Bewegungen gaben ihr Halt, aber auch sie konnten nicht verhindern, dass ihr Blick immer wieder Richtung Türe irrte. Trotz allem, was sie wusste, hoffte sie immer noch. Weil sie doch nicht klüger geworden war. Noch zwei Minuten. Noch konnte sie einfach laufen. Vielleicht konnte sie ihn doch noch aufhalten. Nein! Es gab kein „vielleicht“. Sie war, wo sie sein musste. Er war, wo er sein musste. Und tat dort, was er tun musste. „Sakura Haruno!“ Ein letzter Blick hin zur Tür. Aber sie war allein, blieb allein. „Ja.“ Ein letztes Mal ordnete sie ihr Kostüm und trat durch die Tür. Es gab kein zurück. Sie stand vor der Prüfungskommission. Drei Männer und zwei Frauen, strenge, unbeteiligte Mienen. Sakura atmete tief durch. Tanzen war das, was ihr blieb. „Guten Tag. Mein Name ist Sakura Haruno und ich habe mich für die erste Begegnung von Odette und dem Prinzen entschieden.“ Und dann fing sie an. Die Musik hüllte sie schützend ein. Leben, darum ging es doch. Das Leben war schrecklich, das Leben war schön. Und wenn Sasuke das nicht sehen konnte, wenn er sie jetzt hätte sehen können, hätte er verstanden. Alles das, was sie ihm nicht hatte sagen können, legte sie in diesen Tanz. Vielleicht erreichte ihn nur ein Funke davon, da, wo er jetzt war. Und dann dachte sie gar nichts mehr. Weil es nicht wichtig war. Zu spät bemerkte sie, dass die Musik verstummt war. Sie konnte nicht einmal sagen, wie lange das schon der Fall gewesen war, erst der Applaus holte sie in die Realität zurück. „Vielen Dank! Das war großartig!“ Aber die Worte, die vor zwei Wochen noch alles bedeutet hätten, bedeuteten plötzlich nichts mehr. Sakura hörte nur noch, dass hinter ihr die Türe aufgestoßen wurde. Und da stand er. Erst begegnete er nur ihrem Blick. Und dann nickte er. Lächelte. Und sie lief los und warf sich in seine Arme. Weil manche Dinge sich ändern mussten. Und andere immer gleich blieben. „Da bin ich.“ Weil das Leben schön war. ________________________________________ Abschließendes Autorengeplapper: Danke fürs lesen! Ich hoffe, es hat euch gefallen. Und besonders hoffe ich, dass mein Wichtelpartner seinen Spaß an diesem kleinen One-Shot hatte. Ich hatte meinen auf jeden Fall beim schreiben. Und für die, die es interessiert: das sind die Lieder, die ich beim schreiben praktisch in Endlosschleife gehört habe: Speak of the devil: Sum 41 Little Talks: Of monsters and men If I was: Young Rebel Set Already Forgotten Your Name: Young Rebel Set Only One: Yellowcard You Have Killed Me: Morrissey Ich fürchte, es ist ziemlich eindeutig, welches Lied ich für welchen Tag gebraucht habe. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)