Knochen im Wüstensand von Caliburn ================================================================================ Kapitel 1: ----------- 17. August 2010      Der alte Tourbus ratterte über die staubige Straße der Interstate 15, einer der längsten Highways der USA. Die gnadenlos sengenden Strahlen der Sonne sorgten dafür, dass das Thermometer ab und an die Grenze von 100°F überschritt. Die Klimaanlage des Busses kämpfte ächzend gegen die Hitze innerhalb des Gefährts an und schaffte es gerade mal, mit Ach und Krach, die Temperatur auf ein erträgliches Niveau zu bringen.    In Carson, vor nun circa 3 Stunden, begann die Fahrt, auf die über 130 Meilen lange Strecke, nach Calico – einer Geisterstadt, die sich inmitten der Mojave-Wüste befindet.    „Diese Hitze ist ja nicht auszuhalten“, stöhnte Noah und öffnete die zwei oberen Knöpfe seines weißen Hemdes. „Wieso auch musstest du dich unbedingt in die linke Sitzreihe setzen?“    Alyssa schien die Hitze nichts auszumachen und schmunzelte verspielt ihrem Freund zu. „Du weißt doch, ich bin nun mal gerne auf der ’Sonnenseite’ des Lebens.“    „Sehr witzig.“ Der junge Student nahm seinen tarnfarbenen Rucksack auf den Schoss und wühlte darin rum, bis er das Objekt seiner Begierde gefunden hatte – eine Flasche stillen Wassers. Er öffnete die Plastikflasche und trank ein paar hastige Schlücke, der nun mittlerweile leider lauwarmen Plörre. „Ekelhaft“, war alles was ihm dazu einfiel.    „Es stillt zumindest noch immer deinen Durst“, warf Alyssa ein und rückte sich ihre schwarze Sonnenbrille wieder zurecht.    „Lies du deinen Japano-Comic. Hast doch gestern noch gesagt, dass du ihn dir extra für die Fahrt aufheben willst.“ Noah legte eine bedächtige Pause ein. „Und nun hast du das Teil noch nicht einmal aufgeschlagen.“    „Ach“, begann sie. „Ich bin einfach viel zu aufgeregt.“ Sie umschloss den rechten Arm von ihm und presste ihn an ihren Körper. „Und ich freue mich einfach schon tierisch darauf, mal wieder mit dir zu zelten.“    Doch die Begeisterung des jungen Studenten behielt sich in Grenzen. „Ja, du hast recht. Ich kann es kaum noch erwarten, dass mir eine Klapperschlange oder ein Skorpion in den Schlafsack kriecht. Zumindest, wenn mich die Kojoten nicht schon vorher zerrissen haben.“ Er wischte sich mit einem Taschentuch das schweißnasse Gesicht ab. „Warum noch mal sitze ich auf der Fensterseite?“    Alyssa lehnte sich in ihrem Sitz zurück und lächelte hämisch. „Na, weil du doch so gerne die Aussicht genießen wolltest.“ Ihre feuerroten Locken umspielten ihr Gesicht, als sie ihren Kopf auf seine Schulter legte.    „Ach, echt? Glatt vergessen.“    Sie verharrten eine kleine Weile in dieser Pose und genossen den kläglichen, aber dennoch kühlenden Luftzug der Klimaanlage, als plötzlich irgendwas Alyssa hochschrecken ließ.    „Schau nur!“ Sie lehnte sich quer über ihren Freund rüber, um besser aus dem Fenster sehen zu können. „Da ist das, was ich dir unbedingt zeigen wollte“, sagte sie voller Vorfreude und lächelte ihm kurz zu.    „Ich sehe rein gar nichts, wenn mir deine Lockenpracht so weiterhin die Sicht versperrt“, beschwerte sich Noah.    Den Protest ihres Freundes scheinbar völlig ignorierend, lehnte sich die rothaarige Studentin ein kleines Stück zurück und zeigte auf das, was sie zuvor angesprochen hatte.    Jetzt sah auch er, was sie gemeint hatte. In den Bergen, gleich links neben der Interstate 15, sah Noah in Großbuchstaben den Namen ihres Zielortes geschrieben – CALICO.  Nun konnte er auch einen kleinen Teil der Stadt selbst erkennen. Neben einem Restaurant, einem Cafe und einigen Souvenirshops, schien die kleine Geisterstadt auch noch über eine eigene Bahnlinie zu verfügen, die einmal um die ganze Stadt herumführte.    „Wo sollen wir denn dort zelten können?“    „Gleich dort“, meinte Alyssa und zeigte auf eine freie Fläche, die sich unterhalb der Stadt befand und auf der bereits ein Wohnmobil geparkt stand. „Sobald wir uns in der Rezeption angemeldet und den ganzen Papierkram erledigt haben, wird uns schon jemand ein gemütliches Fleckchen zeigen, auf dem wir es uns bequem machen können.“    Der junge Student betrachtete die kleine Stadt etwas missmutig. „Und was wollen wir hier die nächsten zwei Tage unternehmen? Ich meine ja nur, dass das hier nicht gerade nach einer Party aussieht.“    Seine Freundin zog einen Prospekt über die Geisterstadt aus ihrem Rucksack, den sie sich zuvor schon besorgt hatte, und faltete ihn auseinander. „Also, hier kann man sich eine Western-Show ansehen, der alten Silbermine ’Maggie Mine’ einen Besuch abstatten, mit dem Zug ’Odessa Railroad’ eine Runde drehen, oder lässt sich von einem Fremdenführer die Stadt zeigen.“    Noah zog eine Augenbraue hoch. „Das ist alles? Klingt nicht gerade nach einer Beschäftigung für zwei Tage.“    „Sei nicht so pessimistisch“, bat Alyssa, setzte sich ihre Sonnenbrille ab und legte sie in ihren Rucksack zurück. „Wir werden uns hier schon amüsieren.“      Mit knirschenden Steinen unter den Reifen kam der klapprige Bus zum stehen und öffnete seine Türen.    Neben einem älteren Ehepaar, waren noch ein Mann mittleren Alters, ein scheinbar frisch verheiratetes  Pärchen, eine vierköpfige Familie und eine ältere Dame ausgestiegen. Halbgeschlossen ging die Gruppe zu der Rezeption, an der sie auch gleich den Eintritt bezahlen konnten – 6 Dollar pro Person für einen Tag.    Alyssa und Noah hatten sich ganz hinten in der kleinen Schlange angestellt, da es der rothaarigen Studentin scheinbar unangenehm war, wenn die anderen Leute wissen würden, dass sie hier übernachten wollten. Dabei hatte sie im Tourbus doch mehr als einmal etwas lauter vor sich hin fantasiert, wie schön der Besuch hier doch werden würde.    „Warst du eigentlich schon mal hier?“, fragte Noah und musterte eines der Häuser, das wohl kaum über hundert Jahre alt sein konnte.    „Ja, ich war hier vor mehreren Jahren mit meinen Eltern schon mal gewesen. Leider waren wir damals auf der Durchreise zu meiner Tante, da sie heiraten wollte, und haben hier leider nicht übernachten können.“    „Jetzt wird mir einiges klar.“    Alyssa drehte ihren lockigen Kopf zu ihrem Freund und sah ihn verwundert an. „Was meinst du?“    „Du hast mir zwar diesen  Urlaub hier zum Geburtstag geschenkt, aber war es wohl eher ein Geschenk für dich selbst, oder?“ Er stupste sie an und lächelte, da er sie anscheinend durchschaut hatte.    Die junge Frau warf ihre Hände in die Luft und spielte übertrieben jemanden, der auf frischer Tat ertappt wurde. „Erwischt! Tja, jetzt muss ich wohl in den Bau“, und deutete auf das Haus mit dem relativ neuen Schild, auf dem groß und breit Sheriff stand.    Nach nur wenigen Minuten des Anstehens, waren nun die beiden Studenten dran zu bezahlen. Alyssa ging voran und stellte sich vor. „Schönen guten Tag, ich bin Ms. Miller und habe hier vor rund drei Wochen für zwei Nächte eine Stelle zum campen gebucht.“    „Einen Moment bitte“, gab die Frau als Antwort zurück und blätterte in einem kleinen, ledereingebundenen Büchlein. „Ms. Alyssa Miller, richtig?“    „Ganz genau.“    „Also für Sie und Ihren Freund?“    „Korrekt.“    Die Frau, die trotz ihres jungen Alters recht mitgenommen aussah, Noah schob es auf die trockene Luft und die ständig anhaltende Hitze, überschlug im Kopf den Gesamtpreis, ehe sie zu einer Antwort ansetzte. „Das wären dann 36 Dollar, bitte.“    Alyssa entnahm ihrer Geldbörse einen 50 Dollar-Schein, dem sie wehmütig hinterher sah. „Ich werde dich vermissen, Ulysses.“    Nachdem das Wechselgeld abgegriffen und der ganze Papierkram erledigt worden war, kam ein Mann mit schütterem Haar aus einem Hinterzimmer zu den beiden, um sie zu ihrer einer freien Stelle zu führen, auf der sie ihr Zelt aufschlagen dürften. Unterwegs erklärte er ihnen noch die Regeln die einzuhalten waren, von denen die meisten Noah als selbstverständlich erschienen. Milderung des Lärmpegels ab 21 Uhr, Müll nur in die dafür vorgesehenen Behälter entsorgen, Lagerfeuer darf nur in der Feuerstelle entzündet und muss auch strikt den Regeln befolgt wieder gelöscht werden, und so weiter und sofort.    „Also“, der junge Student legte die große Tasche ab, die er sich zuvor über die Schulter geworfen hatte und in der sich auch das noch nicht zusammengebaute Zelt befand. „Dann mal frisch ans Werk.“    Alyssa stellte die Kühlbox, in der sich eigentlich nur ein paar Getränke, Konserven und drei Tüten Marshmallows befanden, in den Wüstensand ab und legte ihren Rucksack darauf. „Geht sofort los. Nur einen kleinen Moment“, gab sie zurück und streckte sich erst einmal ausgiebig.    Derweil hatte Noah schon den Inhalt der Zelttasche ausgekippt und versucht sich durch die beiliegende Aufbauanleitung zu fuchsen. „So kompliziert sieht das gar nicht aus“, log er.    „Lass und lieber die Zeltstangen und Heringe zählen, nicht dass uns am Ende noch etwas fehlt“, gab die rothaarige Studentin zu bedenken.    Er sah nicht einmal zu ihr auf, sondern stierte weiter auf die Anleitung, als er zu einer Antwort ansetzte. „Selbst wenn uns was fehlen sollte, wo willst du hier Ersatz herkriegen?“    „Die werden hier schon noch Zelte in einem der Souvenirshops verkaufen.“ Sie zeigte mit dem Daumen über ihre Schulter, zu der Geisterstadt.    „Natürlich, zu überteuerten Preisen.“    Alyssa hockte sich neben Noah, der bereits auf einem flachen Stein Platz genommen hatte, und linste ihm über seine Schulter auf die Aufbauanleitung. Ihre Augen huschten über den Plan und sie prägte sich die Ziffern und Buchstaben ein, die den Aufbau im Normalfall erleichtern sollten.    Noah drehte den Plan um 180° in der Hoffnung, dadurch vielleicht etwas mehr von diesem ganzen Wirrwarr zu verstehen.    Die junge Studentin lächelte ihrem Freund zu, der dies jedoch nicht registrierte. Ihre Arbeit an dem Grundgerüst des Zeltes war schon fast fertig gewesen.    „Schau mal her“, forderte sie Noah auf.    Doch dieser winkte ihr nur abfällig über die Anleitung hinweg. „Warte mal kurz, ja? Ich habe den Plan gleich völlig intus“, schwindelte er sie an.    Alyssa drehte sich von dem Gerüst weg und nahm ihren Rucksack von der Kühlbox runter, um dessen Platz darauf einzunehmen.    „Wo sind eigentlich die Heringe?“, wollte der blonde Student von seiner Freundin wissen.    „Die liegen in der Tüte vor deinen Füßen, Schatz“, erwiderte sie belustigt. Ohne auf seine Reaktion zu achten, öffnete sie den Reißverschluss ihres Rucksacks und wühlte sich zu ihrem neuen Manga durch.    Nach einiger Zeit schien Noah das bereits vollendete Grundgerüst des Zeltes bemerkt zu haben und begann damit, das Zelt in das Tragewerk einzuhängen. Nachdem er sich überzeugt hatte, dass das Zelt sich auch ja nicht aus der Verankerung der Stangen löst, faltete er das Außenzelt auf und warf es über die große Querstange.    Alyssa sah auf und klappte ihren Manga zu. „Warte, ich helfe dir.“ Sie zog auf der gegenüberliegenden Seite von Noah und führte die Stützstangen in die dafür vorgesehenen Löcher ein, damit die Plane auch ja schön straf blieb.    Der blonde Student holte sich die Heringe, die noch immer in der Tüte vor dem Stein lagen, auf dem er zuvor gesessen hatte. „Hier“, er gab seiner Freundin die vier Heringe für ihre Seite.    „Haben wir denn zwei Hämmer?“, fragte die junge Studentin.    Noah blieb stumm.    Alyssa ahnte schon beinahe, was jetzt kommen würde. „Haben wir überhaupt einen Hammer?“    Er seufzte und ließ sich in die Hocke gehen. „Ganz toll. Dad meinte, dass alles drin ist, was wir bräuchten.“    „Dann müssen wir eben improvisieren.“ Sie versuchte einen Hering mit mehr Kraft als Feingefühl in den Boden zu drehen.    Ihr es gleich zu tun, nahm Noah einen Hering, bohrte diesen leicht ins Erdreich und versuchte, indem er einen Fuß auf den Haken stellt und immer wieder Druck drauf ausübte, ihn in das trockene Erdreich zu treiben.    Am Ende waren fünf von acht Heringen nun deutlich krummer, als sie es eigentlich sein sollten. Immerhin aber stand das Zelt, auch wenn es ein wenig windschief wirkte.    Noah richtete sich auf und klopfte den Sand von seiner Jeans ab, ehe er kurz in das Zelt krabbelte, um zu überprüfen, ob es auch nicht einstürzte – zumindest behauptete er das. Er lag in der Mitte des kleinen Zeltes und Streckte, soweit es die Räumlichkeiten zuließen, alle Viere von sich. Es fühlte sich großartig an. Am liebsten hätte er jetzt ein kleines Schläfchen gemacht, doch Alyssa machte ihm einen gewaltigen Strich durch die Rechnung.    „Jetzt knick mir nicht weg“, beschwerte sie sich und warf ihm unachtsam seinen Rucksack auf den Bauch.    Der junge Student prustet kurz und quälte sich in eine aufrecht sitzende Position. „Lass uns erstmal was essen gehen, mir hängt der Magen in die Kniekehlen.“    Eigentlich wollte die junge Studentin ablehnen, aber das Knurren ihres Magens kam ihr zuvor. Sie hatte seit Stunden nichts gegessen, da ihr sonst auf der Fahrt mit Sicherheit schlecht geworden wäre.    Nachdem sie ihre restlichen Sachen in dem Zelt verstaut und gerade auf den Weg in die Geisterstadt gemacht hatten, winkte ihnen ein Mann hastig entgegen.    „Meint der uns?“ fragte Noah unsicher und verschränkte die Arme vor der Brust.    Der Man schien auf irgendwas hinter ihnen zu zeigen und laut zu Rufen.    Alyssa blickte kurz unschlüssig über die Schulter und verhaarte einen Augenblick. Sie zog ihrem Freund am Ärmel, damit auch dieser sich umdrehte.    Dieser tat es auch und sah, was der wild winkende Mann meinen musste. Unmittelbar hinter dem Zeltplatz bildete sich ein Luftwirbel, der immer mehr Sand mit sich riss und nach und nach an Geschwindigkeit gewann – ein Staubteufel hielt auf sie zu.    Die beiden Studenten preschten los und hielten erst an, als sie den Mann erreicht hatten, der sie zuvor gewarnt hatte.    „Ist das…“, Noah rang um Fassung. „Ist das ein Tornado?“    „Aber nein“, entgegnete ihm der Mann, der sich als der Herr mit schütterem herausstellte, der sie zuvor zu diesem Platz gebracht hatte. „Das ist nur ein Staubteufel“, sagte er in dem Irrglauben, als würde das alles erklären.    Alyssa sah ehrfürchtig zu der Kleintrombe, die nun durch den ganzen Sand eine gut sichtbare Form bekommen hatte. „Die Dinger sind also ungefährlich?“    Keine Antwort, der Mann nickte nur zustimmend.    „Aber warum haben sie dann so ein Theater gemacht?“, wollte sie von ihm wissen.    „Auch wenn die Staubteufel nicht schnell werden und somit auch nicht sonderlich gefährlich, so sollte man dennoch nicht den Sand und die Steine unterschätzen, die sie mit sich mitreißen.“    „Ähm, Alyssa?“, Noah sprach sie an.    „Was ist?“    „Kommt es mir nur so vor, oder hält das Teil gerade echt auf unser Zelt zu?“    „Oh…“, war alles, was sie raus brachte.    Der Staubteufel fegte über den Campingplatz und rüttelte an dem Wohnmobil, um dessen Sonnenschutz abzureißen – was ihm auch gelang. Der Kunststofffetzen wurde nicht mal eine Runde umhergeweht, ehe er von der Kleintrombe achtlos in ein paar Büsche geworfen wurde, die nun ihren Weg weiter unbeirrt auf das kleine Zelt fortsetzte.    Noah fluchte irgendwas und ließ sich in die Hocke fallen, als der Luftwirbel die Heringe, die sie zuvor so mühevoll in den Boden getrieben hatten, einfach herausriss und das Zelt ein paar Runden umherwirbele. Scheinbar lösten sich dabei die Stangen oder vielleicht ging der Stoff flöten, jedenfalls sah der junge Student nur noch, wie ihre Rucksäcke und die Kühlbox zu Boden klatschten und ihr Inneres frei gaben.    Beinahe, als ob genau das das Ziel des Staubteufels war, löste er sich wenige Schritte später in Wohlgefallen auf, nur um wenige Meter kurz vor ihnen wieder an Gestalt zu gewinnen.    Die einzige Reaktion die Noah durch den Kopf schoss, war die Arme schützend vor das Gesicht zu heben und die Augen zu schließen.    Alyssa und der Mann taten es ihm gleich.    Der junge Student riskierte einen Blick in das Getöse, denn ihm war es beinahe so, als hätte er eine hämische Lache gehört, die er die einer jungen Frau oder eines Kindes deutete. Aber wer war das? Alyssa konnte es nicht sein, warum auch? Und außer ihnen war sonst niemand in dem Luftwirbel gewesen, oder?    Der Staubteufel wehte über die drei hinweg und baute rasant an Windgeschwindigkeit ab, um kurz darauf nun vollend zu verschwinden.    Noah klopfte den Sand von seinem Kopf und den Sachen und sah in die Richtung, in die die Kleintrombe entschwunden war. „Hast du das gehört?“ Die fragte war an Alyssa gerichtet gewesen.    „Außer dem Jaulen, nichts“, gab sie zu und befreite sich ebenfalls vom Wüstensand.    „Tja, euer Zelt scheint ja hinüber zu sein“, drängte sich der Mann ins Gespräch. „Wenn ihr trotzdem hier noch übernachten wollt, dann müsst ihr euch wohl oder übel ein neues im Souvenirshop kaufen.“ Darauf hin verabschiedete er sich und überließ die beiden Studenten ihrem Schicksal.    Alyssa seufzte übertrieben und machte sich auf den Weg, um die Überreste ihres Nachtlagers aufzusammeln.    Noah befasste sich damit den Inhalt ihrer Rucksäcke zusammenzusammeln und seine Freundin suchte nach den Überbleibseln ihres Zeltes. Er legte das, was er fand, auf die Kühlbox, deren eine Ecke völlig weggeplatzt war. Zum Glück waren die meisten Konserven nur verbeult und teilten nicht das Schicksal ihres ehemaligen Behälters.    Alyssa legte die zerfledderte Außenplane und die Stangen die sie finden konnte neben das restliche Zeug. Ihr Magen knurrte, da er noch immer keine Füllmasse bekommen hatte.    „Lass uns erstmal was essen gehen, unseren Müll wird schon niemand stehlen“, schlug Noah vor und zeigte auf die kläglichen Überreste des Zeltes und der Kühlbox.    Die rothaarige Studentin nickte zustimmend.      Nachdem Noah und Alyssa etwas in dem örtlichen Restaurant der Geisterstadt gegessen hatten, zog sie los, um ein neues Zelt aus dem Souvenirshop zu besorgen, während er sich zu den Toiletten begab.    Alyssa lehnte auf einem ehemaligen Anbindepfosten und zu ihren Füßen lag die Zelttasche mit dem neuen Trekkingzelt darin. Hinter ihr näherte sich Noah und hielt ihr eine kühle Dose Limo an die Wange. Leider schreckte sie nicht so auf, wie er es geplant hatte, aber das war auch nicht so schlimm. Er übergab ihr die Dose und nippte an seiner Cola.    Zusammen lümmelten sie nun auf dem Anbindepfosten und ließen sich den milden Wind um die Nase wehen.    Der Horizont färbte sich mittlerweile schon langsam rot und läutete somit die Nacht ein. Abends würde die Temperatur auf 60 bis 70°F sinken. – Nicht sonderlich kalt, aber immer noch kühl genug, um sich bei ungeschütztem Wind eine Erkältung zuzuziehen.    Mit diesem Gedanken im Hinterkopf hievte sich Noah vom Pfosten und ging gemeinsam mit seiner Freundin zurück zum Zeltplatz, um ihr neues Zelt noch vor Einbruch der Dunkelheit aufzubauen.      Friedlich prasselte das Lagerfeuer in der dafür vorgesehenen Feuerstelle vor sich hin, sein gelegentlich leises Knacken mischte sich in die abendlichen Geräusche der Wüste. Seit die beiden Studenten aus dem Restaurant gekommen waren, hatten sie kaum noch miteinander Gesprochen. Nicht etwa weil sie sich gestritten haben, eher weil der Tag sie beide ordentlich geschlaucht hatte.    Alyssa hatte auf einem dafür angefertigten Stock einen Marshmallow gespießt und hielt ihn vor sich in die Flamme, damit der Mäusespeck auch schön goldbraun werden konnte – denn so liebte sie ihre Marshmallows.    Noah hatte sich seine beigefarbene Cordjacke übergezogen und neben seine Freundin gesetzt. Er ließ den Blick durch den Himmel streifen und versuchte etwas vergeblich ein paar Sternbilder zu erkennen. Ab und an hob er seine Hand und verband ein paar Sterne mit einer imaginären Linie, die er mit seinem Finger zog.    Sie genossen einfach das friedliche miteinander und keiner von ihnen wollte diese wunderbare Atmosphäre stören.    Leises Stapfen.    Der blonde Student ließ die Hand sinken. „Hast du das gehört?“    Alyssa verdrehte nur die Augen. „Jetzt fang nicht mit so was an, das ruiniert nur die Stimmung.“ Sie beäugte ihren Marshmallow im Feuerschein und drehte den Stock ein wenig.    Wieder ein Stapfen und diesmal hörte auch sie es.    „Ist das etwa ein Kojote?“    „Ich glaube nicht, dass sich ein Kojote so schwerfällig fortbewegt“, versicherte Noah.    Die rothaarige Studentin setzte zu einer Antwort an, hielt dann aber jedoch inne. An der hinteren Stoßstange des Wohnmobils schien sich etwas zu bewegen. Leider war es zu dunkel, um etwas Genaues erkennen zu können.    „Hey, der will sicher deinen Marshmallow“, meinte Noah scherzhaft und stupste seine Freundin an.    Ohne zu antworten, warf Alyssa den halbgerösteten Marshmallow in die Dunkelheit, zu dem nur schemenhaft zu erkennenden Tier hin.    Das kleine Tier schreckte ein paar Schritte zurück und beäugte das lecker riechende Etwas, das ihm vor die Nase geworfen wurde. Langsam näherte es sich dem Mäusespeck und stupste es anschließend vorsichtig mit einer Vorderpfote an. Es schnupperte sicherheitshalber noch einmal daran, ehe es den Marshmallow hastig verschlang und dann wieder zu den zwei Studenten sah.    „Niedlich.“    „’Niedlich’? Du siehst von dem Vieh rein gar nichts“, beschwerte sich Noah über die voreilige Meinung seiner rothaarigen Freundin.    „Weißt du, ich habe da so eine Regel“, sie nahm ein Stück des Mäusespecks und drehte in vor den neugierigen Augen des Tierchens in der Hand. „Alles was Marshmallows isst, kann gar nicht böse sein.“ Sie warf ihn zu dem Tier hin. Dieses mal aber etwas näher an der Feuerstelle, in der Hoffnung, vielleicht einen Blick auf ihren abendlichen Besucher erhaschen zu können.    Der Hunger ließ das Tier unachtsam werden und es näherte sich vorsichtig dem neuen Leckerbissen. Schmatzte es etwa genüsslich?    „Falls das Ding uns angreift, dann haben wir nur ein paar verbeulte Konservendosen und alte Zeltstangen, mit denen wir uns verteidigen können“, gab der junge Student zu bedenken.    „Lass mich nur machen“, gab Alyssa zurück und wand sich ihrem Besucher zu. „Na du? Hab keine Angst. Ich tu dir nichts.“ Sie warf ihm noch einen Marshmallow hin. „Der ist für dich.“    Langsam rückte das kleine Tier immer näher. Mittlerweile konnte man nun schon die ungefähre Form erahnen. Für einen Kojoten oder eine Raubkatze schien es viel zu klein zu sein. Hätte er es nicht besser gewusste, dann hätte Noah gedacht, es sei eine Schildkröte. Der Rücken des Tieres war rund, eben wie der Panzer einer Schildkröte, und sein Kopf befand sich scheinbar auf ungefähr derselben Höhe wie seine Schultern.    „Hier, Kleiner.“ Das letzte Stück Mäusespeck warf Alyssa an den Rand des Lichtkegels des Lagerfeuers.    Als das Tier danach schnappte und sich den Marshmallow in den Mund schob, konnten die beiden Studenten nun genau erkennen, um was es sich handelte. Nun gut, sie wussten nicht was es war, aber bei einer Sache waren sie sich beide ganz sicher – es war definitiv kein Tier.    Der Körper des kleinen Wesens war mit einem gelben Panzer bedeckt gewesen, der am Bauch eine violette Färbung besaß. An den Vorder- und Hinterpfoten befanden sich jeweils drei große Krallen und federartige Wedel standen dem Unding vom Kopf ab. Waren das etwa Ohren? Zu allem Überfluss besaß das Wesen auch noch einen reptilienartigen Schwanz, den es hinter sich herzog.    „Das ist kein Tier, oder?“, fragte Noah, um in seiner Meinung bestätigt zu werden.    „Ich glaube nicht“, gab Alyssa zu. „Aber ich habe es bestimmt schon mal irgendwo gesehen.“    „Ob das Ding uns angreifen wird?“ Unsicherheit spiegelte sich im Gesicht ihres Freundes wieder.    „Wer soll hier bitte ein Ding sein? Ich bin doch kein Ding!“, antwortete das tierartige Wesen leicht patzig, anstelle der rothaarigen Studentin.    Nun waren Noah und Alyssa beide baff. Nicht nur, dass das Wesen so fremdartig aussah, nein, nun redete es auch noch.    Das kleine Unding legte den Kopf leicht schief und blickte sie beide aus seinen freundlichen, grünen Äuglein an. Doch dann entdeckte es die Tüte mit Marshmallows hinter der jungen Studentin und deutete darauf. „Dürfte ich-“, das Wesen versuchte seine Frage nicht zu gierig erscheinen zu lassen. „Dürfte ich noch einen davon haben.“    Alyssa brauchte noch einen Moment, ehe sie sich aus ihrer Starre löste und erstmal verwirrt hinter sich sah, um zu sehen, was das Tierchen wohl meinte. „Aber natürlich.“ Sie nahm ein Stück heraus und überreichte es dem Wesen. „Was bist du eigentlich?“, fragte sie, während das kleine Ding sich den Mäusespeck in den Mund stopfte und diesen deutlich genoss.    „Ich bin ein Digimon“, entgegnete es ihr und wischte sich mit einer Vorderpfote die klebrigen Reste von seinem Mund ab. „Man nennt mich Armadimon.“    „Du bist also ein Digimon“, meldete sich nun Noah zu Wort. „Ich habe von euch schon mal gehört. Bist du hier um Unruhe zu stiften?“    Das Säugetier-Digimon setzte eine etwas überraschte Miene auf. „Warum sollte ich das denn tun wollen?“    „Nun“, begann Alyssa. „Digimon haben vor wenigen Jahren ordentlich für Radau gesorgt.“ Sie hielt plötzlich inne und erinnerte sich an damals. „Bei der dadurch entstandenen Panik kam es zu einem schweren Unfall und meine Mutter ist seit diesem Tag querschnittsgelähmt.“    Noah schwieg und sah seine Freundin nur mit einem sorgenvollen Blick von der Seite an.    „Ich erinnere mich noch genau an den Tag“, fuhr sie fort. „Als der Himmel-“, sie suchte nach einem passenden Wort dafür, aber ihr wollte einfach kein vernünftiges einfallen. „Als der Himmel zerbrach…“    Armadimon wusste nicht was es sagen sollte. Es hatte doch mit den Ereignissen von damals überhaupt nichts zu tun gehabt und trotzdem fühlte es sich nun dafür schuldig.    Dies schien auch der blonde Student zu bemerken und legte Alyssa eine Hand auf die Schulter. „Lass gut sein, der Kleine kann doch auch nichts dafür.“ Auch er erinnerte sich an diesen vermaledeiten Oktobertag. Er wird niemals den Moment vergessen, als er von Alyssa angerufen wurde und sie ihn mit zitternder Stimme nach der Nummer des Notrufs fragte. Zu Beginn hielt er es für einen dummen Scherz, aber in ihrer Verzweiflung wollte ihr damals keine andere Nummer, als seine, einfallen.    „Es tut mir leid“, entgegnete Armadimon ihr plötzlich.    „Was?“ Verwundert sah die rothaarige Studentin das Säugetier-Digimon an.    „Ich weiß, auch wenn es dadurch nicht besser wird, es tut mir leid.“ In den Augen des Digimons spiegelte sich ehrliches Bedauern.    Plötzlich lachte Alyssa lauthals und sie brauchte einen kurzen Moment um wieder Fassung zu finden. „Ach, lass gut sein. Wie Noah schon sagte, du kannst doch nichts dafür.“    „Um mal das Thema zu wechseln“, begann der junge Student. „Was sind das für Dinger? Etwa Ohren?“ Er zog an einem der federartigen Wedel an Armadimons Kopf.    „Lass das!“ Empört setzte sich das Digimon auf den Hintern und hielt sich seine Wedel, wie sie genannt wurden, mit den Vorderpfoten zu, damit der Mensch ja nicht noch mal auf die Idee kommt, daran zu ziehen. „Das gehört zu mir wie alles andere auch!“    „Schon gut“, gab Noah belustigt zurück. „Ich wollte dich echt nicht beleidigen.“    Armadimon zog ein etwas beleidigtes Gesicht.    „Ach ja…“ Die rothaarige blickte dem Digimon lächelnd in dessen smaragdgrünen Augen. „Mein Name ist Alyssa Miller“, sagte sie und zeigte mit einer Geste erst auf sich und dann auf Noah. „Und das hier ist Noah Rogers.“    „Freut mich“, gab der blonde Student zurück und winkte dabei beiläufig.    Das Säugetier-Digimon lächelte freundlich. „Gleichfalls.“    „Ich habe schon vieles über Digimon gelesen, aber eines zu mit eigenen Augen zu sehen ist einfach unglaublich“, sprudelte es aus Alyssa hervor.    Noah zog eine Augenbraue hoch. „Wo hast du denn bitte was über Digimon gelesen.“    „Im Internet. Es gibt unzählige Tamer auf der Welt und einige von ihnen twittern gerne oder schreiben etwas in ihren Blog. Manche posten sogar Bilder von ihren Partnern.“ Sie rückte etwas näher zu Armadimon. „Wäre es nicht toll, wenn wir Partner werden würden“, schwärmte sie vor sich hin.    „P-Partner?“ Das gelbe Digimon sah sie etwas eingeschüchtert an. „An so was hatte ich bisher eigentlich noch nie gedacht“, gestand es.    „Einen Augenblick mal“, ging der junge Student energisch dazwischen. „Nur weil du was im Internet liest, heißt das noch lange nicht, dass es auch stimmen muss.“ Er vollführte eine weitausholende Geste mit den Armen. „Und wieso in Gottes Namen bist du so verrückt nach diesen Monstern?“ Er wandte sich kurz zu Armadimon. „Nichts für Ungut.“    Die Frage ihres Freundes scheinbar völlig ignorierend, wendete sich Alyssa an das Säugetier-Digimon. „Was machst du eigentlich hier draußen, in dieser Ödnis?“    „Ich versuche zu überleben“, antwortete das Digimon etwas schroff und mit einer gewissen Härte in der Stimme, die man ansonsten nur von einem verbitterten Kriegsveteranen gewohnt war. „Ich geh dann mal“, verabschiedete sich Armadimon plötzlich und drehte sich zum gehen um. „Danke für das Essen.“    „Warte!“ Alyssa wollte nicht, dass das Digimon geht. Sie wollte es bei sich wissen.    „Lass es doch“, antwortete Noah kühl. „Ich bin sowieso hundemüde, lass uns eine Mütze voll Schlaf nehmen.“    „Okay.“ Als die Studentin sich wieder Armadimon zuwenden wollte, war es spurlos im Dunkel der Nacht verschwunden. „Schade“, murmelte sie leise vor sich hin.    Ihr Freund war bereits aufgestanden und packte ihre Sachen in das Zelt, die noch im Freien lagen. „Nur noch das Feuer löschen, dann haben wir es für heute geschafft.“    A word and a blow. Sie legten sich beide nebeneinander in das Zelt und verschlossen es von innen. Noah fiel nach nur kurzer Zeit in einen festen Schlaf. Alyssa jedoch lag noch eine Weile lang wach. Ob sie das kleine süße Ding mit den grünen Augen jemals wiedersehen würde? Und wenn ja, was erhoffte sie sich davon?   18. August 2010      Ein raschelndes Geräusch ließ Noah aufwachen. Irgendwas regte sich vor dem Zelt und schien einen Plastiksack oder Beutel zu durchwühlen. Er hatte ihre nächtliche Begegnung mit dem Digimon schon beinahe vergessen, als er den Reißverschluss öffnete und das gelb gepanzerte Säugetier-Digimon sah, wie es sich gerade an einer Tüte Marshmallows zu schaffen machte.    Armadimon sah dem jungen Menschen erschrocken in seine noch verschlafenen Augen, ehe es aufsprang und sich unter das Wohnmobil quetschte; natürlich mit samt den Marshmallows im Schlepptau.    Der blonde Student rüttelte seine Freundin grob wach. „Wach auf, dein kleiner, gelber Freund ist wieder da und hat doch glatt unsere Vorräte weggefressen“, gab er verschlafen von sich.    Alyssa raffte sich auf, gähnte unbeholfen und rieb sich ihre Augen, sie musste das eben gesagt noch einmal innerlich verarbeiten. „Ernsthaft?“, antwortet sie schließlich etwas mehr als zu spät.    „Wenn ich es dir doch sage“, er deutete auf die zwei leer gefressenen Tüten. „Eine hat es sich gehamstert und ist dort drunter.“    Die rothaarige Studentin blickte in die Richtung, in die ihr Freund zeigte, und sah noch den gelben Kopf wieder unter Stoßstange verschwinden. Ohne ein Wort zu sagen, kroch sie aus dem Zelt, stieg in ihre Schuhe und ging vorsichtig auf das Wohnmobil zu.    „Ich… Das gehört mir!“, hörte sie unter dem Gefährt hervorrufen, ehe sie es überhaupt erreicht hatte. „Auch wenn ihr wütend seid, die Dinger gehören ganz allein mir!“    Ohne weiter auf die Ansage des Digimons weiter einzugehen, beugte sich Alyssa zu ihm runter, um es mit den Augen zu erfassen können. „Du hast also Hunger?“    Armadimon gab sich dieses mal scheuer, als wie am Abend zuvor. „Wenn schon? Das sind meine Köstlichkeiten.“ Es drehte sich von ihr weg und presste die Tüte an seinen Bauch.    „Aber es ist ungesund, wenn du dich nur von sowas ernährst“, sagte sie und lächelte dem Digimon schon beinahe mütterlich zu.    „Zu meinem Glück bekomme ich so etwas kaum zu futtern“, gab es leicht patzig zurück.    Die junge Studentin legte sich nun mit dem Bauch in den trockenen Staub und kroch ein wenig unter das Wohnmobil. „Wir gehen jetzt was Ordentliches frühstücken, willst du mitkommen?“    „Hey!“, nun schaltete Noah sich in das Gespräch ein und ging neben seiner Freundin in die Hocke, die bereits bis zur Taille unter dem Gefährt lag. „Erst beklaut es uns und nun willst du es zum Frühstück einladen? Da ist mir wohl irgendwas entgangen.“    Alyssa zog sich unter dem Wohnmobil wieder hervor, blieb aber auf den Knien sitzen und sah ihrem Freund ins Gesicht. „Wir können es doch nicht verhungern lassen.“    „Es hat eben unsere Vorräte gefressen, so schnell verhungert es bestimmt nicht.“    Abweisend wedelte Alyssa mit der Hand und wollte sich gerade wieder unter den Campingwagen schieben, als die Seitentür des Gefährts geöffnet wurde und ein dicklicher Mann nach draußen trat. „Habe ich mich also doch nicht verhört“, begann er. „Was macht ihr Kinder denn da?“    Die rothaarige Studentin richtete sich auf und klopfte sich den Sand von den Knien. „Tut uns leid, aber unser kleines Haustier hat sich vorhin vor einer Eidechse erschrocken und ist unter ihr Wohnmobil geflüchtet.“    „So ist das.“ Der Mann stellte sich neben sie und wollte auch unter sein Campingwagen sehen, um ihr zu helfen.    „Besser wäre es, wenn sie das nicht tun“, sagte Alyssa plötzlich.    „Was?“    „Wenn unser Kleiner Angst hat, dann kann er fremde Leute überhaupt nicht leiden. Er könnte sie… kratzen.“    Noah sah seiner Freundin zu, wie sie wild gestikulierend versuchte den Mann davon abzubringen unter das Gefährt zu sehen und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.    „Also gut, aber wenn was kaputt geht, dann weiß ich ja, wer schuld dran hat“, drohte er den beiden Jugendlichen. Er schloss sein Wohnmobil ab und ging in die Geisterstadt. Höchstwahrscheinlich ins Restaurant zum Frühstücken, wie sie es eigentlich auch vor hatten.    Nachdem der Mann außer Hörreichweite war, blickte Alyssa wieder unter den Campingwagen um nach dem Digimon zu sehen – doch es war weg.    „Okay, ihr habt mir ein leckeres Frühstück versprochen“, ertönte plötzlich eine Stimme hinter dem blonden Studenten. „Ach ja, tut mir leid wegen den leckeren Dingern.“ Armadimon schob die leere Tüte Noah entgegen und setzte einen wehleidigen Blick auf.    „Schon gut, ich ziehe mich nur kurz um, dann können-“    „Einen Augenblick mal“, viel er seiner Freundin ins Wort. „Das hier ist kein Hund, den man mal so einfach mit in die Stadt nimmt, das ist immer noch ein Digimon.“    Alyssa lachte leise und klopfte ihrem Freund auf die Schulter. „Glaubst du im Ernst, dass ich das nicht schon berücksichtigt habe.“    „Was hast du vor?“, wollte er wissen.    Sie zwinkerte ihm keck zu. „Einfach abwarten.“      Noah konnte es selber kaum glauben, aber der Plan seiner Freundin hatte wider aller Erwartungen wirklich geklappt.    Nachdem sie sich in dem kleinen Zelt umgezogen hatten, gingen sie schnurstracks nach Calico. Sie hatten Armadimon nicht versteckt oder verkleidet, so wie er es zu beginn annahm; er hatte es einfach vor sich hergetragen. Das klingt zwar einfach, aber das Digimon wog einiges und er durfte sich das Gewicht nicht anmerken lassen – denn ein Plüschtier wiegt normalerweise keine 35 Pfund.    Als sie es dann in das Restaurant geschafft hatten, nahmen sie an einem Tisch mit Eckbank platz und setzten das Digimon zwischen sich ab. Sie hatten auch miteinander ausgemacht, dass, wenn sich jemand dem Tisch nähern sollte, sich Armadimon ganz ruhig verhält und keinen Muskel rührt.    „Ach, verdammt.“ Der junge Student stand auf.    Alyssa drehte sich zu ihm um. „Was ist los?“    „Ich habe mein Portemonnaie im Zelt vergessen.“    „Ist doch nicht weiter wild, dann zahle ich eben.“    „Alles schön und gut, aber wenn mir das einer klaut, was dann?“, gab er zu bedenken.    Dagegen hatte sie nichts einzuwenden.    Noah trat nach draußen und musste sich an die plötzliche Helligkeit der Sonne erst wieder gewöhnen, dabei war er keine fünf Minuten in dem Restaurant drin gewesen.    Er lief gemütlich über die betonierte Straße, als ein plötzlicher Frauenschrei ihm zu Seite blicken ließ. Dort lag eine Frau auf dem sandigen Boden, hielt sich ihr Bein mit beiden Händen und drückte mit den Handflächen immer wieder darauf herum.    Schnell war er bei ihr gewesen. „Was ist passiert?“    „Ich… Ich kann mein Bein nicht mehr spüren“, wimmerte die Frau. Er erkannte sie als die Mutter der vierköpfigen Familie, die ebenfalls mit ihm und Alyssa im Bus hier her gefahren war. „Irgendwas hat mich gestochen und dann war mein Bein plötzlich taub.“    Noah betrachtete das Bein der Frau und tastete es ab. „Ich kann nichts Ungewöhnliches entdecken, vielleicht haben Sie nur einen Muskelkrampf.“    Ein weiterer Aufschrei hinter ihm erklang. Der dickliche Mann, unter dessen Wohnwagen sich Armadimon vorhin verschanzt hatte, war auf der Straße zusammengebrochen und hielt ebenfalls sein Bein fest umklammert.    Der Ehemann der Frau kam angerannt und gemeinsam trugen sie sie in den Schatten einer Veranda. Noah musste kurz auf den Ehemann einreden, damit er sich davon überzeugen ließ auch den Dicken von der Straße zu tragen.    „Was ist hier eigentlich los?“, fragte er den Studenten aufgebracht.    „Keine Ahnung“, gestand Noah. Er lief wieder ins Freie und blickte sich um. Nach einem kurzen Moment sah er einen Weg, der zwischen zwei Häuser durchführte und genau zu dem Restaurant führte.    „Warte! Wo willst du hin?“    Die Rufe des Ehemannes ignorierend, rannte Noah los. Er hatte gerade die gute Hälfte der Gasse passiert, als ein hämisches Lachen ihn stoppen ließ. Dieses Gelächter hatte er schon einmal gehört, da war er sich ganz sicher. Er blickte sich um, konnte aber nichts entdecken.    „Hier oben, Matschbirne“, plärrte eine mädchenhafte Stimme über ihm.    Als Noah nach oben sah, erblickte er ein kleines Mädchen mit goldenen Schmetterlingsflügeln, das nicht größer als seine Hand war. Sie trug lederne Stiefel und mit langen Fingernägeln bewehrte Handschuhe. Ihr langes, blondes Haar war mit einer Schleife zu einem Pferdeschwanz gebunden worden.    Die Fee zog eine gehässige Grimasse und streichelte den Schaft ihres Speeres, der für Noah wie ein winziges Spielzeug aussah, und grinste dabei so bösartig, wie es eine Fee nur konnte.    Der junge Student wusste nicht, wie er auf das Wesen reagieren sollte und starrte es nur an.    „Zeit zum spielen.“ Das kleine Wesen verschwand innerhalb von einer Sekunde aus seinem Blickfeld und tauchte hinter ihm wieder auf. Es schoss knapp an seinem Bein vorbei und stach ihm mit seinem Speer kurz in die Kniekehle.    Mit einem überraschten Aufschrei ging der Student zu Boden. „Was war denn das?“, brachte er gequält hervor. „Ich spüre mein Bein nicht mehr.“    „So soll es ja auch sein.“, die Fee schwebte nun vor seiner Nase, führte ihren Speer unter dessen Kinn und hob seinen Kopf etwas an, damit sie ihm in die Augen sehen konnte. „Mein Name ist Tinkermon.“    „Du bist also auch ein Digimon?“    Tinkermon wollte antworten, doch Noah schlug nach dem Digimon. Beinahe gelangweilt wich das Feen-Digimon aus. Scheinbar aber reichte schon allein der Versuch aus, um es wütend zu machen. „Na warte!“ Das Digimon zückte seine Waffe. „Nightmare Pandemic!“    Der Speer traf Noah oberhalb der Schulter und das lähmende Gift wirkte sofort. Aus seinem Arm wich jegliches Gefühl und er baumelte nur noch an ihm herab.    Er wollte sich umdrehen und irgendwie entkommen, aber Tinkermon kam ihm zuvor. Es stach noch mehrere Male auf ihn ein und betäubte ihn somit vollständig.    Da war er also, auf dem Bauch liegend und mit einem komplett gelähmtem Körper. Nicht einmal mehr seinen Kopf konnte er bewegen; was ihn besonders störte, da er mit dem Gesicht im Dreck lag.    Tinkermon landete auf seinem Rücken und ging ruhigen Schrittes auf seinen Kopf. Dort nahm es eine triumphierende Pose ein. „Na?“ Es beugte sich zu seinem Ohr runter. „Noch immer so eine große Fresse?“    „Ich habe Sand in der Nase“, beschwerte sich Noah. Er hustete und machte ein paar Geräusche, als würde er etwas ausspucken wollen. „Und nun auch im Mund.“    Verärgert und gleichermaßen enttäuscht trat das Digimon dem blonden Studenten gegen den Hinterkopf. „Dir werde ich Manieren beibringen!“ Tinkermon nahm seinen Speer in beide Hände und umklammerte diesen fest. Es setzte ihn an Noahs Nacken an und schritt zu Tat. „Speed Nig-“    Weiter kam das Feen-Digimon nicht, denn Alyssa hatte sich unbemerkt anschleichen können und schlug das kleine Digimon mit einer morschen Holzlatte von ihrem Freund runter. Armadimon hatte sich vorher positionieren können und fing das weg geschmetterte Tinkermon mit einem Eimer ein, auf den es sich sofort mit vollem Gewicht legte.    „Geht es dir gut?“, fragte die junge Studentin nervös und drehte Noah auf den Rücken.    „Außer dass ich meinen Körper nicht mehr spüre – ja, mir geht es gut.“    Alyssa lächelte erleichtert.    „Aber wie habt ihr den Unsinn hier mitbekommen?“, hakte er nach.    „Ich habe es gerochen“, meldete sich Armadimon stolz. „Als wir dem Geruch gefolgt sind, haben wir dich in der Bredouille gesehen und uns einen Plan ausgedacht.“    Noah lachte verlegen. „Danke euch beiden.“    Durch den bleiernen Eimer drangen immer wieder gedämpfte Flüche, die einen Seemann alle Ehre gemacht hätten.    „Und was machen wir damit?“, fragte das Säugetier-Digimon und klopfte gegen den Eimer.    Der blonde Student wollte gerade einen Vorschlag machen, als plötzlich der Eimer unter dem Digimon wild zu beben anfing.    „Was ist denn das nun wieder?“, fragte Alyssa erschrocken, worauf Armadimon leider auch keine Antwort wusste.    Das gelbe Digimon verlor allmählich das Gleichgewicht und viel schlussendlich von Tinkermons bleiernem Gefängnis. Der Eimer schoss sogleich hoch in die Luft, bis das Feen-Digimon weit über ihnen stehen blieb und sich von diesem befreite. „Das werdet ihr mir büßen.“ Es holte eine kleine Murmel hervor, die in seinen Händen eher wie eine Bowlingkugel wirkte, die es ohne Rücksicht auf Verluste auf den Boden warf, wo sie sich scheinbar von selbst in das Erdreich bohrte.    „Und das sollte was werden? Für Setzlinge ist es hier ein wenig zu trocken“, spottete Noah.    Doch anstelle von Tinkermon, antwortete ein tiefes Grollen im Erdboden, dass sofort von einem Beben abgelöst wurde. Durch das Erdreich brach ein gewaltiger, skelettierter Körper.    Die Wucht des hervorbrechenden Wesens und des dadurch entstandene Bebens, ließen Noah wegrollen, bis er schlussendlich wieder auf dem Bauch liegend, mit dem Gesicht im Sand, zu stehen kam.    „Das… Das ist…“, Armadimon rang um Fassung.    Alyssa wusste genau, was vor ihnen aufgetaucht war. Dieses abscheuliche Monster hatte damals bei ihr für schlimme Alpträume gesorgt, als es in dem Anime auftrat, worauf hin ihre Eltern bis auf weiteres Digimon im Fernsehn für sie verboten hatten. „SkullGreymon…“, hauchte sie ungläubig.    Der lebende Knochenberg konnte noch so schrecklich sein wie er wollte, momentan hatte er andere Sorgen: abgesehen vom Kopf, dem Bauch und den Oberarmen, befand sich es sich im Erdboden. In diesem Zustand konnte es nicht kämpfen, selbst wenn es gewollte hätte.    Rasselnd brüllte das Skelett-Digimon auf, als es seine missliche Lage bemerkte und wand sich hin und her, um somit aus dem Boden endgültig hervorbrechen zu können. Doch es blieb ihm versagt.    Sofort flog das Feen-Digimon zu dem Knochenberg hin, um ihn anzustacheln. „Jetzt komm da schon raus, du musst die da bestrafen!“ Als es sich nun auch den zwei Menschen und dem gelben Digimon zuwenden wollte, musste es leider feststellen, dass die drei schon längst getürmt waren.    Alyssa und Armadimon hatten Noah in eines der leerstehenden Häuser gebracht, das scheinbar das älteste Gebäude der Stadt sein musste, wo sie sich erstmal verstecken wollten. Zu seinem Leidwesen, hatten seine Freundin und das Digimon ihn mehr über die Straße geschliffen, als getragen.    Nun lag er auf dem mit morschen Holzdielen überzogenen Boden und starrte an die Decke, die so aussah, als hätte man sie einige Zeit lang ebenfalls als Fußboden benutzt. „Möchte ich wissen, was dort draußen aufgetaucht ist?“, fragte er und spielte drauf an, dass er von dem Skelett-Digimon eigentlich nichts gesehen hatte.    Seine Freundin ging nervös im Raum auf und ab, als sie sich im zuwandte. „Nein, das möchtest du bestimmt nicht.“ Sie kaute auf dem Fingernagel ihres Daumens herum, was ein eindeutiges Zeichen für ihren besorgten Gemütszustand war.    „Gut“, brummte er resigniert. „Und was nun?“    „Kannst du dich schon wieder bewegen?“, wollte Armadimon von ihm wissen.    Noah versuchte seine Muskeln zu bewegen und tatsächlich; er konnte schon einen Finger krümmen und mit ein paar Zehen wackeln. Scheinbar hielt die lähmende Wirkung des Giftes nicht sonderlich lange an – zum Glück.    Nach etwa zehn Minuten hatte sich der junge Student in den Schneidersitz setzen können und wippte nun gemächlich mit seinem Oberkörper vor und zurück.    In der Zeit hatten sie immer wieder das rasselnde Gebrüll und einige vergebliche Befreiungsversuche von SkullGreymon gehört.    „Also gut“, brach Alyssa das Schweigen, dass den Raum sein einiger Zeit eingenommen hatte und hielt ihrem Freund die Hand hin, um ihm aufzuhelfen. „Du kannst wieder Gehen, oder?“    Etwas wackelig auf den Beinen, aber dennoch selbstsicher, nickte Noah zustimmend.    „Nun“, Armadimon stellte sich vor die beiden Menschen und blickte ihnen abwechselnd in die Augen. „Wie sieht der Plan aus?“    „Erstmal will ich sehen, mit was wir es überhaupt zu tun haben.“ Der blonde Student schob sich an dem Säugetier-Digimon vorbei und öffnete die Tür. Sofort knallte ihm die Sonne ihre erbarmungslosen Strahlen ins Gesicht. Schützend hob er den Arm vor die Augen und trat nach draußen. Sein Blick glitt zwischen den Häusern entlang und blieb abrupt stehen, als er den lebenden Knochenhaufen sah.    Seine Freundin war ebenfalls aus dem Haus gekommen und stellte sich neben ihn. „Tja, damit haben wir es zu tun. Und? Bist du nun glücklich darüber es genau zu wissen?“    Er blieb ihr die Antwort schuldig und drehte sich um.    „Was hast du vor?“    „Gehen.“    „Und wohin?“    „Weg von hier. Weg von dem Ungetüm da!“, plärrte Noah und zeigte auf SkullGreymon.    „Aber wenn wir gehen, wird es noch die Menschen verletzen.“    „Alyssa, Liebling, hör mir zu“, er legte sich die Worte kurz im Kopf zurecht, ehe er sie aussprach. „Was wollen wir dagegen unternehmen? Wir sind für das Viech doch nicht mehr als Ungeziefer.“ Er drehte sich nervös um sich selbst und wuschelte sich durch das Haar. „Außerdem nehme ich mal stark an, dass das Militär längst auf den Weg hier her ist, um dem Teil den Garaus zu machen.“ Sein Blick fixierte sie und er fing an zu lächeln. „Ich denke nicht, dass das Digimon in nächster Zeit überhaupt was machen wird. Sieh es dir doch an, es ist im Boden gefangen. Wie soll es denn so jemandem Schaden zufügen?"    Wie zur Antwort brüllte SkullGreymon fürchterlich den Himmel an und riss sich mit einem Ruck nach oben. Vom Oberkörper des Digimons rieselte Schutt und Erdbrocken. Das Skelett-Digimon besah sich seine Beine, die noch immer im Boden steckten, und begann dann mit den Krallen die Erde wegzuschaufeln.    Noah wandte seine Augen von dem Digimon ab und sah wieder zu Alyssa. „Okay, es ist frei. Aber wenn wir uns sofort aus den Staub machen, dann können wir entkommen. Es ist ja nicht so, als hätte es einen Raketenwerfer dabei“, scherzte er.    Laut ließ der Knochenberg sein rasselndes Gebrüll erneut erklingen und schoss willkürlich seine organische Rakete, die sich auf seinem Rücken befand, in die Wüste vor ihm. Sofort bildeten Fleischfetzen aus seinem Körperinneren ein neues Geschoss, welches ebenfalls blind abgefeuert wurde.    „Oh, komm schon!“ Der blonde Student rang um Fassung. „Wirklich?!“    Armadimon blickte besorgt zu dem jungen Menschen. Es rang innerlich mit sich selbst. Warum nur bedeuten ihm diese beiden Menschen plötzlich soviel? Es lebte doch schon sein einigen Monaten hier in der Wüste und hatte bisher den Kontakt zu ihnen strikt vermieden. Also wieso nur sagte es folgende Worte? „Ich werde es aufhalten. Ihr werdet fliehen.“    Die beiden Studenten schwiegen.    „Keine Ahnung wie lange ich es aufhalten kann, aber ich werde für euch ein bisschen Zeit rausschlagen.“    „Bist du irre?“, fuhr Noah das kleine Säugetier-Digimon an. „Wenn du zu dem da hingehst, dann sind deine Tage gezählt!“    „Aber was soll ich sonst-“    „Abhauen! Zu fliehen ist doch nicht schlimm. Was nützt dir dein Stolz, wenn du tot bist?“    „Ich will es doch nicht wegen meinem Stolz oder aus sonst irgendeinem so dummen Grund tun.“ In Armadimons Augen sammelte sich Feuchtigkeit.    „Und warum denn dann? Warum willst du denn nun dein Leben wegwerfen?!“ Noah konnte die Engstirnigkeit des Digimons nicht fassen und wurde immer aufgebrachter.    Alyssa wollte auch etwas sagen, aber sie fand nicht die richtigen Worte und hielt es für klüger zu schweigen.    „Ich will das für euch machen!“, platzte es aus Armadimon heraus. Nun begannen auch die ersten Tränen über seine Wangen zu kullern.    Der junge Student war geschockt. Seine ganze Wut, die er bis eben noch empfunden hatte, war wie weggeblasen. „Warum?“, brachte er nur noch kleinlaut hervor. „Warum willst du das für uns tun?“    „Ihr…“, das Digimon rieb sich mit den Pfoten die Augen und wischte sich den Rotz von der Nase. „Ihr seid die ersten Menschen, die nett zu mir waren, seit ich hier bin. Vorher war diese Welt für mich genauso wie die Digiwelt; hier überlebte nur wer stark und gerissen war. Ich wollte einfach nur noch weg von alledem.“ Es hielt einen kurzen Moment inne und erinnerte sich an die ganzen Schlangen, Kojoten und anderen Jäger der Wüste zurück, gegen die es wegen dem Futter kämpfen musste. „Aber dann kamt ihr. Ihr wart gleich so freundlich zu mir und habt mir was von eurem Essen abgegeben. Aber das war ja nicht alles. Dann wolltet ihr mich noch mit in dieses Restaurant da schmuggeln, damit ich dort auch noch was bekomme.“ Es versuchte einen weiteren Tränenschwall zu unterdrücken – ohne viel Erfolg. „Ich… Ich weiß nicht wie ich euch sonst danken soll…“    Alyssa ging neben Armadimon in die Hocke und wischte mit einem sauberen Taschentuch dessen Gesicht ab.    „Danke.“    „Das ist für mich ein Grund mehr, dass du nicht gegen das Ding da kämpfst.“    Die Studentin und das Digimon sahen Noah an.    „Wenn wir dir also wirklich soviel bedeuten, dass du dich für uns sogar opfern würdest, dann tu uns den Schmerz nicht an, den wir durch deinen Tod erleiden würden.“ Er beugte sich zu dem Säugetier-Digimon herunter und streichelte sanft dessen Kopf. „Okay?“    „Okay“, sagte Armadimon und nickte freudestrahlend.    Plötzlich erschien hinter Noah ein helles Leuchten. Der Student bemerkte es, obwohl er mit dem Rücken dazu stand und blickte es an. Das Licht, das von dem Was-auch-immer ausging, war zwar grell, aber es blendete ihn nicht. Langsam schwebte das Etwas zu ihm heran und hielt kurz vor seiner Brust an.    „Was ist das?“, hakte Alyssa nach, aber bekam weder von ihrem Freund, noch von Armadimon eine Antwort.    Langsam, aber stetig, hob Noah seine Hand; er wollte es berühren. Er wusste nicht wieso, aber er spürte, dass von dem Licht keine Gefahr ausging. Als seine Finger das Leuchten berührten, erlosch das Licht und ein weißes Etwas fiel herunter. Als ob es ein angeborener Reflex von ihm verlangte, griff der junge Student nach dem herabfallenden Ding.    „Was ist das?“, wiederholte er ihre Frage.    „Ein Digivice?“, hauchte die junge Studentin. „Das ist ein Digivice!“ Sie sprang auf und rannte zurück zum Zeltplatz. „Ihr wartet kurz hier!“, rief sie noch über ihre Schulter.    „Was? Warte mal!“ Noah besah die kleine Gerätschaft noch einmal kurz, ehe er sie sich in die Tasche steckte und ebenfalls losrannte. „Komm schon!“, rief er Armadimon zu, welches sich ebenfalls auf den Weg machte.    „Wo läuft sie hin?“    „Keine Ahnung“, gab er trocken zurück.    „Sie ist aber schnell“, bemerkte das kleine Digimon scheinbar nur beiläufig.    „Das will ich wohl meinen“, Noah setzte ein Lächeln auf. „Sie ist ja auch nicht ohne Grund die Rekordhalterin für Langstreckensprints an unserer Universität.“    Sie erreichten gerade den Campingplatz, als Alyssa sich schon bereits umgedreht hatte und zu ihnen zurücklaufen wollte.    Die junge Studentin strahlte über beide Ohren und hechte an ihrem Freund und dem Digimon vorbei, die beide nur bedeppert stehen blieben und ihr hinterher sahen.    „Was? Du rennst wieder zu dem Vieh hin? Ich dachte wir hätten uns für die Flucht entschieden!“, brüllte Noah ihr nach.    „Jetzt lasst mich nicht warten!“, rief sie ihnen zu.    „Ja, klar. Warum nicht? Sterben macht doch soviel Spaß.“    „Nun mach schon, wir dürfen sie nicht alleine lassen“, seufzte Armadimon und lief der rothaarigen Studentin nach.    „Für jemanden der sich eben die Augen aus dem Kopf geflennt hat, bist du ja wieder ordentlich gut drauf.“ Er bekam keine Antwort und setzte sich auch in Bewegung.    Endlich holten sie Alyssa ein, die sich die Rennerei nicht mal anmerken ließ, während sie beide keuchten und japsten.    „Nun gut, wir sind jetzt wieder da, wo wir vorhin losgerannt sind. Was sollte das?“, meckerte Noah.    „Hier.“ Alyssa hielt ihm eine gelbe Deckbox hin.    „Was soll ich damit?“, fragte er und betrachtete die unbeschriftete Deckbox leicht verwirrt.    Aber anstatt ihm zu antworten, öffnete sie die Plastikbox und überrechte ihm den Inhalt.    „Karten?“    „Digimon-Karten“, berichtigte sie ihn.    „Was soll ich damit?“    „Ich habe in einem Blog gelesen, dass die Tamer Karten für Kämpfe verwenden.“    „Du meinst richtig echte Kämpfe? Oder eher nur Kartenduelle?“, ihm erschien das völlig absurd.    „Richtige Kämpfe, sie schrieben auch, dass-“    „Du darfst nicht immer alles glauben, was die Leute ins Netz schreiben.“, unterbrach er sie. „Schau dir mal den Knochenberg an und sag mir-“ Noah verschlug es den Atem. „Wo ist das Digimon hin?“    Von SkullGreymon war nichts mehr zu sehen. Wäre da nicht der Krater und die paar demolierten Häuser gewesen, hätte Noah geschworen, dass er sich das ganze nur eingebildet hat.    Armadimon hob den Kopf in die Luft und versuchte die Witterung aufzunehmen. „Es ist noch da. Aber sein Geruch ist überall verstreut.“    Ohne die kleinste Vorwarnung brach plötzlich SkullGreymon mit rasselndem Gebrüll durch ein Haus und riss die zwei daneben ebenfalls mit sich. Es stampfte über der Straße und ignorierte die beiden Menschen und das Säugetier-Digimon völlig, nur um an den Häusern auf der anderen Straßenseite seinen Frust aus zu lassen.    Die zwei Studenten und Armadimon wurden unter ein paar kläglichen Überresten der Häuser begraben; und trotz des lautem Gebrülls von SkullGreymon, dem Panikschreien von Alyssa und Armadimon und dem Lärm der einstürzenden Häuser, konnte man noch laut und deutlich einen an Gott gerichteten Fluch von Noah hören.    SkullGreymon setzte seinen zerstörerischen Pfad fort und machte dabei ein Haus nach dem anderen dem Erdboden gleich.    Alyssa war die erste von den dreien, die sich aus dem Schutt befreien konnte und begann damit die Bretter, unter denen sie ihren Freund und das gelbe Digimon vermutete, wegzuräumen.    Hustend und sich selbstbemitleidend stemmte sich Noah in Höhe und neben ihm ebenfalls Armadimon, das scheinbar durch seinen Panzer kaum was von dem hölzernen Hagel gespürt hatte.    „Dreck, verdammter…“, quengelte der junge Student und betrachtete sein ehemals weißes Hemd, das wohl nicht mehr zu retten war. „Ich hab die Schnauze voll. Lasst uns endlich von hier verschwinden.“    Jedoch Alyssa wühlte weiter in den Überresten der Häuser herum. Sie suchte die Karten, die Noah fallen gelassen hatte und die nun ebenfalls irgendwo unter dem Schutt begraben waren.    „Was zur Hölle tust du denn da?“    „Schon gut, ich habe ein paar gefunden.“ In ihren Händen hielt sie ein paar der stark in Mitleidenschaft gezogenen Digimon-Karten.    „Ich werde nicht mit der bedruckten Pappe gegen das Riesenvieh kämpfen!“    Armadimon klingte sich in das Gespräch ein. „Scheinbar hast du keine andere Wahl.“    „Wieso?“    Doch das Säugetier-Digimon musste nicht antworten, denn SkullGreymon blickte auf sie mit seinen giftgrünen Augen und ließ aus seiner nicht vorhandenen Kehle ein tiefes Knurren erklingen.    „Also schön!“, plärrte Noah resigniert, griff in seine Hosentasche und zog das Digivice hervor.    Scheinbar erkannte auch das Skelett-Digimon die kleine Gerätschaft und blickte neugierig auf ihn.    „Bleibt zurück!“, rief Armadimon den beiden Menschen zu und setzte zu einem Angriff an. „Rolling Stone!“ Das kleine Digimon rollte sich zusammen und rammte SkullGreymons Schienbeinknochen – leider ohne Erfolg.    Beinahe spielerisch wischte das Skelett-Digimon mit einer Pranke durch die Luft und schleuderte Armadimon zurück in den Schutthaufen    „Jetzt mach doch mal was!“, rief Alyssa ihrem Freund zu.    „Okay, okay“, Noah sah sich die Karten an, aber der gewaltige Knochenberg ließ ihm keine ruhige Minute, um sie alle durchzulesen. „Armadimon, ich weiß zwar nicht was passiert, aber bist du bereit?“    Das Digimon sprang aus den hölzernen Überresten und nickte bestimmt.    „Also gut, dann wohl die hier.“ Er zog eine Karte, auf der ein Schwert abgebildet war, durch den seitlichen Schlitz des Digivices, welches darauf hin kurz aufglühte. – Scheinbar klappt es ja wirklich!    Vor Armadimon bildete sich rasant aus vielen kleinen Teilchen ein Schwert und viel scheppernd zu Boden.    „Noah?“ Alyssa war an ihn herangetreten.    „Was?“    „Das ist das Platinum Sword.“    „Und?“    „Das können nur Krieger-Digimon benutzen“, sie senkte enttäuscht den Kopf und schüttelte ihn.    Ihr recht gebend, klopfte Armadimon seine Vorderpfoten zusammen und zeigte so, dass es das Schwert schlecht halten konnte.    „Kann ich ja nicht riechen!“    SkullGreymon schien gelangweilt von der Szene zu sein und holte mit einer seiner Klauen aus. Der Hieb verfehlte die beiden Studenten nur knapp und ließ sie zu Boden gehen.    „Drecksviech!“, brüllte Noah dem Unwesen entgegen.    Ein langsamer, aber dennoch kräftiger Hieb, ließ ihn ein paar Fuß durch die Luft fliegen und er landete unsanft auf ein paar Holzlatten. Mehr als einen schmerzgequälten Fluch brachte er nicht hervor.    Alyssa wollte zu ihm hineilen, doch SkullGreymon setzte zu einem neuen Prankenhieb an – dieses mal nahm es Noah direkt ins Visier.    „NOAH!“ Entsetzt preschte Armadimon los und kam neben dem jungen Studenten zum stehen.    „Dummkopf“, er setzte sich auf und hielt sich die Seite, scheinbar waren ein oder zwei Rippen bei dem Aufprall gebrochen. „Verschwinde von hier.“    „Niemals…“    Die Klaue von SkullGreymon krachte auf den Jungen und das Digimon und wirbelte eine Menge Staub auf.    Entsetzt fiel Alyssa auf die Knie und rang mit den Tränen. Sie konnte es nicht glauben; sie wollte es nicht glauben.    Plötzlich strahlte helles Licht unter der Kralle des Skelettberges hervor.    „Armadimon evolves to Rhinomon!“    SkullGreymons Klaue wurde ruckartig in die Höhe gestemmt und es sah verwundert auf seinen neuen Gegner herab.    Noah konnte kaum glauben was eben passiert war. Er hatte mit sich schon abgerechnet, aber dann leuchtete sein Digivice auf und Armadimon verwandelte sich. – War es denn überhaupt noch Armadimon?    Das schwer gepanzerte Digimon blickte über seine Schulter und nickte ihm zu.    „Also gut“, flüsterte Noah und versuchte aufzustehen. „Ich werde ein paar Karten benutzen, vielleicht haben wir ja Glück.“ Er konnte zwar Rhinomons Mund nicht sehen, aber trotzdem war er sich sicher, dass es ihm zulächelte.    Ohne ein weiteres Wort stürmte das tonnenschwere Säugetier-Digimon auf SkullGreymon los. Doch es wurde von diesem mit einem mächtigen Prankenhieb quer durch zwei Häuser befördert. – Dieses Mal hatte sich das Skelett-Digimon also nicht zurückgehalten.    „Komm schon!“, feuerte er Rhinomon an. „Lass dich nicht unterkriegen!“    Wie zur Antwort preschte es unter dem Schutt hervor und hielt unbeirrt auf SkullGreymon zu.    Noah griff nach einer Karte und zog sie durch das Digivice.    Das Horn von Rhinomon leuchtete in einem violetten Licht auf und an dessen Stelle befand sich nun eine gewaltige Klinge.    Der junge Student sah auf die Karte, die er eben durchgezogen hatte. „Excalibur?“    Die zwei Digimon trafen aufeinander und ein gequälter Aufschrei von SkullGreymon ließ die Menschen hoffen. In dem Bein des Skelett-Digimons steckte die Klinge und hatte für einen tiefen Riss gesorgt, aus dem kleine Teilchen aufstiegen.    Rhinomon war wieder im besitz seines ursprünglichen Hornes und stellte sich schützend vor die zwei Studenten.    „Das ist ein guter Anfang.“ Er holte eine weitere Karte hervor, deren Name für ihn gut klang. „Lass es krachen – Metall Attack!“    Rhinomon stürmte erneut los und für den Bruchteil einer Sekunde blitze sein Körper auf. Eine metallene Schicht hatte sich auf dem Körper des Digimons gebildet und ließ es nun völlig silbern aussehen.    SkullGreymon wollte es aufhalten, doch das tonnenschwere Digimon krachte mit voller Wucht in das bereits verwundete Bein und durchbrach sämtliche Knochen.    Für einen kurzen Moment fiel das Skelett-Digimon nach vorne, konnte sich dann aber doch mit seinen Klauen abstemmen. Wütend knurrte es Rhinomon an, das sich hinter ihm positioniert hatte.    Das Säugetier-Digimon wurde durch einen mächtigen Schwanzhieb in das Cafe geschmettert, das erstaunlicher Weise bisher noch keinen Schaden erlitten hatte.    „Jetzt mach schon!“    „Wir zählen auf dich!“    Die Stimmen beider Studenten schenkten Rhinomon noch einmal genug Kraft, um aus den Trümmern des Cafes hervorzubrechen. Auch wenn man es ihm nicht ansah, so war es doch schon am Ende seiner Kräfte angelangt.    SkullGreymon drehte sich zu dem Digimon um und beugte sich zu ihm hin, damit die Rakete ihr Ziel auch ja nicht verfehlte.    Nun hörten sie auch zum ersten Mal die Stimme von Rhinomon, als es zu einem Gegenangriff ansetzte. Sie klang hallend und voller Kraft. Noah lief ein freudiger Schauer über den Rücken.    „Atomic Burst!“ Rhinomon preschte wie auch schon zuvor los und dieses Mal glühten die Edelsteine auf seinem Helm auf und tauchten seinen ganzen Körper in gleißendes Licht.    Um es zu unterstützen, zog der junge Student eine Karte durch das Digivice und hoffte das Beste. „Counter Attack!“    Der Körper von Rhinomon dehnte sich aus und das Digimon raste in die Rakete, die auf es zuflog.    Für den kurzen Moment nach der Explosion, herrschte Totenstille. Doch dann preschte das gepanzerte Digimon aus der Wolke hervor, dessen Körper nun doppelt so groß war wie zuvor, und krachte in SkullGreymon rein, das darauf nicht vorbereitet war.    Die klägliche Gegenwehr von dem Skelett-Digimon schien Rhinomon nicht zu stören, denn es durchbrach mit dem Knochenberg voran mehrere Häuser und rammte es dann ohne Gnade gegen eine Felswand.      Armadimon lag mit dem Kopf auf Noahs Schoss, als es wieder zu Bewusstsein kam. Es blickte sich verwirrt um, denn sie befanden sich auf einer gepolsterten Sitzbank, in einem kleinen metallenen Raum, in dem ein ausgewachsener Mensch kaum aufrecht stehen konnte.    Alyssa saß neben Noah und streichelte dem Digimon sanft über den Kopf. „Wieder wach?“, fragte sie überflüssiger Weise und lächelte es an.    „Wo sind wir?“    Ein Mann im Anzug, der auf einer Sitzbank gegenüber von ihnen saß meldete sich zu Wort. „Außer Gefahr, solange du nichts anstellst, versteht sich.“    Armadimon blickte aus einem der seitlichen Fenster und konnte kaum seinen eigenen Augen trauen – sie flogen.    Die drei Kampfhubschrauber, der Marke Huges AH-64 Apache, jagten in geschlossener Formation durch die Luft und zerbrachen mit ihren Motoren die idyllische Stille der Wüste. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)