Eisblumenzauber von ScarletEye (OS über Ashuras Liebe zu Fye) ================================================================================ Kapitel 1: Eisblumenzauber -------------------------- Für KuroFye-fangirl – als kleines Ostergeschenk *~*~* Es war noch früh am Morgen, als König Ashura nach Leval zurückkehrte. Das Feuer im Kamin – eilig angezündet von hektischen Dienstboten, die die Heimkunft ihres Herrn erst einige Stunden später erwartet hatten – hatte seine Kraft noch nicht vollkommen entfaltet. In den Gemächern des Königs war es klirrend kalt, selbst für die Verhältnisse in Ceres. Zarte Eisblumen hatten sich auf den Fenstern ausgebreitet, trübten das Licht der kupferfarbenen Morgensonne, das, ohne Wärme zu spenden, schimmernd durch die Scheiben fiel. Der König schickte die Dienstboten fort, streifte mit einer nachlässigen Bewegung seinen Mantel ab und zog die Handschuhe von den Fingern. Tief tauchte er seine Rechte in die silberne Wasserschüssel auf dem Waschtisch, beobachtete aus leeren Augen die rosafarbenen Schlieren, die sich langsam, fast tanzend, anmutig wie zuckende Quallenschwärme, im kristallenen Wasser ausbreiteten, bis es sich zart purpurn gefärbt hatte. Seine Augen spiegelten sich dunkel in der aufgewühlten Wasseroberfläche, einen winzigen Moment lang graute dem König vor dem blassen Gesicht, das ihm aus der silbernen Schüssel entgegenstarrte. Er konnte sich an den Mord, den er heute Nacht begangen hatte, nicht einmal mehr erinnern. Er wusste, er war ausgeritten, um zu töten, hatte die winzige Försterhütte mitten in den dunklen Wäldern seines Reiches einzig und allein aufgesucht, um ihre Bewohner auszulöschen. Alle. Den Vater, die Mutter, die Kinder ... ja, selbst das Vieh in der Scheune. An die Tat selbst hatte er keinerlei Erinnerung. Er konnte es in seinen Fingern spüren, das Gefühl, mit der Hand in schlagende Herzen einzutauchen ... sie zum Schweigen zu bringen ... ihr warmes Blut auf der Haut, das langsam, mit dem letzten, zuckenden Pulsschlag zu erkalten drohte. Er konnte die Kraft spüren, die durch seine Adern jagte, mit jedem Leben, das er nahm, jedem Atemzug, den er von ersterbenden Lippen riss. Aber er konnte sich nicht erinnern, wie es geschehen war. Erst als sie alle schon tot gewesen waren, war er wieder zu Bewusstsein gekommen. Ashura hatte immer gewusst, dass es einst so kommen würde. Und doch ... Er hatte nicht geglaubt, dass es so schnell gehen würde. Keine Erinnerung. Nur Rausch und Tod und Blut ... Wie lange würde es dauern, bis er es nicht mehr kontrollieren konnte? Wie lange würde er noch er selbst sein können? Die Hand in der Waschschüssel begann zu zittern, und es war nicht wegen der Kälte. Der König bereute nicht, was er getan hatte. Aber er fürchtete sich ein wenig vor dem Ende, fürchtete sich vor der dunklen Wut in seinem Inneren, vor dem Monster, das hinter den samtschwarzen Augen lauerte, die ihn aus dem Wasser in der Schüssel dunkel und voller Zweifel anblickten. Er zuckte zusammen, als es ganz leise, zaghaft, an seine Zimmertür klopfte. „Ich habe doch gesagt, ich will nicht gestört wer-“, begann er unwirsch, doch die Worte zersplitterten mitten im Satz, als sein Blick in azurblaue, hastig niedergeschlagene Augen drang. „Fye!“ Ein Lächeln glitt über das gequälte Gesicht des Königs, während der Junge unsicher den blonden Schopf durch die Tür streckte. „Komm doch herein!“ Das Monster in seinem Inneren schloss die Augen, sobald es Fye erblickte, ruhte, schlummerte sanft in der Finsternis. Hastig zog Ashura die eben noch blutbefleckte Hand aus der Schüssel, trocknete sie an seinem Gewand und streckte sie dem Jungen entgegen, behutsam, vorsichtig, als versuche er, ein scheues, verschrecktes Tier anzulocken. „Mein König.“ Der Junge schloss lautlos die Tür hinter sich, sank in einer fließenden Bewegung auf ein Knie herab und senkte demütig den Kopf. „Verzeiht mir mein Eindringen, aber ... aber ich ... ich ...“ Er brach ab, wurde ein bisschen rot um die bleichen Wangen und biss sich unschlüssig auf die Lippen. Der König lächelte wieder. „Bist du gekommen, um mich zu begrüßen?“, fragte er freundlich. Schüchtern blickte Fye auf. „Majestät, ich bin so froh, dass Ihr wieder da seid ...“ Ein Hauch von Wärme durchdrang das in Dunkelheit getauchte Herz des Königs. Die Stimme des Jungen war leise, zögerlich, als wage er nicht, die Luft um ihn herum damit zu erschüttern, und doch lag eine aufrichtige Freude darin, die Ashura für einen Moment die Furcht in seinem Inneren vergessen ließ. Es ist um seinetwillen ... Der Gedanke hellte die Finsternis in seinem Bewusstsein auf wie ein Regenbogen an einem grauen Novembertag. Was immer geschieht, ich tue es für ihn ... Nur für ihn ... „Steh auf, Fye“, meinte er behutsam. „Du weißt doch, dass du nicht vor mir knien musst.“ Zaghaft erhob sich der Junge. Ein Hauch von Magie umwehte ihn wie ein unsichtbarer Duft von Lavendel und Rosenholz. Ashura hatte sie die ganze Zeit über schon gespürt, diese Kraft, sie war in die Wände des Schlosses gesickert, lag als honigsüßer Geschmack in der eisigen Luft und ließ seine Haut unter einem wohligen Schaudern erzittern. Ashura wusste, niemand im Schloss konnte es wahrnehmen, doch er selbst spürte Fyes Magie in jeder Faser seines Körpers als wäre es seine eigene. Der Junge musste die ganze Nacht über gezaubert haben. Und tatsächlich: Dunkle Ringe lagen unter seinen schönen, traurigen Augen. Er wirkte blass und fahrig, und das glänzende Haar schien noch zerzauster als sonst, als wäre er heute Morgen noch nicht dazu gekommen, es zu bürsten. „Ashura-sama“, meinte er jetzt, den Kopf noch immer gesenkt. „Ich ...“ Nervös suchte sein Blick den Ashuras, wich sofort schüchtern wieder aus und fiel auf den Fußboden herab. „Ich ...“ „Schon gut, Fye ...“ Langsam trat der König einen Schritt näher, strich dem Kleinen ermutigend übers Haar und ließ sich endlich selbst auf ein Knie sinken, damit seine Augen auf selber Höhe waren wie die des Jungen. „Du kannst mir alles sagen, das weißt du doch.“ Fye nickte zaghaft. „Ich ... ich habe eine Bitte an Euch“, brachte er endlich mühsam heraus, seinen ganzen Mut zusammennehmend. „Nur zu ...“ Ashura unterdrückte ein Lächeln. Am Anfang, gleich nachdem er ihn aus dem Tal geholt hatte, hatte Fye nie um etwas gebeten. Ja, er hatte kaum gewagt das anzunehmen, was man ihm von sich aus gab, selbst wenn es sich um so profane Dinge wie Wasser, Nahrung oder Kleidung handelte. Jetzt schien er sich einen Moment lang zu sammeln, zwang sich, dem König direkt in die Augen zu sehen und fragte dann, immer noch leise, aber doch deutlich an Selbstbewusstsein gewinnend: „Würdet Ihr ein Geschenk von mir annehmen?“ Ashura starrte verblüfft. Fye wirkte plötzlich sehr aufgeregt, nervös, wie ein Kind, das zum ersten Mal vorm Weihnachtsbaum steht. Amüsiert nahm der König es zur Kenntnis. Der Kleine mochte in Wahrheit um einiges älter sein als er aussah, doch in seinem Inneren war er noch immer jung, allzu jung vielleicht. „Aber natürlich ...“, beeilte sich Ashura zu sagen. Fyes tiefblaue Augen erhellten sich. Eifrig zerrte er etwas unter seinem Mantel hervor, verbeugte sich galant – und streckte es dem König entgegen. Ashuras Augen weiteten sich vor Erstaunen. Es war eine Blume. Eine winzige, zartrosa Blüte, deren leuchtende Knospen direkt aus einem handtellergroßen, kristallklaren Eisblock erblühten. Vorsichtig, fast ehrfürchtig, nahm er den Block entgegen, spürte die Kälte auf der Hand, die durch die Hitze seiner Haut nicht dahinschmolz. Es war eindeutig Eis, und doch streckte die kleine Pflanze ihm ihre weichen Blätter entgegen, als wäre sie soeben aus warmer Erde hervorgekrochen. Glitzernder, azurblauer Staub schimmerte auf ihrer Oberfläche, als hätten sich unzählige, winzige Sterne darauf niedergelassen. „Hast ... hast du das gemacht?“, fragte Ashura verblüfft, obwohl ihm Fyes Magie aus dem glänzenden Blütenkelch geradezu entgegenwehte. Fye nickte eifrig. „Ich ... ich habe ein Bild von dieser Blume in einem Buch gefunden“, erklärte er schnell. „Sie war einfach wunderschön ...“ Er senkte den Blick. „In Valeria habe ich nie Blumen gesehen“, erzählte er bedrückt. „Und ... und in Ceres ist es zu kalt für sie. Also ... also habe ich ...“ „Also hast du mit deiner Magie eine Blume erschaffen, die auch im Eis blüht?“, fragte Ashura behutsam. Fye nickte scheu. „Ich weiß, sie ist nichts Besonderes ...“, wisperte er errötend. „Im Buch war sie viel schöner, und ... und zuerst habe ich den Zauber auch nicht richtig hinbekommen, denn meine ersten drei Versuche haben nur wenige Minuten lang überlebt, bevor sie eingegangen sind ... Aber diese hier ...“ „Diese hier hat sich durchgekämpft“, vollendete der König nachdenklich und strich geistesabwesend mit den Fingerspitzen über den Eisblock in seiner Hand. Plötzlich schien ihm der Junge selbst wie diese Blume, und sein Herz verkrampfte sich in Schmerz und Bedauern. „Sie ist wunderschön, Fye“, flüsterte er mit Augen, die vor Rührung hätten weinen wollen, wären nicht all seine Tränen längst zu Eis erstarrt. Bewegt schloss er den Jungen in die Arme, und Fye zuckte nicht zurück, erschauderte nicht vor dem Monster in ihm. „Danke, Fye“, flüsterte der König, und war nicht sicher ob er das Geschenk oder Fyes Reaktion meinte. „Ashura-sama ...“ Die sonst so klare Stimme klang brüchig und erstickt. Der warme Körper in Ashuras Armen zitterte ein wenig. Schwer lehnte Fye den Kopf gegen die Schulter des Königs. „Was hast du?“, fragte der besorgt und schob den Jungen behutsam ein Stück weit von sich, um ihm ins Gesicht sehen zu können. Er sah sehr blass aus. Die großen, von Schmerz durchzuckten Augen wirkten trüb und verschleiert. „Nichts“, entgegnete Fye schnell. „Ich bin nur ... plötzlich sehr müde ...“ Taumelnd drückte er die Hand gegen die Stirn. „Du hast dich wohl ein bisschen überanstrengt, hmmm?“ Hastig streckte Ashura die Hände aus und fing den Kleinen auf, als diesem schwarz vor Augen wurde. Wie von selbst, als sei es das Natürlichste der Welt, sank Fye in seine Arme, vorsichtig hob Ashura ihn hoch und trug ihn in sein eigenes, von edlen Pelzen und seidenen Laken bedecktes Bett. Der Junge wimmerte ein wenig, als Ashura ihn in die warmen Felle wickelte, seinen Kopf in das weiche Kissen bettete und sich sorgältig davon überzeugte, dass er auch bequem lag. Aber er wachte nicht auf. Zärtlich strich Ashura ihm das wirre Haar aus dem Gesicht, ließ die Hand noch einen Moment lang auf seiner Stirn ruhen. Doch seine Haut war nur warm, nicht heiß. Kein Fieber ... Fye war einfach nur erschöpft, weil er die ganze Nacht über gezaubert hatte. Wahrscheinlich hatte er auch noch nichts gegessen, seit Ashura fortgegangen war. Der König seuzfte leise. Er musste wirklich mehr auf den Jungen achten, dachte er besorgt. Er war so zerbrechlich, so zart ... Sein blasses Gesicht schien in dem übergroßen Kissen fast zu verschwinden, und doch ... Seine Magie war stärker als alles, was Ashura bisher gespürt hatte. Vielleicht sogar stärker als seine eigene Macht. Heute Nacht hatte Fye seinem Körper zu viel zugemutet, dennoch würde er immer mehr an Kraft gewinnen, bis es nahezu unmöglich sein würde, ihn zu besiegen. Sorgenvoll biss der König sich auf die Lippen, strich dem Jungen durchs Haar, mit derselben Hand, die heute Nacht noch das Leben eines halben Dutzend Menschen ausgelöscht hatte. In derselben Nacht, in der Fye mit seiner Magie ein neues Leben geschaffen hatte. Ein seltsamer, ewiger Kreislauf ... Aber es würde nicht genügen. Ganz gleich, wieviele Leben er auch nahm, wieviel Tod er von ersterbenden Lippen trinken würde, Ashuras Kraft würde niemals größer sein als die des Jungen. Nicht groß genug, um den grauenvollen Fluch zu lösen, der auf ihm lag. „Es tut mir leid ...“, flüsterte der König voller Angst, während seine Finger noch immer durch Fyes weiche Haare glitten. „Es tut mir so leid, mein Junge ...“ Er würde etwas unternehmen müssen, um die Macht des jungen Magiers zu unterdrücken, und dann ... würde er weiter töten müssen. Das Monster in seinem Inneren knurrte in freudiger Erwartung, er konnte es zwischen seinen Schläfen hören, ein dumpfes, in Dunkelheit gehülltes Echo. Doch noch waren die Ketten, die das Monster hielten, stark genug. Noch würden sie nicht zerbrechen ... Ich muss noch eine Weile durchhalten ..., dachte Ahsura mit bang zusammengezogenem Herzen. Eine Weile noch muss ich ich selbst bleiben ... Zärtlich betrachtete er den schlafenden kleinen Zauberer in seinem Bett. Die blassen Lider hatten sich fest über die allzu traurigen Augen gelegt wie ein Leichentuch über im Tode erstarrte Körper. Wenn er schlief, dann sah der Junge fast wie ein gewöhnliches Kind aus. Dann konnte man das Grauen in seinem Blick nicht sehen, das sich tief in seine Seele gegraben hatte und dem unschuldigen, reinen Kindergesicht etwas sonderbar Ernstes, Bedrückendes verlieh. Ashura hatte Fye noch nie lächeln sehen. Immer war er ruhig und still, in sich gekehrt. Der König wünschte mit einem Mal nichts sehnlicher, als ein Lächeln über die bleichen Lippen des Jungen zucken zu sehen. Und er wird lächeln können ..., dachte er voll Zuversicht. Irgendwann wird jemand kommen, der ihn das Lächeln lehrt ... Aber dieser Jemand würde nicht der König sein. Er selbst würde dem Jungen nur weiteren Schmerz zufügen ... Unruhig krampfte sich seine Hand um den feinen Stoff der Bettdecke. „Es tut mir leid“, flüsterte er noch einmal. Doch er hatte keine andere Wahl. Er hatte es in seinen Träumen gesehen. Fyes Fluch ... und das gräßliche Leid, das daraus erwachsen würde. Fest presste Ashura die Kiefer aufeinander, bis er seine eigenen Knochen knacken hören konnte. Er würde es verhindern, würde es mit aller Macht verhindern, selbst wenn es Tausende von Leben kosten würde. Entschlossen zog er die Hand zurück. „Ashura ... sama?“, murmelte Fye verschlafen, als der König sich gerade entfernen wollte. Ashura hielt mitten in der Bewegung inne. Die Lider des Jungen flatterten, öffneten sich wie zwei zuckende Schmetterlingsflügel. „Ashura-sama!“ Mit einem Ruck setzte sich der Junge im Bett auf, sah sich hektisch um und errötete heftig, als er erkannte, wo er sich befand. „Verzeiht mir ... ich wollte nicht ...“ „Schon gut.“ Beruhigend legte ihm der König die Hand auf die Schulter. „Es ist alles in Ordnung. Leg dich wieder hin, ja? Sonst wird dir noch schwindelig ...“ Gehorsam ließ sich der Junge wieder in die Kissen zurücksinken, wirkte aber immer noch verlegen. „Es tut mir leid“, flüsterte er unruhig. „Ich wollte nicht einfach ohnmächtig werden!“ „Aber das ist doch nichts Schlimmes“, erklärte Ashura sanft und fragte sich gleichzeitig mit Entsetzen, was dem Kleinen wohl in der Vergangenheit alles widerfahren sein mochte, dass er sich sogar für diese winzige Schwäche derart schämte. „Geht es dir denn jetzt besser?“, erkundigte er sich behutsam. Fye nickte fest, die Wange ins Kissen gedrückt. „Tut dir auch bestimmt nichts weh?“ Ein heftiges Kopfschütteln ... „Das ist schön.“ Ashura lächelte erleichtert. „Ich bin wirklich froh, wenn es dir gut geht ...“ Die Augen des Jungen blickten fragend, als könne er nicht so recht glauben, was er da hörte. Ashura streckte schnell die Hand aus und ließ sie wieder durch Fyes Haar gleiten, eine Geste, die ihm plötzlich sonderbar linkisch vorkam. Wie konnte er diesem Kind nur begreiflich machen, wie sehr es sein Herz bewegt hatte? Wie konnte man einem Menschen, der nie erfahren hatte, was Liebe war, erklären, was er einem bedeutete? Wenn man doch selbst nichts als Tod und Wut und Mord zu kennen geglaubt hatte? Er seufzte tief. „Was ... was ist denn überhaupt passiert?“, fragte da Fye, in seine Gedanken hinein. „Ich ... ich bin vorher noch nie ohnmächtig geworden, wenn ich gezaubert habe.“ „Aber das war ja auch ein besonderer Zauber, nicht wahr?“ Ernst betrachtete Ashura den Block mit der Eisblume, den er auf dem Nachttisch abgestellt hatte. Die roséfarbene Blüte schimmerte blass im Halbdunkel des Schlafzimmers. „Du hast mit deiner Magie ein Leben geschaffen“, erklärte er, den Blick abwesend auf die Blume gerichtet. „Denn auch eine Pflanze ist ein Lebewesen, weißt du? Doch so ein Zauber kostet viel Kraft. Du gibst nicht nur deine Magie, sondern auch einen Teil deiner eigenen Lebensenergie auf, wenn du ein neues Wesen ins Leben rufst..“ „Meine ... Lebensenergie?“, wiederholte der Junge tonlos. Er hatte aufmerksam zugehört, seine Augen waren groß geworden, dunkel. Ashura nickte. „Aber keine Sorge“, versprach er lächelnd. „Du wirst dich bald wieder erholen.“ Fye reagierte nicht auf die Worte, schien sie gar nicht zu hören. „Und wenn ... wenn ich ganz viel von meiner eigenen Lebensenergie in den Zauber lege?“, fragte er aufgeregt. „Was dann, mein König?“ Ashura fuhr entsetzt zusammen. „Dann stirbst du“, entgegnete er mit brüchiger Stimme. Ernst schaute er Fye an. „Und deshalb darfst du so etwas nie, niemals tun, hörst du?“ Aber auch diese Worte erreichten den Jungen nicht. Wie gebannt starrte er auf die Blume auf dem Nachttisch. „Das heißt, wenn ich ... wenn ich sterben würde“, murmelte er mit seltsam flacher Stimme, fast wie in Trance. „Wenn ich mein eigenes Leben aufgeben würde ...“ Plötzlich zuckte sein Blick auf, und in seinen Augen brannte es, während er Ashura so intensiv fixierte, als wolle er ihn mit den Augen durchbohren. „Könnte ich dann meinen Bruder wieder zurückholen?“, fragte er zitternd, am ganzen Körper bebend vor einer Hoffnung, die Ashura schier das Herz zerschneiden wollte. „Nein“, entgegnete der König fest. „Nein, das ist unmöglich, Fye.“ Hastig schlug er die Augen nieder, um die flackernde Enttäuschung nicht sehen zu müssen, die über das Gesicht des Jungen schwappte. „Du kannst deinen Bruder nicht durch deine Magie wieder lebendig machen. Denn du willst doch nicht nur seinen Körper zurück, sondern auch seine Seele, nicht wahr?“ Fye nickte abgehackt. Die Hoffnung erlosch aus seinen Augen, langsam wie die ersterbende Glut eines verlassenen Herdfeuers. „Dann ... hat diese Blume, die ich euch geschenkt habe, keine Seele?“, fragte er erstickt. „Dann ist sie ... wertlos?“ Beschämt starrte er die wunderschöne, sanft glänzende Blüte auf dem Nachttisch an. Ashura schluckte hart, denn sein Herz fühlte sich plötzlich seltsam wund und zerrissen an. „Sie hat keine eigene Seele“, meinte er leise. „Aber sie besitzt einen Teil deiner Seele, da du sie für mich gemacht hast, um mir eine Freude zu machen. Und deshalb, Fye ...“ Behutsam legte er dem Jungen die Hand unters Kinn, zwang ihn auf diese Weise, ihn anzusehen. „Deshalb darfst du nicht schlecht über sie reden. Denn sie ist gewiss das schönste Geschenk, das mir je jemand gemacht hat, verstehst du das?“ Wieder krampfte sich ihm die Brust zusammen. Unsicher sah der Junge ihn an, dann, plötzlich, sprang er im Bett auf und legte mit einem unterdrückten Schluchzen die Arme um den Hals des Königs. „Ashura-sama ...“ Etwas in der Brust des Königs löste sich, während er zögerlich Fyes Umarmung erwiderte und sacht über den schmalen Rücken des Kleinen streichelte. „Mein König?“, bemerkte der Junge nach einer Weile schüchtern. „Darf ich ... darf ich Euch noch etwas fragen?“ „Natürlich ...“ Ashura ließ den jungen Magier los, setzte ihn aufs Bett zurück und legte ihm fürsorglich eine der Decken über die Schultern, damit er nicht fror. „Wenn ich meinen Bruder mit meiner Magie nicht wieder lebendig machen kann“, begann Fye mit gesenktem Kopf, „könnte ich dann wenigstens ... ein Wesen erschaffen, das ihn beschützen kann? So wie ich die Blume erschaffen habe?“ Nachdenklich zupfte er mit seinen schlanken Fingern an der Bettdecke herum. „Nur für den Fall, dass ich einmal nicht bei ihm sein kann“, murmelte er bekümmert. Ashura nickte innerlich. So würde es also geschehen, so würde jenes Mädchen entstehen, das er in seinen Träumen gesehen hatte. Das blonde Mädchen mit den goldenen Augen ... „Ja“, antwortete er abwesend, die Gedanken nach innen gerichtet. „Eines Tages wirst du eine große Kraft finden und mit dieser Kraft kannst du ein Wesen erschaffen, ohne zu viel von deiner eigenen Lebensenergie anzugreifen. Aber bis dahin ...“ Lächelnd wuschelte er dem Jungen durchs Haar, legte ihm dann, wie beiläufig, die Hand auf die Stirn und ließ seine Finger auf Fyes blassen Schläfen ruhen. „Bis dahin brauchst du dich mit dieser Art von Magie nicht zu beschäftigen“, flüsterte er sanft – und ließ, ganz vorsichtig, einen Hauch seiner eigenen Magie in Fyes Bewusstsein gleiten. Langsam breitetete sie sich dort aus, griff wie eine warme, schwarze Hand nach den Gedanken des jungen Zauberers und löschte alles, was mit dem Eisblumenzauber zu tun hatte, behutsam aus. Ashura hasste sich selbst dafür, Fyes Bewusstsein derart zu manipulieren, doch er hatte keine andere Wahl: Er konnte nicht risikieren, dass der Junge weiter mit solch gefährlicher Magie experimentierte, bevor er nicht die Feder gefunden hatte. Die Feder, die Ashura in seinen Träumen gesehen hatte – und die alles verändern würde. Fye blinzelte heftig, als der König die Hand zurückzog, die Augen waren leer, als erwache er aus tiefem Schlaf. Matt sank er aufs Bett zurück. „Majestät? Verzeiht, aber ... worüber haben wir gerade gesprochen?“, fragte er benommen. „Nichts.“ Ashura lächelte beruhigend, und es wollte ihm schier das Herz zwischen den Rippen hervorreißen, wie sehr der Junge ihm vertraute. Er hatte sich noch nicht einmal gewehrt ... „Nur darüber, dass du dich jetzt ausruhen solltest ...“, wisperte er sanft und strich wieder durch Fyes Haar. „Schlaf ein wenig, ja?“ „Hmmmm ...“ Die Lider des Jungen zitterten, fielen zu, öffneten sich wieder. „Ashura-sama?“, fragte er leise, während er sich, fast trunken von Müdigkeit, in die Kissen kuschelte. „Ja?“ Im Gesicht des Jungen zuckte es, fast als wolle er lächeln – und konnte es nicht. „Ich ... ich habe Euch sehr lieb“, nuschelte er halblaut, schon fast im Traum. Ashura beobachtete ihn amüsiert. Die Manipulation seines Gedächtnisses musste den Kleinen wohl ein bisschen verwirrt haben ... Aber das würde sich gewiss geben, sobald er ein wenig geschlafen hatte! Fürsorglich zog der König die Decke über Fyes Körper. „Ich habe dich auch sehr lieb, Fye.“ Sacht drückte er einen Kuss auf Fyes blasse Stirn, aber das spürte der Junge schon gar nicht mehr. Er war bereits fest eingeschlafen. „Eines Tages wird jemand kommen, den du noch viel lieber haben wirst als mich“, flüsterte der König tonlos und erhob sich leise. „Und damit nicht Schreckliches geschieht, während du mit dieser Person und den anderen auf Reisen bist, wirst du mich töten müssen, mein Junge.“ Bekümmert biss er sich auf die Lippen, wohl wissend, welches Leid er dem kleinen Magier in der Zukunft noch würde zufügen müssen. Aber noch war es nicht so weit ... Es war noch Zeit. Das Monster in seinem Inneren grollte lautlos, doch noch lag es in der Tiefe verborgen, in Dunkelheit. Lautlos verließ der König seine Gemächer und begab sich in die Bibliothek, um die Bücher zu verbergen, die Fye in der Nacht benutzt hatte, um ein künstliches Leben zu schaffen. Die Blume jedoch behielt er. Und das Monster in seinem Inneren verstummte – zumindest für eine Weile. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)