Try to set the night on fire von Kiru (Yakuza meets Göre...?) ================================================================================ Erste Begegnung --------------- Wortanzahl: 4.148 A/N: Das hier ist eine meiner leicht zu lesenden Fics, Lay ist mir mit der Zeit ziemlich ans Herz gewachsen, genauso wie Hitomi, und was Hakuei angeht... Ich glaube, da muss ich nicht viel sagen :D Ich hoffe, die FF gefällt euch und ihr lasst mich wissen, was ihr von ihr haltet ^___^ ~*~ „Völ-li-ger-Ab-sturz!“, sagte ich laut und in genau diese Silben unterteilt, während ich aufgebracht den Pappbecher in meinen Fingern zerdrückte. Ungeachtet dessen, dass die Cola, die noch darin war, gefährlich nah an den Rand stieg. Kanoma nahm mir das vermaledeite Ding aus der Hand und stellte es an die Seite. „Was denn? Wieder mal dein Vater?“ „Ja!“ Ich seufzte frustriert auf. „Kommt der gestern zu mir hin und sagt mir, dass er für ’ne Weile... verschwinden muss.“ Die letzten beiden Wörter flüsterte ich. Es musste ja nicht jeder mitbekommen, über was wir uns unterhielten. „Er weiß noch nicht, wie lange, vielleicht für einen Monat, vielleicht weniger, vielleicht länger.“ „Ist doch cool!“, freute mein Gegenüber sich für mich. „Dann hast du sturmfrei und kannst machen, was du willst.“ „Eben nicht cool.“ Ich schnitt gequält eine Grimasse. „Meinst du, er lässt mich unbeaufsichtigt für einen ganzen Monat in unserem Haus? Nach DEM hier?“ Ich zeigte auf das Piercing in meiner linken Augenbraue. „Er hat mir fast den Kopf abgerissen, als er es gesehen hat!“ „Also heißt das, dass er dir einen Babysitter da lässt?“, schlussfolgerte Kanoma breit grinsend. Ich lächelte ironisch. „Haha, sehr lustig. Genau das. Was denkst du denn? Und wahrscheinlich ist das auch so einer wie er selbst, total korrekt, im Anzug, so’n Schrank vermutlich oder so... Dann hab ich zwar meinen eigenen Bodyguard, aber mein Papa weiß trotzdem von allem, was ich mache. Das bringt’s auch nicht.“ „Tut mir leid, dass ich dich nicht bemitleide, aber Schadenfreude ist nun mal die schönste Freude“, bemerkte er schwach lächelnd. „Aber vielleicht kriegst du ja eine hübsche Brünette, die sich um dich kümmern soll...“ „Als ob.“ Ich hob eine Augenbraue. „Außerdem – was sollte ich dann mit ihr anfangen?“ „Tja, du kannst dich dann leider nicht um sie kümmern, überlass das dann am Besten Towa, der freut sich bestimmt...“ Ich wusste nicht, ob Kanomas Tonfall wirklich etwas abfällig war, oder ob ich mir das nur einbildete. „Als ob mein Papa irgendwelche Bräute kennen würde. Und als ob er die zu mir schickt – wenn er welche hat, dann nimmt er sie eher mit.“ „Wann siehst du deinen Babysitter denn das erste Mal?“ „Heute.“ Ich verzog das Gesicht. „Willst du nicht vorbeikommen, dann kannst du ihn dir ansehen.“ „Heute geht nicht, ich fahr gleich übers Wochenende meine Tante besuchen. Dann krieg ich Geld und endlich mal wieder richtig leckeres selbstgekochtes Essen. Dass ich fast auf dem Land wohn, ist dann nebensächlich. Dafür lohnt es sich richtig.“ „Hm. Schade. Towa ist auch weg, das heißt, ich hab eh ein einsames Wochenende. Na toll.“ Ich trank meine Cola aus und malträtierte den Becher anschließend weiter. „Mal schauen, wie der Typ oder die Tussi drauf ist. Vielleicht werden wir ja beste Freunde.“ Kanoma hob skeptisch eine Augenbraue. „Ich komm Sonntagabend mal bei dir vorbei. Wenn das Haus noch steht, gehe ich vom besten Fall aus, ja?“ „Kann ich dich wenigstens anrufen? Towa kommt nämlich nicht mal an ein Telefon dran.“ Er nickte. „Klar. Gib mir was zu schreiben, dann geb ich dir meine Nummer.“ „Ich hab nur einen Kajal griffbereit.“ „Ach, der geht auch.“ Ich war ein Scheißkind, kurz gesagt: Gerade mal achtzehneinhalb Jahre alt und fühlte mich schon wie volljährig, und daher benahm ich mich auch so. Ich soff und rauchte, ich ignorierte die meisten Verbote meines Vaters, lungerte bis spätnachts auf den Straßen herum, schminkte mich, färbte mir die Haare teilweise blond und ließ mir Piercings stechen. Ich hatte bereits eins im Kinn, eins im Nasenflügel und eins in der linken Augenbraue (ganz neu). Abgesehen davon waren meine Klamotten auch nicht gerade die bravsten. Ich hatte mich, zusammen mit meinen Freunden Kanoma und Towa, von der dunkleren Visual-Kei-Welle anstecken lassen und lief dementsprechend rum. Meinem Vater passte das gar nicht. Aber er erzog mich nicht so autoritär, als dass er ernsthaft etwas dagegen unternehmen konnte beziehungsweise wollte. Eigentlich mochte ich meinen Vater sogar, ich fand, er hatte nicht vollkommen versagt bei seinem Job, alleine ein Scheißkind wie mich aufzuziehen. Meine Mutter war bei meiner Geburt gestorben und nach ihr hatte mein Vater keine andere mehr geschwängert, sodass ich Einzelkind geblieben war. Ich war zufrieden damit. Insgesamt war mein Leben ohnehin äußerst angenehm, ich kackte in der Schule nicht völlig ab, hatte meinen Spaß und verstand mich zeitweilig auch mit meinem Vater. Was ich allerdings ziemlich lustig fand, war die Tatsache, dass unheimlich viele Leute mich nicht leiden konnten. Einige davon hatte ich aktiv provoziert, die anderen fühlten sich einfach nur so von mir angegriffen. Manche durch mein Aussehen, andere durch meine Wortwahl, wieder andere durch mein Verhalten. Wenige Erwachsene konnten etwas mit mir anfangen und noch weniger von meinen Gleichaltrigen. Ich amüsierte mich eher darüber, als dass ich mich ärgerte. Sollten sie doch denken, was sie wollten. Als ich um vier Uhr nachmittags nach Hause kam, erwartete mein Vater mich bereits ungeduldig. „Wo warst du so lange?“, fragte er mich leicht verärgert. Doofes Kind, dachte ich. „Ich hab mich noch mit Kanoma getroffen“, entgegnete ich schulterzuckend. „Warum hast du mir nicht gesagt, dass du später kommst?“ Ganz doofes Kind, dachte ich. „Ich weiß nicht. Hab’s vergessen.“ „Gott sei Dank muss ich das die nächsten Wochen nicht ertragen“, murmelte er seufzend. Scheißkind, dachte ich und musste lächeln. „Wann kommt er oder sie denn?“, erkundigte ich mich neugierig. Mein Vater sah mich einen Moment verständnislos an, dann verstand er, wovon ich redete. „Ach so. Keine Ahnung. Wenn ich abgeholt werde, müsste er eigentlich dabei sein. Vielleicht noch eine Viertelstunde?“ Er blickte auf seine Uhr. Okay, also ein Typ. „Wohin fährst du eigentlich?“ „Weg. Es ist besser für uns beide, wenn du es nicht weißt. Ich würde dich ja mitnehmen, weil es dort sicher ist, wo ich hinfahre...“ „Aber erstens würde dir mein Gelaber auf die Nerven gehen, zweitens sollte ich nicht noch öfter in der Schule fehlen und drittens würde das auffallen. Also beschaffst du mir einen Bodyguard.“ Ich musste grinsen. „Schon klar. Mach dir da keine Sorgen, solange mein Babysitter nicht ganz schrecklich ist, passt das schon. Rufst du denn wenigstens zwischendurch an? Sonst weiß ich gar nicht, was mit dir los ist.“ „Natürlich.“ Er lächelte mich väterlich an, was er selten tat, und zog mich an sich, was er noch seltener tat. Ich erwiderte die Umarmung und schloss die Augen, um den entfernten Geruch seines milden Parfums wahrzunehmen. „Mach bitte nicht allzu viel Unsinn, ja?“, flüsterte er mir ins Ohr. „Und mach dir keine Sorgen um mich. Ich komme so schnell wie möglich wieder zurück.“ „Alles klar“, erwiderte ich leise und lächelte, als er mich wieder los ließ. „Ich sag jetzt aber nicht, dass du dich auf mich verlassen kannst, weil wir beide wissen, dass das nicht stimmen würde.“ Bevor er die Chance hatte, etwas zu sagen, klingelte es an der Tür. Er warf mir einen halb tadelnden, halb amüsierten Blick zu, verließ das Wohnzimmer und öffnete. Ich hörte Stimmen und folgte meinem Vater, der sich mit jemandem, der mit dem Rücken zu mir stand, hastig unterhielt. Dann wandte er sich wieder an mich. „Pass auf dich auf“, wünschte er mir noch, drückte mir einen Kuss auf die Wange und verschwand mit einem Koffer in der Hand aus der Tür. „Ich meld mich!“, rief er noch, dann winkten wir uns zu und ich schloss die Haustür. Ein ziemlich übereilter Abschied, aber ich hielt eh nicht allzu viel von Melodramatik. Dann drehte ich mich zur Seite und musterte den Kerl neben mir, mit dem ich offenbar die nächsten vier Wochen verbringen würde. Ich war, gelinde gesagt, überrascht. Eigentlich stand ich kurz davor, ihn mit offenem Mund anzustarren, und er wirkte, als ginge es ihm ähnlich. Vor mir stand ein Typ mit Tattoos, Piercings, kaputten Klamotten, Deko und Schminke. (Mit Deko meinte ich zum Beispiel die Metallringe seitlich an seinem Oberteil oder die Ketten an seiner Hose. Nur mal so zwischendurch als Erklärung.) Er wirkte wie ein Yakuza, den man für ein VK-Event aufgestylt hatte. Ich fragte mich, was ICH wohl für einen Eindruck auf ihn machte. „Und du... bist SEIN Sohn?“, wollte der Kerl in genau dem Moment zweifelnd wissen und deutete mit dem Daumen in Richtung Tür. Ich grinste schief. „Obwohl er es am liebsten abstreiten würde, ja. Ich glaub schon. Und du bist mein Babysitter?“ „Nein. Ich bin Hakuei.“ Er hielt mir seine Hand hin. „Und du bist-“ „Ich bin Lay“, fiel ich ihm schnell ins Wort und schüttelte seine Hand. „Egal, was du über meinen Namen gehört hast, vergiss es, so heiß ich nicht. Ich reagier nur auf Lay.“ „Gut.“ Er zuckte erneut die Schultern. „Schon mal vorab – wenn du weggehst, will ich wissen wie lange. Du musst jederzeit erreichbar sein, egal wie. Wenn dein Handy-Akku stirbt, bist du selbst dafür verantwortlich. Du wirst dich nicht besaufen, keine Drogen nehmen und nicht die Schule schwänzen.“ Das alles wurde in ruhigem, aber dennoch ernsten Ton vorgetragen und es klang nicht wie auswendig gelernt – dadurch aber nur umso überzeugender. „Und... was, wenn ich das doch mache?“, wagte ich zu fragen. Hakuei fixierte mich ein paar Sekunden fest und verengte seine Augen. „Lass es einfach“, riet er mir kurzerhand. „Petzt du das sonst meinem Papa?“, fragte ich weiter. Das wäre kein Problem, da, wo er war, konnte mein Vater eh nichts ausrichten. Und bestrafen konnte er mich auch nicht. „Kennst du den Begriff Selbstjustiz?“, antwortete er mit einer Gegenfrage, woraufhin sein Blick etwas mitleidiger wurde. Er bluffte. Er konnte nur bluffen. „Du bluffst“, merkte ich an. „Willst du’s herausfinden?“ Damit wandte er sich ab und betrat unser Wohnzimmer. Okay. Das war schon mal absoluter Mist. Ich durfte mich nicht besaufen? Er wollte mich rund um die Uhr erreichen können? Na klasse. Das hatte er bestimmt nicht von meinem Vater. Oder? Ich wusste es nicht. Und was sollte das mit der Schule und den Drogen? Was störte ihn das? Stirnrunzelnd ging ich ihm hinterher und beobachtete ihn dabei, wie er interessiert die Glasschränke betrachtete und dann zum Bücherregal ging. „Bist du ein Yakuza?“, wollte ich wissen. Ich konnte es mir nicht länger verkneifen. „Ja“, erwiderte er knapp, ohne mich anzusehen. „Arbeitest du für meinen Papa?“ „Ja.“ „Hast du schon mal jemanden umgebracht?“ Er hob eine Augenbraue und sah mich kurz an. „Das geht dich nichts an.“ „Wie viele?“ „Mehr als du wissen willst.“ „Keinen einzigen“, meinte ich überzeugt. „Glaub, was immer du willst.“ Er nahm sich ein Buch und blätterte es flüchtig durch. „Warum arbeitest du für meinen Papa?“ „Weil er mir das Leben gerettet hat.“ Die Worte kamen ohne Emotionen, daher wurde ich langsam unzufrieden. Aber als er zielstrebig ein bestimmtes Buch in die Hand nahm, verstummte ich und musterte ihn. Er schlug es auf und überflog die handschriftliche und schwer lesbare Notiz schnell, ehe er das Buch wieder zurück stellte. Meine Mutter hatte es meinem Vater geschenkt, zusammen mit einer persönlichen Widmung darin. War es Instinkt gewesen, dass er es so schnell gefunden hatte, oder wusste er davon? Er nahm wieder Blickkontakt zu mir auf. „Wie alt war sie?“, fragte er mich, und es klang, als wollte er ein ‚noch gleich’ hinten anfügen. Er wusste davon. „Neunzehn“, gab ich zögerlich zurück. Ich war mir nicht sicher, ob es ihn etwas anging oder nicht. Hakuei nickte langsam. „Darf ich hier drin rauchen?“ Mann, hatte er komische Themenwechsel. Ich deutete mit dem Kinn zur Terrassentür. „Draußen. Hat lange gedauert, bis ich meinen Papa dazu gekriegt hab, aber jetzt zieh ich’s konsequent durch.“ Er nickte lediglich wieder und trat auf die Terrasse, während er sich eine Zigarette aus der Hosentasche fischte und diese danach anzündete. Er nahm zwei Züge, dann drehte er mir den Kopf zu (ich war ihm natürlich hinterher gegangen). Ich wusste nicht, ob er angepisst war, weil ich ihm die ganze Zeit nachlief, aber wenn, dann zeigte er es nicht. Ich musterte ihn neugierig. „Du wirkst wie jemand, der viel Aufmerksamkeit benötigt“, stellte er fest und blies etwas Rauch zur Seite. „Ja, das... stimmt schon.“ Ich musste grinsen. „Wenn ich dir auf die Nerven gehe, dann sag nur Bescheid. Vorher hör ich nämlich nicht auf.“ Er stützte sich auf das Geländer zum Garten hin und schaute etwa eine Minute nur schweigend geradeaus. „Ist aber nicht gesagt, dass du danach aufhörst“, murmelte er dann. Doofes Kind. Ich grinste breit. Nicht mal zehn Minuten, und schon war ich ein doofes Kind. Gute Zeit, fand ich. „Nein, das stimmt. Sag mal, warum hast du so viele Piercings?“ „Das hier-“, er zeigte auf das in seinem Nasenflügel, „-muss ich tragen, sonst könnte ich meine Stimme nicht mehr verstellen. Hier“, er deutete auf sein Kinn, „hat mich jemand angeschossen, aber die Kugel wurde von meinen Zähnen abgefangen, sodass ich nicht weiter verletzt wurde. Und ich hab mir gedacht, dass ich das Loch dann gleich nutzen kann. Und in der Augenbraue bin ich einmal beim Heimwerkern abgerutscht.“ Ich starrte ihn entgeistert an. „Willst du mich verarschen?“ „Yep.“ Er nahm einen weiteren Zug und blies einen Rauchring. Ich knuffte ihn in die Seite. „Hey, das ist gemein!“ „Blöde Fragen verdienen blöde Antworten“, entgegnete er ruhig und schien sich nicht daran zu stören, dass ich ihn geboxt hatte. „Warum denn eine blöde Frage?“ „Warum hast DU Piercings, hm?“ Er blickte mich wieder an. „Weil ich’s schön finde“, antwortete ich sofort. Hakuei machte eine Da-hast-du’s-Geste. Hm. Leuchtete mir ein. Ich drehte mich um und lehnte mich mit dem Rücken ans Geländer. „Darf ich auch mal?“, wollte ich bittend wissen. „Nein.“ „Warum nicht?“ „Weil du nicht rauchen solltest. Du bist noch jung. Achtzehn Jahre. Das ist kein Alter, in dem man rauchen sollte.“ „Das ist auch kein Alter, in dem man sich hemmungslos besaufen, f***en, Drogen nehmen, sich nachts um drei auf einer Mülldeponie herumtreiben, von einer Autobahnbrücke Wasserbomben schmeißen oder sich durch pure Leichtfertigkeit den Arm brechen sollte“, widersprach ich trotzig und grinste, als ich seinen Blick auf mir spürte. „Hey, ich hab nicht alles gemacht. Gut, alles bis auf eins. Den Arm hab ich mir vor einem halben Jahr gebrochen. Weil wir nachts noch Trampolin springen wollten, und da sind wir über einen Zaun geklettert und... na ja. Und wegen der Wasserbomben hätten wir ziemlichen Ärger gekriegt, wenn sie uns erwischt hätten. Auf der Deponie haben wir Dinge gesehen, die-“ „Aber du bist nicht abhängig, oder?“, unterbrach er mich eher beiläufig. Ich dachte kurz nach. Dass ich mich gerne betrank, wusste er bestimmt, das mit dem Arm, den Wasserbomben und der Müllhalde nun auch, und die Drogen hatte er erraten. Das hieß, er wusste jetzt, dass ich noch Jungfrau war, und schien sich kein bisschen dafür zu interessieren. Beides ärgerte mich irgendwie. „Nein. Ich hab nur ein paar Sachen ausprobiert.“ „Wenn ich dich erwische, wie du irgendwas nimmst, quetsch ich dein Hirn zusammen, bis es aus deinen Augenhöhlen wieder herauskommt“, versprach er mir ruhig, richtete sich wieder auf und drückte seine Zigarette in unserem Steinaschenbecher aus, der ständig voll zu sein schien. Dann ging er zurück ins Haus. Ich starrte ihm hinterher. Was zur... Ich wusste nicht, wie ich ihn einschätzen sollte. Er ließ sich nicht provozieren, schien mir nur halb zuzuhören, merkte sich aber höchstwahrscheinlich alles, was ich von mir gab, um es zu einem späteren Zeitpunkt gegen mich zu verwenden. Er verarschte mich, drohte mir und tat, als müsste ich Angst vor ihm haben. Er war zwar nicht gerade unfreundlich, aber die netteste Person war er auch nicht. Und er fand mich nicht konstant doof. Warum nicht? Ich ging ihm wieder hinterher und fand ihn in der Küche, wo er sich gerade den Inhalt des Kühlschranks besah. „Du-“ „Räum die Spülmaschine aus“, sagte er in meine Richtung, dann verschwand er wieder. Ich traute meinen Ohren nicht. Bitte? Ich sollte die Spülmaschine ausräumen? Warum das denn? Meinte er, jetzt, wo er auf mich aufpassen musste, dürfte er mich auch herumkommandieren? Die Spülmaschine ausräumen! Der hatte sie wohl nicht mehr alle. Kopfschüttelnd ging ich die Treppe hoch und betrat mein Zimmer. Da ich gerade eh nichts Besseres zu tun hatte, schaltete ich meinen PC an und surfte erst ein bisschen, bevor ich Counter Strike öffnete und anfing zu spielen. Gerade, als ich zum wiederholten Mal gestorben war, betrat jemand mein Zimmer. „Störe ich?“, wollte Hakuei wissen, wie immer gelassen. „Hm“, machte ich zur Antwort und drückte beinahe hektisch auf den Tasten herum, als ich respawnte. „Darf ich dir ein paar Fragen stellen? Wer hat bei euch vorher gekocht?“ „Mein Papa“, gab ich abwesend und ohne viel Nachdenken zurück. „Wer hat Wäsche gewaschen?“ „Auch mein Papa.“ „Wer hat die Wohnung um- und aufgeräumt?“ „Auch mein Papa.“ „Wer ist einkaufen gegangen?“ „Auch er.“ So langsam begann er, mich abzulenken. „Wer hat die Spülmaschine ein- und wieder ausgeräumt?“ „Auch.“ „Wie lange hat er durchschnittlich bei uns gearbeitet? Pro Tag?“ Sollte er das nicht selbst wissen? „Ein paar Stunden.“ Ich fluchte mehrfarbig, als ich erneut starb. „Vielleicht einen halben Tag, manchmal mehr.“ „Kurz – wer hat sich um den GESAMTEN Haushalt UND das Geldverdienen gekümmert und es dabei noch geschafft, ein Kind aufzuziehen, dessen Mutter gestorben ist?“ „Mein Papa natürlich.“ Ich runzelte die Stirn. „Was-“ „Dieses Netzwerkkabel wird im Safe eingeschlossen, wenn du nicht innerhalb von zwei Minuten dabei bist, die Spülmaschine auszuräumen.“ Entrüstet drehte ich mich zu ihm um. „Hey, ich hab vorher auch nichts gemacht, warum hast du jetzt auf einmal das Recht-“ „Weil ich mich unter keinen Umständen so ausnutzen lassen werde wie dein Vater“, unterbrach Hakuei mich beherrscht. „Ich habe nämlich keine Lust, mich für jemand so Undankbares aufzuopfern. Demnächst machst du, was ich sage.“ Er verließ mein Zimmer wieder. „Er hasst mich“, flüsterte ich in den Telefonhörer und spähte aus meiner Zimmertür, um sicherzugehen, dass Hakuei auch nicht davor stand. „Also doch ein er?“, fragte Kanoma interessiert. „Wieso hasst er dich? Findet er dich nur doof oder...“ „Nein, ich glaube, er hasst mich wirklich. Ich bin, soweit ich das mitgekriegt habe, kein doofes Kind, sondern ein Dreckskind. Er scheint mich wirklich nicht zu mögen.“ „Was hast du denn gemacht?“ Ich erzählte Kanoma von dem, was ich über Hakuei wusste, und von dem, was er mir gesagt hatte. „Er meinte wirklich ‚ausnutzen’... nutze ich meinen Papa aus? Das hat noch nie jemand zu mir gesagt.“ „Na ja, so, wie er es formuliert hat... klang es schon danach. Stimmt das alles denn wirklich? Dass dein Papa den ganzen Haushalt macht und so?“ „Bis ich vierzehn war, hatten wir noch eine Haushaltshilfe. Danach hat er alles übernommen, ja...“ Ich hatte überhaupt keinen Gedanken daran verschwendet. Ich war zu sehr mit meinen eigenen Problemen beschäftigt gewesen, als dass ich mich um meinen Vater sorgen konnte... „Tja, dann würd ich mich mal bei ihm bedanken, dass er dir das klargemacht hat. Aber sonst ist er ganz okay?“ „Abgesehen davon, dass er mir das Hirn zusammenquetschen will, ja.“ Kanoma musste lachen. „Das klingt echt voll cool.“ „Cool ist er auf jeden Fall. So ’ne richtige Ice Queen, lacht nicht, ist nicht allzu freundlich zu mir... aber mal schauen, vielleicht gibt sich das ja. Hoffentlich. Sonst wohne ich vier Wochen mit einem Eisklotz zusammen.“ „Na ja, ich glaub schon, dass sich da noch irgendwas ändern wird, wenn ihr euch erst länger ertragen habt... Ich will ja nicht angeben, aber ich dagegen werd die ganze Zeit von meiner Tante mit Geld zugestopft, richtig cool. Meinetwegen kannst du mal mitkommen, dir würde sie bestimmt aus Mitleid auch was geben.“ Ich musste lächeln. „Na vielen Dank, du verstehst es wirklich, mich aufzubauen.“ „Stets zu Diensten. Ach, worum ich dich noch bitten sollte – morgen trifft die eine, die Towa so heiß findet, Aya, sich mit ein paar anderen Kerlen. Kannst du dich da selbst einladen und ein Auge auf sie haben? Towa wollte sie sich nämlich nächste Woche krallen, wenn sie Geburtstag hat, und wenn sie ihm vorher schon weggeschnappt wird...“ „Klar. Kein Problem. Ihre Nummer hab ich ja, dann frag ich sie einfach.“ „Super. Ich bedank mich schon mal in Towas Namen.“ Nachdem ich die Spülmaschine ausgeräumt, mir eine Pizza zum Abendessen gemacht und erst mit Kanoma, dann mit Aya telefoniert hatte, saß ich noch etwa eine Stunde am PC, bis es mir endgültig zu langweilig wurde. Unzufrieden verließ ich mein Zimmer und ging nach unten ins Wohnzimmer, wo Hakuei auf einem der beiden Sofas saß und sich die Nachrichten ansah. Ich legte mich auf die zweite Couch und verfolgte das Geschehen eine Weile, bis auch das mir zu ereignislos wurde. Ich beschloss, Hakueis Stellung als Untergebener meines Vaters auszunutzen. Warum auch nicht? Sprach aus meiner Sicht nichts dagegen. „Haku?“, sprach ich ihn an. „Hakuei für meine Freunde, Haku für meine Feinde“, entgegnete er desinteressiert. Ich runzelte die Stirn. Ich wollte ihn aber nicht so nennen, wie alle anderen ihn auch nannten. „Ha-chan?“ Mit einem Blick, der hätte töten können, drehte er mir den Kopf zu. „Was ist?“, knurrte er leise. Bis jetzt hatte ich es noch nicht geschafft, ihn ernsthaft zu verärgern, und ich wusste nicht, ob ich das gleich am ersten Tag herausfinden wollte. „Ehm... warum genau musste mein Papa untertauchen?“ „Hat er es dir nicht gesagt?“, lautete seine Gegenfrage. Ich überlegte blitzschnell. Wenn ich ‚Nein’ sagte, würde er entgegnen, dass er es dann auch nicht machen würde, und wenn ich behauptete, dass ich es wieder vergessen hätte, würde er mir nicht- „Also nein. Sonst würdest du nicht fragen. Weil ich Mist gebaut habe.“ Perplex sah ich ihn an. Ich hatte nicht damit gerechnet, überhaupt eine Antwort zu bekommen. „Du?“ Er nickte und wandte seinen Blick wieder dem flimmernden Fernseher zu. Ich erwartete beinahe, dass er mich auf diesem Wissensstand sitzen lassen würde, aber nach ein paar Sekunden fuhr er fort: „Ich kann dir aber nicht sagen, inwiefern. Und es war auch nicht ausschließlich meine Schuld. Aber hauptsächlich bin ich dafür verantwortlich, dass der Che... dass dein Vater untertauchen muss.“ „Der was?“, wiederholte ich leicht grinsend. „Der Chef? Wolltest du ‚der Chef’ sagen? Wie niedlich.“ Hakuei rollte mit den Augen, entgegnete allerdings nichts. „Sag mal, ist es eigentlich lustig, für meinen Papa zu arbeiten?“, fragte ich weiter. Daraufhin bekam ich ein schiefes Grinsen zurück. „Lustig? Was glaubst du, was wir machen? Also lustig ist ganz bestimmt nicht das richtige Wort.“ „Was macht ihr denn?“, beharrte ich, ungeachtet der Tatsache, dass er unter Umständen dem Geschehen auf dem Bildschirm folgen wollte – das war irrelevant für mich. „Was glaubst du denn, was wir machen?“ Warum stellte er mir so viele Gegenfragen? Das irritierte mich. „Ehm... Schutzgeld eintreiben?“, schlug ich zögerlich vor. „Ist das alles?“ „Errr... Dealen?“ „Was noch?“ „Euch... mit anderen Clans streiten?“ „Also bitte. Das alles ist als Hauptbeschäftigung irgendwie niveaulos.“ „Woher soll ich denn wissen, womit ihr euch beschäftigt?!“, brach es aus mir heraus. „Mir sagt ja keiner was! Nicht mal mein eigener Papa will mir erzählen, womit er seinen Lebensunterhalt verdient!“ „Stört dich das ernsthaft?“, lautete Hakueis Gegenfrage. Inzwischen sah er mich wenigstens wieder an. „Ja! Ich dachte eigentlich immer, dass die Söhne der Clanchefs irgendwann mal deren Posten übernehmen würden, und dass sie schon viel eher eingeweiht werden, aber ich weiß fast GAR nichts!“, beschwerte ich mich wütend. Nur wenige Leute wussten, dass mein Vater ein Yakuza war. Towa und Kanoma wussten es, aber sie hatten keine Ahnung, dass er sogar der Clanchef und ein richtig hohes Tier war. Meine Lehrer und Lehrerinnen schienen es zu ahnen, da sie einiges an Respekt und Vorsicht an den Tag legten, wann immer sie mit meinem Vater sprachen. „Warum, meinst du, ist das so?“ „Ja offenbar will mein Papa nicht, dass ich nach ihm der Chef werde“, erwiderte ich das Offensichtliche, obwohl mir zum ersten Mal dieser Gedanke kam. Zumindest in der Form. „Und warum nicht?“ „Woher soll ich das denn wissen!?“ „Was glaubst du? Warum könnte dein Vater wollen, dass du kein Yakuza wirst?“ Ich machte den Mund auf, wieder zu, und wieder auf, dieses Mal mit gerunzelter Stirn. Warum sollte ich wohl kein Yakuza werden? Damit er den Posten des Chefs für sich allein hatte. Und rein aus Bosheit, damit sein kleines Scheißkind erstens keinen Unsinn machen kann; zweitens nichts zum Weitererzählen hat und drittens aus purer Schadenfreude, sodass es sich gehörig ärgert, außen vor gelassen zu werden. Jetzt, wo ich so darüber nachdachte, ergab das keinen Sinn mehr. Das konnten doch nicht die wirklichen Gründe sein. Oder? Wie ich meinen Vater einschätzte, hatte es ziemlich wenig mit Bosheit oder gar Schadenfreude zu tun. Sondern wenn, eher mit dem Gegenteil. „Denk darüber nach“, sagte Hakuei sanft und ging wieder dazu über, meine Existenz zu ignorieren. Arrogantes Sonstwas. Meinte, mir andauernd was über meinen eigenen Vater erzählen zu müssen... ...das ich noch nicht wusste. Hm. Wahrscheinlich kannte Hakuei ihn auf eine völlig andere Art als ich – mein Vater war sein Chef, ein Yakuzaboss. Da bekam man schon andere Dinge mit, als wenn man der Sohn war. Und vielleicht hatten sie ja auch über mich gesprochen... Unzufrieden und innerlich nicht richtig aufgewühlt, aber schon etwas in Unordnung gebracht, ging ich nach oben in mein Zimmer und setzte mich wieder an den PC. Ein paar virtuelle Gegner abzuknallen war jetzt genau das Richtige. ~*~ tbc~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)