Untermieter: Liebe von Foresight (Emma & Lewis) ================================================================================ Kapitel 1: Bad Hair Day ----------------------- Tiefe Furchen zeichneten sich auf seiner Stirn ab, als Kommissar Thorn das Wohnzimmer des Anwesens betrat. Routiniert verharrte er für einen kurzen Augenblick auf der Schwelle und ließ seinen Blick durch den Raum wandern. Edle Möbelstücke, hochmoderne, technische Ausstattung und weißer Marmorboden hatten den Kommissar bereits in der Eingangshalle der Villa begrüßt und schienen sich allem Anschein nach durch das gesamte Gebäude zu ziehen. Ein Luxus, den sich Ralph Wilders durchaus leisten konnte oder besser gesagt: hatte leisten können. Mit weit ausgreifendem Schritt umrundete Thorn die Wohnlandschaft und trat an den zerbrochenen Glastisch heran, in dessen Mitte der Hauseigentümer lag. Mit der rechten Hand fuhr sich der Kommissar nachdenklich über das Kinn, während er sich über den mit unzähligen Stichwunden übersäten Leichnam Ralph Wilders beugte. Dem Promiarzt aus Oklahoma war übel mitgespielt worden, wohingegen das nobel eingerichtete Wohnhaus allem Anschein nach nicht angerührt worden war. „Bericht?“, richtet sich Thorn, noch ehe er sich wieder zu seiner vollen, imposanten Größe aufgerichtet hatte, an einen nebenstehenden Kollegen. „Ralph Wilders, sechsundfünfzig Jahre, Hauseigentümer und alleiniger Bewohner. Geschieden, zwei erwachsene Kinder. Die Angehörigen wurden noch nicht benachrichtigt. Gefunden hat ihn die Haushälterin, Marianne Jackson, so gegen acht Uhr heute Morgen. Sie wartet mit einer Kollegin in der Küche.“ Mit einem Kopfnicken deutete der junge Mann in Richtung des Raumes, aus dem leise Stimmen und gedämpfte Schluchzer zu ihnen herüber drangen. Thorns Blick folgte der Geste kurz zur Küchentür, ehe er erneut einen großen Bogen durch das penibel aufgeräumte Zimmer beschrieb und schließlich am Gesicht des Rechtsmediziners ihm gegenüber haften blieb. „Kannst du schon was zur Todeszeit und -ursache sagen, Doc?“ Der Angesprochene, ein langjähriger Freund des Kommissars, begegnete seinem Blick stirnrunzelnd. „Ich denke, damit kann ich dienen. Der Todeszeitpunkt liegt etwa zwischen vier und fünf Uhr heute Morgen. Vermutlich war eine der Stiche in die Brust (mit dem behandschuhten Finger deutete er auf die Einstiche) todesursächlich, aber genaueres kann ich dir erst nach der Obduktion sagen.“ Thorn nahm die Informationen mit einem ungerührten Nicken zur Kenntnis und wandte sich wortlos in Richtung Küche, vorbei an seinen in weiße Anzüge gekleideten Kollegen von der Spurensicherung, die bereits damit begonnen hatten, das gesamte Anwesen auf ihrer Suche nach Spuren und Hinweisen auf den Kopf zu stellen. In der Küche angekommen, machte Thorn mit einem lauten Klopfen am Türrahmen auf sich aufmerksam, die forschenden Augen fest auf das bleiche Gesicht von Marianne Jackson gerichtet. Mit einem kurzen Kopfnicken in Richtung seiner Kollegin griff er nach einem der Stühle und ließ sich gegenüber der Haushälterin nieder. „Guten Morgen. Ich bin Kommissar Thorn, Kripo. Sie haben Mister Wilder heute Morgen aufgefunden, ist das richtig?“ Marianne, eine hübsche junge Frau von höchstens dreißig Jahren, nickte zögerlich. Ihre Augen waren stark gerötet und ihr Gesicht so blass wie die helle Bluse, die sie trug. Unruhig knetete sie ihre Hände im Schoß, zerknüllte dabei das Taschentuch, mit dem sie sich noch kurz zuvor die Tränen weggewischt hatte, nur noch mehr. „Ja, ich...“, entwich es ihr schluchzend. „Ich bin seine Haushälterin und … (wieder musste sie sich kurz selbst unterbrechen) … und ich komme jeden Mittwoch und Sonntag. Als ich heute Morgen hier ankam, war alles wie immer. Ich dachte zunächst, Herr Wilder sei schon an der Arbeit, aber dann - Ein schrilles Klingeln ließ Emma in ihrer Bewegung, einem herzhaften Biss in ihre Pizza Salami, innehalten und verärgert die Augenbrauen zusammenziehen. Es war Sonntagabend um kurz nach einundzwanzig Uhr, Krimizeit, und es gab eigentlich nur eine einzige Person, die um diese um diese Zeit etwas von ihr wollen könnte– und das nur, um nach ein bisschen Mehl oder Eiern für einen Kuchen zu fragen, der unbedingt noch an diesem Abend gebacken werden wollte. Debbys Leidenschaft für Kuchen und süßes Gebäck spiegelte sich allmählich auf ihren Hüften wieder und dennoch erfüllte alle paar Tage der Duft von frischgebackenem Kuchen den Flur und bahnte sich auch einen Weg unter Emmas Wohnungstür hindurch. Für einen kurzen Moment zog sie es in Erwägung einfach so zu tun, als sei sie nicht zu Hause. Da ihr Krimi aber just in diesem Moment von der Werbung unterbrochen wurde, schob sie ihren Teller beiseite und erhob sich, ein resigniertes Seufzen auf den Lippen, vom gemütlichen Sofa, auf das sie sich in weiten Jogginghosen gekuschelt hatte. Rasch schlug Emma die Decke von ihren Beinen und schlüpfte in ihre flauschigen Hausschuhe. Wenn sie sich beeilte, würde sie zumindest nicht allzu viel von der Serie verpassen. Das geräumige Wohnzimmer, der größte Raum der Dreizimmerwohnung, die sie noch vor kurzem mit ihrer besten Freundin geteilt hatte, war mit schnellen Schritten durchquert. Im angrenzenden, schmalen Flur warf sie im Vorbeigehen einen kurzen Blick in den Spiegel und begegnete einem blassen Gesicht, das sie spöttisch musterte. In ihrem Schlabberlook mit dem durch ein Haarband zurückgehaltenem Pony und dem verwuschelten Pferdeschwanz sah sie so aus, als sei sie nach einem durchgemachten Wochenende eben erst aus dem Bett gefallen. Wenn es ja wenigstens so gewesen wäre, huschte es zynisch durch ihre Gedanken, denn anstatt feiern zu gehen, hatte sie sich die ganze Woche mit den verhassten Erdbeertagen, wie sie immer zu sagen pflegte, rumschlagen dürfen. Wieder klingelte es an der Tür, länger und ungeduldiger wie es schien. Anscheinend hatte Debby es an diesem Abend besonders eilig. „Ich komm' ja schon, kleinen Moment noch!“, rief Emma daher der verschlossenen Tür entgegen, während sie sich von ihrem Spiegelbild löste und sich beim Umdrehen das Knie am Schuhschrank anschlug, für den im ohnehin schon engen Flur eigentlich gar kein Platz mehr war. Einen leisen Fluch auf den Lippen, rieb sie sich das schmerzende Knie und warf dem Möbelstück einen bösen Blick zu. Dabei konnte der Schrank genauso wenig etwas für Emmas Tollpatschigkeit wie auch Debby, die vermutlich bereits mit verschränkten Armen und ungeduldig mit dem Fuß wippend vor der Tür stand. Dennoch schimpfte sie insgeheim über Debbys Angewohnheit zu allen Tages- und Uhrzeiten backen zu wollen. Leicht humpelnd überbrückte Emma schließlich die letzten zwei Meter zur Tür, die sie hastig aufschloss. Ausnahmsweise verzichtete sie auf einen Blick durch den Türspion – immerhin konnte es sich bei dem abendlichen Störenfried nur um Debby handeln – und betete nur Sekunden später es doch getan zu haben. Eine breite, unter dunkelblauem Stoff verborgene Brust versperrte ihr die Sicht. Irritiert zogen sich Emmas Augenbrauen in die Höhe, während sie ihren Blick an dem jungen, gut gebauten Mann höher gleiten ließ. Nach und nach schoben sich ein markantes Gesicht, zu einem amüsierten Lächeln verzogene Lippen und verwuschelte, tiefschwarze Haare in ihr Blickfeld. Sturmgraue Augen blitzten ihr belustigt entgegen, als sich Emma, aus einem Reflex heraus, noch immer zum Teil hinter ihrer Wohnungstür zu verstecken versuchte. „L – Lewis?“, entwich es ihr überrascht. Von all ihren Freunden und Bekannten war er einer der letzten, mit denen sie an diesem Abend gerechnet hätte. Dennoch stand er nun live und in Farbe vor ihr, eine Hand lässig in der Hosentasche vergraben, mit der anderen den Gurt einer über die Schulter geworfenen Reisetasche haltend. Einer viel zu großen Reisetasche. „Ich dachte schon, du willst mich hier versauern lassen. Kann ich reinkommen?“ Ohne eine Antwort abzuwarten und noch immer ein amüsiertes Lächeln auf den Lippen, schob er sich an Emma vorbei in die Wohnung und steuerte geradewegs das Wohnzimmer an. Kurz darauf war gedämpft ein dumpfer Aufprall zu hören – vermutlich hatte er seine Reisetasche mitten im Raum fallen lassen – sowie ein genervtes „Guckst du schon wieder diesen Krimischeiß?! Nicht zu fassen, dass du dir das antust!“ „Hallo Lewis, freut mich auch dich zu sehen. Klar kannst du reinkommen“, brummelte Emma auf den leeren Gang hinaus. Hätte er sich nicht wenigstens vorher ankündigen können? An jedem anderen Tag hätte sie ihn mit offenen Armen empfangen, aber nein, er musste unbedingt dann aufkreuzen, wenn sie sich in ihrem Erdbeertagen-Schlabberlook befand. Es war zum aus der Haut fahren! Tief atmend schloss Emma die Tür und drehte routiniert den Schlüssel im Schloss, ehe sie ihrem Gast folgte. Mit vor der Brust verschränkten Armen blieb sie jedoch im Türrahmen stehen und beobachtet einen ihrer besten Freunde dabei, wie er es sich mit ihrer Pizza auf ihrem Sofa gemütlich machte und dabei durchs Abendprogramm zappte. Einige Minuten lang musterte sie schweigend Lewis' Profil, doch da er sich nicht weiter erklärte, ergriff sie schließlich das Wort. „Nicht, dass es mich stören würde, aber was machst du hier? Ich dachte, du wärst auf Fortbildung und kommst erst heute oder morgen nach Hause?“ „War ich auch, bis heute Nachmittag“, entgegnete er murrend und begnügte sich damit noch immer stur geradeaus in den Flimmerkasten zu starren. Erneut verfiel er ins Schweigen und für eine Weile waren nur die Stimmen aus dem Fernseher zu hören, in dem mittlerweile irgendeine Doku über die Tierwelt in Afrika lief. Lewis hatte die Hand mit der Fernbedienung sinken lassen und fuhr sich mit der anderen unwirsch durchs Haar. Tiefe Furchen zeichneten sich mit einem Mal auf seiner Stirn ab, während sich seine Lippen zu einem dünnen Strich verzogen. Mit besorgter Miene stieß sich Emma vom Türrahmen ab, ging um das Sofa herum und ließ sich neben Lewis auf dem Polster nieder. Vorsichtig berührte sie ihn am Arm und fuhr fast schon erschrocken zusammen, als er ihr ruckartig den Kopf zuwandte. Erst jetzt fielen ihr die dunklen Ringe unter seinen Augen auf und als er aufsah schien tatsächlich ein Sturm in seinen Augen zu toben. Wut und Schmerz waren für den Bruchteil einer Sekunde darin zu lesen, ehe Lewis sich zu einem Lächeln durchrang. „Du suchst doch einen neuen Mitbewohner und tja, hier bin ich! Da weißt du wenigstens, wen du dir in die Wohnung holst.“ Ein keckes Lächeln huschte über seine Lippen, während er sich ins Polster lehnte und seine Arme auf der Rückenlehne platzierte. „Heute Nacht kann ich ja auf dem Sofa schlafen und meine Möbel hol' ich dann die Woche nach der Arbeit, sieht ohnehin ein bisschen leer und einsam aus hier, seit Nicki ausgezogen ist. Ich hab' noch einen großen Wohnzimmertisch, der würde sich hier sicher gut machen und -“ Ungläubig machte Emma den Mund auf, um wenigstens irgendetwas zu sagen, doch alles was ihr über die Lippen kam, war ein irritiertes und völlig überfordertes „.... Was?!“ Kapitel 2: Five kinds of keeping silent --------------------------------------- „Na, ich zieh bei dir ein, du Dummerchen“, verkündete er eine Spur zu euphorisch, während er sich vorbeugte um Emma einen freundschaftlichen Stups gegen die Nase zu verpassen. Doch sein Finger blieb mitten in der Luft hängen, als Emma vor der Berührung zurückwich und ihm einen finsteren Blick zuwarf. „Das habe ich schon verstanden!“, entgegnete sie spitz. Gemeint hatte sie jedoch etwas anderes, wie er sehr wohl wusste. Doch anstatt eine Erklärung für seinen spontanen Besuch und seiner fixen WG-Idee abzugeben, schwieg er beharrlich. Und Emma tat es ihm gleich. So starrten sie einander an, während der Fernseher im Hintergrund ein neues, innovatives Putzmittel anpries und anschließend die Vorschau für den Montagabendfilm zeigte. Noch immer hatten sie kein einziges Wort gewechselt und langsam wurde das Schweigen unbehaglich, doch Emma würde den Teufel tun und diejenige sein, die es brach. Sie kannte Lewis inzwischen lange genug um zu wissen, dass etwas im Argen lag und hatte auch eine vage, ungute Vermutung, was das sein könnte, doch sie wollte es von ihm hören – für den unwahrscheinlichen Fall, dass sie falsch lag. Zwei Werbeclips später knickte Lewis ein. Seufzend fuhr er sich mit der Linken durchs Haar und schenkte ihr ein entschuldigendes, wenn auch schiefes, Lächeln. „Ich habe dich ganz schön überfallen. Tut mir Leid.“ „Allerdings. Also was ist los?“ Lewis Blick schweifte ziellos durch den Raum, ehe er schulterzuckend antwortete. „Ich muss einfach raus. Dringend! Oder hast du schon jemanden gefunden?“ Unglücklich ließ er die Schultern hängen und in seiner Stimme schwang eine Unsicherheit mit, die sie von ihm nicht kannte. „Dann … naja, wenigstens für ein paar Nächte? Oder zumindest eine?“ Von einer auf die andere Sekunde schien er in sich zusammenzusinken, als ob alle Kraft aus seinem Körper gewichen wäre. Das sanfte Lächeln, das sie so sehr an ihm liebte, war nun vollends aus seinem Gesicht verschwunden. Stattdessen wirkte er zutiefst verletzt und dafür konnte es eigentlich nur einen einzigen Grund geben. „Emmy, bitte …“, durchbrach er beinahe flehend die Stille und riss Emma damit aus ihren eigenen Gedanken. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie ihn die ganze Zeit über ungläubig angestarrt hatte. „Entschuldige.“ Rasch schluckte sie den Kloß in ihrem Hals hinunter. „Natürlich kannst du bleiben und es gibt auch noch keinen neuen Mieter, du hast also …“ Sich selbst unterbrechend stand sie rasch auf. „Wie klingen Pizza und Bier für dich?“ „Gut.“ Emma konnte weder Lewis‘ Erleichterung noch sein verdutztes Gesicht sehen, da sie längst in die Küche entschwunden war. Fünfzehn Minuten später hatten es sie es sich mit der Pizza auf dem Fußboden zwischen Emmas Couch und dem flachen Tisch gemütlich gemacht. Aus dem Bier war letztendlich ein Glas Cola geworden, da sie die letzten Flaschen bereits bei Nickis Auszug zusammen mit den Umzugshelfern geleert hatten. Das war nun drei lange Wochen her und obwohl Nicki schon in den Monaten davor kaum noch zu Hause gewesen war, kam ihr die Wohnung seither viel zu groß und einsam vor, Dennoch hatte sie sich bisher noch nicht dazu durchringen können ernsthaft nach einem neuen Mitbewohner zu suchen. Zudem behagte ihr der Gedanke, mit einer fremden Person zusammenzuleben, nicht besonders. Mit Lewis‘ Einzug würden sich diese Probleme jedoch in Luft auflösen – und dafür andere an ihre Tür klopfen. Aber darüber wollte sie sich im Moment lieber keine Gedanken machen, zumal sein Einzug noch gar nicht beschlossen war und vielleicht würde es auch gar nicht so weit kommen. Je nachdem wie ernst die Lage wirklich war. Da Lewis jedoch, trotz seiner Offenheit, nicht gerne über seine Probleme sprach, musste sie die Informationen möglichst vorsichtig aus ihm herauskitzeln. „Also …“ Mit einem verstohlenen Seitenblick auf Lewis schob sie ihren Teller von sich. „Du kannst bleiben so lange du möchtest und wenn du ein paar Nächte darüber geschlafen hast und immer noch hier einziehen möchtest, dann ka-“ „Ich habe sie mit David erwischt. In unserem Bett.“ „-nnst du gerne … Bitte was?!“ Fassungslos drehte sie sich zu ihm um und stieß sich dabei das Knie – zum zweiten Mal an diesem Abend – an der Tischkante an. Fluchend rieb sich Emma über die schmerzende Stelle, die morgen sicher in sämtlichen Blau- und Grüntönen schimmern würde. Als sie Lewis warme Hand an ihrer Wange spürte, sah sie jedoch irritiert auf. „Du bist ein Schaf.“ Schmunzelnd wischte er ihr eine kleine Träne aus dem Augenwinkel, dabei sollte sie diejenige sein, die ihm Trost spendete und nicht umgekehrt! „Es tut mir Leid …“ „Was? Dass du ein Schaf bist?“ Lewis warf ihr einen belustigten Seitenblick zu, den sie mit einem leichten Boxschlag gegen seinen Bauch quittierte. „Das habe ich nicht gemeint!“ „Autsch, das war hart!“ Theatralisch legte er beide Hände über die Stelle und beugte sich leicht vornüber. Offensichtlich nahm ihn die Trennung weitaus weniger mit als gedacht. Und sie hatte sich Sorgen um ihn gemacht! Doch das Grinsen verblasste ebenso schnell wie es gekommen war. Seufzend lehnte sich Lewis neben ihr mit dem Rücken ans Sofa, den Blick starr an die Decke gerichtet. „Das braucht es nicht“, ließ er nach einer Weile vernehmen. „Es lief schon lange nichts mehr zwischen uns. Ich hätte einfach viel früher die Reißleine ziehen sollen.“ Lewis ging in der Tat überraschend nüchtern mit der Trennung um und Emma ahnte, dass das eigentliche Problem Ricardas Seitensprung – oder war es sogar eine Affäre? – war, der ihm so zusetzte. Verständlicherweise. Sie wusste von Jan, dass es zwischen den beiden bereits in den letzten Monaten heftig gekriselt und die Trennung mehr als einmal im Raum gestanden hatte. Dennoch waren alle davon ausgegangen, dass die beiden noch die Kurve bekommen hatten. Alle bis auf Jan. Ihr Cousin hatte bereits vor knapp zwei Jahren prophezeit, dass diese Beziehung zum Scheitern verurteilt war. Offenbar hatte er Recht behalten. Zum Pech von Ricarda und zum Glück aller anderen. „Wenn du mich fragst, hat sie einen ziemlich schlechten Tausch gemacht! Kann nicht lange dauern, bis sie das geschnallt hat – allerdings gebe ich meinen neuen Mitbewohner dann sicher nicht mehr her!“ So verrückt diese Idee auch war, Emma hatte ihre Entscheidung längst getroffen und Lewis ebenso, seinem Schmunzeln nach zu urteilen. „Na das will ich doch hoffen!“ Lachend nahm sie ihm ihr Glas aus der Hand um mit ihm auf die neue WG anzustoßen. Kapitel 3: Coffee `n Cake -------------------------- Kaffeeduft lag in der Luft. Warm, aromatisch, verführerisch. Seufzend rollte sich Emma auf die andere Seite, atmete tief das himmlische Aroma ein, das sich unter ihrer Tür hindurchschob, und kuschelte sich tiefer in ihr Kissen. Was konnte es morgens schöneres geben, als von dem köstlichen Duft frischen Kaffees geweckt zu werden? Moment. Frischer Kaffee? Verwirrt runzelte sie die Stirn, weigerte sich aber weiterhin stoisch due Augen zu öffnen. So lange ihr Wecker noch nicht geklingelt hatte, musste sie auch noch nicht raus. Jede Minute, die sie morgens länger schlafen oder zumindest im Bett verbringen konnte, war Gold wert! Aber seit wann war Nicki so früh auf den Beinen? Normalerweise pflegte sie ihr Studentenleben ganz klischeehaft und war ein noch größerer Morgenmuffel als Emma selbst. Ergo kam es höchstens jedes Schaltjahr vor, dass Nicki zu solch früher Stunde durch die Wohnung wuselte und seit sie mit Jan zusammengezogen war gar nicht mehr. Wenn aber Nicki gar nicht mehr … wer kochte dann Kaffee? Ein energisches Klopfen an der Tür ließ Emma schließlich hochschrecken und es dauerte einen Moment, bis sie wach genug war, um die Stimme zuzuordnen, die ihr da ein vergnügtes „Musst du nicht an die Arbeit, Schlafmütze?“ durch die Tür zurief. Lewis. Ihr neuer Mitbewohner. Irritiert, noch immer vom Schlaf benommen, setzte sich Emma auf. Ihr Blick fiel dabei auf ihren Wecker, der seelenruhig und unschuldig auf der kleinen Kommode neben dem Bett vor sich hin tickte, verriet Emma, dass sie schlichtweg vergessen hatte sich den Wecker zu stellen. Sie würde zu spät kommen. Viel zu spät! FUCK! In Windeseile sprang sie aus dem Bett und riss die Tür auf. „Warum hast du mich nicht schon eher geweckt?!“, maulte sie den davorstehenden Lewis an, der lediglich unschuldig mit den Schultern zuckte, ehe sie auch schon an ihm vorbei im Badezimmer verschwunden war. Exakt dreizehn Minuten und fünfundvierzig Sekunden später stürmte Emma in die Küche, wo sie bereits von Lewis erwartet wurde. Seelenruhig schob er ihr eine Tasse Kaffee über den Tresen entgegen, während er sie belustigt musterte. „Ich habe noch nie erlebt, dass eine Frau so schnell fertig ist!“ Emma bedachte ihn mit einem strengen Blick. „Die anderen kennen meinen Chef noch nicht.“ Wenn sie sich jetzt nicht sputete, würde sie sich nachher eine Standpauke sowie einen ausführlichen Vortrag über Pünktlichkeit anhören müssen und auf beides konnte sie sehr gut verzichten. In aller Eile setzte sie die Kaffeetasse an und zuckte schon im nächsten Moment zurück. „Zu stark?“ „Nein, zu heiß!“ Dennoch kippte sie gleich den nächsten Schlick hinterher, während sie sich mit der freien Hand ihren Schal umzuwickeln versuchte. „Der Zweitschlüssel. Oberste Schublade im Schuhschrank. Den Vermieter ruf ich heute Mittag an“, informierte sie ihren neuen Mitbewohner zwischen zwei weiteren Kaffeeschlückchen. Doch der beobachtete nur weiterhin amüsiert ihr hastiges Treiben und als die Tür hinter ihr ins Schloss fiel, glaubte sie Lewis herzhaft lachen zu hören. Na prima, das ging ja gut los. Schon nach einer Nacht brachte er ihr Leben durcheinander! Aller Eile zum Trotz hatte Emma – natürlich – ihre S-Bahn verpasst und war fast eine Dreiviertelstunde zu spät in der Kanzlei Oesteritz aufgeschlagen, wo sie bereits von einer freudestrahlenden Christiane mit den Worten „Der Chef hat heute fraaaiiihei!“ begrüßt worden war. Allerdings schien sie damit ihr Glück für diese Woche vollumfänglich ausgeschöpft zu haben. Seufzend rührte Emma einen weiteren Löffel Zucker in ihren Milchkaffee und sah erst auf, als die Kellnerin einen Kuchenteller vor ihr abstellte. „Dankeschön.“ Sogleich griff sie nach der Gabel um sich einen Bissen ihrer heißgeliebten Käsesahnetorte in den Mund zu schieben. „Sieh an. Dem Kuchen schenkt sie ihre volle Aufmerksamkeit, aber uns ignoriert sie vollkommen!“ „Weißt du Nicki, wenn du dabei nicht so unverschämt grinsen würdest, könnte ich glatt ein schlechtes Gewissen bekommen.“ „Touchè.“ Abwehrend hob Nicki die Hand und warf Leonie, der dritten im Bunde, einen bedeutungsschweren Blick zu. „Immerhin ist sie jetzt wieder in unserer Sphäre angekommen.“ „Wir sollten uns glücklich schätzen!“, pflichtete diese nickend bei, während sie ihre Gabel beiseite schon und Emma nun mit weitaus ernsterem Blick musterte. „Also, um nochmal aufs Thema zurückzukommen… die Schwester einer Freundin, also Isas Schwester, die Isa, die ihr letztens auf Michaels Party kennengelernt habt, hat ein wenig Zoff mit ihren WG-Mädels seit die neue Mitbewohnerin eingezogen ist und -“ Emma tauschte einen fragenden Blick Nicki, die jedoch nur ahnungslos mit den Schultern zuckte. Wenn Leonie erst einmal ihre ohne Punkt und Komma Rede begonnen hatte, unterbrach man sie am besten gar nicht erst. „Egal, das ist eine lange, ziemlich lange Geschichte. Jedenfalls will sie sich jetzt eine neue Wohnung suchen und das aufgrund der aktuellen Umstände natürlich so schnell wie möglich. Isa hat erzählt, ihre Schwester sei schon total fertig mit den Nerven und würde vorübergehend ein paar Nächte bei ihr schlafen und - Wo war ich? Ach ja, sie sucht also eine neue Wohnung und tja, da kommst du ins Spiel! Du hast doch jetzt ein Zimmer frei.“ Mit auf den Tisch verschränkten Armen beugte sich Leonie vor und sah Emma erwartungsvoll an. Nicolle versuchte indessen ihr immer breiter werdendes Grinsen hinter ihrer Kaffeetasse zu verstecken. Emma räusperte sich verlegen. „Nun …“ Nervös strich sie sich eine vorwitzige Haarsträhne hinters Ohr, die sich aus ihrem Dutt gelöst hatte. Bisher war sie Lewis‘ Bitte nachgekommen und hatte zu niemandem ein Wort über seinen überstürzten Einzug gewechselt. Auch seine Trennung von Ricarda hatte sich nur langsam in seinem Freundeskreis herumgesprochen, weil er weder Mitleidsbekundungen hatte hören wollen, noch auf einen unerwarteten Besuch Ricardas erpicht gewesen war. Doch jetzt schien die Stunde der Wahrheit anzubrechen und allzu lange würden sie daraus ohnehin kein Geheimnis mehr machen können. Seufzend wollte sich Emma in ihr Schicksal ergeben, doch Nicki kam ihr zuvor. „Das Neuste weißt du ja noch gar nicht!“ Und damit hatte sie Leonies ungeteilte Aufmerksamkeit. „Lewis hat Ricarda endlich in den Wind geschossen -“ „Woah, ENDLICH! Das wurde aber auch Zeit!“ „Genau das waren auch meine Worte.“ Nicki fuchtelte mit ihrer Kuchengabel in Emmas Richtung, die sich nun selbst am liebsten hinter ihrer Tasse versteckt hätte. „Und jetzt rate, wessen neuer Mitbewohner er ist!“ Für einen Augenblick setzte eine peinliche Stille ein, in der ihre Freundinnen sich synchron zu ihr umwandten. Gedanklich klatsche sich Emma die Hand gegen die Stirn. Natürlich wusste Nicki längst Bescheid. Schließlich war sie mit Jan zusammen, Lewis‘ engstem Freund. „Nein…!“, hauchte Leonie in diesem Moment ungläubig. Ihr Blick schweifte von Emma zu Nicki und wieder zurück. „Doch!“, bestätigte Nicki euphorisch, wobei sie ihre Gabel mit einem siegessicheren Lächeln in den Kuchen rammte. Unwillkürlich zuckte Emma zusammen. Manchmal, aber wirklich nur manchmal, konnte Nicki einem Angst machen. Leonie auch. Denn genau in diesem Moment sahen sich die beiden Frauen verschwörerisch grinsend an. Stirnrunzelnd griff Emma nach ihrer Tasse, die sie mit beiden Händen umschloss. „Erwischt, würde ich sagen.“ Wenigstens hatten der Spießrutenlauf und das Versteckspiel nun ein Ende. Entschuldigend lächelte sie ihre Freundinnen an. „Sorry, dass ich nichts gesagt habe. Lewis wollte es noch nicht an die große Glocke hängen.“ Nicki winkte kopfschüttelnd ab. „Ich weiß, mach dir deswegen keinen Kopf. Ricarda hat schon ein paar Mal bei Jan angerufen und wollte wissen wo Lewis ist. Er hat ihm natürlich nichts gesagt. Aber wenn sie rausfindet, dass er bei dir untergekommen ist …“ Sie warf Emma einen bedeutungsvollen Blick zu, auf den hin sich ihr der Magen zusammenzog. „… flippt sie völlig aus“, beendete sie Nicolles Warnung. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)