Zukunftsglück - Realitätsverlust - Vergangenheitsschmerz von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Zukunftsglück - Realitätsverlust - Vergangenheitsschmerz Nun weiß ich, wie Wehklagen klingt. Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn die Seele bricht. Wenn der Schmerz so groß ist, dass er nur taub macht. Ich kenne mein Herz tot schlagend. Ich habe den Horizont gesehen, der sich verfinstert und an der eigenen Verzweiflung zu Grunde geht. Eingesogen in dem Strudel des Nichts. Ich habe Leere in meinem Körper gefühlt. Meine Lippen kosteten den Geschmack der Bitternis, soviel das mir immer noch übel davon ist. Es begann in einer Rosawelt - das Zukunftsglück. Irgendwie wusste ich es vorher. Eine Ahnung, tief in meinem Herzen. Wärme durchströmte meinen Körper, so als ob er vor dem Verstand die Freude genießen wollte und durfte. Ungeduldig wartete ich den Tag der Gewissheit hab. Hoffend. Ob ich guter Hoffnung sein durfte? Die Nacht war unruhig. Viel zu lange habe ich den Morgen mit jeder Sekunde herbei gesehnt. Genug gewartet, der Schlaf wollte ohnehin nicht eintreten. Aufgeregt schnappte ich mir die Packung auf meinem Nachttisch. Ich hatte keine Ahnung, dass drei Minuten so lange dauern konnten. Quälend langsam tickte der Zeiger der Zukunft entgegen. Rosa, eine Farbe wie jede andere. Heute sollte sie meine Welt in Wolken tauchen. Erst blass und unsicher, dann kräftig und mit Nachdruck. Mein Herz machte einen Hüpfer – schwanger! Ein leises Quieken, Freude die wie ein Feuerwerk in mir tobte. Ich musste mich selbst im Spiegel ansehen. Das breite Grinsen bestätigte. Du wirst Mama, beglückwünschten die strahlenden Augen. Voller Wonne kuschelte ich mich unter die Zudecke. Sanft schmiegte ich meinen Körper an meinen Mann. Zärtliche Finger forderten ihn sanft aus seinem Schlaf. Ein kurzes Aufstöhnen genügte mir. Ich konnte mich in meinem Glück nicht zügeln. Schließlich war es unseres. „Du wirst Papa“, flüsterte ich. Ein wohliges Seufzen und starke Arme, die mich liebevoll umschlossen. Wir schliefen beide nicht mehr. Strahlten bis zum Morgengrauen um die Wette und machten der Sonne ihren Rang streitig. Es war sie wirklich, die Rosarotewolkenwelt. Ich hatte das Gefühl vor Glück zu schweben. Alles und jeden wollte ich es wissen lassen. Ich wollte meine Freude teilen, verschenkte freimütig Herzlichkeit. Das Jahr war einziger perfekter Traum. Unsere überschwängliche Hochzeit am schönsten Frühlingstag des Jahres. Der Mädchenwunsch, nach dem glücklichsten Tag im Leben, hatte sich erfüllt. Er war es. Berufliche Anerkennung und die lang ersehnte Gehaltserhöhung folgten auf dem Fuße. Das Fundament einer Zukunft festigte sich. Im Herbst hatten wir dann unser zukünftiges Heim gefunden. Ein Nest wie es schöner nicht sein konnte. Wir schmiedeten Pläne, träumten gemeinsam. Heile Welt, ohne Makel. Jetzt war der Frauenwunsch zum Greifen nah. Ein Kind, eine eigene Familie. Perfekt. Die ersten rosa Wolken färbten sich nach ein paar Wochen grau. Blut war die Antwort, die Rechnung für all mein Glück. Das Gebot zunächst - Schonung. So wie sich die Wolken bedrohlich türmten, so mehrten sich meine Zweifel. Mein Körper schwebte nicht mehr, sondern schleppte sich schwer durch die Welt. Mit jedem Schritt begleitete mich Angst wie ein haftender Schatten. Ich sah nicht hin. Eisern hielt ich an der Hoffnung fest. Immer war ich Pessimist. Diesmal nicht. Ich glaubte mit all meiner Kraft, dass alles gut werden würde. Meine innere Stimme schwieg nicht. Sie sprach mit mir, mit uns. Ich hörte zu, und du? Ich halte dich! Ich gebe dich nicht her! Mein Mantra. Stärkend meine Hoffnung, führend meinen Glauben. Das Erwachen an jenem Morgen erfolgte nach dem Aufstehen nochmals. Blut. Zuviel davon. Die Sinne zum Bersten angespannt, wartete ich auf den Gott in Weiß, der das Urteil sprach. Grausamkeit die mein Leben zerriss. Ich wurde hinaus gestoßen, wie Luzifer aus dem Paradies - der Realitätsverlust. Nur dumpf drang die Stimme der Ärztin in mein Bewusstsein. Kein Herzschlag mehr. Meiner setzte in diesem Augenblick ebenfalls aus. Seit zwei Wochen bist du also nicht mehr gewachsen und ich trage dich tot in mir. Hatte ich es nicht immer wieder gesagt? Ich halte dich! Ich gebe dich nicht her! Ich habe Wort gehalten. Ich fiel in den Abgrund, der sich vor meinem Geiste auftat. Immer weiter, wartend auf den schmerzvollen Aufprall. Doch er kam nicht. Noch nicht. Morgen wärst du wieder eine volle Woche näher am Leben. Nun wird es der Tag sein, an dem alle Spuren deiner kurzen Existenz entfernt werden. Zitternd trugen mich meine Beine nach Hause. Mir war so kalt. Mein Gesicht schmerzverzerrt, die Augen voller Tränen. Sie brannten, genau wie mein Herz. Dunkle Schemen kreuzten meinen Weg. Fragende Blicke. Ich wollte alleine sein, mit mir und meiner kaputten heilen Welt. Der stumme Schrei in mir verlangte nach draußen getragen zu werden. Dem Schmerz einen Ausgang zu geben. Doch konnte ich es nicht. Der Schock saß zu tief. Erlösend schloss mich mein erschütterter Mann in seine Arme. Das war sie, die Tür in die Freiheit. Ich brach. Vollkommen. Wieder und wieder. Irgendwann hörte ich nur noch mein Echo. Jämmerlich, schwach, zerstört. Die Stimme, die zuvor so sehr festhielt, wollte nur eins - geh weg! Der Gedanke, meinen kleinen Schatz noch bis zum Morgen tot in mir zu tragen, war unerträglich. Ein Fremdkörper, nicht mehr zu mir gehörte. Es war der nackter Horror. Einer, der sich leise angekündigt hatte. Irgendwie hatte ich es geahnt. Fühlte ich mich nicht seit Tagen matt und krank? Jeder Schritt war zu viel. Anstrengung, die nicht normal war. Das Bauchgefühl ständig flau und Intuition die mir ständig dunkel zu flüsterte. Ignoriert. Es sollte ja alles gut werden. Die Nacht war ein einzig gelebter Albtraum. Ich wollte nur, dass er endete. Die Tränen versiegten bis zum Morgengrauen. Mein Blick war nicht mehr mit Trauer verhangen, sondern stumpf und leer. Der Weg zum Krankenhaus glich der meiner Hinrichtung, obgleich längst über mich gerichtet wurde. Die Unorganisation dort machte es für mein verwirrtes Seelenleben nicht gerade einfacher. Mühselig führte mich mein Mann von einer Station zur nächsten, auf der Suche nach der Endgültigkeit. Die Absegnung des Chefarztes sollte die letzte Salbung sein. Das Warten machte Wahnsinnig. Wahnsinn, der von Pein jäh in eine andere Dimension getragen wurde. Nun saß ich also hier, das Wartezimmer voll mit bunten Prospekten und Zeitschriften. Illustrierten, die von einer glücklichen Zukunft sprachen. Endlich Mama, Mutter und Kind, die ersten Schritte. Mir war einfach nur schlecht. Die Frau neben mir, mit ihrem dicken Bauch. Gegenüber der Säugling, der von seiner Mama fürsorglich im Arm gewogen wurde. Babylachen, das den Raum erfüllte. Gott, bitte lass es aufhören! Es war ein Spießrutenlauf. Nur durfte ich nicht laufen. Zum Warten verdammt. Wohin hätte ich auch flüchten sollen? Jede Ecke der Mutterkindstation hielt neue Grausamkeiten bereit. Ich konnte mich nur der Schwärze hingeben, die mich unaufhörlich in sich sog. Sachlich wurde mir die Wahrheit noch einmal zugetragen. Das letzte Wort war gesprochen. Die gleiche Prophezeiung, das gleiche Resultat. Der gleiche Schmerz. Natürlich, konnte dich doch all meine Liebe nicht wieder zum Leben erwecken. Das Warten endete und die Suche begann von vorne. Ein Bett, deine Totenbahre. Zunächst die Narkosebesprechung bei der Schwester. Ob sie auch meine Gefühle betäuben konnten? Jede Minute zog sich endlos dahin. Wieder Wahnsinn, der nach mir griff. Das Ausmaß diesmal intensiver, vernichtender. Eine süße Stimme mit grausamen Inhalt, gesprochen aus dem lieblichen Gesicht der jungen Schwester, durchschnitt die Stille in mir. "Sie wollen also bei uns entbinden lassen?" Worte die mich erdolchten. Ausschaben lassen möchte ich! Mein eigenes totes Fleisch, welches ich seit zwei Wochen unter meinem Herzen trage! Zu dem Schmerz gesellte sich der Hass. Hätte dieses dumme Ding denn nicht sorgsamer die Akte lesen können? Soviel Wut, doch ich blieb stumm. Ich war zu schwach um aufzubegehren. Der leise Kummer in der Erklärung meines Mannes legte sich schwer auf meine Seele. Ich war nicht allein in meiner Not. Trost der keiner war, sondern mich nur mehr in den Abgrund zog. Ein Engel in Blaugrün erwartete mich an der Pforte zur Hölle. Ein gleißendes Licht war das Letzte was ich mit dir sah. Als ich die Augen wieder aufschlug, war ich in ihr angelangt. Allein. Endgültig im Hades gefangen, die Marter des Verlusts erleidend. Der Segen, sich nun befreit zu fühlen, war mein Fluch. Ich verlor mich selbst in meiner eigenen Leere. Sie wird bleiben als ein Teil von mir - der Vergangenheitsschmerz. Die Tränen trockneten irgendwann. Die Augen wurden klarer, der verschwommene Blick wieder freimütig schweifend. Doch immer noch bewege ich mich wie ein Seiltänzer auf dem schmalen Grad zwischen sein und vergehen. Das Nichts lockt, ständig. Irgendwie glaube ich noch an das Glück. Auf den Boden der Realität gezwungen, bleibt mir auch nichts anderes übrig, um der Trostlosigkeit zu entkommen. Doch fehlt zumeist die Kraft weiterzugehen. Es ist die erbarmungslose Anziehung, die mich in der Vergangenheit festhält. Eingesperrt in meinem eigenem Spiegelkabinett der Seele. Sehend nur was hinter mir liegt. Ich kann meinen Kopf nicht abwenden. Würde ich nach vorne blicken, müsste ich dazu meinen Hals verdrehen. Ich hadere mit mir und dem Schicksal. Die magische Zahl drei. Es sind immer drei Dinge. Hochzeit im Frühling, berufliche Anerkennung im Sommer, neues Heim im Herbst. Die Zukunft durfte kommen. Doch der Winter brachte nur den Tod. Das Vierte war vielleicht zu viel verlangtes Glück. Zu viel für einen allein. Unbedacht vom Schicksal gestreut. Kaltblütig wieder genommen. Hatte ich erwähnt, dass ich immer sehr sensibel war? Immer feinfühlig und oft zu empfindlich für meine Umwelt. Jetzt hat sich etwas in mir verhärtet. Es ist das Herz, das krampft. Immer noch festhaltend. Es weigert sich loszulassen. Vielleicht für immer. Es liegt zurück, es ist ein Teil von mir. Ich gehe im Hier und Jetzt. Wünschend, auf rosa Wolken. Sehend, nur die grauen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)