Promises von lady_j ================================================================================ Kapitel 1: Promises ------------------- You got me so wild, How can I ever deny? You got me so high, So high I cannot feel the fire. And you keep telling me, Telling me that you’ll be sweet, And you’ll never want to leave my side, As long as I don’t break these... Promises …and they still feel all so wasted on myself. die welt zerfällt in farben ziehen vorbei und verschwimmen ineinander aufgelöst, konturlos – ich bin wasser schlägt in mir wellen der bässe rhythmus lotst mich durch die menge. was ist real bin vielleicht ich vielleicht die welt und wirklichkeit verschwinden… „Hey!“ Ich blinzele und nehme die Kopfhörer ab, schiebe sie in den Nacken. Die Töne, die eben voll und tief waren, dringen nur noch verzerrt an meine Ohren. Ich spüre das sanfte Vibrieren des Basses an meinem Hals. „Kai Hiwatari…“, sagt die Stimme, die es geschafft hat, bis zu mir vorzudringen. Ich drehe den Kopf und muss gegen die Sonne blinzeln. „Rei Kon“, stelle ich überrascht fest. Wir haben uns ja verdammt lange nicht mehr gesehen. Er sieht gut aus, wie immer. Ein braungebrannter, athletischer Beau; exotisch, trotz seiner schwarzen Haare. Wenn du ein Mädchen bist, ist es unmöglich, nicht auf ihn abzufahren –selbst wenn du behauptest, du würdest auf Bad Boys stehen, schmilzt du bei seinem schiefen Lächeln dahin. Wenn du ein Junge bist, würdest du töten, um nur für einen Tag seine Ausstrahlung zu haben. „Was machst du hier?“ Er fragt zuerst; vielleicht, weil er generell gesprächiger ist. Aber meine Reaktionszeit ist noch viel zu lang. Entschlossen greife ich nach meinem Handy und schalte die Musik aus. Endlich eine irdische Geräuschkulisse, die von Verkehr und viel zu vielen Menschen. Erst jetzt sehe ich wieder völlig klar. „Takao gibt im Park eine Beyblade-Stunde“, antworte ich schließlich und Rei hebt erstaunt die Augenbrauen. „Schon wieder?“ „Immer noch. Inzwischen bezahlt ihn die BBA dafür. Komm mit, er wird sich freuen. Oder hast du was anderes vor?“ „Nein.“ Rei schiebt die Hände in die Hosentaschen und geht neben mir her. „Ehrlich gesagt bin ich sowieso hier, um Urlaub zu machen. War ganz spontan, deswegen habe ich mich nicht angekündigt. Wenn ich dich nicht getroffen hätte, hätte ich in den nächsten Minuten einen von euch angerufen.“ „Hm“, mache ich. Bei Rei bin ich mir sicher, dass er es als Zustimmung versteht. Er ist da unkomplizierter als Takao, der seit Ewigkeiten versucht, mir beizubringen, auf seine Frage in ganzen Sätzen zu antworten. Rei grinst mich breit von der Seite an. Ich erwarte einen Kommentar á la „Du hast dich wirklich nicht verändert!“, doch der bleibt zum Glück aus. So etwas hört man ständig von ehemaligen Bladerkollegen, wenn die erfahren, dass man einen nicht geringen Teil seiner Freizeit immer noch in der Nähe von Bey-Arenen verbringt. Und das, obwohl ich einer der ersten Blader war, die damals aufgehört haben. Bei Takao ist es niedlich bis selbstverständlich, dass er sein Hobby zum Nebenjob gemacht hat. Ich kriege immer nur die mitleidigen Blicke und Bemerkungen ab. Aber ich wäre ja nicht Kai Hiwatari, wenn mir das Ganze nicht am Arsch vorbei gehen würde. Der kurze Gang durch die Sonne reicht aus, damit wir beide durchgeschwitzt sind. Im Schatten der Bäume wird es endlich kühler, und Rei atmet erleichtert aus. „Und bei dem Wetter will Takao bladen?“, keucht er und ich hebe die Schultern. „Vermutlich treffen wir ihn und seine Schüler am Eisstand“, meine ich und wir werfen uns ein verschwörerisches Lächeln zu. Es wäre ja nicht das erste Mal. Doch dann bleibt Rei plötzlich stehen. „Was ist?“, frage ich. Er steht da wie ein Reh im Scheinwerferlicht und sieht mich mit gerunzelter Stirn an. „Hörst du das?“ Ich seufze. „Natürlich nicht, Catboy, meine Ohren sind lärmgeschädigt.“ „Beyblades“, klärt er mich auf, „Und es hört sich nicht gerade nach einem Amateurkampf an.“ Das genügt. Automatisch beschleunigen wir unsere Schritte und eilen in Richtung der Arenen. Irgendwann höre auch ich das Geräusch von Metall auf Metall. Rei hat Recht: Das klingt eher nach einem Profimatch als nach einem kleinen Übungskampf. Die Schlagintervalle sind viel zu kurz. Wahrscheinlich denken wir beide das gleiche: Worauf hat Takao sich da wieder eingelassen? Einige der jungen Spunde sind inzwischen auf einem verdammt hohen Niveau, und das nicht nur in Japan. Vielleicht ist mal wieder irgendein neuer Herausforderer aufgetaucht, der dem einzigen dreifachen Weltmeister der Szene ans Leder will. Aber davon einmal abgesehen –es ist vollkommen ungesund, sich bei solchen Temperaturen einen ernsthaften Kampf zu liefern. „Ich sag dir was“, murmelt Rei, „Wenn der sich an meinem ersten Urlaubstag Ärger einhandelt, bin ich sauer!“ In diesem Moment kommt die Arena in Sicht. Es ist tatsächlich Takao, der da fröhlich seinen Blade kreisen lässt. Aber sein Gegner ist keine unbekannte, vermummte Gestalt, wie sonst immer. Es ist Hiro. Auf einmal will sich keines meiner Glieder bewegen. You got me so wild, How can I ever deny? Das Glas kühlt meine Stirn. Es regnet in Strömen und im Bus ist die Luft schwer und feucht. Ich starre nach draußen, wo das Wasser alles zu Schlieren verwischt. das licht ist flüchtig keimen gedanken auf und versinken wird alles, ich brauche nur zu warten. Ich gehe die leere Straße entlang und der Regen lässt mich ganz erkalten. Gänsehaut überzieht meine Arme, doch ich habe jedes Gefühl für Temperatur verloren. Es ist egal. Ich könnte die Augen schließen und mich von dem Rhythmus leiten lassen, der in mich strömt, bis ich meinetwegen irgendwann gegen eine Wand laufe. tropfen schlagen mir auf die wimpern ziehen meine lider zu langsam löse ich mich auf… Stille. Das Lied ist zu Ende. Mein Mund ist geöffnet. Ich habe automatisch angehalten. Ziehe die Augenbrauen zusammen. Urplötzlich spüre ich die Kälte und meine Hände wandern wie von selbst zu meinen Oberarmen. Über den Gebäuden haben sich die Wolken noch dichter zusammengeballt. Ein erster Blitz zuckt über dem Himmel und bringt mich endlich zur Besinnung. Ich beeile mich, renne die letzten Meter und gleich noch die Treppen im Haus nach oben zu meiner Wohnung. Erst dort bemerke ich, wie nass ich wirklich bin. Meine Kleidung tropft, doch als erstes kümmere ich mich um die teure Technik an meinem Körper: die Kopfhörer. Auch sie triefen, und ich hoffe inständig, dass sich ihr stolzer Preis nun auszahlt. Erst unter der Dusche erlaube ich mir, über Hitoshi nachzudenken. Nach all der Zeit lässt er sich endlich wieder blicken, und ich merke, dass ich eigentlich nur darauf gewartet habe, diesen großen, dunklen Mann wiederzusehen. Ich kann nicht anders, ich grinse breit der gefliesten Wand entgegen. You got me so wild… Zwischen uns hat es irgendwie immer…geknistert. Ich mag es, ihn so lange zu reizen, bis er die Fassung verliert. Er tut immer so, als wäre er die Ruhe in Person, dabei kann er binnen Sekunden zur Diva mutieren und alle anzicken. Und das bei seiner Statur. Aber ich weiß, dass er sich gerne von mir aufziehen lässt. Es ist wie ein Spiel, das so aussieht, als würden wir testen, wer von uns der „Stärkere“ ist –aber irgendwie geht es doch noch um etwas ganz anderes. Manchmal glaube ich, ich kann Sympathie nur bekunden, indem ich die jeweilige Person trieze. Dann müsste ich aber total verrückt nach Hitoshi sein. Vielleicht stimmt das ja auch. Ich kann mich an seinem wütenden Gesicht einfach nicht satt sehen. How can I ever deny? Kurz nachdem ich aus dem Bad komme, ruft Rei an. Ich setze mich auf die Couch und zappe durch das Fernsehprogramm. Draußen entlädt sich immer noch das Gewitter, das uns die drückende Hitze am Nachmittag beschert hat. Aber der Regen hat schon nachgelassen und mit etwas Glück ist in einer halben Stunde alles vorbei. Als ich abhebe, läuft gerade eine Kochshow. „Takao will Party machen“, sagt Rei, „Er nervt mich die ganze Zeit damit, aber ich hab keine Lust, als einziger mitzugehen.“ Ich brumme zustimmend. Allein mit Takao unterwegs zu sein ist eine Qual. Er geht ständig verlustig, und du bist den ganzen Abend damit beschäftigt, ihn zu suchen, damit er ja nichts Dummes anstellt. Er hat da wirklich ein Talent für. Ich schalte weiter. Verkaufssendung. Deswegen ist es immer besser, in einer Gruppe unterwegs zu sein, wenn Takao dabei ist. Dann kann man abwechselnd ein Auge auf ihn haben. Krimi. Tierdoku. „Naja, ich weiß nicht…“, meine ich gedehnt. „Hitoshi sagt gerade, er kommt auch mit“, ergänzt Rei, „Ich weiß ja nicht, ob dir das bei deiner Entscheidung hilft, aber ich glaube, der große Bruder könnte Wunder in Sachen Takaos Verhalten wirken.“ „Hm, könnte durchaus passieren“, murmele ich. Musikvideos. Yay. Ich lege die Fernbedienung weg. Dann ein Rascheln auf der anderen Seite der Leitung. Ich werfe einen Blick auf mein Handy, doch der Empfang ist gut. Als ich es wieder ans Ohr lege, höre ich noch ein undeutliches „Hey!“ von Rei, bevor eine andere, vertraute Stimme spricht. „Du solltest wirklich mitkommen“, sagt Hiro und ich spüre, wie sich alle Härchen an meinem Körper aufstellen. „Wenn du meinst?!“, entgegne ich und merke zufrieden, dass auch ich die richtige Tonlage auf Anhieb gefunden habe: Wenn ich leiser spreche, klinge ich automatisch etwas heiser, und bis jetzt habe ich noch niemanden getroffen, der das nicht in irgendeiner Weise erotisch fand. „Tue ich.“ Ich sehe sein Gesicht praktisch vor mir. Dieses schiefe Lächeln und das drohende Aufblitzen in seinen Augen dabei, das dir zeigt, dass es Konsequenzen haben wird, wenn du nicht das machst, was Hiro will. Obwohl ich diese Konsequenzen ja schon gerne in Kauf nehmen würde, nur um mal zu sehen, wie sie so sind… „Ist okay, ich komme mit“, sage ich dann, „Aber wir gehen in einen ordentlichen Club. Und wir hängen nicht den ganzen Abend aufeinander. Ich hasse das.“ „Guter Junge.“ Ich drücke meine Lippen auf das Handy, gebe ihm einen akustischen Kuss und sage: „Arschloch.“ Nur ein paar Augenblicke später, nachdem das Organisatorische mit Rei geklärt ist, lege ich auf. Eine halbnackte Lady Gaga hüpft vor meinen Augen hin und her. Ich lasse sie hüpfen und stehe auf, um wieder zurück ins Bad zu gehen. Die Frisur muss sitzen, und das wird lange genug dauern. Später gehen wir als Grüppchen die Straße zum Club entlang und ich starre Löcher in Hitoshis Rücken. Er hat sich nicht so herausgeputzt wie Rei und ich (Wir sind Styler. Wir gehen nicht casual zu einer Party.), aber das würde ihm auch nicht stehen. Hiro schafft es, mit wenigen Handgriffen gut auszusehen: Eine knackige Jeans, ein schönes Hemd, augenscheinlich zweimal nachlässig durch die Haare gefahren, fertig. Die Türsteher knurren uns an, denn es wäre natürlich schöner, wenn wir ein paar Frauen dabei hätten; aber scheinbar sind davon schon genug im Club, sodass sie uns doch reinlassen. Sobald wir von der Garderobe kommen, stürmt Takao davon. Wir sehen uns seufzend an und beschließen, an die Bar zu gehen und den ersten Drink zu nehmen. Solange Takao nüchtern ist, findet er uns noch allein; später sollten wir ihn im Auge behalten. „Ich gebe einen aus, was haltet ihr davon?“, fragt Hiro und sieht Rei nur aus Höflichkeit einmal kurz an. Eigentlich ist die Frage an mich gerichtet. „Da sag ich nicht nein“, entgegne ich, bevor ich mich demonstrativ abwende, um mit Rei zusammen die Getränkekarte zu studieren. Ich merke, wie Hiro uns dabei beobachtet, und obwohl ich es nicht sehe, weiß ich, welche Miene er dabei aufgesetzt hat. Eine äußerst zufriedene. Die Drinks in der Hand lehnen wir uns schließlich an den Tresen und beobachten das Kommen und Gehen zwischen Eingang und Tanzfläche. Der Club ist gut gefüllt, die Stimmung okay und die Frauenquote tatsächlich hoch genug. Ich lasse meinen Blick kurz in Hitoshis Richtung schweifen und stelle fest, dass er auf die gleiche Idee gekommen ist. Wir sehen uns beinahe verschwörerisch an. So. Und wie werden wir Rei jetzt los? Gott, ich will tanzen. Bei diesem schnellen, elektronischen Rhythmus kann ich einfach nicht still stehen. Das erinnert mich immer an die kurze Zeit, die ich mit Team NeoBorg in Russland verbrachte, noch vor der letzten Weltmeisterschaft. Wir sind verdammt oft weggegangen –trotz Yuriys strengen Trainingsplans, man höre und staune!– und haben die Nächte in irgendwelchen Clubs durchgemacht. Ich liebe Diskotheken. Im Alltag werde ich oft von Fremden beobachtet und beurteilt; das ist einfach so, wenn man ein bisschen bekannter ist, als andere -aber im Gedränge einer Party mit ihren bunten, flackernden Lichtern kann man so gut abtauchen. Und dann die Musik: Sie nimmt dich ganz in Besitz. Die Welt verschwimmt. Nur die Farben bleiben. Konturlos. Und strahlend. Brennen sich in meine Augen. Ohne es wirklich zu bemerken, bewege ich mich, oder besser: Mein Körper reagiert ganz automatisch auf die Töne, die auf ihn einprasseln. Ich fange Reis Blick auf und wir grinsen uns breit an. Er trinkt den letzten Schluck aus seinem Glas und stellt es auf den Tresen, bevor er in Richtung Tanzfläche zeigt. Das lasse ich mir nicht zweimal sagen. Am Rande bekomme ich mit, dass Hiro zurückbleibt, aber er wird wohl nicht lange allein dort stehen bleiben wollen. Rei lotst mich zwischen die Leute, wo es warm und stickig ist und sich alles noch verschlimmert, als kurz nachdem wir ankommen eine Ladung Kunstnebel über uns geblasen wird. Obwohl Rei nur eine Elle von mir entfernt sein kann, sehe ich ihn nicht mehr. Die Musik verändert sich. Es geht etwas mehr in Richtung Trance, aber der Bass bleibt hart und stetig, wie es sich gehört. Rei fängt an zu tanzen, unsere Körper stoßen in regelmäßigen Abständen aneinander, während sich der Nebel wieder legt. Rei ist ein guter Tanzpartner, aber das mag auch an der Vertrautheit zwischen uns liegen. Wir verstehen uns gut, und ich zeige mich gerne mit ihm, denn optisch lässt er ja wirklich nichts zu wünschen übrig. Außerdem ist er erfrischend leise. Andere Leute wollen sogar beim Tanzen ständig reden, obwohl sie eigentlich genau wissen müssten, dass du sie sowieso nicht verstehst und es einfach nur nervt, wenn dir laufend jemand ins Ohr schreit. Rei und ich verständigen uns meistens mit Blicken. Die ganze Menge bewegt sich hin und her, zwingt uns dazu, uns ihr anzupassen. Bald stehen wir beinahe in der Mitte der Tanzfläche. Um uns herum jubeln alle dem DJ zu, der einen guten Song nach dem anderen auflegt und es irgendwie schafft, dass sie beinahe nahtlos ineinander übergehen. Man kommt gar nicht erst auf die Idee, eine Pause zu machen. Ich schließe die Augen. You got me so wild, How can I ever deny? You got me so high, So high I cannot feel the fire. And you keep telling me, Telling me that you’ll be sweet… Wieder legt sich Nebel über uns. Ich spüre, wie die Luft ein wenig feuchter wird. Und dann wird mir klar, dass Rei nicht mehr da ist. Kurz sehe ich mich um, aber der Nebel ist viel zu dicht. Ist das dort Takao? Dann ist Rei vielleicht zu ihm gegangen. Was soll’s. Ich tanze allein weiter. And you’ll never want to leave my side, As long as I don’t break these... Jemand umarmt mich –nur kurz, dann streichen zwei Hände über meine Taille. Ich drehe mich um und erkenne einen großen Mann im Dunst. Hiro. In den nächsten Sekunden wird die Sicht wieder klar. …promises, And they still feel all so wasted on myself. Ich stelle mich auf die Zehenspitzen und halte mich an seiner Schulter fest. „Hast du dich allein gefühlt?“, sage ich laut und provokant in sein Ohr. Er reagiert schnell und lässt mich erst gar nicht wieder zurückweichen. „Ein bisschen“, antwortet er, „Tanzt du mit mir?“ Ich hebe eine Augenbraue und sehe ihn von unten an. Niemand soll glauben, dass er mich leicht um den Finger wickeln kann. Aber ich gehe nicht weg, sondern bleibe gerade so nah, dass wir uns berühren können, wenn wir uns ein wenig mehr bewegen. Seine Hand streift mich wie zufällig; es lässt mich erschauern –kurz breitet sich ein taubes Gefühl von meinem Bauch über den ganzen Körper aus und verklingt ebenso schnell wieder– doch ich breche den Blickkontakt nicht ab. Im Gegenteil: Es wird irgendwie immer intensiver. You got me so wild Why should I be so surprised? Mir liegt nicht einmal eine spitze Bemerkung auf der Zunge. Eigentlich will ich gar nichts sagen, sondern ihn einfach nur ansehen. Die Bässe pressen sich in meine Ohren. Ich kann nicht klar denken. Die Farben sind leuchtend und grell; nur weil sie sich ständig ineinander vermischen, blenden sie nicht. Alles verschwimmt, doch Hitoshis Gesicht behält seine Konturen. Nur beiläufig bemerke ich, dass er vorsichtig mein Gesicht berührt. Seine Finger spielen mit einer Haarsträhne –normalerweise hätte ich seine Hand weggeschlagen. Niemand fasst meine Haare an, wenn ich sie erst einmal mühsam mit Gel und Spray fixiert habe. –Aber das ist unwichtig. Ich könnte lauthals über mich selbst lachen, doch das einzige, was meinen Mund erreicht, ist ein süffisantes Grinsen, das von Hiro erwidert wird. Er streicht flüchtig über meine Wange. Jemand rempelt mich von hinten an und ich nutze die Gelegenheit, um Hiro näher zu kommen. Wir werden aneinander gedrängt. Mein Arm legt sich wie von selbst um ihn. Er ist so warm; diese Hitze hüllt mich ganz ein. Obwohl meine Lider schwerer werden, wende ich meine Augen noch immer nicht von ihm ab. Ich weiß, was er sieht, und ich will, dass er es sieht. You got me so high Don't you see it in my eyes? Endlich beugt er sich zu mir herunter und sagt etwas in mein Ohr. „Lass uns woanders hingehen.“ Ohne eine Antwort abzuwarten zupft er an meinem Shirt und bahnt sich einen Weg durch die Menge. Ich folge ihm, den Blick auf seinen Rücken gerichtet. Wir sind beide vollkommen verschwitzt. Es gibt in diesem Club ein paar versteckte Ecken. Da geht wirklich kaum jemand hin; selbst ich habe ein oder zwei von ihnen erst entdeckt, als ich mich eines schönen Tages verlief. Nicht einmal zum Rummachen kommt jemand dorthin. Liegt vielleicht daran, dass du inzwischen schon eng mit jemandem verschlungen auf der Tanzfläche stehen kannst, ohne dass jemand Notiz von euch nimmt. Doch Hitoshi führt mich in eine dieser Ecken. Wieder hebe ich eine Augenbraue, um Skepsis anzudeuten, doch eigentlich will ich nur wissen, wie er mich dazu bringen will, den letzten Schritt zu machen. And you keep telling me Telling me that you'll be sweet Er zieht mich zu sich heran, hält mich so fest, dass ich nicht mehr zurückweichen kann, drückt mich an die Wand und küsst mich. Das mag ich an ihm: Seine Bestimmtheit. Der Beton an meinem Rücken ist eiskalt, doch Hiro bedeckt mich ganz mit seinem warmen Körper. Ich hatte noch nie…nein, ich hatte wirklich noch nie etwas mit jemandem, der so groß ist. Normalerweise überrage ich immer alle. Ich würde es wahrscheinlich nicht schaffen, ihn von mir wegzudrücken, wenn es mir zu viel wird –aber im Moment will ich das auch gar nicht. Im Gegenteil: Er stützt sich auf meiner Schulterhöhe an der Wand ab, und ich lege jetzt beide Arme um ihn, damit ich ihn noch näher zu mir ziehen kann. And you'll never want to leave my side As long as I don't break these… Seine Lippen lösen sich von meinen, aber er gibt mir gar keine Zeit, einmal tief durchzuatmen, denn schon küsst er meinen Hals. Er findet sofort die richtige Stelle. Meine Augen fallen zu und ich kann nicht verhindern, dass mir ein kurzes Stöhnen entweicht. Sonst wäre seine Nähe unerträglich geworden. Er muss mich gehört haben, denn er unterbricht sich und wir sehen uns wieder an. Ich kann in seinem Blick so deutlich lesen, als würde er mit mir sprechen: Hitoshi geht es so wie mir. Ich mache ihn vollkommen verrückt. „Ich sag dir was, Kai“, meint er und klingt dabei ein wenig außer Atem, „Du kannst mit mir machen, was du willst. Ich tue alles. Aber weißt du…“ Er zieht einen Mundwinkel ein Stück nach oben. „…Am besten würde es mir gefallen, wenn du mich mit nach Hause nimmst.“ Ich setze eine nachdenkliche Miene auf und lasse meine Finger wie zufällig unter sein Hemd gleiten. Langsam taste ich mich nach vorn und lege meine Hände auf seinen Bauch, wo sich ein paar feste Muskeln unter der Haut abzeichnen. Er kommt mir wieder näher. „Danke für den Tipp“, sage ich mit meiner leisen, heiseren Stimme, „Ich werd sehen, was sich machen lässt…“ …promises, And they still feel all so wasted on myself. Man kann unseren Weg zum Schlafzimmer genau erkennen. Überall liegen Kleidungsstücke und Gegenstände, die wir in der Eile umgestoßen oder von irgendwo heruntergeworfen haben. Auf meinem Handy sind ungefähr ein Dutzend entgangene Anrufe, allesamt von Rei und Takao. Wir sind einfach so gegangen, ohne ihnen Bescheid zu sagen. Naja. Immerhin sind wir gemeinsam verschwunden, also werden sie sich hoffentlich gedacht haben, dass wir zusammen noch irgendwo einen heben gegangen sind. Hitoshi liegt neben mir auf dem Rücken und schläft tief und fest, obwohl ihm die Sonne genau ins Gesicht scheint. Ich lasse das Handy auf den Boden fallen, drehe mich wieder zu ihm um und betrachte ihn. Ich hätte ihn schon früher so anstacheln müssen, dann wäre alles viel schneller gegangen. Gelohnt hat es sich auf jeden Fall. Ich konnte kaum schlafen, weil er mich die ganze Zeit wach hielt. Und was hat er jetzt davon? Ich bin süchtig nach seinen fordernden Berührungen. Vorsichtig rutsche ich an ihn heran und beuge mich über ihn, um seinen Hals zu küssen. Es dauert eine Weile, bis er langsam wach wird und mich schließlich mit einem Ruck ganz auf sich zieht. Für ihn muss ich ein Fliegengewicht sein; jedenfalls fällt es ihm nicht schwer, mich hochzuheben und dorthin zu legen, wo er mich haben will. Ich hebe den Kopf, stütze mich ab und sehe in seine Augen, die noch ganz verhangen vom Schlaf sind. Während er mich betrachtet, breitet sich ein zufriedenes Grinsen auf seinem Gesicht aus. „Na was sagt man dazu?“, meint Hiro leise, „Der große Kai Hiwatari liegt nackt auf mir. Wie habe ich das denn geschafft?“ „Das ist eine verdammt gute Frage“, entgegne ich, „Der große Kai Hiwatari ist wohl auch nicht mehr das, was er mal war. Würde zu gern wissen, was er sich dabei gedacht hat.“ „Das Richtige“, befindet er lakonisch und handelt sich dafür einen halbherzigen Schlag ein. Ich rolle mich von ihm herunter und will das Bett verlassen, doch kurz nachdem ich auf beiden Beinen stehe, packt Hiro mich am Arm und zieht mich zurück. Ich finde mich unter ihm liegend wieder und seufze theatralisch. „Was?“ Anstelle von einer Antwort bekomme ich einen Kuss. „Hey.“ Ich drücke Rei einen Kaffeebecher in die Hand und wir machen uns auf den Weg. Schon um diese Uhrzeit ist es so heiß, dass die Sonnenbrille auf meinem Nasenrücken nach unten rutscht. Wir tasten uns von Schatten zu Schatten, bis wir endlich im Park sind. „Wenn sie bei dem Wetter bladen, werde ich sie niederschlagen“, beschließe ich laut und meine Takao und Hitoshi. Letzterer freut sich wie ein kleines Kind über jedes Match, das er austragen kann, und sein Bruder lässt sich das ja erst recht nicht nehmen. Wenn ich ihn darauf anspreche, behauptet Hiro immer, das Bladen würde ihn an die sorglosen Tage seiner Jugend erinnern. Dafür ziehe ich ihn regelmäßig auf. Ich bohre und stichele, bis er aussieht, als wäre er kurz vorm Platzen. Und dann ziehe ich ihn aus. Wahlweise auch mich, wenn er mich nicht an sich ranlässt. In jedem Fall führt meine Aktion unweigerlich zu Sex. „Du, sag mal, Kai…“, fragt Rei und reißt mich aus meinen Gedanken. „Hm?“, mache ich. „Also, ich weiß nicht, ob diese Frage jetzt berechtigt ist, ich meine, ich weiß ja, wie du tickst, hab aber keine Ahnung, ob das auch auf ihn zutrifft, aber…Du und Hiro. Läuft da was?“ Es wundert mich nicht, dass er was gemerkt hat. Er ist Rei Kon, eine der wenigen Personen, bei der es mir wirklich schwer fällt, etwas verborgen zu halten. Und es ist inzwischen auch lange genug gut gegangen. Ich nehme einen Schluck Kaffee und werfe ihm über den Becherrand hinweg einen vielsagenden Blick zu. Reis Augenbrauen schießen in die Höhe. „Aha. Und…Habt ihr vor, das irgendwie…offiziell zu machen?“ Wieder genügt ein Blick: Ich verdrehe die Augen. Er hebt entschuldigend die Hände. Darüber haben Hitoshi und ich nie gesprochen und werden es auch nicht tun. Das zwischen uns ist auf spontane Handlungen begrenzt, auch wenn wir in letzter Zeit ziemlich oft auf diese spontanen Handlungen zurückgreifen. Seit dem Diskobesuch läuft es eigentlich immer so, dass ich irgendwann einen Anruf bekomme und Hitoshi mir sagt, ich soll da- und dahin kommen. Darauf habe ich nicht reagiert, deswegen änderte er seine Taktik und fragt jetzt nur noch, wo wir uns treffen wollen. Dass er mich sehen wird, stellt er jedoch nie in Frage. Wir kommen bei den Arenen an und erblicken Takao, der Eis essend auf einer Bank sitzt. Er begrüßt uns fröhlich und erklärt, er habe die heutige Stunde aufgrund der Hitze ausfallen lassen. Und ob wir vielleicht auch ein Eis wollen. „Wo ist Hiro?“, frage ich wie beiläufig und sehe mich suchend um. Takao hebt die Schultern. „Der wird seine Sachen packen“, meint er, „Sein Flug geht morgen Früh.“ Bitte? „Flug?“, hake ich nach. „Ja, hat er das gar nicht erzählt? Gibt wohl wieder Geld für die eine Ausgrabung am Tiber, da will er hin. Kai?...He, wo willst du denn hin?“ Ich habe mich auf dem Absatz umgedreht und gehe außer Hörweite von Rei und Takao, bevor ich mein Handy aus der Tasche ziehe. Ich habe seine Nummer halb eingegeben, da ruft Hitoshi mich selbst an. „Was willst du, Arschloch?“, zische ich in den Hörer. „Ich stehe vor deiner Tür“, entgegnet er. Ich brauche ein paar Augenblicke, um den Sinn seiner Worte zu begreifen. „Was?“ „Komm her“, sagt er. Was, wenn nicht? Verflucht noch mal, warum sollte ich? Ich könnte ihn einfach hinfliegen lassen, wo der verdammte Pfeffer wächst. Doch ich sage lediglich: „Ich bin in zwanzig Minuten da.“ und lege auf. „Guck nicht so“, fordert Hitoshi etwa eine Stunde später, denn der Sex hat mich natürlich nicht vergessen lassen, dass ich wütend auf ihn bin. Ich kehre im demonstrativ den Rücken zu. „Du redest doch sonst immer so viel“, meine ich, „Warum hast du mir nicht einfach gesagt, dass du wieder weg musst?“ Er legt einen Arm um mich und schmiegt sich an meinen Rücken. „Sag bloß, du wirst mich vermissen?“ Sein Atem trifft meinen Nacken. „Nein“, entgegne ich bestimmt, „Es wäre nur höflicher gewesen.“ Und hinter mir erklingt sein dunkles Lachen. Er küsst meine Schulter. „Ich werde dich aber vermissen“, murmelt er. Ich versteife mich. Hiros Griff verstärkt sich und er dreht mich auf den Rücken, damit ich ihn wieder ansehen kann. Ich blicke fassungslos zu ihm auf und ihm fällt nichts Besseres ein, als meinen Gesichtsausdruck zu belächeln. „Wow“, kommentiert er, „Sollte ich dich tatsächlich einmal um eine Antwort verlegen gemacht haben?“ Hat er. Mir fällt gerade wirklich keine passende Erwiderung ein. Hitoshi scheint mit sich zufrieden zu sein. „Du solltest es ausnutzen, solange ich noch da bin“, meint er leichthin. Ich boxe gegen seine Schulter. „Halt’s Maul.“ „Sonst was?“ „Sonst werde ich auf der Stelle das Bett verlassen, dich nackt aus meiner Wohnung werfen, warten, bis du endlich wieder im Sand buddelst und mir deinen Bruder als Liebhaber nehmen“, zähle ich ihm auf. Er lacht schon wieder. „So was würdest du mir antun?“ „Du weißt genau, zu was ich fähig bin“, entgegne ich selbstzufrieden und bemerke tatsächlich, wie Hiro die Augen ein kleines Stück zusammenkneift, als wolle er in meinen Gedanken lesen, wie ernst es mir ist. „So lange werde ich doch gar nicht wegbleiben…“, murmelt er und klingt sogar beleidigt. „Was heißt das? Nur zwei Monate? Drei? Anstatt ein halbes Jahr?“ Jetzt verlasse ich tatsächlich das Bett und suche meine Sachen zusammen, die im Zimmer verstreut herumliegen. „Verarsch mich nicht, Hiro. Wenn du gewollt hättest, dass ich wie ein kleines Frauchen hier warte, bis du dich wieder nach Hause bequemst, hättest du mir schon viel früher gesagt, wann dein Urlaub zu Ende ist.“ „Ach, und das hätte funktioniert?“, fragt er belustigt, „Wenn ich das gewusst hätte…“ Dieses Mal erspare ich mir die Antwort. In der Küche steht eine Kanne Kaffee, das ist jetzt genau das Richtige. Während ich im Schrank nach einer großen Tasse suche, versuche ich zu ergründen, wie sehr es mir wirklich etwas ausmacht, dass Hitoshi ab morgen nicht mehr da sein wird. Klar, schade ist es schon. Aber ich kann auch sehr gut ohne ihn auskommen, denke ich. Ich habe gerade die Kanne in die Hand genommen, als Hiro mich von hinten umarmt. „Ich will doch gar nicht, dass du hier wie ein Frauchen auf mich wartest“, raunt er mir ins Ohr. Schon wieder diese Gänsehaut, die an meinen Armen hinaufklettert. „Aber es wäre schon schön, wenn du nicht so tun würdest, als hätten wir nie was miteinander gehabt. Nicht schon wieder, bitte.“ Ich drehe mich in seinen Armen um und lächle süffisant zu ihm auf. „Sag bloß, du hast jetzt endlich genug davon?“ Ich habe gewusst, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis es ihm zu viel wird, mich immer und immer wieder erobern zu müssen. Aber diese Lektion gebe ich ihm gerne, allein, um ihn von der Überzeugung zu befreien, dass er nur mit den Fingern schnipsen muss, um zu bekommen, was er will. Es hat ihm trotzdem erstaunlich lange Spaß gemacht…Vielleicht hat er es für ein Spiel gehalten. „Wir könnten es ja mal mit so einer Art…Teilzeitbeziehung versuchen, oder?“, schlägt er vor. „Ich weiß nicht…“, antworte ich gedehnt. Hiro stützt sich rechts und links von mir auf der Arbeitsfläche ab und beugt sich zu mir herunter. Sein Körper verdeckt mich ganz. Wir sehen uns an. „Du musst dich ja nicht jetzt entscheiden“, fängt er wieder an, „Du kannst es mir auch einfach deutlich machen, wenn wir uns wiedersehen.“ …promises, And they still feel all so wasted on myself. Kapitel 2: Cinema ----------------- I could watch you for a lifetime You’re my favourite movie A thousand endings You mean everything to me I never know what’s coming Forever fascinated Hope you don’t stop running To me cause I’ll always be waiting You are a Cinema I could watch you forever Wenn Kai von dem Foto wüsste, wäre ich längst tot. Aber er hat, glaube ich, erst gar nicht bemerkt, wie es gemacht wurde, weil er sich gerade in Rage geredet hatte, als Takao plötzlich mit dem Fotoapparat neben uns auftauchte. Damals, auf der Abschlussfeier der Weltmeisterschaft. Ich betrachte das knittrige Stück Papier, auf dem wir abgebildet sind, ich mit einem nachsichtigen Lächeln und er missbilligend blickend. So sieht er mich eigentlich immer an, stelle ich fest, wahrscheinlich mag ich das Bild deshalb. Mit einem Ruck verliert das Flugzeug erneut an Höhe. Die Landung ist holprig, vor kurzem hat es angefangen zu Regnen. Wir werden von Böen hin und her geschubst. Nach einer halben Stunde ist dann alles überstanden und ich betrete, die Reisetasche in der Hand, die Empfangshalle des Flugplatzes. Um mich herum fallen sich die Leute in die Arme. Es ist frustrierend. Da die Anzugträger immer die ersten sind, die hinausstürmen, bin ich eigentlich der einzige, der in diesem Augenblick allein bleibt. Meine Familie hat sich an meine Reisen gewöhnt und macht sich nicht mehr die Mühe, quer durch die Stadt zu fahren, um mich abzuholen. Aber das würde ich an ihrer Stelle auch nicht tun. Ich gehe zwischen zwei Pärchen hindurch, die sich scheu und doch innig küssen. Ein wenig neidisch bin ich schon, aber allein der Gedanke, dass ein gewisser jemand mich so herzlich begrüßen könnte –vielleicht sogar noch einen Strauß Rosen im Arm hält!– ist so absurd, dass ich schon wieder grinse. „Gibt es denn hier etwas Neues?“, frage ich. Wir sitzen zu dritt am Tisch, Takao, Großvater und ich; wie immer gibt es reichlich zu essen und ich genieße die heimatliche Küche nach langen Monaten Fast Food (es war das Sicherste für meinen Magen). Da Großvater mir die neuesten Geschehnisse im Dojo erläutert hat, bevor ich auch nur etwas von mir erzählen konnte, sehe ich bei dieser Frage meinen Bruder an. Doch Takao hebt nur die Schultern und isst weiter. „Was machen deine Freunde?“, stichle ich also weiter. Ich werde schon noch zu meinen Informationen kommen. „Oh.“ Jetzt kommt er doch in Fahrt. „Naja, Rei ist ja kurz nach dir auch wieder abgehauen. Seitdem hatte er leider keine Zeit mehr, um herzukommen. Dafür ist Max hier gewesen, für drei Wochen oder so…aber ansonsten war nichts los…“ „Was macht Kai?“ Scheiß drauf; dann eben mit der Tür ins Haus. Takao winkt ab. „Ach der…naja, nichts Besonderes halt. Hatte ein paar Dates mit irgendwelchen Typen, aber du kennst ihn ja, er hat sie alle verschreckt. Im Moment nimmt er nix unter zwanzig, keine Ahnung, warum…“ „Ja und?!“, frage ich. „Ja nix und, ist mir doch egal, ich mein nur, er muss dann schon ein bisschen aufpassen in der Öffentlichkeit…“ Ich hebe die Schultern, stimme ihm innerlich jedoch zu. Wenn Kai sich mit jemandem in seinem Alter zeigt, mag das ja noch ganz niedlich und verzeihlich sein, aber bei einem größeren Altersunterschied, noch dazu im schwammigen Bereich um die Volljährigkeit herum, kann es ganz schnell ins Auge gehen. Takao stößt mich an. „Da fällt mir ein, ich muss dir was erzählen!“, sagt er und lacht, „Kai ist grad total angepisst wegen einem von seinen Kerlen. Der ist wohl Musiker, und nachdem Kai ihn abserviert hat, hat er ihm wohl ein…“ Ein weiteres Lachen unterdrückt das Ende des Satzes. „Pass auf“ Takao hebt den Finger, „Er hat angeblich einen Song darüber geschrieben.“ „Über Kai?“ „Darüber, wie er Schluss gemacht hat.“ Ich hebe eine Augenbraue. „Muss ja eine sehr exotische Art und Weise des Schlussmachens gewesen sein…“ „Nö, eigentlich nicht. Aber der Kerl war wohl richtig verknallt in ihn. Tja, shit happens.“ „Takao“, unterbricht Großvater uns in diesem Augenblick. Er sieht meinen Bruder an. „Halt die Klappe und iss.“ Takao nickt und auch ich senke nun wieder den Blick. Natürlich weiß Großvater alles über die Clique meines Bruders, denn der kann nicht lange etwas für sich behalten. Wahrscheinlich geht es ihm ordentlich an die Nieren, dass Kai inzwischen so offen mit seiner Sexualität umgeht. Großvater hat ihn immer gemocht und Takao öfter geraten, sich ein Beispiel an ihm zu nehmen. Darauf verzichtet er, seit Kai sich vor versammelter Mannschaft mehr oder weniger geoutet hat. Das ist eigentlich kein wirkliches Outing gewesen. Kai löste die Sache wie immer auf seine eigene Art: indem er seine Umwelt einfach vor vollendete Tatsachen stellte. Ich beneide ihn oft um die Fähigkeit, anderer Leute Meinung einfach zu ignorieren. Schließlich ist das der Grund, weshalb ich auch nach all den Jahren nicht vollends zu meinen Vorlieben stehen kann. Takao weiß davon, aber ich habe ihm das Versprechen abgenommen, Großvater nichts zu erzählen. Ich glaube, der Schock wäre ein bisschen zu viel für ihn. Doch nicht einmal Takao ahnt auch nur, dass zwischen mir und Kai schon seit einiger Zeit etwas läuft. Mal mehr und mal weniger. Meine Arbeit verhindert, dass das Mehr ausgebaut wird, und ich bin mir auch nie sicher, ob ich das wirklich wollen würde. Kai ist so eine schwierige Person. Inzwischen habe ich zwar herausgefunden, wie ich ihn dazu bringen kann, zu tun, was ich will, doch eigentlich ist es für mich immer wieder ein reines Glücksspiel. Ich sollte ihn anrufen. Nach dem Essen ziehe ich mich auf mein Zimmer, das eigentlich nicht mehr mir gehört, sondern ein Gästezimmer geworden ist, zurück und wähle Kais Nummer. Schon nach ein paar Freizeichen hebt er ab. Seine Worte werden verschluckt von den Hintergrundgeräuschen: Verzerrtes Wummern und lautes Stimmengewirr. „Herrgott; wo bist du schon wieder?“, frage ich. „Konzert“, antwortet er kurz angebunden, und dann sagt er: „Scheiße.“, als hätte er irgendetwas gesehen, das ihm nicht gefällt. „Was ist?“ „Ich komm zu dir.“ Ich seufze. „Nein“, sage ich bestimmt, „Tust du nicht. Wir treffen uns bei dir.“ „Geht nicht, Satoshi weiß, wo ich wohne. Aber gut, dann geh ich noch eine Runde durch die Stadt…“ Ich werde hellhörig. „Du wirst die Nacht nicht draußen verbringen“, sage ich bestimmt. Nicht bei diesem Wetter. Es hat zwar aufgehört, zu regnen, aber das heißt noch lange nicht, dass es dadurch angenehmer draußen ist. „Hör auf, dich so aufzuspielen.“ „Wir treffen uns am Kanal. In einer halben Stunde. Schaffst du das?“ Schweigen am anderen Ende. Dann: „Ja.“ Eine dreiviertel Stunde später sitzen wir am Kanal auf einer Treppe und küssen uns. Diesmal ging es sogar noch schneller, als sonst, doch ich wage nicht einmal anzunehmen, dass er mich womöglich doch vermisst hat. Es ist verdammt kalt und nass nach dem Unwetter, doch Kai scheint das nicht im Geringsten zu stören, also lasse auch ich mir nichts anmerken. „Wer ist Satoshi?“, frage ich schließlich, als wir uns kurz lösen. Kai scheint keine Lust zu haben, darüber zu reden und macht einfach weiter. „Dein Verehrer?“, frage ich also in der nächsten Pause. Wieder keine Antwort. „Der Musiker?“, stichle ich und ernte einen entnervten Blick. „Hat Takao dir das erzählt?“ „Hat er dir wirklich einen Song geschrieben?“, stelle ich die Gegenfrage. Kai bringt etwas Abstand zwischen uns und zupft lustlos Grashalme zwischen den Stufen aus. „Es ist kein Song für, sondern über mich. Und zwar kein netter.“ „Aber das wird dem großen Kai Hiwatari doch nichts ausmachen!“, sage ich theatralisch und strecke die Hand aus, um sein Haar zu berühren. „Lass uns zu dir gehen und Sex haben.“ „Ich hab dir doch gesagt, dass das nicht geht“, entgegnet er, „Satoshi hat mich auf dem Konzert gesehen und campiert bestimmt wieder im Flur. Wenn du Sex haben willst, müssen wir in ein Hotel gehen.“ „Der Typ stalkt dich?“ Ich hebe die Augenbrauen und Kai seufzt. „Dir ist aber klar, dass du deswegen zur Polizei gehen könntest? Warum hast du denn mit so einem was angefangen, bitte?“ Ich kann meine Entrüstung nicht sehr gut verbergen. Dass Kai ausgerechnet dann kuscht, wenn sein Heiligstes, seine Privatsphäre, verletzt wird, ist mir unerklärlich. „Ach, am Anfang war sein fanatisches Gehabe ja noch ganz lustig“, sagt Kai, „Da habe ich auch noch gedacht, das liegt vielleicht an der Szene, diese Dunkelromantiker haben’s ja sowieso mit dem Schicksal und so… aber später wurde es mir eben doch zu krass.“ „Geh zur Polizei“, wiederhole ich. „Nein“, entgegnet er bestimmt, „So etwas mache ich nicht.“ Ich sehe ihn stirnrunzelnd an, doch dann weiß ich, warum er so handelt. Es geht hier um Schwule. Selbst wenn ihm geholfen werden würde, würde Satoshi mehr abkriegen, als er verdient hat. Seltsam, dass ausgerechnet ich das einmal vergesse, obwohl sonst Kai derjenige von uns ist, der alle gesellschaftlichen Normen ignoriert. „Verstehe“, sage ich also und stehe auf. Kai sieht zu mir auf und kurz genieße ich seine Verwirrung. Ich freue mich über jeden Gesichtsausdruck, der nicht sein Pokerface ist, aber das weiß er, und so behält er meistens die altbekannte Mimik bei, wenn wir zusammen sind. Nur wenn wir miteinander schlafen, schafft er es nicht –und ja, darauf bin ich stolz. Ich halte ihm die Hand hin. „Komm mit.“ „Wohin?“, fragt er misstrauisch. „Wir gehen ein Stück. Mir wird kalt, wenn ich mich nicht bewege.“ Da erhebt er sich tatsächlich, jedoch ohne meine Hand zu nehmen. Wir schlendern nebeneinander am Kanal entlang, Kai starrt auf den Boden und ich werfe ihm ab und an einen Seitenblick zu. Ich frage mich, wie das laufen wird mit uns. Er schien nicht überrascht, einen Anruf von mir zu bekommen, obwohl er nicht auf meine Email geantwortet hat, in der ich ihm von meiner Ankunft geschrieben habe. Ich habe eigentlich gedacht, er hätte sie ohne sie zu lesen gelöscht. Wenn ich außer Landes bin, reagiert er nie auf meine Nachrichten. Ich habe wirklich erwartet, dass alles so ist, wie immer: Wir treffen uns mehr oder weniger zufällig, er ignoriert mich, ich lasse so lange meinen Charme spielen, bis er mir wieder nachgibt. Bis jetzt ist alles ganz anders gelaufen. Vielleicht hat er das übliche Hin und Her auch langsam satt. Kann mir nur recht sein. „Gib mir deine Hand, Kai“, sage ich. „Nein, Hiro“, entgegnet er prompt im gleichen Tonfall. „Warum nicht?“ „Ich halte nicht Händchen mit dir.“ Ich drehe mich um und laufe rückwärts vor ihm her; dabei schiebe ich beide Hände in die Hosentaschen. Ich weiß, wie ich ihn dazu kriege, zu tun, was ich will. Das ist auf der psychischen Ebene nicht anders, als auf der physischen: Ich muss nur die richtigen Knöpfe drücken. „Was?“, fährt er mich an, weil ich immer noch nichts an meinem Laufstil geändert habe. Doch ich grinse nur. Er macht noch ein paar Schritte, dann wendet er sich abrupt ab und geht in die entgegengesetzte Richtung zurück. Ich kann mir ein belustigtes Schnauben nicht verkneifen und laufe ihm hinterher; sobald ich den Abstand zwischen uns wieder überwunden habe, greife ich nach seinem Handgelenk, damit er stehenbleibt. Seufzend blickt er zuerst an seinem Arm hinab und dann zu mir auf. „Du bist genauso unerträglich, wie dein Bruder.“ „Mit einem Unterschied.“ Ich ziehe ihn zu mir und küsse ihn, wobei ich durch einen glücklichen Zufall das zweite Handgelenk zu fassen kriege. „Ich kann besser ficken.“ „Was macht dich da so sicher?“, sagt Kai leise, und für diese Bemerkung lasse ich ihn los, nur um seinen Kopf daraufhin in meine Hände zu nehmen und ihn erneut zu küssen. Ist es jemals anders zwischen uns gelaufen? Eigentlich sind wir immer nur damit beschäftigt, uns anzustacheln und danach im Bett zu landen. Ich spüre, wie er mich zu sich zieht und über meine Seiten streicht. Die Nummer mit Satoshi ist wirklich das Dümmste, was heute hätte passieren können, denke ich. „Ich kann ihm eins aufs Maul geben.“ „Wem?“, fragt er. „Satoshi“, sage ich. „Lass es lieber. Du könntest mehr als einen Schlag brauchen.“ Ich lege den Kopf schief. Was hat er sich da nur für einen Kerl angelacht? Ich halte mich nicht gerade für einen Schwächling, obwohl ich immer bestrebt bin, meine Konflikte mit Worten auszutragen. Und Kai weiß um meine körperliche Verfassung. Ich dachte, das würde ihm reichen. Aber eigentlich hätte ich wissen müssen, dass er nur noch eins drauflegt, wenn er an Möglichkeit A nicht herankommt. „Du hast ’ne Schwäche für Muskelmänner entwickelt, oder?“, stelle ich fest, „Stehst du drauf, wenn dir ausnahmsweise mal jemand zeigt, wo’s langgeht? Takao hat schon erzählt, dass du nur noch Zwanziger datest.“ „Wenn es dich befriedigt, glaub ruhig, dass es so ist“, entgegnet Kai trocken. Es befriedigt mich natürlich nicht. Am liebsten wäre es mir, er würde niemanden mehr daten. Aber das muss ich ihm ja nicht unter die Nase reiben. Wir gehen weiter, verlassen den Kanal und spazieren durch die Straßen der Vorstadtviertel. Hier werden die Bürgersteige früh hochgeklappt. Ein paar Kneipen und Puffs sind natürlich geöffnet; verblasste Neonreklame in Rot flimmert in unseren Augenwinkeln. „Es gibt hier ein Porno-Kino“, fällt mir ein. Kai neben mir schnaubt. „Da ist es warm“, ergänze ich deswegen. „Ich lad dich ein, was meinst du?“ „Oh Gott, ich glaub’s nicht!“, murmelt Kai später. Wir sitzen ganz hinten in dem kleinen Kinosaal auf stark gepolsterten Sesseln. Außer uns sind nur noch drei Männer da, die im größstmöglichen Abstand zueinander Platz genommen haben und gebannt auf die Leinwand starren. Wir sehen Titten in Übergröße und haben nicht einmal Popcorn. Ich betrachte Kais Gesicht, das von dem warmen Licht des Pornos in Farbe getaucht wird und eine Mischung aus Verlegenheit und Entrüstung zeigt. „Der Film heißt ‚Werkzeugkasten der Lust‘“, raune ich ihm zu, „Es geht um diesen Typen, der ständig Frauen mit seinen handwerklichen Fähigkeiten aus der Misere helfen muss.“ „Too much information“, brummt Kai. „Aber es ist schön warm!“, meine ich und lege ihm die Hand auf den Oberschenkel. Er verschränkt die Arme, schüttelt mich aber nicht ab. Ich weiß, dass es ihm irgendwann zu viel wird, wenn ich ihn die ganze Zeit mustere, aber ich finde ihn gerade spannender als den Film. I could watch you for a lifetime You’re my favourite movie „Hiro!“, sagt er genervt und ich tue ganz unschuldig, als ich frage: „Was denn?“ Es ist schön, zu hören, wie er meinen Spitznamen benutzt. Wenn er die Nase voll von mir hat zieht er das O besonders in die Länge. Langsam streicht meine Hand sein Bein hinauf. „Du begrabschst mich nicht, während wir einen Porno gucken!“ „Soweit ich sehen kann, bist du der einzige von uns, der einen Porno guckt“, entgegne ich süffisant. Kai verdreht die Augen und bewegt sein Bein, sodass meine Hand abrutscht. Das soll mich nicht abschrecken. Ich beuge mich zu ihm und küsse seine Schläfe. A thousand endings You mean everything to me Kai dreht den Kopf, um mich endlich anzusehen. Er kneift die Augen ein wenig zusammen und ich übe mich weiterhin in Lächeln. Er seufzt. Ich hebe die Augenbrauen. Er reckt das Kinn und küsst mich. I never know what’s coming Forever fascinated Das mag ich an ihm: Seine unerwarteten Aktionen. Hope you don’t stop running To me cause I’ll always be waiting Wir versinken noch ein bisschen mehr in unseren Sesseln und ich lasse meine Finger unter sein Shirt kriechen. Die Armlehne zwischen uns drückt in meinen Bauch, aber wir haben schon an weitaus ungemütlicheren Orten rumgemacht. „Kaffee?“, fragt Kai ein paar Stunden später, als wir im Morgengrauen aus dem Kino stolpern. Irgendwann sind wir eingedöst und haben den Rest der Nacht verschlafen, bis ein aufgebrachter Hausmeister uns rausschmiss. „Unterwegs oder bei dir?“, frage ich. „Ich denke, wir können es riskieren, zu mir zu gehen. Satoshi dürfte gemerkt haben, dass ich heute Nacht nicht zu Hause war.“ „Dann hab ich nichts dagegen.“ Vielleicht komme ich ja doch noch auf meine Kosten. Ich ziehe mein Handy aus der Tasche und schicke meinem Bruder eine Nachricht, damit nicht die vollkommene Panik ausbricht, wenn ich nicht im Verlauf des Vormittags im Dojo auftauche. Als wir in der Bahn sitzen und es draußen immer heller wird, bemerke ich Kais dunkle Augenringe. Er sieht ordentlich übernächtigt aus: blass, zerzauste Haare, rissige Lippen. Aber ich mache bestimmt keinen besseren Eindruck. Während der Fahrt fallen meine Augen immer wieder zu, sodass Kai meinen Kopf genauso oft wegstoßen muss, wenn er kurz davor ist, auf seiner Schulter zu landen. Schließlich taumeln wir die Stufen zu seiner Wohnung nach oben. Tatsächlich ist im Flur niemand zu sehen, aber eine einsame Dose Bier steht gegenüber der Tür auf dem Boden. Kai schnaubt verächtlich, bevor er aufschließt. „Also war er hier?“, frage ich, doch er hebt nur die Schultern. Vermutlich will er nicht schon wieder darüber reden. Wir gehen in die Küche und er bringt die Kaffeemaschine in Gang, während ich hinter ihm sitze und seine Rückseite mustere. Sein Shirt ist aus einem sehr leichten, schwarzen Stoff, durch den man die Konturen seines Oberkörpers erkennt, wenn er am Fenster vorbeigeht. Seine Jeans sind schmal geschnitten und sitzen modisch tief. Erst jetzt bemerke ich, dass das, was er darüber getragen hat, keine Jacke, sondern ein Blazer gewesen ist, der jetzt mir gegenüber auf dem zweiten Stuhl liegt. „Mir gefallen deine Klamotten“, meine ich schließlich. „Seit wann bist du so großzügig mit deinen Komplimenten?“, entgegnet er spitz. Ich lege den Kopf schief. Es stimmt, ich mache ihm fast nie Komplimente. Jedoch gehe ich immer davon aus, dass er sie sowieso abtun würde. Oder schlimmer: Dass er mich dafür auslachte. Ich weiß einfach nicht, wie gut Kais Sinn für Romantik ausgebildet ist, und Komplimente zählen für mich schon zur Romantik, das ist das Problem. Zwischen uns läuft das Meiste in einem lässig-arroganten Ton, der keinen Platz für Zärtlichkeiten lässt. „Kai“, sage ich ohne wirklichen Grund, einfach, weil es mir gefällt, ihn beim Namen zu nennen. Stars spell out your name Like in a science fiction drama Mit einem unsanften Knallen wird mir eine Tasse vor die Nase gestellt, die prompt überschwappt. „Sorry“, murmelt Kai, der seinen Kaffee im Stehen trinkt. Er wirkt noch müder als eben in der Bahn. „Alles okay?“, frage ich. „Jaah“, antwortet er langgezogen. Dann, nach einer Pause: „Ich überlege nur…Ich müsste Satoshi wirklich langsam klar machen, was Sache ist. Das kann so nicht weitergehen.“ Er reibt sich mit dem Handrücken die Stirn. „Amen“, sage ich trocken, denn er hat nur ausgesprochen, was ich die ganze Nacht über gedacht habe. Als Antwort erhalte ich nur ein Schnauben. Aber was soll ich denn bitte dazu sagen? Gegen Kais Dickschädel redet man normalerweise an wie gegen eine Wand. „Wo wir gerade beim Thema ‚Loverboy‘ sind…“, setze ich dann an. Eine bessere Gelegenheit lässt sich wohl kaum finden, also ist es ja auch egal. „Wie sieht es denn jetzt eigentlich aus mit uns?“ Kai blinzelt kurz, als müsste er meine Worte erst einmal verarbeiten. „Was?“, fragt er dann. „Wir. Ich und du. Ich hatte dich doch gefragt, bevor ich geflogen bin, ob du Interesse an einer Teilzeitbeziehung hast.“ Kai fängt an zu Lachen. Hätte ich mir ja denken können. Doch dann streckt er den Arm aus und hält mir die Hand hin. „Na komm schon“, sagt er, als ich verwirrt zu ihm aufblicke. Ich greife nach seiner Hand, die ganz warm und trocken ist, genieße unwillkürlich das Gefühl und lasse mich mitziehen. Romance roll in Like a flower in the summer Als wir im Flur sind, dreht er sich zu mir um und stellt sich auf die Zehenspitzen, um mich zu küssen. Dabei geht er rückwärts weiter. Ich habe die Augen geschlossen und nur eine blasse Ahnung, wo er mit mir hinwill, aber wo auch immer wir landen werden, ich habe nichts dagegen. You always keep me guessing Forever my wonder Tatsächlich befinden wir uns im Schlafzimmer, als ich das nächste Mal die Augen öffne. Kai schubst mich auf das Bett, nur, um mir kurz darauf zu folgen und sich auf mich zu setzen. Aus dieser ungewohnten Perspektive sehe ich erneut zu ihm auf und bemerke seine zufriedene Miene. Er betrachtet mich wie ein Raubtier seine Beute. Nervös lecke ich mir über die Lippen. Hope you start undressing All my dreams until the end of Mit einer fließenden Bewegung streift er sein Shirt über den Kopf. Ich mustere seinen nackten Oberkörper ausgiebig, denn eigentlich habe ich sonst kaum die Ruhe dazu. Dann greife ich nach seiner Taille und drehe uns beide mit einem kräftigen Ruck herum, sodass er nun unter mir liegt. Ich kann mir ein zufriedenes Grinsen nicht verkneifen. Kai hebt nur die Augenbrauen. You are a cinema I could watch you forever Action Thriller I could watch you forever You are a cinema A Hollywood treasure Als ich aus dem Badezimmer komme, werfe ich einen Blick auf die Uhr. Es ist bereits Nachmittag, aber das löst nur mildes Erstaunen bei mir aus. War ja klar, dass wir gleich ein paar Stunden schlafen, wenn wir einmal im Bett landen. Mit dem Ellbogen stoße ich die Tür zum Schlafzimmer auf und trockne mir gleichzeitig die Haare mit einem Handtuch. Ich halte jedoch inne, als ich Kai sehe, der nackt auf dem Bett sitzt und etwas in der Hand hält, das er nachdenklich betrachtet. Als ich näher komme, erkenne ich, dass es das Foto ist, auf dem wir beide sind. Er muss es zwischen meinen Sachen gefunden haben. „Ich wusste gar nicht, dass wir damals fotografiert worden sind“, sagt er, als er mich bemerkt. Ich setze mich neben ihn und nehme ihm das Papier aus der Hand. „Es war ein kleines Geheimnis.“ „Solange es nicht deine Wichsvorlage war…“ Ich muss laut auflachen. „Keine Sorge“, antworte ich dann, „Dafür habe ich ganz anderes Material…“ Ich mache eine Kunstpause, um seine Reaktion zu beobachten, bevor ich auf meinen Kopf deute. „Alles hier drin.“ „Stimmt ja. Du bist ja eher so der visuelle Typ…“, stichelt Kai und ich bejahe nickend. Dann schweigen wir uns wieder an. Ich werfe meine Handtücher zur Seite und lege einen Arm um ihn, damit ich ihn wieder mit unter die Decke ziehen kann. Er weiß, dass ich ihn gerne berühre, also lässt er mich inzwischen machen, wenn wir nebeneinander liegen. „Wie lange bleibst du eigentlich?“, fragt er und klingt höchstens milde interessiert. Ich hebe die Schultern und streiche mit der flachen Hand über seinen Bauch. „Wir sind jetzt erst einmal fertig mit der Ausgrabung. Die Fundstücke werden gerade in einem Museum restauriert und ausgestellt. Ich verdiene dieses Mal eine ziemliche Stange Geld, also kann ich es eine Weile ruhig angehen lassen. Ich überlege, ob ich mir wieder einen Nebenjob bei der BBA nehme.“ „Klingt gut“, meint er. „Gut für mich oder gut für uns?“ Er seufzt theatralisch: „Ach Hiro…“ „Ach Kai“, entgegne ich. Love you Just the way you are A cinema Kapitel 3: Lights ----------------- Ich hab das Kap schon ewig und drei Tage rumliegen, es aber jetzt erst geschafft, die Verbesserungen, die mir (danke fürs Probelesen! ) gegeben hat, umzusetzen. Shame on me. I had a way then Losing it all on my own I had a heart then But the queen has been overthrowned And I'm not sleeping now The dark is too hard to beat And I'm not keeping up The strength I need to push me You show the Lights that stop me turn to stone You shine them when I'm alone Hiro liegt noch im Bett, als ich von der Schule komme. Tatsächlich ist das, was sich am deutlichsten verändert hat, das Licht, das durchs Fenster hereinfällt. „Du bist ja immer noch hier“, brumme ich routiniert, „Hast du kein eigenes Leben?“ „Im Moment nicht, wie du weißt“, entgegnet er und betrachtet mich ausgiebig. Ich trage meine Uniform. Irgendwie steht er darauf. Sein Blick bekommt schon wieder diesen Ausdruck, den er immer hat, wenn er gleich über mich herfällt, also greife ich nur schnell nach meinen Klamotten, bevor ich ins Bad verschwinde. Wenn es etwas gibt, von dem wir in letzter Zeit genug haben, dann Sex, also kann sich Kinomiya auch noch bis heute Abend gedulden. Er geht kaum noch nach Hause, sondern bleibt oft den ganzen Tag bei mir. Da die Ferien vorbei sind, merke ich Gott sei Dank nicht allzu viel von dieser permanenten Anwesenheit, doch trotzdem hoffe ich inzwischen, dass er bald bei der BBA anfangen kann, als Trainer zu arbeiten. Sonst werde ich ihn rausschmeißen müssen. Gerade, als ich mir den Pullover überziehe, klopft er an die Tür. „Kai? Ich gehe einkaufen, brauchst du noch was Bestimmtes?“ Ich kann mir angesichts dieser absurd-pärchenhaften Situation das Lachen nicht verkneifen. Heißt das etwa, dass wir inzwischen wirklich zusammen sind? Oh bitte nicht. Ich öffne die Tür und stehe ihm gegenüber. „Bleib einfach lange genug weg, damit ich auch mal meine Ruhe habe“, sage ich und meine es sogar sehr ernst. Hiro schüttelt den Kopf. Im nächsten Moment finde ich mich schon gegen den Türrahmen gedrückt wieder. Er küsst erst meine Lippen, dann meinen Hals. Ich hätte es wissen müssen, aber okay. „Da geht’s aber nicht zum Supermarkt…“, stelle ich fest, als er mich zurück ins Schlafzimmer dirigiert und erhalte natürlich keine Antwort. Stattdessen zieht er mir den Pullover wieder aus. Sein Shirt folgt auf dem Fuße, dann ist da schon wieder das Bett und dann sein Gewicht auf mir –irgendwie mag ich es, wie er mich nach unten drückt. „Nimmst du eigentlich heimlich Viagra oder so was?“, frage ich, während Hiro bereits irgendwo auf meiner unteren Körperhälfte angelangt ist. „Dein Sexualtrieb ist wirklich ein bisschen übertrieben…“ „Ich habe monatelang auf dem Trockenen gesessen“, entgegnet er, „Das muss ich nachholen.“ Sofort danach hat er sich angezogen und ist gegangen, hat dabei so ein entschuldigendes Lächeln aufgesetzt, das mir unangenehm war. Ich liege ausgestreckt auf dem Bett, habe Musik angemacht, starre die Decke an. Ich bin plötzlich unglaublich erleichtert darüber, dass er endlich weg ist, denn ich hätte keine fünf Minuten mehr mit ihm ausgehalten. In letzter Zeit ertrage ich andere Menschen nicht. Wenn es so weiter geht, werde ich bald in einen Gemütszustand verfallen, der nicht nur für meine Umgebung, sondern auch für mich unerträglich ist. Ich weiß es ganz genau, und doch kann ich es nicht verhindern. Vielleicht sollte ich ihn bitten, nach Hause zu gehen, nur für ein paar Tage oder so. Ich könnte die Nächte wieder ungestört damit verbringen, durch die Stadt zu laufen, ohne dass jemand an meinen Hacken klebt oder mich gleich dazu zwingt, zu Hause zu bleiben. Ich halte es auch nicht lange in dieser Wohnung aus. Meine Vorstellungen von einem Zuhause sind andere; nicht so eng und kühl und einschränkend in jeder Hinsicht. Ich muss hier raus. Und doch liege ich bloß da, starre die Decke an, irgendwo im Hintergrund spielt Musik und trägt mich mit sanfter Gewalt davon. Draußen wird es dunkel; die Schatten wandern. Das Fensterkreuz schleicht durch den Raum. Das Licht wird kurz goldwarm, als die Sonne unter die Wolkenschicht taucht. Dann ist sie ganz verschwunden, die Straßenlaternen gehen an und das Fensterkreuz erscheint wieder an der Wand. Ich habe nichts an. Wenn ich aufstehe, muss ich daran denken, etwas anzuziehen. I had a way then Losing it all on my own Irgendwann kommt er wieder. Mir ist kalt; ich spüre, wie Luft über meine Haut streicht, obwohl sie von nichts in Bewegung gesetzt wird. Für was hat er eigentlich so lange gebraucht? Hitoshi bewegt sich in der Wohnung, raschelt mit Tüten, räumt etwas in Regale. Ich weiß es, weil diese Geräusche mir nur allzu vertraut sind. Er sucht mich. Er geht durch alle Räume und sucht mich. Als die Tür aufgeht, fährt die kalte Luft über meine Beine und ich zittere kurz. Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie Hiro im Türrahmen lehnt und mich betrachtet. Ich starre weiter die Decke an. Soll er doch endlich merken, dass das mit mir nicht so einfach wird. „Du bist schön, Kai“, sagt er. Ich schließe die Augen und merke, wie mir ein sarkastisches Lachen im Halse steckenbleibt. I had a heart then But the queen has been overthrowned Mein Problem ist, dass ich nicht an Liebe glaube. Ich bin schon zu lange unabhängig, als dass ich ihr etwas abgewinnen könnte. Partnerschaft –das ist etwas für Menschen, die alleine nicht klarkommen. Ich habe grundsätzlich nur etwas mit Leuten, die ihr eigenes Leben führen, so wie ich. Man trifft sich ein paar Mal die Woche, den Rest der Zeit verbringt man wie immer. Mit Hiro ist das plötzlich anders geworden. Er ist ständig da. Es macht mich ganz unruhig. Er liegt neben mir und streicht mir die Haare aus der Stirn nach hinten, scheint ganz fasziniert von meinem bloßgelegten Gesicht zu sein. Als ich es nicht mehr aushalte, halte ich seine Hand fest. „Kannst du mich nicht einmal in Ruhe lassen?“ Anstatt eine Antwort zu geben, verstärkt er den Griff, hat nun meine Hand gepackt und zieht mich auf sich. Nicht zum ersten Mal ist mir so viel Nähe unangenehm, aber ich komme einfach nicht gegen ihn an, wenn er mich festhält. Trotzdem lasse ich ihn meine Gegenwehr spüren. „Lass los.“ „Ich muss eh gleich aufstehen.“ Ich halte inne. Wie, er wird nicht den ganzen Tag im Bett verbringen? „Wow, sag bloß, du kriegst endlich den Arsch wieder hoch?“ „Ja, tatsächlich“, antwortet er, „Ich fange heute wieder bei der BBA an.“ „Sehr gut.“ Ich rolle mich von ihm herunter und ziehe die Decke über mich. Dann werde ich hoffentlich noch eine Stunde Schlaf kriegen, bevor ich auch losmuss. „Willst du gar nicht wissen, wann ich wiederkomme?“, fragt er. Ich gebe keine Antwort. Es ist tatsächlich spät, als er wieder zu mir kommt. Ich habe schon damit gerechnet, dass er zu seiner Familie geht. Mein Abend war alles andere als spannend. Ich habe ein geschmacksneutrales Fertiggericht im Gefrierfach gefunden, einen schlechten Krimi gesehen und war dann noch zwei Stunden draußen. Es tat gut; ich hätte beinahe so tun können, als wäre alles wie früher. Dass es das nicht ist, merke ich, als ich mit einem Buch in der Hand auf dem Sofa sitze und höre, wie sich ein Schlüssel im Schloss dreht. Urplötzlich bereue ich es, ihm diesen nicht wieder abgenommen zu haben. „Frag mich, wie mein Tag war“, sagt Hiro. Er stützt sich auf der Sofalehne ab und bringt seinen Mund ganz nah an mein Ohr. „Lass mich raten: großartig.“ „Ah, du versaust immer alles.“ Seine Hand fährt durch mein Haar, doch ich blicke immer noch nicht auf. Dann fängt er an, detailliert von seinem ersten Arbeitstag zu berichten; als wüsste ich nicht, wie das bei der BBA abläuft. Ich blättere eine Seite um und versuche, weiterzulesen, doch sein Gequatsche lenkt mich ab. Er geht an den Kühlschrank, kommt mit einer Flasche Bier wieder und setzt sich mir gegenüber hin. „Rate, wen ich trainiere.“ „Irgendein junges Genie, das du aus der Versenkung geholt hast und das deinem Bruder in spätestens zwei Monaten den Arsch versohlt, nehm ich an.“ „Du liegst gar nicht so falsch“, sagt Hiro, „Nur das mit der Versenkung stimmt nicht ganz. Es ist Brooklyn.“ Die Buchstaben vor meinen Augen geraten kurz durcheinander. „Aha“, sage ich. Er macht ein unzufriedenes Geräusch. „Was?“ „Ich sage ‚Brooklyn‘ und du sagst ‚Aha‘“, erklärt er. „Ja, was soll ich denn sagen?“ Das Buch ist verschwunden. Erst langsam begreife ich, dass ich es zur Seite geworfen habe und dass ich jetzt stehe. „Was willst du denn von mir, Hiro?“ Ich habe schon lange nicht mehr so laut gesprochen. Er stellt seine Flasche auf den Boden, erhebt sich und hält mich an den Unterarmen fest. Meine Hände haben sich zu Fäusten geballt. „Hiro!“, sage ich noch einmal, um auszudrücken, wie sehr er mich anpisst. Er macht „Schsch!“ und küsst mich. Der Großteil unserer Geschichte scheint sich im Bett abzuspielen. Ich liege wach und höre ihn neben mir atmen, gleichmäßig, viel lauter, als es eigentlich ist. Was mache ich hier? Ich bin doch sonst nicht so –wenn mir jemand auf die Nerven geht, schieße ich ihn ab. Kurz und schmerzlos. Wie bei Satoshi. Komisch, dass ich mich gerade an ihn erinnere. Unsere kurze Beziehung war ebenfalls alles andere, als normal. Wir hatten ein paar Dates und haben vielleicht zwei Wochenenden miteinander verbracht. So genau weiß ich es nicht mehr. Die Hälfte der Nächte waren angefüllt mit seiner Musik, und nach den Konzerten war er jedes Mal so geladen, dass ich ihn nicht wiedererkannte. Es hat mir gefallen. Aber er wollte einfach viel zu viel, wie alle. Langsam bin ich es leid, mich immer wieder erklären zu müssen, deswegen schiebe ich es jetzt wohl vor mir her. Hiro. Neben mir. Seine Wärme füllt den ganzen Raum aus. And I'm not sleeping now The dark is too hard to beat Ich drehe mich auf die Seite und sehe ihn an. Im Gegensatz zu anderen Menschen unterscheidet sich sein Gesichtsausdruck im Schlaf nicht sonderlich von dem im wachen Zustand. Das ist eine dieser seltsamen Dinge an den Kinomiyas: Sie strahlen allesamt permanent Zufriedenheit aus. Als wären sie vollkommen von sich überzeugt. Wahrscheinlich sind sie das auch. Von Takao weiß ich, dass er sofort in eine melodramatische Krise stürzt, wenn etwas nicht so klappt, wie er es sich vorgestellt hat. Er ist wie ein Kind, mit dem noch nie richtig geschimpft wurde. Ich glaube nicht, dass es bei Hiro auch so sein könnte. Er dreht die Dinge immer so, dass er zumindest aus seiner Sicht als Gewinner herausgeht. Wie damals, als er zur BEGA gegangen ist. Letztendlich hatte man den Eindruck, dass er genau das Richtige getan hat, obwohl das eigentlich ein ziemlicher Haufen Scheiße war. Im Gegensatz dazu scheine ich den Leuten sogar dann auf die Füße zu treten, wenn ich denke, etwas „Gutes“ zu tun. Oder zumindest etwas, das andere nicht betrifft und demzufolge stören sollte. Ich habe wohl einfach kein Talent, es anderen Leuten recht zu machen. Wenn ich ehrlich bin, will ich das auch gar nicht. Also warum sollte ich Hiro nicht einfach sagen, dass er mir auf die Nerven geht, dass er einfach seine Sachen packen und verschwinden soll? Versuch es in einem halben Jahr noch mal. Ich strecke die Hand aus und lege sie auf seinen Unterarm. Er ist so verdammt warm; seine Haut brennt sich in meine und ich spüre einen Schauer über meinen Körper wandern. Ich verstärke meinen Griff und ziehe seine Hand zu mir heran. Hiro wird wach, murmelt etwas vor sich hin, dann kommt Bewegung in seinen Körper. Ich glaube, er weiß gar nicht wirklich, was er tut. Er löst seinen Arm aus meinen Fingern, nur, um ihn danach um mich zu legen und mich zu sich zu ziehen. Plötzlich bin ich ganz von seiner Wärme eingeschlossen. Seine Hand wandert eine Weile über meinen Rücken, dann hält sie still und sein Atem geht wieder regelmäßig. Ich gebe auf. Ich schließe die Augen und schmiege mich an ihn. And I'm not keeping up The strength I need to push me Ich stehe vor dem großen Spiegel im Flur und kleistere meine Haare mit Spray zu, als er hereinkommt. „Willst du heute noch weg?“ „Es ist Freitag“, antworte ich. „Mit wem?“ „Mit deinem Bruder.“ Es hat sich so ergeben. Takao rief mich vor ein paar Stunden an. Ihm sei langweilig. Konnte mir nur Recht sein, denn mir ging es genauso. Hiro zieht Jacke und Schuhe aus und setzt sich in den Türrahmen zur Küche, um mir zuzusehen. Ich brauche lange, bis ich fertig zum Ausgehen bin. Im Moment mag ich enge Jeans, tief ausgeschnittene Shirts und Blazer mit hochgekrempelten Ärmeln, und ich glaube, auch Hiro gefällt der Anblick, den ich ihm biete. Im Spiegel sehe ich, wie sein Blick ein paar Mal an mir auf und ab wandert. Ich habe mich schon oft gefragt, warum gerade jemand wie er auf mich abfährt. Liegt vielleicht an der Gegensätzlichkeit. Es war schon sehr aufschlussreich, wie sich Hiros Blick veränderte, als er mich damals zum ersten Mal so gesehen hat, wie ich normalerweise in meiner Freizeit herumlaufe. Früher habe ich meine freien Tage zur Hälfte mit Training und zur anderen Hälfte in Harajuku verbracht, vielleicht rührt meine heutige Macke daher. Ich grummele verärgert in mich hinein, als mein Pony auch nach dem dritten Versuch wieder in die Form zurückfällt, in der ich ihn nicht haben wollte. „Du bist schön, Kai“, sagt Hiro. „Ach, halt die Klappe!“ Ich stelle das Haarspray weg und greife nach dem Eyelinerstift. „Ist heute wieder Guyliner-Tag?“, fragt Hiro amüsiert. Ich fahre zu ihm herum und sende ihm einen glatten Todesblick. Auf Hiros Gesicht breitet sich ein Ausdruck purer Verzückung aus. Dann steht er auf und drückt mich mit dem Rücken gegen den Spiegel, als er mich küsst. „Du weißt, dass ich dir nicht widerstehen kann, wenn du so aussiehst.“ Natürlich. Ich drehe mich um, um noch einmal die letzten verirrten Haarsträhnen zu richten. Ich sehe aus, wie ich aussehen will: Wie ein Opfer des Mode-Wahns, das unbedingt individuell sein will und doch jedem Trend hinterherjagt. Das nehme ich in Kauf, denn ich will zeigen, dass ich noch immer Kai Hiwatari bin: überlegen, cool, unnahbar. Nur eben älter, kein Beyblader mehr und schwul. „Wir sehen uns…“ Ich zögere, weiß nicht genau, was ich sagen soll und schiebe erstmal mein Portemonnaie in die Tasche, „…in den frühen Morgenstunden, schätze ich. Wenn du hierbleibst.“ Er hebt die Schultern. „Wir werden sehen.“ „Uh“, mache ich unbeeindruckt, denn wenn ich angetrunken im Morgengrauen nach Hause komme, ist es mir tatsächlich herzlich egal, ob schon jemand in meinem Bett liegt oder nicht. Ich stelle mich auf die Zehenspitzen und gebe ihm einen routinierten Abschiedskuss; so routiniert, dass ich erst merke, was ich getan habe, als ich schon längst im Treppenhaus bin. Takao taucht zusammen mit Hiromi vor dem Club auf. Sie hat dafür gesorgt, dass auch er gepflegt aussieht, und so sind die beiden ein ganz hübscher Anblick. Hiromi und ich drücken kurz unsere Wangen aneinander, um, ganz europäisch, einen Begrüßungskuss zu imitieren. Sie macht das bei jedem, und ich habe mich inzwischen daran gewöhnt. „Dich habe ich ja lange nicht mehr gesehen“, sage ich. „Prüfungen“, antwortet sie knapp und ich sehe, wie Takao unmerklich die Augen verdreht und mich angrinst. „Lasst uns reingehen.“ Es ist wie immer stickig und ein wenig zu voll, aber der Club ist nicht so abgeranzt wie die Disco vom letzten Mal. Gespielt wird elektronische Musik, die im Moment jeder zwischen achtzehn und fünfundzwanzig hört; dementsprechend fällt auch das Publikum aus. Takao hat mal wieder Hummeln im Hintern. Wir gehen zuerst an die Bar, aber er hält es nicht lange dort aus und ist nach fünf Minuten weg. Hiromi lässt er bei mir zurück und sie sieht mich leicht pikiert an, weil sie immer noch nicht weiß, wie sie mit mir umgehen soll. Vor meinem Outing war das alles kein Problem, aber seitdem sie weiß, dass ich auf Kerle stehe, kann sie mich nicht mehr so gut zutexten. Beinahe schweigend trinken wir also unseren ersten Cocktail. Hinter ihr setzt sich irgendwann ein schüchterner junger Mann auf einen Barhocker und ich beginne, über ihre Schulter hinweg, schweigend mit ihm zu flirten. Unter meinen Blicken wird er ständig rot und wieder blass wie eine Rundumleuchte. „Hast du Hiro in letzter Zeit gesehen?“, fragt Hiromi plötzlich und ich unterbreche meinen Flirt, um sie verwirrt anzusehen. „Takao hat erzählt, dass er nur noch ganz selten zu Hause ist, obwohl er bei der BBA arbeitet und nicht mehr einfach abhauen kann“, fährt sie fort. Ich hebe die Schultern. „Er ist ein erwachsener Mann. Wird schon wissen, was er tut. Wollen wir tanzen?“ „Jaaa!“, schreit mich auf einmal jemand von der Seite an, und als ich den Kopf drehe, steht dort Takao und streckt die Hand nach Hiromi aus. „Lass uns tanzen!“ Sie wirft mir ein entschuldigendes Lächeln zu und lässt sich mitziehen. Ich folge den beiden. Sie schlagen eine Schneise durch die Menge und ich lasse mich in ihrem Kielwasser treiben, bis wir wieder einmal mitten auf der Tanzfläche stehen, wo wir uns alle aus unterschiedlichsten Gründen am wohlsten fühlen. Bass in meinem Körper. So muss das sein. Langsamer Gesang und ein klarer Rhythmus. Irgendwie muss ich an verschlafenen Sex mit Hiro denken. I had a way then Losing it all on my own I had a heart then But the queen has been overthrowned Ich schüttele diese Erinnerungen ab und bewege mich. Vor mir schmiegt Hiromi sich an Takao, der sich bereitwillig von ihr festhalten lässt. Ein seltsamer Anblick, Takao, still auf einer Stelle verweilend. Die Menge hat wieder einmal ihre ganz eigene Dynamik entwickelt und ist in stetige, träge Bewegungen verfallen, als wären wir eine riesige Amöbe, die sich ihren Weg durch Wasser bahnt. Irgendwann ist die Bar wieder ganz nah, dafür sind Takao und Hiromi zwischen den Menschen kaum noch zu erkennen. Ich drehe mich von ihnen weg. Es hat mir noch nie viel ausgemacht, allein zu tanzen, im Gegenteil: Meist ist mir der Körper eines Partners im Weg. Ich beschließe, dass es eine lange Nacht werden wird. And I'm not sleeping now The dark is too hard to beat And I'm not keeping up The strength I need to push me Hiro. Da ist Hiro. Er steht an der Bar. Ich drehe mich noch einmal um mich selbst, um erneut hinzusehen, doch kein Zweifel: Er ist es. Zorn durchflutet mich. Will er mir nachspionieren? Kann er mich nicht ein einziges Mal in Ruhe lassen? Doch dann bemerke ich die Person, die neben ihm am Tresen lehnt und gerade zwei Gläser vom Barkeeper bekommen hat. Brooklyn. Beinahe wäre ich gefallen. Ich bin einfach über meine eigenen Füße gestolpert. Das ist mir seit Jahren nicht mehr passiert. Jemand hält mich am Arm fest, doch ich mache mich los, den Blick immer noch auf die beiden dort an der Bar gerichtet. Sie haben mich nicht bemerkt, sondern trinken ihre Cocktails und reden angeregt miteinander. Nun, was jetzt, was hat das zu bedeuten? Vielleicht sind sie nur miteinander einen trinken gegangen, weil ihnen langweilig war. Vielleicht ist das ein Date. Vielleicht bin ich eifersüchtig wie eine Frau. Vielleicht ist es kein Date und sie landen heute trotzdem noch im Bett. Vielleicht macht mir das gar nichts aus. Vielleicht sollte ich einfach Hallo sagen. Vielleicht sollte ich sie einfach machen lassen. Zu spät. Hiro hat den Blick wandern lassen und mich gesehen. Er winkt mir zu und ich setze mich automatisch in Bewegung. Es wäre noch peinlicher, wenn ich ihn jetzt ignorieren würde. Hiro legt einen Arm um meine Schultern, als ich bei ihm bin. Er drückt mich an sich und gibt mir einen Kuss auf die Schläfe. Brooklyn mustert mich von oben bis unten, natürlich, für ihn ist dieser Stil auch neu. Er selbst hat sich kaum verändert. Trägt die Haare vielleicht ein bisschen anders, aber ansonsten ist er immer noch der talentierte junge Mann, der sich nicht sonderlich um sein Erscheinungsbild kümmert. Muss er auch nicht, wie ich mir neidlos eingestehe. Doch ich könnte das nicht. Ich könnte nicht einfach aufstehen und aus dem Haus gehen. Seltsam, dass mir in so einer Situation gerade solchen abstrusen Gedanken kommen. Ich bin wohl hochgradig verwirrt. „Entschuldige“, sagt Hiro, „Ich habe gedacht, ihr seid in einen anderen Club gegangen. Hätte ich das gewusst, wären wir nicht hier. Brooklyn ist erst seit Kurzem in der Stadt und wollte schon die letzten Wochen immer weggehen, aber niemand hatte Zeit. Also …hab ich mich erbarmt. Ihr kennt euch ja schon.“ Jetzt muss ich Brooklyn wohl begrüßen. Ich nicke ihm kurz zu. „Ah, und ihr seid also zusammen, ja? Du siehst gut aus, Kai. Anders, aber gut“, entgegnet er und ich stutze. Hat Hiro ihm von uns erzählt? Und was fällt ihm überhaupt ein, von uns als Paar zu reden? Ich schüttele seinen Arm ab und mache einen Schritt von ihm weg. „Dein Bruder und Hiromi sind auch irgendwo“, sage ich, aber das ist keine Erklärung für mein Verhalten, „Übrigens macht Takao sich Sorgen, weil du dich nicht mehr zu Hause blicken lässt. Vielleicht solltest du ihm demnächst mal zeigen, dass du noch am Leben bist.“ Hiro seufzt. „Dann bringe ich es am besten schnell hinter mich. Ich habe keine Lust auf lange Diskussionen. Ich seh mal nach ihm“, fügt er hinzu und stellt sein Glas ab. Wenig später ist er in der Menge verschwunden; ich sehe ihm nach, bis Brooklyn mich anspricht. „Also doch keine feste Beziehung, sehe ich das richtig?“ „Es ist…temporär“, antworte ich, „Mal sehen, wie lange ich ihn noch aushalte.“ Brooklyn lacht, und ich spüre seinen Blick auf mir wie tastende Finger. „Du siehst wirklich großartig aus.“ „Warum“, frage ich entnervt, „rastet ihr Normalos eigentlich immer sofort aus, wenn man mal keine Schlabberjeans und Shirt anhat?“ „Naja, du sagst es doch: keine Schlabberklamotten. Das sieht gut aus. Außerdem sind Typen wie du einfach interessant. Vielleicht liegt es an eurer permanenten Unzufriedenheit“, antwortet er, „Ich meine, warum macht ihr denn so einen Aufriss? Ihr habt immer etwas an euch auszusetzen. Man sagt euch, dass ihr schön seid und ihr glaubt es einfach nicht. Ihr wollt immer irgendetwas an euch verbessern, habt immer irgendwelche Komplexe und kriegt sofort die Krise, wenn ihr nicht perfekt ausseht. Das hat seinen Reiz, weißt du.“ Er schiebt mir Hiros Glas hin. „Sieht so aus, als müsstest du jetzt erstmal mit mir weiter trinken.“ „Also seid ihr alle irgendwie masochistisch veranlagt“, stelle ich fest und leere das halbvolle Glas in einem Zug. Ja, dieser Drink passt zu Hiro. Er ist einfach und nicht sonderlich alkoholisch. Ich winke den Barkeeper heran und bestelle einen Long Island Ice Tea. „Warum bist du wieder hier?“, frage ich Brooklyn, doch ich höre ihm gar nicht richtig zu, als er antwortet. Es interessiert mich einfach nicht, aber sein abwartender Blick geht mir auf die Nerven. Er erzählt irgendwas von Schule und Beybladen, und dann steht Hiro auf einmal wieder neben ihm. Das ging ja schnell. „Takao und Hiromi sind gerade verschwunden. Ich glaube, die wollen noch ein wenig unter sich sein… Ich hab jetzt mal behauptet, Kai bleibt den Abend bei uns, damit sie sich nicht die Köpfe über dich zerbrechen.“ Ich betrachte die beiden vor mir und befinde, dass sie ein schönes Paar wären. Vielleicht wäre Brooklyn auch eine klügere Wahl für Hiro. Sie passen einfach zueinander. Innerhalb der nächsten fünf Minuten stürze ich meinen Drink hinunter, wodurch mir angenehm schummrig wird. Brooklyn muss darauf gelauert haben, dass ich fertig werde, denn sobald ich das Glas abgestellt habe, packt er mich und Hiro am Arm und zieht uns in eine Ecke, wo ein Sofa steht. Sie nehmen mich in die Mitte und reden über mich hinweg pausenlos über irgendwas. Ich lehne mich zurück und lasse den Alkohol in meinem Körper wirken. Hiros Hand liegt auf meinem Bein und streicht langsam auf und ab. Ich drehe den Kopf ein bisschen und betrachte ihn. Seine ganze Haltung zeigt den stolzen Besitz meiner Person an, obwohl er sich gar nicht mit mir beschäftigt. Ich frage mich, was mir an ihm liegt. Plötzlich verstummen sie und ich merke, dass Brooklyn mich ansieht. „Wie findest du mich eigentlich, Kai?“, fragt er. Ich muss eine Weile überlegen, doch dann hebe ich einfach die Schultern. „Du meinst, abgesehen davon, dass du mich damals beinahe umgebracht hättest? Oh, du bist ein ganz hübscher Kerl. Aber das muss nichts heißen. Ich hab halt eine Schwäche für Typen in Schlabberjeans.“ „Ach wirklich?“ Er wechselt einen Blick mit Hiro. „Weißt du, das trifft sich ganz gut…ich finde euch beide auch ziemlich heiß.“ Hiro scheint bei diesen Worten nicht annähernd so verwirrt zu sein wie ich. Worüber haben die beiden in den letzten Minuten eigentlich geredet? Ich richte mich auf und blicke in Brooklyns gut geschnittenes Gesicht. Augenblicklich weiß ich, dass er mich will. Er sieht mich an, wie Hiro, mit diesem ungeschliffenen Schlafzimmerblick, der mich erschauern lässt. „Was habt ihr vor?“, frage ich rhetorisch und in einem Ton, der eigentlich schon jede Antwort vorwegnimmt. Ich spüre, wie Hiro durch mein Haar streicht. Er ist einer von diesen spontanen Typen, fällt mir ein, er lässt Dinge einfach geschehen, wenn sich etwas ergibt. Brooklyn beugt sich zu mir und küsst mich. Hiros Hand in meinem Nacken versteift sich kurz, dann wandert sie nach unten und sein Arm legt sich um meine Taille, als wolle er mich festhalten, damit ich ihm nicht davonlaufe. Ich lehne mich an ihn und Brooklyn rutscht noch ein Stück näher. Nach einer Weile lässt er von mir ab, sieht mich noch einen Augenblick an und dann zu Hiro. Einen Moment später bin ich zwischen ihnen eingekeilt, während sie sich küssen. Brooklyn ist sehr stürmisch. Hiros Griff um meine Taille verstärkt sich. Ich habe noch nie gesehen, wie er jemanden küsst; nicht einmal uns beide habe ich dabei gesehen, im Spiegel oder so, gar nicht. Hiro lässt von Brooklyn ab und dreht den Kopf zu mir, um seine Lippen auf meine zu pressen. Zum ersten Mal bemerke ich, dass er irgendwie anders küsst, als die anderen, mit denen ich etwas hatte. Ich kann es nicht beschreiben, aber irgendetwas ist…einfach anders. Ganz sicher. Brooklyns Atem streift über meinen Hals, dann spüre ich, wie sein Mund über meine Haut wandert. Ich habe keine Ahnung, ob und wann die beiden ausgemacht haben, dass so etwas passieren soll, aber ich kann auch nicht behaupten, dass es mir nicht gefällt. Es ist dieses Verruchte, das mich reizt –etwas zu erleben, das ich so noch nicht kenne. Hauptsache, sie lassen mich danach beide wieder in Ruhe… Hiro löst unseren Kuss und wir sehen uns lange in die Augen. Der Blick ist so intensiv, dass ich Brooklyn ganz vergesse, der immer noch an mir herumknabbert. You show the lights that stop me turn to stone You shine them when I'm alone „Wie seid ihr denn darauf gekommen?“, frage ich leise und hebe meine Hand, um ihn am Arm zu berühren. Ich muss ihn jetzt einfach anfassen. Hiro hingegen scheint sich auf einmal nicht mehr ganz so wohl in seiner Haut zu fühlen. Ich merke, wie er immer wieder kurz zu Brooklyn schielt. „Willst du das hier?“, fragt er plötzlich. In diesem Moment fühle ich, wie seine Hand sich auf Brooklyns legt, die gerade noch mein Bein hinauf gestrichen ist, und sie daran hindert, weiterzuwandern. Ich versuche, seine Mimik zu entschlüsseln, herauszufinden, warum er einen Rückzieher machen will. And so I tell myself that I'll be strong And dreaming when they're gone „Ich will dich“, sage ich schließlich. Er richtet sich auf, umfasst meine Handgelenke und zieht mich zu sich hoch. An seiner Seite stehend erwidere ich Brooklyns verwirrten Blick. „Tut mir leid“, sagt Hiro, „Aber ich glaube, wir sollten es für heute dabei belassen.“ ‘Cause they're calling, calling, calling me home Calling, calling, calling home You show the lights that stop me turn to stone You shine them when I'm alone Home… Hiro hat kein Wort mehr über den Abend im Club verloren, aber seitdem ist er noch anhänglicher. Ich bin feinnervig geworden; manchmal möchte ich ihn schlagen, sobald er mich berührt. „Lass los“, sage ich sofort, als er mich von hinten umarmt, während ich die Hemden in meinem Kleiderschrank hin und her schiebe. Er ignoriert das, natürlich, und küsst meinen Nacken. Das Gefühl, das dabei in mir hochkommt, ist beinahe Ekel. Am liebsten würde ich ihm vor die Füße spucken. Ihm sagen, dass er mich nicht anfassen soll, nie wieder. Ich hasse es, berührt zu werden, gerade so intim. Seit ein paar Tagen ertrage ich es nicht einmal mehr, dass er meine Hand hält. Ich drücke meine Ellenbogen in Hiros Magen, sodass er schließlich doch von mir ablassen muss. „Ich hab gesagt, du sollst das lassen“, wiederhole ich, wobei er mich beleidigt ansieht. Fürs erste gebe ich es auf, passende Kleidung zu finden und gehe in die Küche, um mir noch einen Kaffee zu machen. Steigender Kaffeekonsum zeigt an, dass ich mal wieder dabei bin, mich in ein emotionales Loch zu manövrieren. Ich kenne das, also werde ich es schon aushalten. Ein paar Tage, vielleicht auch ein, zwei Wochen, in denen ich kaum schlafe und weder andere Menschen noch laute Geräusche ertrage –danach wird es mir um Längen besser gehen, als jetzt. Hiro folgt mir. Obwohl ich es nicht sehe, spüre ich ihn ganz deutlich; jeder seiner Schritte halt unerträglich intensiv in meinem Körper nach. „Was?“, sage ich, als er sich auf einen Stuhl setzt, während ich schon fahrig eine Filtertüte aus dem Karton fische. Es fängt immer mit zitternden Händen an. Das habe ich bald geschafft. „Was ist los mit dir, Kai?“ „Nichts“, sage ich sofort. „Natürlich.“ Als ich die Maschine zum Laufen gebracht habe, drehe ich mich zu ihm um und zwinge mich, ihn anzusehen. Er sieht ein bisschen elend aus, aber eigentlich kann man ihn nicht so sehr verunsichern. „Ist es wegen dieser Sache mit Brooklyn?“, fragt er, doch ich muss nicht einmal nachdenken, bevor ich den Kopf schüttele. Das ist es wirklich nicht. Dieser Moment zwischen Brooklyn, ihm und mir war der letzte, in dem ich ihn wirklich wollte und dachte, dass sich vielleicht doch noch alles fügen würde. Alles, was danach passiert ist, war schrecklich für mich. Obwohl da aus Hiros Sicht wahrscheinlich gar nichts Besonderes gewesen ist. „Was dann?“, fragt er, „Du weist mich seitdem nur noch ab.“ „Nicht erst seitdem, Hiro, das müsstest du doch wissen.“ Jetzt sieht er tatsächlich verletzt aus. Ich habe ihn bis jetzt noch nicht einmal verunsichert erlebt. In mir kommt wieder dieses seltsame Gefühl hoch, dieser Fast-Ekel, weil er einfach so erbärmlich wirkt. Urplötzlich glaube ich, kein Wort mehr sagen zu können. Dieser Moment ist schlagartig seltsam bedeutungsvoll geworden, und mir wird klar, dass das allein mir zuzuschreiben ist. Ich habe uns hierher manövriert. „Ich ertrage es einfach nicht mehr“, zwinge ich mich zu sagen, „Dich, meine ich.“ „Scheiße.“ Er stützt das Kinn in die Hand und weicht meinem Blick aus, starrt die Wand neben der Tür an. „Ich meine“, sage ich noch mal und merke verwirrt, wie ich mich zu erklären versuche, „Wir waren doch nicht einmal zusammen. Warum…Mach es doch nicht wichtiger, als es ist.“ „Soll ich jetzt gehen?“, fragt er laut, „Nur, weil du wieder eine von deinen Downphasen hast?“ Verdammt, ich fühle mich schuldig. Aber das braucht er nicht zu wissen. „Downphase, ja?“, fahre ich ihn an, „Ich sag dir jetzt was: Wenn du mal an etwas anderes als Sex gedacht hättest, hättest du schon früher bemerkt, dass ich längst keinen Bock mehr auf dich habe!“ „Ach ja?! Dann wirf‘ mich doch raus, wenn ich dir so zuwider bin! Na los! Sag, dass ich gehen soll!“ „Bitte“, sage ich und unterdrücke dabei das Gefühl purer Angst, das in meiner Brust aufsteigt, „Geh.“ So kurz. Ein paar Sätze gesagt, und alles ist vorbei. Wo bleibt die Erleichterung? Hiro steht auf und geht an mir vorbei. Unsere Körper streifen sich nicht mal, obwohl es hier so eng ist. Ich höre das Rascheln von Stoff im Flur und die Tür, das leise Quietschen, das sie beim Zufallen macht. Erst dann fange ich wieder an zu atmen. ‘Cause they're calling, calling, calling me home Calling, calling, calling home Home… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)