Die Geflügelte Schlange - Aufstieg von Erzsebet (* * make love, not war * * - Teil 1) ================================================================================ 4. Vor dem Sturm ---------------- Hamarem wurde wach und kämpfte sich aus der Umarmung des Schlafes, als müsse er aus einem Wasserbecken auftauchen, um Luft zu holen. "Willkommen unter den Lebenden", begrüßte ihn Derhan. "Was ist passiert?" Hamarem bemühte sich, klar zu sehen, aber alles was er anblickte, wurde in dem Moment verschwommen. Nur an den Rändern seines Gesichtsfeldes konnte er erkennen, daß er sich im Befehlshaberzelt befand und es noch dunkel war. "Du hast dich mit Stechapfelkernen vergiftet. Du wirst es überleben, aber es wird eine Weile dauern, bis du wieder richtig sehen kannst", erklärte Derhan und Hamarem glaubte, einen gehässigen Ton in seiner Stimme zu hören. "Aber ich habe doch darauf geachtet, meine Hände vor dem Essen gründlich von den Kernen zu reinigen. Ich habe sicher nichts..." "Die Dämpfe von deiner Aufkochung waren wohl schuld, denke ich. Wie bist du nur auf die Idee mit der Giftmischerei gekommen? Hast du vor, dich Enwar und Tyrimar anzuschließen und Ashan zu vergiften, wenn er den sogenannten Unirdischen nicht freiläßt?" "Was habe ich vor?" fragte Hamarem, der glaubte, nicht richtig gehört zu haben. "Was haben Enwar und Tyrimar vor?" Hamarem richtete sich auf und versuchte aufzustehen, aber der Boden unter ihm schwankte zu sehr und so ließ er sich wieder auf das Lager plumpsen. "Sag nicht, du hast nichts davon gemerkt in den letzten Tagen. Ich jedenfalls habe mitbekommen, wie sie sich ständig zusammensetzen und tuscheln. Auch Farhans kleiner Bruder ist dabei und das wird Farhan gar nicht gefallen, wenn er aus der Kameloase zurückkehrt." "Die letzten Tage?" fragte Hamarem und fühlte Panik in sich aufsteigen. "Was für letzte Tage? Ich habe sie letzte Nacht reden gehört, aber das klang nicht, als würden sie einen Umsturz planen." "Letzte Nacht? Wie viele Tage nach dem Überfall?" fragte Derhan nach. Hamarem mußte kurz überlegen. "Zwei Tage nach dem Überfall. Letzte Nacht eben." "Du meinst also die vorletzte Nacht", berichtigte Derhan ihn. "Du liegst hier bereits einen Tag und eine Nacht. Und diese Nacht ist bald zuende." "Der Stechapfelsud war für mich", erklärte Hamarem in einem Nachgedanken. "Du wolltest also dich selbst umbringen", stellte Derhan fest. "Orem bewahre! Ich wollte einen Schlaftrunk herstellen", empörte Hamarem sich. "Aber du hättest dich damit umgebracht, wenn du etwas davon zu dir genommen hättest, soviel ist sicher. Warum hast du mich nicht gefragt, ob ich etwas für dich habe?" "Weil du gefragt hättest, warum ich ein Schlafmittel brauche." "Richtig." Derhan lachte leise. "Also, weswegen brauchst du ein Schlafmittel?" Hamarem drehte sich von Derhan weg und schwieg. "Dein Leben hast du übrigens Lehan zu verdanken. Wenn er dir nicht immer wieder Atem eingeblasen hätte, hättest Du es wohl nicht überlebt", erzählte Derhan beiläufig. Obwohl Hamarem mit dem stillen und in sich gekehrten Lehan nun seit zwei Jahren in einem Zelt wohnte, wußte er nicht mehr über den Mann, als daß er gewöhnlich für die Reittiere in Nefuts Einheit verantwortlich war und die Tiere, wenn erforderlich, auch die Nacht hindurch pflegte. Wenn er nun auch in den Genuß von Lehans Ausdauer in der Behandlung von Kranken gekommen war, "dann hat Lehan wohl meinen Dank verdient", sagte Hamarem leise. "Und wer hat mich gestern vertreten?" "Da darfst du Enwar und mir danken, das haben wir uns geteilt", antwortete Derhan leichthin. "Und wir werden dich wohl auch noch heute und morgen vertreten, denn ich glaube nicht, daß du so bald wieder auf den Beinen bist." Hamarem seufzte. Wieso hatte er versuchen müssen, den Stechapfelsud zu brauen? Natürlich, er hatte befürchtet, erneut von Amemna Darashys Annäherungen zu träumen, er hatte regelrecht Angst davor, diese Träume zu haben. Wieso bereiteten sie ihm solche Furcht? Der junge Mann war keineswegs furchterregend. Und Orem, der ihm aus welchem Grund auch immer diese Träume geschickt hatte, würde ihn dafür doch nicht bestrafen, auch wenn Hamarem darin gegen die Gebote der Weisen und Heiligen verstieß. Zumindest nicht, wenn es sich bei ihm wirklich um den Abkömmling eines Unirdischen und nicht doch um einen Dämon handelte, der ihn mit den Träumen vom Wahren Weg abbringen wollte. Es mußte etwas in den Träumen stecken, das diese Angst begründete, ebenso wie die Träume von der geflügelten Schlange ihn hinausgetrieben hatten in die Welt, allein durch das Gefühl, sich in Harna am falschen Ort zu befinden. Also sollte er die Träume wohl nicht fliehen, sondern versuchen, sie zu verstehen. * Vier Tage war Hamarem praktisch an sein Lager gefesselt, da es ihm zunächst schwer fiel, das Gleichgewicht zu halten, und er kaum genug sah, um auch nur allein das Zelt zu verlassen um sich zu erleichtern. Lehan half ihm, schien fast ständig an seiner Seite zu sein, wenn er eine helfende Hand brauchte, die ihn fütterte oder säuberte. Hamarem nahm die Hilfe so selbstverständlich an, wie sie gewährt wurde, ohne darüber ein weiteres Wort zu verlieren, nachdem er sich für die Rettung seines Lebens bedankt hatte. "Es steht in meiner Macht, zu helfen, also helfe ich", hatte Lehan nur erwidert und von da ab kaum mehr als das Nötigste gesprochen. Hamarem hatte also Zeit, sich über die Träume Gedanken zu machen. Eine Theorie über ihre Ursache hatte er schnell entwickelt. Sie waren stets aufgetreten, wenn Hamarem den jungen Darashy berührt hatte oder dieser ihn. Vor dem ersten Traum hatte er ihn an Hand und Arm aus der Oase in das Gefangenenlager geführt, und vor dem zweiten Traum hatte Amemna Darashy ihn aus Dankbarkeit über die Rückgabe der Schriftrolle umarmt und geküßt. In der Nacht nach ihrem Gespräch, das ohne eine Berührung verlaufen war, hatte er keinen Traum gehabt. Ob diese Theorie Bestand hatte, würden allerdings erst weitere Begegnungen mit dem jungen Darashy erweisen. Die Gründe für seine Angst vor den Träumen wagte er jedoch wie einen faulen Zahn nicht näher zu erforschen. Enwar erkundigte sich täglich einmal nach Hamarems Befinden, dann teilten sie schweigend die Nachtmahlzeit und legten sich schlafen. Derhan, der tagsüber im Zelt schlief, kam zu seinen Wachzeiten mehrfach ins Zelt, betrachtete jedes Mal prüfend Hamarems Augen, und wenn niemand anderer zugegen war, nutzte er die Gelegenheit, weiter von den Verschwörungsgerüchten zu berichten, während er sich säuberlich den Schädel rasierte. Demnach planten Enwar, Tyrimar, der Kleine Nefut und Hamarems Zeltgenosse Mutar einen bewaffneten Umsturz, sollte Ashan den jungen Amemna Darashy nicht auf ihre Forderung hin freilassen. Derhan berichtete, daß sie auch versucht hätten, Enwars Befehlshaber Doshan auf ihre Seite zu ziehen, aber der hielt sich noch bedeckt, auch wenn er anscheinend ebenso wie die Verschwörer davon überzeugt war, daß Amemna Darashy von unirdischem Blute war. Derhan dagegen glaubte nicht daran, daß Menschen mit unirdischem Blut unter den Sterblichen wandelten, vielleicht glaubte er nicht einmal an die Existenz der Unirdischen oder an die Götter, und Hamarem selbst hatte das Gefühl, daß sich seine Gedanken wirr im Kreis bewegten wenn er sich sein Wissen zu Unirdischen und Dämonen vergegenwärtigen wollte. Vier Tage lang konnte Hamarem nicht das Zelt verlassen, um einfach mit dem jungen Mann zu sprechen und ihn nach seiner Herkunft zu fragen, und vier Tage blieben gnädigerweise auch die beunruhigenden Träume aus. Am fünften Tag war Hamarem endlich wieder ganz er selbst, erhob sich, vom Liegen schwach und wackelig auf den Beinen aber ansonsten gesund, von seinem Lager und trat hinaus in die Morgensonne, um endlich wieder als Befehlshaber des Gefangenenlagers tätig zu werden. * Terhan war als erster der drei Schreiber am Vorabend mit Lösegeldzahlungen aus der Kameloase zurückgekehrt, und die ausgelösten Gefangenen mußten nun in die Kameloase gebracht werden, damit sie von dort in ihre Heimat zurückkehrten, ohne den Schlupfwinkel der Banditen verraten zu können. Hamarem hatte viel zu tun aber trotzdem gelang es ihm, eines der Probleme, die ihm am Herzen lagen, in Angriff zu nehmen, indem er spät am Abend, als Derhan die Befehlsgewalt über das Gefangenenlager übernommen hatte, Enwar um ein Gespräch bat. "Gerüchteweise habe ich gehört, daß einige Männer damit unzufrieden sind, daß Ashan einen Mann gefangengesetzt hat, der möglicherweise unirdisches Blut in seinen Adern hat", begann Hamarem direkter, als er es eigentlich vorgehabt hatte, denn der anscheinend geplante Aufstand gegen den gewählten Anführer Ashan beunruhige ihn fast noch mehr als die Frage, ob der mutmaßliche Unirdische denn nun ein solcher war oder nicht. Enwar sah in die Tonschale, in die er seine Portion des Nachtmahles gefüllt hatte, wollte wohl zunächst schweigend essen, aber überlegte es sich dann anders. "Es gärt im Lager, Hamarem." Enwar sah Hamarem direkt in die Augen, etwas, das er die letzten Tage nicht getan hatte. "Wenn ich den Männern nicht ein Ventil für ihren Unmut gegeben hätte, wäre der Aufstand schon lange ausgebrochen." "Was für ein Ventil?" fragte Hamarem. "Die Aussicht, Amemna Darashy zu befreien, wenn das Lösegeld in den nächsten Tagen nicht eintrifft - egal wie Ashans Entscheidung zu diesem Thema ausfällt", gab Enwar unumwunden zu. "Du sprichst von einem Aufstand", gab Hamarem in gedämpftem Ton zu bedenken. "Ja", antwortete Enwar schlicht. Hamarem schüttelte den Kopf, aber er wußte nicht, wo er beginnen sollte. Was war mit Terhans Männern hier im Gefangenenlager? Hatten sie schon Wind bekommen von der Verschwörung? Hatten die Aufständischen überhaupt einen der Unterführer auf ihrer Seite? Wenn sie Enwars Befehlshaber Doshan bereits erfolgreich auf ihre Seite gezogen hätten, so hätte doch Enwar sicher nicht versäumt, es zu erwähnen. Und Farhan, der Befehlshaber von Tyrimar und dem Kleinen Nefut, war genau wie Nefut noch immer einen Tagesritt weit entfernt in der Kameloase. "Ich werde dich nicht fragen, ob du dich uns anschließt", sagte Enwar plötzlich in die Stille. "Aber offenbar befürchtest du nicht, ich könnte dich und deine Pläne verraten." Hamarem wußte nicht, ob er diese Einschätzung als Kompliment nehmen konnte. "Du wirst Nefut folgen, egal wie er sich entscheidet", sagte Enwar. "Was ist, wenn Nefut in ein paar Tagen mit dem Lösegeld für Amemna Darashy kommt?" wollte Hamarem wissen. "Wenn er freigelassen wird sind wir zufrieden. Aber es ist sehr unwahrscheinlich, daß er ausgelöst wird. Alle anderen Darashy sind seit heute wieder auf dem Weg nach Hause, nur auf seinen Brief gab es keine Antwort, obwohl die Zelte der Darashy zur Zeit nahe an der Kameloase stehen." Natürlich hatte Enwar recht, Hamarem würde Nefut folgen. Wenn Nefut, wie es zu erwarten war, seinen gewählten Anführer unterstützte, würde auch Hamarem alles daransetzen, den Aufstand zu verhindern. Aber Hamarem wurde unwohl, wenn er an die möglichen Konsequenzen für den jungen Darashy dachte, sollte das Lösegeld ausbleiben. Gewöhnlich wurden Gefangene, deren Familien sich auf die Lösegeldforderungen nicht meldeten, als Sklaven verkauft. Aber so weit durfte es nicht kommen! Nefut mußte Ashan zur Freilassung des jungen Darashy bewegen - allein schon um das Blutvergießen innerhalb der Bande zu verhindern. Allerdings konnte er Nefut von der Verschwörung nichts erzählen, denn dann hätte es das Ehrgefühl des ehemaligen Darashy-Prinzen sicher verlangt, seinem Anführer Ashan davon zu berichten. Die Folgen der Verhinderung eines Aufstandes wären ebenso verheerend, wie die eines stattfindenden Aufstandes. So oder so würde es Tote geben. Hamarem fragte nicht, wer denn bereits zu den Mitverschwörern des geplanten Aufstandes gehörte und Enwar sagte nichts dazu. Aber Derhan hatte recht, es war mehr als offensichtlich, daß Tyrimar und der Kleine Nefut dabei waren, wenn sie sich auffällig unauffällig mit Enwar in dunkle Ecken zurückzogen. Auch Mutar schien mit der Verschwörung tatsächlich mehr als nur zu liebäugeln. Hamarem konnte nur hoffen, daß Nefut bald aus der Kameloase zurückkehrte - mit dem Lösegeld für Amemna Darashy. * Am nächsten Morgen suchte Hamarem den letzten gefangenen Darashy in dem ansonsten leeren Zelt auf. Bei Hamarems Eintreten hatte der junge Mann hastig etwas verborgen. Als er Hamarem erkannte, atmete er sichtlich auf, zog die rasch zusammengeraffte Schriftrolle hervor und rollte sie ordentlich zusammen. "Ich frreue mich, euch zu sehen, Herrr", begrüßte er Hamarem mit einem herzlichen Lächeln. "Ihr habt euch inzwischen gut hier eingerichtet, wie ich sehe", gab Hamarem zurück. Das Zelt war mit Kissen und einem niedrigen Tischchen ausgestattet, auf dem Tisch stand eine Kanne mit Tee und eine Trinkschale, und der Fußboden war mit mehr Teppichen bedeckt als das Zelt der Befehlshaber des Gefangenenlagers. Amemna Darashy errötete und senkte den Blick. "Die Männerr, die mich bewachen, haben mirr die Sachen gebrracht." Hamarem fragte sich, ob der junge Mann die anderen zur Durchsetzung seiner Wünsche ebenso um den Finger gewickelt hatte, wie vor einigen Tagen Hamarem, damit der ihm die Papyrusrolle besorgte. Aber wie er da kniete, sah er so unschuldig aus, daß Hamarem diesen Gedanken schnell wieder von sich schob. Hier sah er wohl nur die freundlichen Gaben der Männer, die davon überzeugt waren, es in Amemna Darashy mit dem Nachkommen eines Unirdischen zu tun zu haben und die ihm seine Gefangenschaft so leicht wie nur irgend möglich machen wollten. "Bisher ist leider noch kein Lösegeld von den Darashy für euch eingetroffen", begann Hamarem das Gespräch. "Seid ihrr sicherr, daß mein Brrief die Zelte derr Darrashy errreicht hat, Herrr?" fragte der junge Mann. Hamarem nickte entschieden. "Alle Briefe an die Darashy sind zusammen befördert worden. Und wie ihr seht, sind die anderen Darashy bereits ausgelöst worden." Amemna Darashy nickte traurig. "Und so leid es mir tut das sagen zu müssen: ohne Geld werdet ihr nicht freigelassen werden." Auf den erschrockenen Gesichtsausdruck des jungen Mannes war Hamarem gefaßt gewesen, aber nicht auf das Gefühl, das es in ihm auslöste. Er war drauf und dran dem Jungen anzubieten, das Lösegeld aus seiner eigenen Tasche aufzubringen. Leuchtende Wirbel stoben durch die Kräfte um den jungen Mann, dann hellte sich sein Gesicht plötzlich auf und er begann überraschend: "Vielleicht kann ich auf anderre Weise dafürr sorrgen, daß ihrr oder euerr Anführrerr das Geld errhält." "Und wie wollt ihr das machen?" fragte Hamarem neugierig. "Von einem Mitrreisenden derr Karrawane hatte ich gehörrt, daß derr König von Hannai bei Nemis Trruppen fürr einen Krrieg sammelt. Err hat fürr jeden einzelnen Mann viel Geld verrsprrochen, ganze Einheiten sollen sogarr noch einen Bonus errhalten", erzählte der junge Mann nun. "Wenn sich viele oderr sogarr alle Stammeslosen zu diesem Heerrzug melden, wirrd derr Bonus wohl dem entsprrechen, was ihrr als Lösegeld fürr mich verrlangt habt. Und wenn ihrr mich als den Verrmittlerr dieses Geschäftes anseht, da ich euch die Inforrmation gegeben habe, würrde derr Bonus mirr doch zustehen und ich würrde ihn dafürr nutzen, mich selbst auszulösen." Amemna Darashy strahlte vor Freude über seinen gelungenen Einfall. Die Idee klang in der Tat nicht schlecht und wurde dadurch noch attraktiver, daß sich hier nun eine Möglichkeit des anständigen Gelderwerbs auftat. Es mochte tatsächlich genügend Bandenmitglieder geben, die mit der Aussicht, danach ein ehrliches Leben führen zu können, den Krieg dem Verbleiben in der Bande vorzogen. "Ich werde diese Information an unseren Anführer weiterleiten", versprach Hamarem also, denn Nefuts Rückkehr aus der Kameloase war bald zu erwarten. * * * Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)