Ha cessato di piovere von Schangia (Es hat aufgehört zu regnen) ================================================================================ Kapitel 2: La colpa (die Schuld) -------------------------------- Er wollte nicht aufwachen. Am besten nie mehr. Stattdessen wollte er ewig verweilen in diesem Dämmerzustand zwischen Traum und Wirklichkeit, in dem sich seine Sinne fühlten wie in Watte gepackt. In dem seine Narben nicht ziehend schmerzten, und in dem es die hämisch lachenden Stimmen in seinem Kopf nicht gab. Die Welt brauchte ihn nicht, niemand tat das. Nicht nach dieser Schande. Fest hielt er seine Augen geschlossen, kniff sie so angestrengt zusammen, dass es hinter seinen Lidern schmerzhaft pochte. Doch trotz seiner Bemühungen glitt er allmählich in einen Wachzustand, nahm seine Umgebung intensiver wahr. Das Aufwachen kam immer dann, wenn man es am wenigsten begrüßte. Mürrisch schlug er die Augen auf, war überrascht von dem gedämmten Licht in seinem Zimmer. Wahrscheinlich hatte einer seiner nutzlosen Offiziere die Güte besessen, die schweren Vorhänge zuzuziehen. Während er still dalag und einfach nur an die Decke starrte, hoffte er, wieder ein Gefühl für seine tauben Gliedmaßen zu bekommen. Entgegen seiner Erwartungen fühlte sich sein Körper immer noch an wie ein Fremdkörper, als er sich aufsetzte und seinen leeren Blick auf die ihm gegenüberliegende Wand richtete. Xanxus wusste nicht, wie lange er regungslos im Bett gesessen hatte, ehe sich die Schlafzimmertür leise öffnete. Träge wandte er den Kopf nach rechts um zu sehen, wer sich in die sprichwörtliche Höhle des Löwen wagte. Dass er als erstes einen silberweißen Schopf langen Haares erblickte, verwunderte ihn nicht. Zügig trat Squalo ein und schloss die Tür. Auch er war angeschlagen von dem Kampf um die Ringe, konnte sich aber anscheinend schon wieder ohne Rollstuhl fortbewegen, wenn auch humpelnd. Er blieb an der Tür stehen, so als hätte er nicht damit gerechnet, dass Xanxus schon wach war. Dieser betrachtete seinen Vize nur stumm, fast schon penetrant, und es störte ihn nicht im Geringsten, dass sein Blick Squalo unangenehm zu sein schien. Sein Gegenüber hüstelte kurz, fragte dann gespielt ungezwungen: »Auch mal aufgewacht?« Abfällig schnaubend richtete Xanxus seine Augen wieder geradeaus. »Chiudi il becco«, knurrte er kraftlos, wollte nicht mit Squalo, mit niemandem reden. Er war sich sicher, dass sein unfähiger Regenwächter um diese Tatsache wusste. Wäre er nach all den Jahren, die sie miteinander verbracht hatten, immer noch nicht dazu in der Lage, zwischen einem friedlichen und einem wütenden Xanxus zu unterscheiden, läge ihm wohl nicht viel an seinem Leben. Squalo hatte anscheinend mit einer höheren Gewaltbereitschaft auf Seiten seines Bosses gerechnet, denn er ging beinahe misstrauisch einige Schritte auf das riesige Bett zu, blieb dann etwas unschlüssig stehen. »Wie fühlst du dich?« Er klang fast schon besorgt. Überrascht zog Xanxus eine Augenbraue hoch und sah sein Gegenüber ungläubig an. Hätte er nicht dieses schreckliche Kratzen im Hals, hätte er wohl aufgelacht. »Bist du neuerdings blind, oder was?« Trotz schmerzender Kehle – oder vielleicht gerade deswegen – klang er so aggressiv, wie er es im Kampf um die Ringe gewesen war. Sehr zu Squalos Überraschung, der mit seiner Frage etwas anderes hatte bezwecken wollen. Aber wie konnte er auch naiv genug sein, auf einen gutgelaunten Xanxus zu hoffen, der ihn auf Anhieb verstand? »Ich meinte nu—«, setzte er an, wollte Xanxus besänftigen, sich gleichzeitig rechtfertigen, doch der andere schnitt ihm das Wort ab. »Io so.« Seufzend fuhr er sich mit einer Hand durch das unordentliche schwarze Haar. »Schon gut.« Zögerlich trat Squalo näher ans Bett heran, ertappte sich dabei, wie er nach eventuellen Wurfgeschossen Ausschau hielt, zu seinem Glück jedoch keine in Xanxus' Nähe fand. In seinem Kopf ging er alle Pläne durch, die ihm auf die Schnelle einfielen und die ihn nicht umbringen konnten. Wenn ein besorgter Unterton Xanxus aggressiv machte, konnte er es ruhig mit Humor versuchen. Squalo zwang sich zu einem leisen Lachen, obwohl ihm nicht danach zumute war. »Die Hosenscheißer haben uns ganz schön vorgeführt, was?« Keine Reaktion. Sein Freund schwieg weiterhin konsequent, starrte an die ihm gegenüberliegende Wand. Es gelang Squalo gerade noch, sein Seufzen zurückzuhalten. Etwas aufmunternder fuhr er fort: »Aber wir werden den guten Ruf der Varia schon wieder herstellen.« ›Welcher gute Ruf?‹, dachte Xanxus zynisch, behielt diese Frage jedoch für sich. Abwesend wandte er den Kopf zur Seite, wollte Squalo nicht einmal mehr aus dem Augenwinkel heraus sehen können. »Viel Spaß dabei«, murmelte er teilnahmslos, die Stimme im Gegensatz zu sonst viel zu ausdruckslos. Nun ließ Squalo ein Seufzen zu, trat so nah an das Bett heran, dass er Xanxus die Hand auf den Kopf hätte legen können, wenn so eine Geste für ihn üblich gewesen wäre. Er musste sich wohl noch etwas mehr anstrengen, wenn er seinen Freund aufheitern wollte. »Wen interessiert schon die Position des Vongola Decimo?«, fragte er spöttisch, innerlich den Erfolg zelebrierend, dass Xanxus sich tatsächlich wieder in seine Richtung drehte. Viel zu spät bemerkte er den Protest, der ihm aus matten roten Augen entgegen sprang: ›Mich.‹ Plötzlich begann sein Hals zu kratzen. Squalo wusste nicht, warum ihn Xanxus' enttäuschter Blick so aus dem Konzept brachte. Noch mehr irritierte ihn, dass er das kratzende Gefühl auch durch vermehrtes Schlucken nicht beseitigen konnte. Wahrscheinlich hatte er wie so oft das Falsche gesagt. Hatte es gewagt, einen Gedanken auszusprechen, für den ein zurechnungsfähigerer Xanxus ihm wahrscheinlich den Kopf auf der Tischplatte blutig geschlagen hätte. Doch wenn er eh alles falsch machte, konnte er jetzt auch nichts mehr verlieren. Langsam, vorsichtig setzte Squalo sich neben Xanxus aufs Bett, beobachtete jede seiner Regungen. Allerdings hatte dieser den Blick wieder gesenkt, sah gedankenverloren auf seine Hände. Squalo seufzte. Wie viel schlimmer konnte es schon werden, wenn er jetzt all das sagte, das ihm gerade erst in den Sinn gekommen war oder ihm schon seit Jahren auf der Zunge lag? »Du brauchst diesen dämlichen Titel nicht«, meinte er, die Stimme fest. ›Du bist eh nicht gut genug dafür‹, war das, was Xanxus hörte. Als er keine Antwort erhielt, nicht einmal eine Reaktion auf seine Worte bemerkte, fuhr er ungerührt fort: »Dieser dämliche alte Sack ist deine Mühen gar nicht wert.« ›Du könntest ihn nicht zufrieden stellen, selbst wenn du wolltest.‹ Immer noch nichts. Für einen kurzen Moment hatte Squalo geglaubt, Xanxus' Schultern hätten gezuckt, doch das war vermutlich nur seine Einbildung gewesen. Der Boss der Varia saß ganz still da, den Oberkörper nach vorne gebeugt, die Augen glasig, soweit er das von seiner jetzigen Position aus erkennen konnte. Und allmählich fehlten Squalo die Worte. Noch etwas, das ihn irritierte, denn für gewöhnlich war er dasjenige Mitglied der Varia, das am meisten, längsten und lautesten redete. Also ging er gedanklich alle Erfahrungen durch, die er und Xanxus teilten, bis er schließlich fündig wurde. »Ich habe Tyr nicht umsonst besiegt, also trage den Titel unseres Bosses mit Stolz«, murrte er mit dem Anflug eines Schmollens, doch alles, was bei Xanxus ankam war ›Nicht einmal das hast du allein geschafft‹. Xanxus' leises Knurren hingegen konnte er nicht so einfach als Einbildung abtun. Dafür machte es ihm deutlich, dass er wieder einmal die falschen Worte gewählt hatte. Die richtigen Worte zu finden erschien ihm allerdings viel zu schwer, wenn er bedachte, dass es sich bei seinem Gesprächspartner um Xanxus handelte. Wieder wurde es still zwischen ihnen. Eine Stille, die er nicht mochte, die anders war als sonst, brachte sie doch Distanz zwischen ihn und seinen Freund. Ein weiteres Seufzen glitt über seine Lippen. »Senti. Du weißt, dass ich das unter normalen Umständen niemals sagen würde, aber...« Aber das hier waren keine normalen Umstände. Nie hatte er Xanxus in so einem emotionalen Tief erlebt. Bei genauerer Betrachtung hatte er an ihm nie andere Emotionen gesehen als Wut, Schadenfreude und Hass. Als der Boss der Varia jetzt allerdings seinen Kopf hob, ihn aus stumpfen roten Augen ansah, strahlte er nicht ansatzweise das Selbstvertrauen und die Stärke aus, die Squalo vor vielen Jahren dazu verleitet hatte, diesem Mann bis ans Ende der Welt zu folgen. Ihm ewige Treue zu schwören, Beistand und die Gewissheit, ihn niemals allein zurückzulassen. »Ich glaube an dich«, flüsterte er vorsichtig, darauf bedacht, dass Xanxus verstand. Und tatsächlich zuckten die Schultern des anderen kurz, ehe er den Blick wieder gen Boden richtete. Langsam, ganz langsam hob Squalo seine Linke und legte sie auf Xanxus' Hand. Xanxus ließ es geschehen, es kümmerte ihn nicht. Wen interessierte die Meinung seines Freundes schon? Obwohl er sich in all den vergangenen Jahren hatte einreden wollen, dass Squalos Worte für ihn ohne Bedeutung waren, stockte ihm bei dessen nächsten Satz der Atem. »Und das solltest du auch tun.« Auch wenn es wahrscheinlich der völlig falsche Zeitpunkt dafür war, war Squalo doch ein wenig stolz über seine einfühlsamen Worte. Wer hätte gedacht, dass er dazu überhaupt in der Lage war? Xanxus' Antwort fiel jedoch vollkommen anders aus, als er sich erhofft hatte: »Verschwinde. So wie die anderen auch.« Trotzig sah er seinen Regenwächter an, fast wie ein kleines Kind, sodass Squalo sich an ihre gemeinsame Schulzeit erinnert fühlte. Dieses kleine Stück Gewohnheit brachte Squalo dazu, empört – und in gewohnter Lautstärke – aufzulachen. »Voooi, glaubst du allen Ernstes, dass ich dich alleine lasse? Gerade jetzt, wo du dich in Selbstmitleid suhlst?« Als Xanxus nur genervt mit den Augen rollte, fügte Squalo etwas leiser hinzu: »Ich hab keinen Bock, dich bei meinem nächsten Besuch von der Decke baumeln zu sehen.« Dass Xanxus wirklich so dumm sein würde, Selbstmord zu begehen, nahm er zwar keineswegs an, doch in ihrer gemeinsam verbrachten Zeit hatte er gelernt, besser Vorsicht als Nachsicht walten zu lassen. Erst jetzt schien Xanxus zu bemerken, dass Squalos Hand immer noch auf seiner ruhte. Er verzog das Gesicht ein wenig, schüttelte die kalte Prothese ab. Das schiefe Grinsen seines Gegenübers ignorierend fragte er: »Perché?« Diese Frage irritierte Squalo ein wenig. »Warum was?« Unsicher legte er den Kopf schief, während Xanxus sich seufzend mit einer Hand durch die dunklen Haare fuhr. »Warum lässt du mich nicht allein?« Wäre er an Squalos Stelle, hätte er das schon längst getan. Nicht, dass er sich schuldig fühlte für all die Dinge, die er seinem Freund angetan hatte. Allerdings war Xanxus bewusst, dass jeder rational denkende Mensch sich angesichts dieser Behandlung schon längst von ihm abgewandt hätte. Zu seinem Erstaunen lachte Squalo. Nicht gehässig, sondern aufrichtig. Wie vor vielen Jahren, als sie sich als Jugendliche kennengelernt hatten. »Denk mal an den ganzen Mist, den wir schon zusammen erlebt haben.« Immer noch lächelnd wagte er es doch tatsächlich, Xanxus seine Hand auf die Schulter zu legen. Dieser ließ es zu, weniger widerwillig als er vermutet hatte. Dann tat er etwas, das Squalo zwar nie für möglich gehalten hätte, ihm aber dennoch eine gewaltige Last von den Schultern nahm: Xanxus' Mundwinkel zuckte nach oben, ein herausforderndes Funkeln war in seine Augen getreten. »Pappamolla. Seit wann legst du so viel Wert auf Gefühlsduseleien?« Kurz schmunzelten beide, doch Squalo wurde schnell wieder ernst. »Seit du den Teil von dir verloren hast, auf den ich damals mit meinem Leben geschworen habe.« Zuerst wirkte Xanxus ziemlich sprachlos. Verwirrt zog er die Stirn kraus, schien zu überlegen. Schüttelte dann grinsend den Kopf und schob Squalos Hand auf seiner Schulter beinahe sanft beiseite. »Jetzt zieh schon ab.« Squalo erwiderte das Grinsen, stand auf und ging langsam zur Tür. »Was immer Eure Majestät wünscht.« Mit spöttisch hochgezogenen Augenbrauen deutete er eine Verbeugung an und verschwand dann schnell, ehe Xanxus die Lampe auf seinem Nachttisch zum Wurfgeschoss umfunktionierte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)