Das Gesicht im Wind von Arcturus (Wichtelgeschichte für Glimmer) ================================================================================ Später ------ Er konnte sich nicht daran erinnern, das Bewusstsein verloren zu haben. Genauso wenig konnte er sich allerdings daran erinnern aufgewacht zu sein. Der Angriff, der Flug und der Sturz, der gefolgt sein musste, weil er definitiv nicht mehr fiel, waren ihm über weite Strecken genauso ein Rätsel. Das Nächste, woran er sich sicher erinnerte, war der Boden aus gefrorenem Eis. Danach erinnerte er sich an den kalten, brennenden Schmerz, der sich durch seinen gesamten Körper zog, ohne dass er ihn auf seine Schulter reduzieren konnte, und dann an den Dreck auf Lucius Malfoys Drachenlederschuhen. Der Dreck auf Lucius Malfoys Drachenlederschuhen war feucht und klebrig und hinterließ vermutlich einen deutlichen Abdruck in seinem Gesicht, als Malfoy befand, es sei an Zeit ihn zu treten. Remus realisierte den Tritt – und alle weiteren – nicht so sehr, wie er sie hätte realisieren sollen. Was er realisierte, war sein heftiger Atem, das Fehlen seines Zauberstabs und der Schmerz überall, als er auf dem Rücken zu liegen kam. Er blinzelte gegen das Licht, das er nicht orten konnte, an, doch den Raum, in dem er sich befand, konnte er nicht erfassen. Er sah die weiße Gewölbedecke über ihm, die mit blauen Kristallen wie mit Sternen besetzt funkelte, und vermutete weiße Wände und Säulen halb außerhalb seines Blickfeldes. In diesem Moment war es schlicht zu unwichtig, um es genauer wahrzunehmen. Das, was seine Aufmerksamkeit beanspruchte, war Malfoy, denn der war noch längst nicht fertig mit ihm. Der gleiche dreckverschmierte Fuß, an dem nun auch sein Blut klebte, stemmte sich auf seine Brust. Der Tritt ließ ihn ächzen, doch er schaffte es, nicht zu schreien. Malfoy gefiel das vermutlich nicht, doch es war ein Triumph für Remus. Ein kleiner Triumph angesichts des Mannes, der sich zu ihm hinunter kniete, ohne dabei den Fuß von seiner Brust zu nehmen. Sirius‘ Calvorio hatte getroffen und schien obendrein äußerst hartnäckig zu sein. Statt dass ihm gepflegte, blonde Haare glänzend in die Stirn fielen, spiegelte sich das kalte Licht des Raumes auf seiner Glatze. Seine Wangen waren so glatt wie die eines Zehnjährigen. Er hatte nicht einmal mehr Augenbrauen. Doch der Treffer gegen seinen Körper war vermutlich nichts verglichen mit dem gegen sein Ego. Ohne Wimpern wirkte das Funkeln in Malfoys Augen seltsam, aber nicht weniger gefährlich. Seine Mimik zeigte ihm auch so deutlich, dass er wütend war und seinen Zorn jetzt an jemandem auslassen wollte. Und Remus brauchte nicht fragen, um wen es sich bei diesem jemand handeln würde. „So sieht man sich wieder, Mister Lupin“, säuselte Malfoy. Das Atmen fiel ihm schwer. Noch dazu dämmerte Remus langsam, wo er sich befinden musste – und dass Malfoys Rache für den möglicherweise nicht nur temporären Haarausfall nur der Anfang sein würde. Dennoch zwang er sich zu einem dünnen Lächeln. „Die Freude ist ganz meinerseits, Lucius“, gab er so nonchalant zurück, wie es seine krächzende Stimme und die durch die Tritte aufgeplatzten Lippen zuließen. „Du bist so ein charmanter Gastgeber.“ Malfoy antwortete mit einem Grinsen – es war das Grinsen eines aristokratischen Haifischs. Vermutlich würde Remus das eigene Lächeln sehr bald vergehen, doch noch willigte er nicht ein, Lucius diese Genugtuung zu geben. „Fühl dich wie daheim, mein Lieber. Aber denk dran – gute Gäste bringen ihren Gastgebern Geschenke, wenn sie sie besuchen. Und da ich fürchte, dass du leider knapp bei Kasse bist–“ „Wie immer!“, rief jemand im Hintergrund und lachte. „Halt den Mund“, gab Malfoy zurück und seufzte gespielt. Sein Blick glitt von Remus‘ Gesicht hinunter zu dem Amulett, das um seinen Hals hing. Remus spürte das Verlangen in diesem Blick, doch Malfoy griff nicht gedankenlos nach dem Artefakt. Möglicherweise hatte er es bereits versucht. Erst jetzt fiel ihm auf, dass Malfoy den Zauberstab in der linken Hand hielt und die andere außerhalb Remus‘ Blickfelds versteckte. Ja. Vermutlich hatte er es längst versucht. Zunächst aber zuckte Malfoy beiläufig mit den Achseln. „Du musst meinen Freund Wilkes entschuldigen. Seine Eltern hatten kein Gold für einen Benimmkurs. Aber kommen wir zurück zum Thema. Ich glaube nicht, dass du ein Geschenk bei dir hast, angesichts der Situation, dass du von unserem Aufeinandertreffen kaum ahnen konntest, als dich unser alter Zausel hierher entsandte. Wie also wäre es, wenn du mir, um der Tradition Genüge zu tun, das Schmuckstück um deinen Hals schenkst?“ Malfoys Tonfall war so freundlich, als würde die Drohung hinter seinen Worten nicht existieren. Natürlich war sie dennoch da und Remus war weder dumm noch naiv genug, um sie zu ignorieren. Er würde ihr dennoch nicht Folge leisten. Stattdessen zwang er sich weiter zu dem Lächeln, das ihm langsam aber sicher in den Mundwinkeln schmerzte. „Gehe ich recht in der Annahme, dass du bereits im Besitz meines Zauberstabs bist? Ich denke, dass ist Geschenk genug.“ „Oh, aber ich habe deinen Zauberstab nicht. Ich darf doch meinen Mitgastgeber Severus nicht vergessen, nicht wahr?“ Ein Seufzen erklang außerhalb seines Blickfelds. Remus mochte dieses Seufzen nicht. „Ich wäre dir verbunden, würdest du unserem Gefangenen nicht sämtliche unserer Namen auf einem Silbertablett servieren.“ Nur im Augenwinkel traute Remus sich, zum Besitzer dieser weiteren Stimme zu blicken. Er konnte Snape nur als dunklen Schatten am Rande seiner Wahrnehmung erkennen. Dunkler Umhang, dunkle, lange Haare. Vermutlich war Lucius selbst ohne Haare gepflegter. „Sie werden nicht lange genug leben um es auszuplaudern. Wer soll sie retten? Der Auror, der sich nicht einmal bewegen könnte, wenn er bei Bewusstsein wäre? Sitzt es sich gut, Willikins?“ Wilkes‘ Lachen dröhnte durch den Raum – dem Hall nach zu urteilen einem Saal. „Ausgezeichnet.“ Das war Information genug für Remus, um die Möglichkeiten zu überschlagen. Wilkes hielt Fenwick gefangen und Malfoy hatte seinen Fuß immer noch auf Remus‘ Brust. Rosier war getürmt und würde sicher nicht mit allen Ehren begrüßt werden, sollte er zurückkehren. Blieb möglicherweise – hoffentlich – nur Snape in Lucius‘ Gefolge. Remus war klar, dass auch dieser jemanden bewachte und ihm war auch klar, wen - Sirius. Tatsächlich erkannte er, als er den Kopf minimal drehte, eine dunkle Gestalt zu Snapes Füßen – und Snapes Arm, die sich auf diese Gestalt richtete. Vermutlich mit seinem Zauberstab in der Hand, auch wenn er den nur erahnen konnte. Das war … keine gute Besetzung. Snape war noch nie sonderlich gut auf Sirius zu sprechen gewesen. Ein Umstand, an dem Sirius zugegebenermaßen eine gewisse Mitschuld trug, aber das änderte nichts an der Situation. Über ihm richtete Malfoy mit einem süffisanten Lächeln, das in dem haarlosen Gesicht furchtbar deplatziert wirkte, seine Aufmerksamkeit zurück auf Remus und zog damit auch dessen Blick zurück auf sich. „Entschuldige mich für das Geplauder“, flötete er fröhlich. „Wo waren wir? Ah, richtig – Gib mir die Kette.“ Sein Tonfall verlor die vorgeschobene Freundlichkeit mit den letzten Worten. Remus blinzelte. Der Umschwung überraschte ihn nicht, es verwunderte ihn nur, dass er schneller kam, als er erwartet hatte. Dennoch machte genau dieser Umschwung das Lächeln für Remus ein wenig leichter. „Wenn du sie haben möchtest, dann nimm sie dir“, antwortete er mit einem Tonfall voller ausgesuchter Höflichkeit. Vermutlich trübte seine raue Stimme und die aufgeplatzten Lippen das Bild, dass er mit seinen Worten entwerfen wollte. Das jedoch machte die Zufriedenheit, die er in seine Worte legte, wieder wett. Malfoy hatte es versucht – und er war gescheitert. Für einen Moment spiegelte sich der Misserfolg in seiner haarlosen Miene – doch nur für einen Moment. Dann hatte der Todesser sich wieder unter Kontrolle und lächelte erneut. „Aber dann wäre es kein Gastgeschenk mehr, mein Bester“, warf er mit einem belehrenden Tonfall ein, den er bereits während seiner Zeit als Schulsprecher perfektioniert hatte. Sich Lucius aber als Schüler vorzustellen, nahm diesem einen Teil seiner Bedrohlichkeit – denn es bedeutete auch, ihn sich als jemanden vorzustellen, den zwei Zweitklässler ohne größere Probleme ins Mädchenklo im dritten Stock eingesperrt hatten. Und es weckte auch die Erinnerung daran, dass Malfoys einzige Rettung damals die Schulsprecherin von Gryffindor gewesen war. Malfoy bekam von diesen Gedanken freilich wenig mit, doch scheinbar spiegelten sie sich in Remus‘ Blick. Als er fortfuhr, schwang kaum hörbare Unsicherheit in Malfoys Worten mit. „Du willst doch wohl kein rüder Gast sein, nicht wahr?“ Das Bild einer triumphierenden Elizabeth Ivers vor Augen, die Sirius und James nur der Form halber abstrafte, entschloss er sich dazu, Malfoy dazu zu zwingen, die Karten auf den Tisch zu legen. Er lächelte immer noch. „Natürlich möchte ich das nicht. Aber ich fürchte, wenn wir uns der Sache etwas genauer annehmen, bist du nicht der Gastgeber.“ Seine Worte hatten die gewünschte Wirkung – der Todesser stockte. Nur kurz, kaum merklich, aber Remus hatte es geschafft, ihn aus dem Konzept zu bringen. Nun konnte er Malfoy ansehen, wie dieser sich bemühen musste, seine Fassade aufrecht zu erhalten. „Richtig, richtig. Natürlich, du hast selbstverständlich recht“, antwortete Malfoy. Er klang unsicher, zog den Kurswechsel aber dennoch durch. „Wir sprechen natürlich von einer Gastgeberin, nicht wahr? Das weißt du natürlich, du schlauer Junge. Wie wäre es also, wenn du mir dein Gastgeschenk gibst, damit ich es an sie weitergeben kann?“ Die Antwort, die Remus ihm geben würde, war natürlich schon zum Zeitpunkt dieses Vorschlags vorhersehbar. Dennoch nahm sich Remus die Zeit, den Vorschlag zu durchdenken – oder zumindest so zu tun. Stattdessen widmete er sich gedanklich den zwei Möglichkeiten, die Lucius offen lagen, sobald er das Artefakt hatte. Entweder, er reichte es tatsächlich an Khione weiter oder – und das war mindestens genauso wahrscheinlich – er steckte es in die eigene Tasche und verschwand anschließend eiligst. Nicht zwingend mit seinen Begleitern. Was auch immer Malfoy vor hatte – Remus glaubte nicht, dass auch nur eine dieser Möglichkeiten einen lebenden Remus Lupin inkludierte. Das hatte er bereits deutlich genug gesagt, auch wenn er diese Worte an Snape und nicht an ihn gerichtet hatte. Dementsprechend kam keine der beiden Möglichkeiten für Remus in Frage. Er brauchte eine Möglichkeit Nummer drei und er brauchte sie dringend. Gedanklich bemüht, eine Alternative zu einem toten Remus Lupin zu finden, bemühte er sich, weiter Zeit zu schinden. Dafür schüttelte er bedauernd den Kopf. „Ich fürchte, ich kann nicht sicher gehen, dass du es tun wirst.“ „Aber Remus!“ Der – möglicherweise nur gespielte – Schock wirkte ohne Augenbrauen nicht. Malfoy selbstredend kümmerte das nicht. „Was denkst du nur von mir?“ Nichts, was nicht genau so zutreffen würde, Lucius, dachte Remus, sprach es aber nicht aus. Er beließ es einfach bei einem lächelnden Schweigen und wartete. Mit diesem Schweigen hatte er bereits einen Sirius Black weich gekocht und er zweifelte nicht daran, dass es ihm bei Malfoy auch gelingen würde – die beiden hatten ein zu ähnliches Temperament. Tatsächlich hatte seine unausgesprochene Antwort den gewünschten Effekt – Malfoy verlor langsam die Geduld. Remus wusste, dass das ein gefährliches Spiel war. Seine Grenzen in diesem Machtkampf waren eng gesteckt. Dennoch war es vielleicht seine einzige Chance. Ihre einzige Chance. Malfoys Aufmerksamkeit war essentiell. Wenn sein Geduldsfaden riss, musste er das Ziel sein. Er war der Träger des Artefakts – und Malfoy kannte die Problematik dieses Schmuckstücks. In einer abstrusen Weise war er sicherer als seine beiden Freunde. Und das sollte auch so bleiben, zumindest bis die beiden aufwachten und er nicht mehr alleine denken musste. „Ich sehe schon, ich sehe schon“, fuhr Malfoy fort und seufzte so schwer wie gespielt. Er hatte sich wieder unter Kontrolle – doch die Möglichkeit des Kontrollverlusts blieb in seinem Blick, bewusst gesetzt. „Du willst sie wirklich reizen, nicht wahr?“ „Vielleicht sollte sie das selbst entscheiden, findest du nicht?“ Lucius lachte ein kaltes, pointiertes Lachen. „Wenn sie das selbst entscheidet, sieht das so aus, Lupus.“ Ohne den Zauberstab aus der Hand zu nehmen, hob er eben diese und wies in die Richtung, die Remus bis jetzt noch nicht beachtet hatte. Wie zufällig streifte er dabei Remus‘ Kinn. Remus spürte Malfoys Willen, die Magie seines Zauberstabs zu entfesseln. Dennoch bewegte er den Kopf nicht und blickte auch nicht in die ihm gewiesene Richtung, sondern weiterhin zu Malfoy. Der nahm sich Zeit, seinen Widerwillen zu registrieren. Schließlich schüttelte er dennoch den Kopf. „Ach, Lupin, seit wann bist du so uneinsichtig?“ Remus lächelte nur schweigend. Keine Sekunde später presste sich Lucius Zauberstab in seine Wange. „Sieh dort hin!“ Unwillig folgte Remus der Bewegung, die Lucius ihm aufzwingen wollte, aber nicht, ohne Malfoy dabei ordentlich Kraft abzuverlangen. Der Spitze des Zauberstabs stieß so schmerzhaft gegen seine Wange, dass es ihm beinahe Tränen in die Augen trieb. Dennoch folgte er dem Druck nur so sehr, wie unbedingt nötig war. In die Richtung, in die er schauen sollte, blickte er erst recht nicht. Natürlich erkannte er, im Augenwinkel, trotzdem, was Lucius wollte, das er sah. Skulpturen. Unmengen von Skulpturen. Die hintersten schimmerten weiß und blau, doch die näheren gewannen an Farbe. Die, die ihnen am nächsten war, war so farbig, wie ein realer Mensch. Vielleicht, weil es ein Mensch ist, stellte Remus einen Augenblick später fest. Das Lächeln gefror auf seinen Gesichtszügen. Entsetzen kroch in ihm hoch, als er die kniende Gestalt gegen seinen Willen musterte. Er kannte den Umhang, der der Skulptur in steifen Fetzen über die Schultern hing. Er kannte auch die Kleidung darunter, die kalkweiße Hand mit dem Ehering und den dunklen Haarschopf. Auch wenn der Mann sich vornüber beugte, um sich den Bauch zu halten, und ihm damit seinen Kopf abwandte – Remus war sich sicher, dass er auch sein Gesicht kannte. Søren Landvik war wortwörtlich zu Eis erstarrt. Eine dünne Schicht durchsichtigen Frosts zog sich über seinen gesamten Körper und ließ ihn im Licht des Raumes bläulich schimmern. Eben dieses Licht brach sich in Schneekristallen in seinen Haaren und ließen sie funkeln. Malfoy musste sein Entsetzen nicht nur erwartet, sondern auch bemerkt haben. Ohne den Druck seines Zauberstabs zu lösen, beugte er sich vor. „Siehst du, Lupus? Das ist es, was dich erwartet, wenn sie entscheidet. Das passiert, wenn du dich ihr verweigerst. Willst du das? Gib mir das Artefakt.“ Er schluckte. Nicht, weil er um sich selbst fürchtete, diese Furcht war bei Sørens Anblick wie weggewischt, sondern weil er den Anblick nicht ertrug. Er schloss die Augen, doch das Bild blieb. Malfoys Worte hätten ihr übriges getan – hätte er sich nicht an Lohes Worte erinnert. Søren hatte Khione sein Artefakt abgegeben. Und Remus glaubte Lohe. Nicht bedingungslos alles – aber in diesem Punkt hegte er bei Sørens Anblick keinerlei Zweifel. Malfoy log. Vielleicht war die Möglichkeit, an Ort und Stelle von dem Todesser getötet zu werden, verlockender, als das, was ihn erwartete – aber er würde nicht darauf eingehen. Er wusste nicht, ob Søren noch lebte, glaubte nicht daran. Aber er würde ihn nicht hier lassen, in einem Statuengarten einer verrückten Schneegöttin. Nicht, wenn er es verhindern konnte. Und um das zu erreichen, musste er leben. Die Zähne aufeinander pressend wappnete er sich gegen das, was kommen würde. Er kannte den nächsten Schritt. Er wusste nicht, ob er ihn würde ertragen können, aber er musste ihn wagen. Die Augen öffnend fixierte er Sørens reglose Gestalt, erinnerte sich an Agnetha, an Kjersti und Torleif – und an Sirius und Benjy neben ihm. Lohe hatte recht. Vielleicht war er derjenige, der über das Scheitern dieser Mission entschied. Doch in diesem Moment interessierte diese ihn nicht. Es waren die Personen, an denen er hing, nicht Dumbledores Auftrag. „Du kannst auf das Amulett warten, bis meine Leiche verrottet, Malfoy. Rutsch mir den haarigen Buckel runter.“ Malfoys Reaktion ließ keine überflüssige Sekunde auf sich warten – und sie war nichts, gegen das man sich wappnen konnte. „Crucio!“ Die Welt um ihn herum explodierte. Er hörte jemanden schreien, doch der Schmerz, der durch seinen Körper brach, war zu allumfassend, um zu verstehen, dass er selbst es war, der schrie. Er konnte keinen Gedanken fassen. Er konnte sich nicht rühren. Vor seinen Augen flackerte zorniger Schmerz. Alles brannte und es hörte nicht auf. Es war eine Ewigkeit. Der Fluch stoppte so abrupt, Remus realisierte es nur verspätet. Die Welt vor seinen Augen wurde schwarz, dann wieder weiß. Seine Lungen brannten, als er sich wieder atmen spürte, zu flach und viel zu schnell. Er bekam kaum Luft. Er hörte jemanden reden, doch er verstand ihn nicht, es war nicht wichtig. Wichtig war der Schmerz, der nur langsam wirklich abklang und seine Muskeln glühen ließ. Wichtig war, dass er diesen Schmerz nie wieder spüren wollte. Egal, was er dafür tun musste. Für einen Moment war er bereit, alles zu tun, was Malfoy von ihm erwartete. Dann erkannte er Sørens zusammengekauerte Gestalt in all dem verschwommen Weiß und erinnerte sich daran, dass Aufgeben keine Option war. Er wusste nur nicht, wie er noch so einen Zauber überstehen sollte. Eine wirre Mischung aus Angst und Verzweiflung kroch in ihm hoch, als er Malfoys Atem an seinem Ohr spürte. Es musste Malfoy sein. Die Stimme gehörte Malfoy, als der Atem sprach. „Soll ich dir immer noch den Buckel herunterrutschen?“, flüsterte er. „Du zitterst doch jetzt schon vor Angst, Abschaum. Genauso wie deine Blase.“ Er wollte widersprechen, doch die Erinnerung an den Fluch war noch zu präsent, als dass er hätte sprechen können. Einen Augenblick später realisierte er, dass er gar nicht wusste, wie er hätte widersprechen sollen – denn Malfoy hatte recht. Er fühlte es deutlich. Die Erkenntnis trieb ihm die Scham ins Gesicht, das wusste er. Statt zu widersprechen, ignorierte er ihn, so gut er konnte. Er würde nicht betteln. Noch nicht. Denn so sicher, wie er gerne gewesen wäre, war er sich nicht. „Ich sage es dir noch einmal, Abschaum. Gib mir die Kette. Ich habe noch nicht einmal mit dem angefangen, was ich mit dir tun werde, wenn du es nicht tust. Überleg es dir.“ Er tat es. Gegen seinen Willen überlegte Remus über das Angebot. Sein Entschluss blieb. Er atmete so tief ein, wie es mit Malfoys Fuß auf seinem Oberkörper möglich war. „Da gibt es nichts zu überlegen. Tu, was du nicht lassen kannst.“ „Crucio!“ Der zweite Fluch war nicht besser oder leichter zu ertragen, als der erste. Schmerz riss durch seinen Leib. Seine eigenen Schreie gellten in seinen Ohren. Er versuchte, den Arm zu heben, irgendetwas zu tun, aber er konnte es nicht. Der Schmerz war zu stark, zu blendend, zu überwältigend. Als Malfoy den Zauber beendete, war sein Schrei nicht mehr, als ein Krächzen. Wimmernd erkannte er, dass er weinte, doch er konnte nicht aufhören. Er ertrug das nicht – er musste etwas tun. Doch was? „Crucio!“ Der dritte Fluch war eine abartige Routine. Er verkraftete ihn nicht leichter, doch er überraschte ihn nicht mehr. Als der Schmerz dem dumpfen Pulsieren wich, das dem Zauber folgte, gelang es Remus auf eine perverse Art leichter, sich wieder auf das zu fokussieren, was wichtig war. Søren. Seine Freunde. Dumbledores Auftrag. Malfoy durfte ihn nicht dazu treiben, das aufzugeben. Egal, was er auch versuchen würde. Er würde nicht aufhören, daran musste er sich erinnern. Egal, was er tat, egal, was Malfoy ihm versprach – es würde nicht besser werden, wenn er darauf einging. „Meinung geändert, Missgeburt?“, grollte Malfoy über ihm. Remus hob den Blick, um ihm ins Gesicht zu sehen. „Nein.“ „Nein? Oh Lupin. Du bist so ein dummer Junge.“ „Natürlich ist er das. Er ist ein Freund von Potter und Black“, drang eine weitere Stimme an sein Ohr, die er nicht einordnen konnte, obwohl er wusste, dass er sie kannte. „Ich denke nicht, dass man mehr von ihm erwarten kann, als von den beiden Trotteln.“ „Vermutlich hast du recht“, hörte er Malfoy zustimmen. „Was uns aber keinen Schritt weiter bringt. Und langsam tun mir seine Schreie in den Ohren weh.“ „Das heißt, du überlässt das Problem mir. Wie reizend von dir, Lucius“, antwortete die Stimme erneut. Remus erkannte sie endlich. Snape. Natürlich. Es war Snape. Und er hatte etwas vor – etwas, das Remus noch weniger gefallen würde, als die Flüche und die Tatsache, dass man über ihn sprach, als sei er gar nicht anwesend. Er musste etwas tun. Nur wusste er nicht, was. Malfoys Gewicht hielt ihn am Boden. Sein Zauberstab war selbst dann außer Reichweite, wenn er gewusst hätte, wo er sich befand. Er konnte versuchen, nach Lucius‘ Stab zu greifen, doch wenn der Versuch scheiterte, sprengte Malfoy ihm möglicherweise den Kopf von den Schultern. Und die Chancen standen schlecht für ihn – in der Position wäre Malfoy selbst dann der Stärkere, wenn Remus seine Finger nicht nur deshalb spüren würde, weil sie ihm weh taten. Die Chance ging ungenutzt vorüber, Snape sprach weiter. „Wie dem auch sei – glücklicherweise habe ich eine Idee. Es hätte dir besser getan, länger mit diesen Herumtreibern zur Schule zu gehen.“ Er hörte Snape bitter lachen. „Dann wüsstest du jetzt, wie du mit dieser Bagage umgehen musst. Du triffst sie nicht, indem du sie selbst verletzt.“ Remus stockte der Atem, als er verstand, worauf Snape hinaus wollte. Nein. Mit Malfoy konnte er ringen, Malfoy konnte er kalkulieren, obwohl er ihn weniger kannte, als dessen Partner. Er kannte Menschen wie Lucius Malfoy. Snape hingegen war derjenige mit dem ganz persönlichen Hass. Hass, der sich nicht in erster Linie auf ihn, Remus, konzentrierte, der aber auf ihn abfiel, weil er ein Freund von Sirius war – der gerade hilflos zu Snapes Füßen lag. Er hatte Snape vergessen – und wenn nicht vergessen, dann völlig falsch eingeschätzt. „Wie dann, Severus?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)