Prinzen des Chaos von Palmira (Alles, aber nicht glamourös) ================================================================================ Kapitel 4: God on the Drums, Devil on the Base ---------------------------------------------- Die nächste Probe glänzte dadurch, dass Itachi schlecht gelaunt war. Es war keine offene Wut, sondern ein leises, unterschwelliges Brodeln, das seit dem Frühstück existierte und vermutlich auch schon, als er aufgewacht war. Es war die subtile Aggression eines erfahrenen Hooligans in einem Fußballstadion – sie brach nicht aus, aber sie lud alles im Umfeld mit ihrer Angriffslust auf wie eine statische Energie. Das Phänomen war ganz simple Physik und wirkte auch mit derselben Zuverlässigkeit. Es begann damit, dass Hidan zu früh einsetzte. Das tat er fast immer, doch diesmal kam sein Einsatz so abrupt, dass er Sasori mitzerrte und dieser einen exzellent schiefen Akkord auf seinem Klimperkasten produzierte. Das wiederum verfälschte Deidaras Strophe derart, dass er die Orientierung verlor und Luft holen musste, womit der Takt endgültig Schiffbruch erlitt. Keine Titanic ging so schön disharmonisch unter. Kisame thronte über dem Chaos und blickte zu Itachi, der verbissen weiter auf seine Saiten einhämmerte, als hätte er sich in den Kopf gesetzt, sie heute noch zu zerreißen. Selbst wenn ihm nicht bereits bekannt gewesen wäre, dass der Jungfrau zu Gesichtswüste heute ein Furz quersaß, hätte Kisame gewusst, dass der, der einfach weitermachte, immer der Schuldige war. Kabuto seufzte und schob seine Brille hoch. „Hidan, wir haben das besprochen.“ Er sagte das ja fast so, als wäre das etwas, bei dem man zuhören musste. „Und wenn schon, was soll ich so scheißlange warten, nur weil eine verlotterte Trockenritze-“ Konan nahm keine Notiz von der Beleidigung und skizzierte etwas auf ihrem zerfledderten Block, das den schwungvollen Strichen nach eine Notenabfolge war. Warum gerade Hidans liebliches Gezeter sie dazu inspirierte, wusste Kisame nicht. Andererseits gab es auch Menschen, die Einmachkochtöpfe als Zenit der Erotik betrachteten, also war alles möglich. „-glaubt, dass das so sein sollte! Leck mich, verdammt!“ Hidan trug zur Probe keine gefärbten Kontaktlinsen, um seine Netzhäute zu schonen, doch durch die geplatzten Äderchen erschien das geisterhafte Hellblau seiner Iris fast wie das Albino-Pink, das er sonst dort hineinstopfte. Die Aggression, mit der Itachi ihn schneller angesteckt hatte als mit einer Magen-Darm-Grippe, fiel bei ihm jederzeit auf fruchtbaren Boden. Wenn irgendwann mal sein ganzer Kopf pink war, war wahrscheinlich ein Aneurysma in seiner Rübe geplatzt. „Sag‘ wenigstens vorher Bitte, hm.“ Deidara grinste, aber das warnende Flackern seiner Wimpern zeigte, dass auch er gereizt war. Was kein Kunststück war, ab einem kritischen Nikotin-Pegel war er das immer. Hidan beäugte ihn finster. „Wenn ich jemals ein Brechmittel brauche, frage ich dich nach der Etikette des braunen Salons, du Schwuchtel. Und du-“ Klar, wäre ja auch unfair, wenn es Sasori nicht träfe. Gruppenaktivitäten machten nur Spaß, wenn man einen ausschließen konnte, und wenn Kisame es so betrachtete, war Kabuto das kleine, dicke Kind mit der Nickelbrille, das immer zuletzt in die Mannschaft gewählt wurde. Na ja, das mit der Brille stimmte. „Hast du vor, mich für deinen Mangel an Impulskontrolle verantwortlich zu machen?“ Sasori tippte mit der Spitze seines Turnschuhs gegen eins der Pedale, das einzige Zeichen motorischer Unruhe. „Es wird Zeit, die Nussschale zu wechseln, Tarzan.“ „Irgendwie dachte ich mir, dass du nur seine Nüsse sehen willst, hm.“ „Ihr seid ein dreckiger Haufen Homos, warum fickt ihr euch nicht verdammt noch mal gegenseitig?!“ „Wenn ich eure Beurteilungen hören wollte… hätte ich euch gefragt.“ Kabutos Stimme mischte sich unerwartet in die knisternde Anspannung und durchfuhr sie mit einer kalten Brise. Keine vollständige Erdung, aber Kisame musste ihm zugestehen, dass er den richtigen Mittelweg zwischen seiner Kindergärtner-Litanei und dem Kasernenhofton fand. Weich genug, um zu zeigen, dass der kleine Giftpilz am Bass ihn nicht angesteckt hatte, aber zu scharf, um ihn wie üblich zu ignorieren. Dass er gleich diesen Gang hochschaltete, hatte einen anderen Grund. Kabuto nahm seine Brille ab, um sie mit einem kleinen Seifentuch zu polieren, doch sein Blick löste sich dabei keinen Moment von der Bühne. Mit der völligen Effizienz seiner Bewegungen gehörte er eigentlich ans Set eines dieser mittlerweile überholten Spionage-Filme. Fehlte nur noch die dicke weiße Katze auf seinem Schoß. „Die Einsätze sind tatsächlich ein Problem. Wir besprechen das.“ Allein. Er sagte es nicht, doch es hing bei seiner auffälligen Pause in der Luft. Konan blieb über ihren Block gebeugt sitzen und ließ es großzügig über sich hinwegschweben. Sie schrieb nicht mehr, vertieft in ihre Aufzeichnungen, während sie mit der Zunge gegen den Sockel ihres Piercings stieß, wo er unter ihrer Unterlippe durch das Fleisch gerammt war. Sie war der Inbegriff stiller, unauffälliger Arbeit. Kisame fiel auf, dass sie so gut darin war, dass er sie dabei noch nie betrachtet hatte. Sonst verfolgte sie die Proben nicht dort, wo man sie sah – Paragraph 1001 Absatz Leck-mich-am-Arsch der Boygroup-Gebote. Und Kabuto war nicht entgangen, dass sie es diesmal missachtete. „Konan, würdest du uns bitte verlassen?“ Konan hob ihren Kugelschreiber und zupfte einen Wollfussel von der Spitze, der sich unter die Mine geklemmt hatte. Dann fuhr sie diese Mine ein und steckte den Stift weg, um aufzustehen. Kabuto hatte erfolgreich sein Revier gegen den Invasor verteidigt und würde hoffentlich darauf verzichten, brusttrommelnd auf seinem Klappstuhl herumzuspringen, denn erfahrungsgemäß krachten die Dinger immer zusammen, nur dann nicht, wenn man es mal richtig wollte. Eine E-Gitarre sonderte ein stilechtes Grunge-Schrammeln ab, von dem Kisame die Eier seiner Mutter verwettet hätte, dass es nur zufällig gekonnt klang. „Hey.“ Hidan schob das Kinn vor. „Ich will, dass sie bleibt, du Wichser.“ Im Gegensatz zu allen anderen war Kabuto zu glatt, um Überraschung anmerken zu lassen. Konan verharrte nur, halb stehend und halb sitzend, den Blick auf die auf dem Boden verlegten Kabel gerichtet. Falls Hidans ritterlicher Einwand sie bewegte, dann allenfalls irgendwo tief innerlich. Kabuto lächelte, und die weiße Katze erübrigte sich rein durch dieses Lächeln. „Du kennst die Regeln.“ Und jetzt wünschte Kisame sich dringlich einen Mafia-Akzent und ein verrauchtes Hinterzimmer für diesen Unterton: Hidanio, das macht mich sehr traurig… Willst du etwa, dass die liebreizend hässliche Signoria uns an das feindliche Madara-Kartell verrät? Wir sind doch alle eine große, kommerziell motivierte Familie. Und jetzt werd‘ ich dir kleinen Verschwendung von Bioorganismus mal den Arsch mit Beton füllen und dich damit ins Hafenbecken schmeißen. Er grinste und fing sich einen gelangweilten Blick von Sasori. Deidara verfolgte die Auseinandersetzung mit einer Art fahrigen Interesses, als wären seine Gedanken nicht eh bei brennendem Tabak. Keiner von ihnen war genug für eine Verzögerung der Probe oder einen kleinen Schwanzvergleich zu begeistern, um aktiv zu werden, die natürliche Trägheit der Masse eben – Physik schon wieder. Und Itachi brodelte stumm vor sich hin. Konan richtete sich zu einer stehenden Position auf und wandte sich dann zum Gehen. Offenbar erkannte sie, dass die Hackordnung Kabuto zum König des Misthaufens erklärte. Hidans Blick folgte ihr, bis sie ihre Hand bereits auf der Klinke hatte. „Du könntest es mir einfach zeigen, Süße.“ Konan blickte auf. Ihr ständig gebeugter Kopf vermittelte den Eindruck allumfassender Depression, und tatsächlich musste sie eine ihrer strohigen Haarsträhnen hinters Ohr streichen, um Hidan sehen zu können. Ihre trockene Haut ergab einen ungesunden Mix mit den penetrant hellen Glühbirnen des Proberaums. Ihre hellbraunen Augen flackerten kurz. „Nein“, sagte sie ruhig und schlüpfte durch die Tür.   Das Schreckliche an schönen Dingen war, dass man meistens keine Zeit hatte, um sie zu genießen – so auch die nie langweilig werdende Schadenfreude des Sie-steht-nicht-auf-dich-Moments. Kisame fragte sich tatsächlich, was sie erwartet hatten. Er sah nicht nach, ob es jetzt ein rebellisches Funkeln in Hidans Augen gab, das Grundlage jedes erst- bis drittklassigen Highschoolpornos war, aber auch nur, weil er sich ein bisschen Spannung erhalten wollte. Die der unphysikalischen Art, den die andere oszillierte hier von sich aus. Als er die Hand in die Tasche seines Hoodies schob, um ein Kaugummi herauszuziehen (Kabutos Idee von locker-lässiger Coolness, was so ungefähr alles dasselbe war und die Aufmerksamkeit eines Zuschauers unvorteilhaft auf Kisames kräftigen Kiefer lenkte, doch solange er sich wenigstens die Geschmacksrichtung aussuchen durfte…), knisterte das Papier unter seinen Fingern. Kisame bevorzugte einzeln in Plastik verschweißte Kaugummis, weil er erstens auf saubere Mülltrennung schiss und zweitens viel zu oft in einen ausgerotzten Batzen gefasst, getreten oder sich gelegt hatte, um das jemals zu verzeihen, also sollte die Nachfolgegeneration das gefälligst nicht besser haben. Die natürliche Verpackung des Kaugummis waren Haare und nicht Papier. Er zog den Streifen zwischen seine Finger und barg ihn dann in der Handfläche, während er vorgab, an der Höhe seines Drumkits herumzujustieren. Kabuto konnte ihn auf diese Art nicht sehen, und allen Anderen war’s egal. Es war ein Streifen hochwertigen Papiers, den jemand abgerissen hatte, wenn auch immerhin mit einer gewissen Präzision. Die Schrift sprach gegen etwas Hektisches, obwohl es genauso gut Druck hätte sein können. Sie kam Kisame vage bekannt vor, was ihn irritierte, da er sonst kein Auge für solche Details hatte. Also hatte er vermutlich hin und wieder damit zu tun. Eine Telefonnummer in ordentlichen, dünnen Filzstiftlettern, die selbst den Druck der Hand verschwiegen, die sie geschrieben hatten. Kisame schloss den Schnipsel zwischen seinen grobschlächtig wirkenden Fingern ein und steckte ihn bedächtig zurück. Eine mysteriöse Cinderella hatte ihm einen papierenen Schuh dagelassen, und er schrie: Ruf. Mich. An! Na, wenn das mal keine zartschmelzende Highschool-Romantik war!   Das Deprimierende an Idioten war nicht, dass es sie gab. Es war, dass man sich mit ihnen abgeben musste. Sasori verschränkte die Arme und gähnte leise, während ein steter Nieselregen um sie herum niederging. Es war der Grund, warum Deidara und er sich jetzt kameradschaftlich nach draußen unter das Vordach verzogen hatten. Wenn er das noch öfter machte, würde man ihnen eine tiefere Freundschaft unterstellen, und das hieß, dass sie sich eine Autogrammkarte teilen mussten. Oder zusammen auf die Piste gehen, wie man es ausdrückte, wenn man jung, männlich und ganz und gar entzückt von der eigenen Großartigkeit war. Und als Nächstes verlangte man von ihnen, sich Freundschaftsbändchen zu flechten und den Namen des anderen zu tätowieren. Deidara riss sich mit absoluter Gleichgültigkeit ein Nikotinpflaster vom Arm, das Kabuto ihm dort angepappt hatte. Jemand mit seiner regelmäßigen Vergangenheit mit Kaltwachsstreifen hatte vermutlich ernste Sensibilitätsstörungen – Deidaras Taktik bestand darin, die Pflaster abzureißen, zu rauchen und sie dann wieder anzukleben. Was er wahrscheinlich tat, um Kabuto zu verarschen, doch wenn er glaubte, dass es funktionierte, war er ein noch größerer Schwachkopf als bereits bekannt. Kisames Pfefferminzkaugummi sandte ein scharfes Brennen durch seinen Rachen. Sasori mochte scharfe Dinge, aber ein Kaugummi fühlte sich im Mund genauso widerlich an wie in dem Moment, wo man einen Stuhl anhob und hineinfasste. Er hatte es nicht ausgespuckt, weil… War das noch männlicher Stolz oder das Wissen, dass ein weggespucktes Kaugummi einen Sturm im Wasserglas auslöste: warum hatte denn keiner den Jungen erzogen, hatten seine Eltern das nicht geschafft?! Ironie war zäh und schwarz wie Teer. Er bräuchte sich jetzt nicht mehr darum zu kümmern, dass niemand sich erinnerte, und nun blieb er seinen Gewohnheiten treu, weil seine Rolle es verlangte. „Wir hatten eine Abmachung.“ Deidara blinzelte desinteressiert. „Eine Nacht, hm.“ Sasori klemmte den Kaugummi zwischen Wange und den hintersten Backenzahn. Die Schleimhaut schien eiskalt zu werden. „Verschon‘ mich mit deinen plumpen homoerotischen Anspielungen.“ „Nein, verschon‘ du mich mit deinem Mehr-als-ein-ONS-Geheule – dachtest du, wir heiraten jetzt, hm?“ Sasori trat einen Schritt näher und fragte sich beiläufig, ob ein Nikotin-Pflaster gut genug klebte, um mit einem kurzen Ruck die Augenbrauen auszureißen. Deidara behielt eine entspannte Körperhaltung bei, an einen Pfeiler gelehnt, doch Sasori konnte sehen, dass seine Augen die Hände im Blick hatten. „Es sind nur noch fünf Nächte.“ Deidara hob seine Hand, die in einem fingerlosen Handschuh steckte, und bewegte seine Finger mehr oder minder elegant durch. „Schon mal von Angebot und Nachfrage gehört, du kleiner Wichspisser, hm?“ „Hörst du dich überhaupt reden?“ Sasori schob den Kaugummi unter die Zunge, wo das Brennen rasend schnell um sich griff. Schärfe schüttete im Körper Endorphine aus, nur leider fühlte er keine. Wie machte man sich einem Idioten am besten begreiflich? Immer eingedenk der Tatsache, dass in diesem Gebäudekomplex irgendwer am Fenster klebte oder durch den Zaun illerte und dessen beschränkte Kreativität einen Hieb in die Magengrube nicht als freundschaftlichen Knuff auslegte. Sasori rollte die Schultern, wo ihn sein graues Jackett behinderte. Da er das klavierverwandte Scheißinstrument abbekommen hatte, war ihm die Rolle des Schwiegermutterlieblings zugefallen: Fresse halten, Knie zusammen, Hände oberhalb der Gürtellinie und immer schön das vegetative Wachkoma nachahmen. Damit hatte er Erfahrung, und ihm rann kein Speichel aus dem Mundwinkel. Dafür trug er Klamotten, als würde er damit rechnen, in den nächsten fünf Sekunden in einem Familienfoto posieren zu müssen. Deidara zündete seine Zigarette mit einem Streichholz an, was in Anbetracht der feuchten Luft nicht einmal ungeschickt war. Hätte er es davor noch an seinem Stiefel angerissen, wären sie in einem Cowboyfilm und Sasori hätte ihm in die Fresse schießen dürfen. Leider waren Colts noch nicht im Necessaire zugelassen, und auch wenn bei ihrem wertgeschätzten Leadsänger so oder so dauerhaft die Hirnrückwand zu sehen war, musste man nicht noch Frischluft daran lassen. Sasori wusste, dass es prinzipiell keinen Sinn hatte, primitiven Bewusstseinsströmen Raum zu bieten. Aber das Gehirn lernte beständig, und seit der immensen Genugtuung befreiender Gewaltanwendung von gestern war es schwer, wieder umzuschalten. Deidara kratzte an dem schwarzen Nagellack an seinem Daumennagel herum. Er hatte es geschafft, Sasori aus den Augen zu lassen, doch seine Neigung, sich beschäftigt zu halten, verriet seine Wachsamkeit. Aber man musste ihm lassen, dass er es aus seiner Stimme heraushielt. Solange man ihn nicht auf kalten Entzug setzte, hatte Deidara eine Dickfälligkeit, die an Stumpfheit grenzte. Was bei Blondinen sage und schreibe ein Qualitätsmerkmal war. „Warum ist’n das wichtig, hm?“ Zusammen mit einem Streifen Qualm hauchte Deidara einen Lacksplitter von seinem Daumen. Er versuchte nicht mal zu verhandeln. Einfältige kleine Arschkrampe, die dachte, wenn man einmal billige Reizwäsche durchkaute, gehörte einem die Welt. Sasori holte leise Luft. Der scharfe Geschmack von Pfefferminz vermengte sich auf seinen Schleimhäuten mit frischem Zigarettenrauch und steigerte das Brennen so stark, dass seine Augen für einen Moment feucht wurden. Deidara grinste spöttisch. Sasori wich der Tür beinahe nicht rechtzeitig aus, als sie aufschwang und sein Tränenschleier seine Sicht behinderte. In dem unbarmherzigen verspiegelten Glas der Tür stolperte sein Ebenbild ungraziös zurück und blinzelte wie ein kulleräugiger Welpe, den man soeben getreten hatte. Er trat Hunde, nicht andersherum. Deidara prustete ungeniert, während Itachi zu erwägen schien, ob er nicht die Tür aus dem Rahmen reißen sollte, um ihn doch noch zu treffen. Eine kleine Falte thronte über der Nasenwurzel des Serienvergewaltigers von durch Opferschutz anonym gebliebenen Bassgitarren. Hätte Kabuto diesen Krater gesehen, hätte er vermutlich sofort das Jagdgewehr mit Botox geladen. „Du verdammtes Arschloch.“ Itachis Stimme war dunkel und kristallin wie eine kleine, schwule Gewitterwolke. Deidara pustete mit geübter Arroganz einen Rauchkringel in seine Richtung, der an den Klippen von Itachis starrer Miene zerschellte. Dramatischer als Titanic. „Ich glaube, das sind seine ersten Worte heute – herzlichen Glückwunsch, er meint dich, Mommy, hm.“ Das klang ja, als sollte ihn das beeindrucken. Itachis Blick war tatsächlich auf ihn, Sasori, gerichtet. Er schaffte es, weder durch den Qualm noch die Kälte zu blinzeln, und wenn das überhaupt irgendeinen Effekt hatte, dann den, in Sasori den Wunsch zu wecken, ihm Zeige- und Mittelfinger in die Augen zu rammen. Jetzt war die Zigarettenpause doch gleich noch mal nervtötender geworden. „Wenn du dir nicht angewöhnt hast, die Toiletten zu filmen, sollte das eine Körperzone sein, von der du bei mir keine Ahnung hast.“ Sasori fuhr sich durch sein kurzes Haar, entdeckte wohl, dass er seine Finger beschäftigte, um nichts Anderes damit zu tun. „Also, steckt dir nur die übliche Fichte im Hinterausgang oder doch ein ganzer borealer Nadelwald?“ Deidara blähte vielsagend die Wangen. „Flirtet gefälligst drinnen, ich war zuerst hier, hm.“ Itachi ignorierte sie beide. Er war weiß vor Wut, eine kleine Ader pochte an seiner Schläfe wie der zitternde Zeiger einer Skala, die bei 180 stand. Es wäre einfacher gewesen, diese Anomalität absolut zu genießen, wenn Sasori gewusst hätte, warum das so war. In bester Überforderte-Eltern-Manier tauschte er einen kurzen Blick mit Deidara und stellte fest, dass dieser ernsthaft enttäuscht wäre, wenn diese Auseinandersetzung nicht mehr vor seinen Augen ausgetragen werden würde, ganz egal, was er behauptete. Sasori hätte ihm den Spaß ja gern ruiniert, aber zwischen ihm und der rettenden Tür befand sich eine rachsüchtige Jungfrau, und wenn er zurücktrat, sah das a) wie Flucht aus und b) waren sie im Innenhof dann wesentlich leichter zu sehen. Er konnte im Moment nicht darauf vertrauen, dass Itachi seinen Grips zusammennahm und sich erinnerte, wo sie hier waren. Er hasste es, für andere denken zu müssen. Deshalb tat Sasori, was er in den meisten Situationen tat: er gähnte. Und dann schob er den Kaugummi in die andere Wange. „Ich höre.“ Was ohnehin eine Zumutung in dieser Band war. „Ich werde das nicht noch einmal für dich tun.“ Obwohl Itachis Stimme grollend war, hörten sich seine Worte erstaunlich blechern an, als ob seine Stimmbänder überfordert wären mit der Masse an Ausdruck, die sie in diese Töne quetschen sollten. Das schien ihm zu genügen – was auch immer an Wut in Itachi brodelte, dieser Satz schien ihm als Ventil zu genügen. Deidara rammte den Stummel seiner Zigarette gegen den weißen Verputz des Gebäudes, hinterließ einen schwarzen Fleck Asche und brach in Gelächter aus. Und Sasori, so dümmlich es ihm auch erschien, ließ sich anstecken. Er hätte vielleicht anders gekonnt, doch es aufzuhalten erschien ihm noch lächerlicher als alles Andere. Auf Itachis scharfen Wangenknochen erblühten zwei schwache rote Flecken, die Zorn oder Scham sein konnten. Er verriet keins von beidem, als er sich abwandte und den Weg zurückging, den er gekommen war. Das Gelächter war noch nicht ganz abgerissen, als sich die Tür hinter ihm schloss. Deidara zog ein Haargummi aus der Tasche und klemmte sein Haar rücksichtslos darin fest, beschäftigte sich für den abgetrennten Zeitraum von zehn Sekunden. „Das ist nicht gerade passiert, hm.“ Sasori fragte sich, ob er Itachis dramatischen Abgang meinte oder so etwas ekelhaft Kameradschaftliches wie gemeinsames Auslachen. Entschied, dass dieser Gedanke auch nicht gerade passiert war, und spuckte den mittlerweile lasch gewordenen Kaugummi auf den Boden. Gelebte Rebellion, das. Aber wenn man das vermeiden wollte, musste die Industrie sich intelligentere Verpackungen ausdenken und nicht die Versuchung kräftigen, dieses schleimige Kügelchen in blondes Haar zu kleben. „Ich sagte, du sollst mich mit deinem pseudoprovokanten Gefasel verschonen.“ Er zog das Nikotinpflaster vom Metall des Türrahmens ab und ließ es zu Boden fallen, bevor Deidara die Gelegenheit erhielt, es wieder anzukleben. Getreu von Murphys Gesetz fiel es mit der Klebeseite nach unten. Der Sänger lächelte düster und warf sich seinen Zopf über die Schulter. Es wirkte fast, als sei er einen Hauch verletzt, aber das gehörte zur Anforderung des Schauspiels. „Du hörst von meinem Anwalt, Liebling, hm.“   Die Probe verlief danach unkonzentriert. Und was Kabuto daran am allermeisten hasste, war dass es kein unabsichtlicher Ausfall war. Er trank einen Schluck Kaffee und hob die Hand: ein Instrument nach dem anderen hörte auf zu spielen. Hidan hörte als Letzter auf, lieferte sich jedoch auf den letzten Metern ein heißes Rennen mit Deidara um die ätzendste Endnote: schiefe Gitarrensaite gegen Pusten ins Mikro. Unplugged war offensichtlich nur das Tor zu auditiver Ondulation. Kabuto ließ seine Brille ein Stück das Nasenbein herabrutschen. „So. Soll ich jeden von euch einzeln fragen, was hier schiefgelaufen ist, oder könnt ihr euch darauf einigen, ohne dass wir einen Sitzkreis bilden müssen?“ Kisame lehnte sich vor und zog an seinem T-Shirt-Kragen, wo Schweiß sein Brustbein verdunkelte. „Ich könnte schwören, dass ich schon mal gesagt hätte, was wir für Kindergartenscheiße spielen. Ist das so’n Wunder, dass dabei keiner einen hochkriegt?“ War der Idiot etwa überrascht, dass Popmusik sich nur darum drehte, eingängige Rhythmen und bloß keine Abwechslung? Schließlich sollte jeder Teenager um die zwölf den Scheiß auf seiner Plastikgitarre nachklimpern können. Tributes und so, auch wenn Kabuto damit nicht vor seiner Truppe aus diabolischen Zimtschnecken argumentierte. Denen schmolz sonst der Zuckerguss. „Ich mach‘ die Arbeit und du heulst, hm?“ Deidara drehte sich um und bückte sich nach seiner Wasserflasche. Kisame rollte mit den Augen. „Ich spreche für dich, Prinzessin – ist echt eng in deinen Gedankengängen, vielleicht solltest du statt deinem Arsch mal dein Hirn ficken lassen.“ Ich hasse euch alle, und das war gerade ekelhaft. Schön, wenn es praktisch durchführbar wäre, und dennoch ekelhaft. „Mädels, bevor ihr euch die Implantate zerreißt-“ „Nennst du mich ein Mädchen, Graf Tuntula, polier‘ ich dir mal die Fresse, und zwar gründlicher als Sasori. Freu dich drauf, Babe.“ Kisame, die inoffizielle Stimme der Vernunft, boykottierte hier für das obligate Testosterongewitter seine Probe! Das konnte nicht wahr sein. Kabuto stand auf und stellte behutsam seinen Kaffeebecher auf einen leeren Instrumentenkoffer. Keine Wertgegenstände gefährden, bevor er sich dem Schrott auf der Bühne widmete. „Weil deine Faust nicht in meinen Arsch kommt, visierst du mein Gesicht an? Ihr verkappten Homos seid ja nicht mal kreativ.“ Hidan kräuselte höhnisch die Oberlippe und zog sich den Gurt seiner Gitarre über den Kopf. „Dann hör‘ mal zu-“ Deidara schraubte seine Wasserflasche indes wieder zu und seufzte. „Ich weiß, was du sagen willst – nein, wir wollen ihn nicht sehen, danke, hm.“ Kabuto nahm die Treppe zur Bühne, damit er die Bügelfalten seiner Anzughose nicht unnötig strapazierte. Er war immer sehr gewissenhaft damit, und ein seriöser Auftritt war wichtig, eben weil er kein verlotterter Knabenchor-Manager war. Hidan knurrte. „Den Scheißhaus-Stein? Tja, wie schade, denn du wirst ihn sehen. Aus nächster Nähe. Klobürsten mit Echthaar sind immer in.“ „Als Nächstes erzählst du uns, ob du drei- oder vierlagiges Klopapier nimmst.“ Sasori klang, als hätte er sich mit dieser düsteren Zukunft bereits abgefunden. Er rieb sich Sand aus einem Augenwinkel und verschwand beinahe hinter seinem Keyboard auf der kleinen Bank, auf die er sich hatte sinken lassen. Kabuto überquerte die kreuz und quer laufenden Kabel, vorsichtig dabei, keins zu verschieben oder sich darin zu verheddern. Alles hatte seine Ordnung, wenn man der Truppe nur genug zahlte, und an den Roadies zu sparen war eine dumme Idee. „Ich benutze deine Zahnbürste, Sasomaso. Halt die Fresse, wenn dich keiner fragt, weil ich schon kotzen möchte, wenn ich dich höre. Und jetzt sperrt endlich eure Lauscher auf, und wer dazwischenquäkt, hat den Betonmischer in der Visage.“ Hidan stemmte eine Hand in die Hüfte und riss energisch an einer seiner gegelten Haarsträhnen. Deidara nickte eulenhaft. „Probst du deine wortgewaltigen Ergüsse, oder hast du die spontan auf der Pfanne, hm?“ Kisame klatschte sich mit der flachen Hand vor die Stirn. „Du hast ‚Erguss‘ gesagt – jetzt kommt ein Penis-Witz, halt‘ dir die Öhrchen zu, Itachi!“ Kabuto hatte das kleine Grüppchen von Möchtegern-Musikern erreicht und hatte den Blick unverwandt auf sein Ziel gerichtet. Er blinzelte nicht mehr, kühle Entschlossenheit verfestigte seine geistigen Prozesse zu einem einzigen, weichen Mantra von Das wirst du bereuen. Itachi beobachtete ihn teilnahmslos. Er hielt als einziger die Klappe, und auch das nervte Kabuto. Alles nervte. Es könnte nur schlimmer sein, wenn ihm jetzt die Frage käme: ‚Was würde Madara jetzt tun?‘ Denn dann wäre er am absoluten Tiefpunkt. Nicht nur wegen der Unterlegenheit dieses Gedankens, sondern auch weil der verdammte Dreckskerl eine Standleitung zu inneren Erniedrigungen gelegt hatte und sie zehn Meilen gegen den Wind roch. „Jetzt haltet mal alle ganz fest die Fresse.“ Hidan hob die flachen Hände in einer beschwichtigenden Geste, was bei ihm ungefähr so glaubhaft wirkte, als würde ein Sumoringer seiltanzen. Mit dem Schirmchen aus dem Cocktailglas. „Ich lese jetzt eure Gedanken und scheiße auf eure schwulen-… Arrrgh!“ Zum wiederholten Mal wurde Hidan heute mitten in seinem Satz unterbrochen, allerdings war es das erste Mal, dass er mit einem Schmerzlaut abbrach. Kabuto, der ihm das Ohrläppchen mit einer präzisen Bewegung verdreht hatte, mit der andere Menschen Schlüssel umdrehten, zog seine Hand zurück und wischte unsichtbare Verunreinigung mit seinem Einstecktuch ab. Er kannte sich mit dem Tor zu maximalem Schmerz mit minimalem Aufwand und äußerlichem Schaden aus. Und im Gegensatz zu seiner momentanen Aufgabe machte es erheblich mehr Spaß. Hidan erholte sich dafür schnell von seinem ersten Schreck. Rein zur Verteidigung der pädagogischen Motive: Gewalt war die einzige Sprache, die der Kerl neben dem Verstehen auch respektierte, und wenigstens würde er sich niemals in den Medien über körperliche Misshandlung seitens des Managements ausheulen. Nicht Hidan. Er schlug sich mit einem schallenden Klatschen auf die Oberschenkel und wirbelte zu Kabuto herum. Sein Gesicht war fast bedrohlich nah. „Fick dich, Alter! Willst du wissen, was mich ankotzt, und wenn sie auch nur die kleinsten bisschen Eier haben, auch den Rest der Kackbratzen hier?! Dass wir das ganze Scheißprogramm hier abfeiern und dann rumhocken wie’ne Horde verfickter Nonnen-“ Kisame schnaubte grinsend bei dieser einwandfreien Verknüpfung von Begriffen, „-und uns zum Pennen noch alle einen beten! Es kotzt mich an, dass wir, seit wir dich 24/7 an der Backe haben, nicht ein verfluchtes Mal Spaß hatten!“ Mehrere Sekunden herrschte eine andächtige Stille im Raum. Kabuto konnte sich nicht umsehen, ohne Hidans Blick auszuweichen und so vor ihm einzuknicken, doch er bemerkte aus den Augenwinkeln, dass Augen hin und her wanderten. „Ich wasch‘ mir gleich den Mund mit Waschbenzin, aber Hidan hat Recht, hm.“ Deidaras heller Schemen wiegte am Rande von Kabutos Blickfeld den Kopf. „Die letzten Wochen war verdammt viel zu tun, irgendwann ist Schluss, hm.“ Kisame lehnte sich mit verschränkten Armen auf seinem Hocker zurück. „Es sieht jetzt schon scheiße aus, wenn erwachsene Kerle immer händchenhaltend rumlaufen wie Vorschulblagen und dann um zehn Heia machen. Ich will nicht erleben, dass ich demnächst vor’m Club meinen Ausweis vorzeigen muss.“ War das ergreifend, wie diese Idioten sich ergänzten, wenn es um ein gemeinsames Ziel ging. Kabuto hätte beinahe die Augen verdreht. Hidan grinste bereits triumphierend. „Es kann nicht authentisch sein, wenn wir uns aufführen wie Klosterschüler.“ Jetzt griff auch noch Sasori ein. Es war ernst. Und noch schlimmer, es war nicht mal falsch. Nichts davon. Eine Boyband durfte nicht so vorbildlich sein, dass sich niemand mit ihnen identifizieren konnte, und bei Hidan oder Kisame war es auf für’s Image schlecht. Solange wie jeder nach Dienstschluss noch nach Hause gegangen war, um sich die Nacht um die Ohren zu schlagen, war das kein Problem gewesen, doch jetzt hatten sie im Verband zu agieren. Aus gewissen Gründen hätte Kabuto es liebend gern vermieden, Itachi überhaupt Ausgang zu geben, von Sasori mal ganz zu schweigen – Schlaftabletten und Alkohol, was für ein Klassiker! – aber selbst wenn er das irgendwie übertünchte… Irgendwo mussten die Primaten sich austoben. Wochenlang ohne Alkohol, Sex und akzeptable Musik, in der Gemütslage brauchte man schon Antidepressiva. Na wunderbar. Kabuto schloss einen Moment die Augen. Hidan hatte die Arme verschränkt und grinste ihm immer noch so unverfroren ins Gesicht, dass Kabuto das dringende Bedürfnis hatte, das andere Ohr auch noch kräftig zu verdrehen. Und danach waren die Nippel dran. Keine Gnade. „Ich will, dass ihr euch Mühe gebt, mindestens noch die kommende Stunde lang. Und heute Abend keinen Scheiß baut – ich schaue niemanden an, aber die erste Unzucht mit Unterbekleidung bekommt Hausarrest. Und euer Pensum an Autogrammen erfüllt. Und wenn ihr euch daran haltet, was ihr sowieso tun sollt…“ Kabuto öffnete die Augen und ließ den Blick schweifen. Er würde das bereuen. Doch wenn sie ihm dumm kamen, würden sie es noch viel mehr bereuen. „… gibt es heute Nacht Ausgang mit allem, was dazugehört.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)