Wikingerblut von CaroZ (MIU-Trilogie 1) ================================================================================ Kapitel 4: Wir sind nicht tot, wir sind nur anders -------------------------------------------------- »Fritz, ich muss mich wohl korrigieren: Gift ist auch ein sehr inadäquater Begriff.« Dr. Saltz nestelte unbehaglich am Kragen seines Kittels. Ihm schien aufgefallen zu sein, dass Fritz’ Unwohlsein zu einem nicht unwesentlichen Teil in seiner Vortragsweise begründet war. »Wir nennen es Gift, aber es ist eigentlich keins. In den Zähnen sind Giftkanäle wie bei Schlangen, daher kommt das wohl. Also … Es ist eine Droge, ein Sedativ. Sie sorgt dafür, dass der Gebissene für etwa zwanzig Minuten ruhiggestellt wird.« »Wir Vampire verstoßen ständig gegen das Betäubungsmittelgesetz.« Falk zuckte die Schultern und setzte sich wieder hin. »Der Wirkstoff ist einzigartig«, fuhr Bock fort. »Er macht schläfrig und gleichgültig, steigert dabei aber den Blutdruck und die Pulsfrequenz, damit das Blut sich im Körper schneller bewegt. Das soll wohl das Trinken erleichtern. Alle Schutzreflexe bleiben dabei erhalten. Es wird berichtet von einer … angenehmen Somnolenz.« Fritz rieb sich die Stirn; das Trieseln in seinem Kopf wollte nicht verschwinden. »Und wenn man nicht wieder aufwacht?«, murmelte er. »Oh, keine Sorge, das tut man. Das Gift ist eine reine Hilfe beim Biss, um Fluchttrieb und Gegenwehr zu unterbinden, und hinterlässt überhaupt keine Folgeschäden. Naja, außer vielleicht ungewohnt lebhaften Träumen in der folgenden Nacht. Es ist ein kleines bisschen psychoaktiv, das ist alles.« »Warum erzählt ihr mir das alles?« Es war eine Frage, deren Antwort Fritz eigentlich nicht wirklich wissen wollte, aber das alles ergab keinen Sinn. Worauf wollten sie ihn vorbereiten? Auf die Zusammenarbeit mit Vampiren – oder den Kampf gegen sie? Oder, noch schlimmer, darauf, dass er sich von ihnen beißen lassen sollte? Versuchten sie etwa, ihm das schmackhaft zu machen? Hatten sie völlig überhört, wie sehr er sich vor Blut fürchtete? Bock war kommentarlos über dieses Geständnis hinweggegangen! »Weil du verstehen musst, warum wir sind, wie wir sind«, übernahm Falk in ruhigem Ton die Antwort. »Und was auch immer du jetzt denkst: Niemand hier will, dass dir auch nur das Geringste zustößt. Wenn du das möchtest, verbürge ich mich persönlich für deine körperliche Unversehrtheit.« Du als Vampir, dachte Fritz bitter. Klar. So wie der Fuchs gerne auf das Kaninchen aufpasst, nicht wahr? Sein Herz pochte wie eine Trommel. »Könnten wir jetzt weitermachen?«, ließ sich Buschfeldt ungeduldig vernehmen. »Ich hätte den Aufklärungsunterricht gerne bis vier beendet.« Der Direktor verhielt sich tatsächlich ungeahnt kalt. Fritz fragte sich, wie er auf diese Lawine erschreckender Wahrheiten reagiert hatte. Sicherlich nicht mit derselben steinernen Miene, die er jetzt zur Schau stellte. »Meine Frau«, sagte Fritz leise, »ist Tierärztin. Sie kennt sich mit Bissen aus. Ich weiß, dass lange Zähne furchtbare Infektionen verursachen, die potenziell tödlich sind. Sagt bloß, dass ihr mich schon wieder mit irgendeiner Erkenntnis beruhigen könnt.« »In der Tat, Fritz«, erwiderte Bock. »Ich kann dich schon wieder mit einer Erkenntnis beruhigen. Vampirbisswunden, mein Freund, sind nämlich die unproblematischsten Wunden der Welt. Sie sind immer ganz sauber und heilen hervorragend. Folgen gibt es auch nicht: kein Nachbluten, keine Hämatome, keine Narben. Wirkt das deiner neurotischen Angst ein wenig entgegen? Ja?« Der Arzt versuchte ihn anzulächeln, aber Fritz dachte gar nicht daran, es zu erwidern. »Jede Behandlung würde die Wunde nur dreckiger machen. Und was das Gift betrifft: Es ist ein klasse Zeug. Wenn Vampirbisse in der Gesellschaft nicht so gefürchtet und verschrien wären, könnte man es glatt als Therapieform gegen das Burn-Out-Syndrom und Ähnliches etablieren.« »Das gibt mir schon wieder fast den Rest.« »Ach, Fritz, gib uns doch eine Chance. Du steckst jetzt in dieser Sache drin und wir wollen dir alles so einfach wie möglich machen. Wir erzählen dir alles, was du wissen willst, also frag ruhig.« »Fällt mir schwer zu glauben, nach allem.« Das war ernst gemeint. »Aber wie – w-wie oft …« Fritz stellte fest, dass er anfing zu stottern. Es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis auch dieses Symptom tief sitzender Ängste endlich zutage trat. »… muss ein Vampir … B-Blut trinken?« Bock schürzte die Lippen. »Naja, zwischen den Mahlzeiten sollten nicht mehr als sechsunddreißig Stunden liegen, sonst kommt es zu Aushungerungssymptomen. Der Blutdurst ist sehr unangenehm und geht, wenn er nicht bald nach Einsetzen gestillt wird, mit schmerzhaften Krämpfen einher. Außerdem verliert der Körper eines Vampirs bei Nahrungsentzug die Fähigkeit, seine Temperatur aufrecht zu erhalten, was zu Auskühlung führt. Wegen all dieser bösen Folgen ist Aushungern eine beliebte Methode, um Vampire grausam zu foltern oder sogar hinzurichten.« »Was uns zu ’nem neuen Thema bringt«, warf Ingo Hampf ein. »Vampire töten.« »Diese Lektion ist noch net dran!«, widersprach Lasterbalk in scharfem Ton. »Ach nein? Ich würde es begrüßen, wenn ihr Fritz schon mal auf euren Vampirhenker vorbereiten würdet. Für den Fall, dass wir ihn demnächst brauchen.« Lasterbalk seufzte. »Also gut … Pass auf, Fritz, es gibt tatsächlich Vampire, die … naja … schon Monster sind. Die sind net … kultiviert, also, sie fallen Menschen an, so zum Spaß, oder töten sie … auch zum Spaß.« »Und mit denen haben wir in der Vergangenheit schon oft schwer gerungen«, ergänzte Asp düster. »Ja … Aber es gibt Menschen, die Vorteile im Kampf gegenüber Vampiren haben. Und wir haben solche Leute bei der MIU.« »An erster Stellen stehen die Locksänger«, erklärte Falk, »oder Rattenfänger, wie wir sie auch gerne nennen. Das ist eine Band, die Musik machen kann, die Vampire gewissermaßen hypnotisiert. Das funktioniert nur mit bestimmten Musikstücken, den Lockstücken. Die werden meist volkstümlich überliefert.« »Wir haben fast alle mal als Locksänger angefangen«, ergänzte Simon. »Sogar die von uns, die …« Er wurde merklich leiser. »… selber Vampire sind.« »Naja, naja«, relativierte Hampf sofort. »Problematisch daran ist, dass Vampire gegen Lockstücke, die sie immer wieder hören, immun werden. Der ganze Mittelalter-Mus funktioniert deshalb nicht mehr so gut.« »Im Moment haben wir eine sehr gute Locksängerband namens Faun«, sagte Lasterbalk. »Die graben überall neues Zeug aus, das wirkt. Aus allen Enden der Welt schleppen sie Lockstücke an. Sie sind sehr effizient.« »Und wenn die Vampire dann rauskommen … dann erledigt ihr sie, oder was?« »Ja, zum Beispiel.« »Wenn das so nicht klappen sollte«, führte Pfeiffer geheimnisvoll aus, »dann haben wir noch eine ganz spezielle Waffe … einen –« »– ein fettes Ass im Ärmel!«, beendete Simon Schmitt den Satz. »Wir haben einen Vexecutor!« Einen was? Fritz drehte das Wort umständlich im Mund hin und her. »Einen Wichs– …?« »Das ist kurz für Vampire Executor, so ein blödes Wort. Es ist jemand, der das Herz eines Vampirs anhalten kann – nur durch Gedankenkraft!« »Oh … Klingt übel.« »Jaha! Damit kriegen wir jeden bösen Vampir voll am Arsch, glaub mir!« »Und wer von euch kann so was?«, fragte Fritz zweifelnd. Falk sagte: »Einer von uns, von Saltatio Mortis. Fritz, das ist ungemein wichtig: Dieser Jemand darf nie, ich wiederhole, niiie erfahren, dass wir Vampire sind … oder dass es überhaupt Vampire bei der MIU gibt.« Fritz stutzte. »Moment mal … Ihr belügt ihn?« Alle am Tisch senkten den Blick. »Halten Sie einfach dicht, Herr Wunderbaum«, ordnete Buschfeldt an. »Wir holen diesen Mann nur dann zu uns, wenn wir ihn wirklich brauchen. Der Aufwand, ihn zu täuschen, ist immens. Und jetzt Schluss mit dem Thema.« Er rückte mit dem Stuhl ab, um aufzustehen. »Die Einführung ist beendet. Wir machen eine kurze Pause.« »Und danach arbeiten wir dann auch mal?«, fragte Lasterbalk mit gefurchter Stirn. »Ja, das wäre mal eine Abwechslung für euch«, brummte der Chef. »Wunderbaum?« Fritz hob den Kopf. »Ja?« »Gehen Sie vor die Tür, frische Luft schnappen. Sie sehen ja entsetzlich aus.« Dieser Aufforderung kam Fritz mit Freuden nach. Yellow Pfeiffer zog das Beamerkabel aus seinem Laptop und setzte sich mit dem Gerät wieder an den runden Tisch. Fritz sah ihm zu, wie er in beachtlicher Schnelle eine Reihe scheinbar nichtssagender Zeichen in ein Suchfeld tippte, woraufhin sich ein schwarzes Fenster mit unzähligen Zeilen weißer Codes öffnete. Die anderen waren noch nicht wieder zurück; nur Asp, das sah Fritz aus dem Augenwinkel, kam gerade wieder lautlos zur Tür herein. »Was liest er da?«, fragte er den Schwarzgekleideten und nickte in Pfeiffers Richtung. »Wahrscheinlich Koordinaten, die ihm der MAD schickt.« Asp hob die Achseln, um sein Desinteresse zu bekunden. »Er spioniert für sie Server aus und solche Sachen … setzt Sicherheitsprogramme außer Gefecht.« »Also ein Hacker.« »Oooooh ja.« Fritz entschied sich, zu ihm zu gehen; dieser Mann war einer derjenigen, mit denen er bisher nur wenige Worte gewechselt hatte. »Ähm … Yellow Pfeiffer?« »Wenn Buschfeldt nicht im Raum ist, kannst du mich auch Boris nennen. Ist mir ziemlich Banane.« Pfeiffer hatte nicht aufgesehen; seine Augen bewegten sich immer noch rasant von Zeile zu Zeile. Die Zeichen spiegelten sich in seinen Pupillen. »Übrigens, du … nimmst das ganz gut auf, was wir dir heute erzählt haben. Es gibt andere, die wirklich ausrasten. Hätte ehrlich gesagt nicht gedacht, dass du so cool bleibst.« »Ich auch nicht.« Mit einer Bemerkung über seine Weinerlichkeit hatte Fritz eher gerechnet, aber sicher nicht mit einem Lob. Es ließ ihn kurzzeitig den Faden verlieren. Pfeiffer öffnete ein Nachrichtenfenster, überflog den Inhalt in für Fritz unverfolgbarer Geschwindigkeit und sagte, immer noch ohne aufzusehen: »Alex? Micha fragt, ob das Versteck noch da ist.« »Selbstverständlich!«, antwortete Asp, als wäre es Blasphemie, etwas anderes zu behaupten. »Gut zu wissen.« Pfeiffer tippte weiter. Fritz setzte sich neben ihn und begann unschlüssig: »Boris?« »Ja?« »Woran erkenne ich … einen Vampir?« »Wenn die Blutzähne nicht draußen sind – man nennt das übrigens Auswerfen, dieses Rausschnappen –, dann bleiben nur die Augen.« Pfeiffer tippte immer noch weiter, tipptipptipptipptipp. »Die Augen sind sehr hell … meistens weiß, aber auch bläulich oder gelblich … und die Reflexionen in ihnen stehen auf dem Kopf.« Tipptipptipp. »Aber bei MIU-Vampiren bringt das nichts, die tragen Kontaktlinsen zur Tarnung.« »Oh.« Mist. Fritz kratzte sich im Nacken. »Wie viele von uns … also, hier in der Zentrale … sind Vampire?« »Vier.« »Scheiße, gleich vier?« »Du gewöhnst dich dran.« Fritz seufzte gequält. Vier Vampire, und er konnte sie nicht einmal erkennen … »Ich weiß nicht, ob ich mich an rumlaufende Tote gewöhnen kann, die mein Blut aussaugen wollen, ganz ehrlich.« Jäh hielt Pfeiffer irritiert inne. Seine Finger erstarrten in der Tippbewegung, und er drehte den Kopf, um Fritz direkt in die Augen zu sehen. »Tot, ja?« »Ääh …« Fritz verstand die Nachfrage nicht. »Vampire sind doch untot, oder so … Sie laufen rum, aber ohne Herzschlag, ohne … ohne alles …« Einen Moment lang dachte er, der Musiker mit dem dunklen Irokesen würde ihn anspringen, aber schon entspannten sich dessen Züge wieder, und er lachte sogar. »Jaja … Zombies, die nicht verwesen … die Nahrung aufnehmen müssen … die komischerweise durch einen Pflock ins Herz getötet werden können … die sogar, in manchen Geschichten, Sex mit Menschen haben … Ehrlich mal, findest du nicht, dass das für Tote viel zu lebendig klingt?« Er schüttelte belustigt den Kopf. »Untot ist ein bescheuertes Wort für etwas, das es nicht gibt. Vampire werden nur deshalb für Wiedergänger gehalten, weil bei der Transformation Scheintodzustände eintreten und man sie dann oft fälschlicherweise bestattet. Aber sie leben, genau wie wir, sie sind nicht tot. Sie atmen, essen, schlafen, pinkeln … und bluten, wenn man sie verletzt.« Plötzlich fiel Fritz der gestrige Tag ein, als Falk ihn mit der Tür erwischt hatte. Zur Begrüßung hatte der langmähnige Mann seine Hand genommen. Fritz konnte sich nicht an eine Empfindung besonderer Kälte erinnern, offensichtlich also war Falks Hand normal temperiert gewesen. »Ich verstehe«, sagte er. »Aber … wenn hier Vampire und Menschen zusammenarbeiten … wie sorgt ihr dafür, dass die Vampire euch n-nicht…?« Ihm kam schon wieder das Stottern hoch. Zum Glück riet Pfeiffer seine Gedanken. »Hier wird nicht gebissen«, sagte er kategorisch. »Es ist die oberste Regel: Andere MIU-Agenten werden nicht um Blut erleichtert. Buschfeldt hat ein scharfes Auge darauf.« »So, hat er das.« »Innerhalb der Bands ist das wieder was anderes. Es gibt – jedenfalls denke ich das – durchaus Bands bei der MIU, in denen die Vampire das Blut anderer Bandmitglieder trinken. Aber … das ist ein Thema, über das man sich nicht austauscht, das müssen alle Bands selber handhaben.« Dies war ein höchst merkwürdiger, fand Fritz, aber auch guter Kompromiss, um Unstimmigkeiten vorzubeugen. Er fragte: »Habt ihr in eurer Band … Wie hieß sie noch …?« »In Extremo.« »Habt ihr Vampire?« »Ja. Einen.« Fritz nickte langsam. »Danke für die Antworten.« »Ach, nicht dafür«, antwortete Pfeiffer unberührt. Gerade wollte Fritz aufstehen und sich wieder zu Asp setzen, als auf dem Bildschirm des Laptops jäh ein Bild aufflackerte; es handelte sich ganz offensichtlich um eine Webcam-Übertragung, doch es war nur eine dunkle, staubige Zimmernische zu sehen. »’Tschuldige, Boris«, sagte eine verdrießliche Stimme, »die Cam ist mir schon wieder hinters Regal gefallen.« Pfeiffer griff nach dem Headset. »Schon klar … Ist ja nichts Neues.« Hinter Fritz öffnete sich die Tür, und Falk und Lasterbalk kamen herein. »Ah!«, rief Falk, als er den Bildschirm sah. »Elsi ist wieder am Start. Hat er was Neues?« »Pssst, er redet noch.« Pfeiffer horchte, und niemand unterbrach ihn dabei. »Hm, ist ja komisch … Wieso denn das?« Wieder lauschte er der Antwort. »Na prima … Ja, ich sag es ihm.« »Was?«, fragte Lasterbalk eifrig. »Wer und wie?« »Elsi hat Nachricht von der Polizei in Wuppertal. Wir kriegen die komischen Todesfälle.« »Ach was! Die, die gar nichts mit Musik zu tun haben?« »Naja, wenn du Herzversagen beim Musikhören als nichts bezeichnest, dann ja.« Lasterbalk frohlockte. »Ui, das ist schön! Ich sag es Buschfeldt.« Während er hinausging, seufzte Pfeiffer und sagte zu Fritz: »Daran wirst du dich auch gewöhnen müssen: Man wird hier schnell etwas makaber.« Buschfeldt wirkte an diesem Abend reichlich müde – weit müder, als Fritz sich selbst fühlte, und das nach all den Wahrheiten. »Ich habe es befürchtet«, brummte der Direktor, als ihm die Sachlage berichtet worden war. »Wahrscheinlich konnten die immer noch keine vernünftige Todesursache feststellen. Man muss sich das überlegen, alles junge Leute … Wie viele sind es inzwischen?« »Drei«, antwortete Pfeiffer. »Da stimmt irgendwas ganz gehörig nicht.« Buschfeldt atmete tief durch. »Na gut, Männer. Ich will das ganze Team in Wuppertal, plus jeden, der sich außerdem noch freimachen kann. Und ich will euch jeweils zu zweit an der Spurensuche.« Sein Blick richtete sich auf Fritz. »Wunderbaum? Morgen suchen Sie sich jemanden aus, mit dem Sie gut auskommen und der Sie einarbeiten kann. Sie haben bis zum Abend Zeit. Übermorgen früh fahren wir ab nach Wuppertal.« Unter den Musikern erhob sich eine Geräuschkulisse von nachdenklichem Geseufze bis hin zu augenrollendem Stöhnen. »Wuppertal ist hässlich«, sagte Simon unzufrieden. »Ratten so groß wie Hunde.« Fritz schnitt eine Grimasse. »Meine Frau wird nicht erfreut sein, wenn ich sie auf unbestimmte Zeit allein lasse.« Nein, Kitty würde sich beschweren und plötzlich der Meinung sein, dass ihm dieser Job doch gar nicht so viel bedeuten konnte. Aber er gehörte jetzt zur MIU – jetzt mehr denn je – und musste seinen neuen Aufgaben pflichtbewusst nachkommen. Auch wenn das, dachte er mit einem neuerlichen Anflug von Übelkeit, sicher noch verdammt eklig wird. Als Christine nach Hause kam, saß Fritz vor dem Fernseher und verfolgte halbherzig die Spätnachrichten. Richtig zuzuhören war unmöglich, ihm ging noch zu viel durch den Kopf. Eigentlich hatte er erwartet, dass seine Frau immer noch schmollen würde wegen der vergangenen Nacht, doch Kitty hatte andere Sorgen; sie erzählte kummervoll von einer Katze mit vereiterter Gebärmutter und regte sich dann mehr als eine Stunde wegen irgendeiner Lappalie über das Veterinäramt auf. Auch jetzt hörte Fritz nur mit einem Ohr zu. Seine Gedanken kreisten um spitze Eckzähne und einschläferndes Gift. Er wartete, bis er an der Reihe war, und fragte dann völlig zusammenhanglos: »Kitty … Wie hält man sich Vampire vom Leib?« Seine Frau war überrascht; sie blinzelte ihn an, fing sich jedoch gewohnt rasch. »Och, naja, das weiß man doch, Fritz … Knoblauch natürlich … Kreuze … oh, und Sonnenlicht. Wieso fragst du?« »Weil mir aufgefallen ist, dass sich das in den Darstellungen von Vampiren immer sehr stark unterscheidet … Zum Beispiel habe ich vorhin gelesen, dass Vampire Gift in den Zähnen haben …« »Oh, nur in Twilight, glaube ich.« Kitty strich sich fahrig ihr schwarz gefärbtes Haar hinter die Ohren. »Ich weiß nicht mehr genau, wie das war, aber ich glaube, man stirbt entweder an dem Gift oder wird auch ein Vampir.« »Wirklich? Ich hab gelesen, es soll ganz harmlos sein … und die Opfer nur am Weglaufen hindern.« »Aber das wäre ja voll langweilig!«, stellte seine Frau empört fest. »Mmmh, ja, vielleicht sind deswegen diese ganzen Horroraspekte viel weiter verbreitet …« Kitty beobachtete ihn scharf. »Fritz, dir geht doch irgendwas durch den Kopf. Das sehe ich genau!« Schuldbewusst sah er ihr in die Augen. »Du hast Recht … Ich muss nach Wuppertal, übermorgen. Kann dir noch nicht sagen, wann ich wiederkomme.« »Wuppertal?« Sie brach fast zusammen. »Aber was willst du denn da?« »Arbeiten!« Wie erwartet machte ihr weinerlicher Ton ihn ärgerlich. »Du bist doch ein großes Mädchen, du hältst es eine Weile ohne mich aus!« Dazu sagte Kitty nichts mehr; offenbar war ihr wieder eingefallen, dass sie eigentlich mit ihm schmollte. Als Fritz im Bett lag, suchten ihn bereits beim Einschlafen düstere Bilder heim. Ströme aus schwarzem Blut und klarem, grünlichem Gift verfolgten ihn. Immer, wenn er kurz vor dem Einschlafen war, schnappten vor seinem geistigen Auge Fangzähne aus Oberkiefern und rissen ihn ins Bewusstsein zurück. In seiner Angst dachte er sogar daran, wieder in die Kirche zu gehen … Vielleicht half es. Was hatte Kitty gesagt? Kreuze. Knoblauch. Sonnenlicht. Im Geiste lachte er bitter; jetzt wusste er, warum sich die MIU-Zentrale in einem Keller befand. Wie, fragte er sich, stellten es diese Musiker an, am Tage auf Freilichtbühnen zu stehen? Taten sie das überhaupt? Er musste mehr über diese Kapellen erfahren. Wie waren die Namen gewesen? Subway, irgendwas mit Subway … Aber wenn er das googelte, würde er wohl auf die Fastfood-Kette stoßen. Extrem– ? Irgendwie so was. Und dann noch Salto … Salatio … Nein, nicht ganz … Fritz kniff die Augen zusammen. Vielleicht, dachte er, sollte ich morgen einfach zu Hause bleiben. Ich schmeiße den Job beim BfV. Wieso nicht? Plötzlich wurde ihm etwas leichter ums Herz. Das hätte ich von Anfang an machen sollen. Klar, Buschfeldt behauptet zwar, ich könnte jetzt nicht mehr raus … aber hey, was will er machen, wenn ich einfach kündige? Natürlich kann ich raus! Man kann immer raus! Die Sache war klar. Er würde die Reißleine ziehen, hier und jetzt. Keine Vampire. Die gehörten nicht in sein Leben. Und Musik, die Herzversagen auslöste, genauso wenig. Fritz atmete tief durch. Er wusste schon, weshalb er nur Klassik und Jazz hörte! Irgendwann – es schien sich um die frühen Morgenstunden zu handeln – war er vom Angsthaben tatsächlich so erschöpft, dass er einschlief. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)