Worth the Wait von Swanlady (Owen/Toshiko || Merry Christmas.) ================================================================================ Kapitel 1: Worth the Wait ------------------------- Die Luke glitt mit dem üblichen Geräusch der Sirene auf und Toshiko betrat den Raum, in dem es nach frischem Tannenholz roch. Sofort schlich sich ein Lächeln auf ihre Lippen und sie wusste sehr genau, worauf sie ihren Blick richten sollte: den großen Weihnachtsbaum, der in der Nähe von Jacks Schreibtisch stand und gerade von Ianto geschmückt wurde. „Guten Morgen“, grüßte Toshiko mit möglichst sanfter Stimme, damit ihr beschäftigter Kollege nicht von seiner kleinen Leiter fiel. Außer ihnen war noch niemand da, was Toshiko nicht wirklich wunderte. Zu ihrer alljährigen Weihnachtstradition gehörte, dass sie an diesem einen Tag alle ausschlafen durften – ob die Welt nun von Aliens zerstört wurde oder nicht. Außer Ianto und ihr würdigten alle anderen diese Tradition. Zu dieser gehörte aber leider auch, dass sie immer viel zu spät dran waren. Während andere am Weihnachtsmorgen die Geschenke auspackten, war Ianto erst dabei den Baum aufzustellen und in ihren, zugegeben doch recht grauen und kahlen, Arbeitsplatz ein wenig Weihnachtsstimmung zu bringen. Normalerweise widmete sich die Computerspezialistin so früh am Morgen ihrer Arbeit, weil dann niemand da war, um sie zu stören, doch diesmal erbarmte sie sich und ließ ihren Wintermantel auf ihrem Stuhl liegen, ehe sie sich zu Ianto begab, um ihm zur Hand zu gehen. „Wieso besteht Jack eigentlich immer auf einen echten Baum?“, murmelte Ianto und Toshiko war sich nicht sicher, ob die Frage an sie gerichtet war oder nicht. Sie antwortete trotzdem. „Weil wir jedes bisschen Normalität gebrauchen können, das wir bekommen.“ Eine giftgrüne Kugel von Ianto entgegennehmend, befestigte Tosh sie an einem stabil aussehenden Ast. „Wir schaffen es ja kaum alle Geschenke rechtzeitig zu kaufen“, warf Ianto mit einem Seufzen ein und kletterte von der Leiter. Es fehlte noch etwas Lametta, dann war der Weihnachtsbaum fertig. „Oh, das liegt aber nicht wirklich an unserer Arbeit. Die meisten kaufen doch etwas auf den letzten Drücker“, erwiderte Toshiko, denn heute konnte nichts und niemand ihre gute Laune trüben. Das lag nicht zuletzt am Stichwort, das Ianto eben erwähnt hatte: Geschenke. Sie hoffte, dass Owen ihr diesjähriges Geschenk gefallen würde, denn sie hatte sich besonders viel Mühe gegeben. In ihrer Tasche lag ein schön verpacktes Fotoalbum, in dem sich alle Bilder befanden, die sie während ihrer gemeinsamen Zeit als Arbeitskollegen geschossen hatten. Viele waren es nicht, aber jedes einzelne hatte für Toshiko eine wichtige Bedeutung und sie hoffte, dass auch Owen in dieser besinnlichen Zeit seinen üblichen Sarkasmus hinunterschlucken und sich über das Album freuen würde. Tosh wusste genau, dass er auch eine sensible Seite hatte und genau zu dieser wollte sie letztendlich durchdringen. „… der Mistelzweig hin? Tosh?“ Erschrocken schreckte die Angesprochene aus ihren Gedanken, spürte den irritierten Blick Iantos auf sich, der besagten Mistelzweig in die Höhe hielt und sie offensichtlich um Rat bat. Doch noch bevor sie antworten konnte, fiel ihr jemand ins Wort. „Egal wohin, bloß nicht in meine Nähe.“ Ohne es wirklich zu wollen, beschleunigte Toshikos Herzschlag. Es gab nur eine Person in ihrem Team, die Weihnachten nichts abgewinnen konnte. Owen Harper. ~*~ Von einem Zyniker konnte man doch nicht erwarten, dass er ausgerechnet an der Weihnachtszeit Gefallen fand, oder? Owen hatte schlechte Laune, was vor allem daran lag, dass er trotz offizieller Erlaubnis nicht hatte länger schlafen können als sonst. Eine Nachbarin hatte ihn aus dem Bett geholt, weil ihre Mutter vor dem Haus ausgerutscht war. Wer rief denn schon einen Arzt an, wenn er direkt einen vor der Nase hatte? Richtig, niemand. Immer noch murrend schälte sich Owen aus seinen dicken Klamotten und ging, ohne Toshiko und Ianto einen Blick zuzuwerfen, zu seinem Schreibtisch hinüber. Er brauchte erst einmal einen Kaffee! Vielleicht würde danach die Welt um ihn herum etwas erträglicher aussehen. Gähnend schlurfte Owen weiter zur Kaffeemaschine, die für gewöhnlich Iantos Spezialgebiet war, aber Owen hatte die leise Vermutung, dass dieser heute mit dem Weihnachtsbaum zu tun gehabt hatte und deshalb nicht zum Kaffeekochen gekommen war. Ein Grund mehr, um dieses Fest nicht zu feiern. Die gesamte Welt stand Kopf, sogar im Torchwood-Institut, in dem man doch sonst immer darauf zählen konnte, dass eine gewisse Ordnung herrschte. Auch nach dem zweiten Kaffee fühlte sich Owen nicht wirklich besser, aber er schaffte es zumindest sich daran zu erinnern, seine mitgebrachten Geschenke unter Iantos Meisterwerk, wie Jack – der vor ein paar Minuten gekommen war – den Weihnachtsbaum nannte, zu verfrachten. Es war nicht weiter verwunderlich, dass Owen, der die ganze Begeisterung vom Fest der Liebe einfach nicht verstehen konnte, kein sehr kreatives Köpfchen war, was Weihnachtsgeschenke anging. Also hatte er die üblichen, klischeehaften Dinge besorgt: Badezubehör, Süßigkeiten und Socken. Später würde er sich wohl den ein oder anderen Kommentar anhören müssen, immerhin würde wohl allen klar sein, von dem die Geschenke waren, doch das war Owen egal. In ein paar Tagen würde das wieder vergessen sein, genauso wie der Rest des Weihnachtskrams. Alles, was sie dazu benötigten war ein Weevil-Angriff oder irgendein anderes Stückchen Alientechnologie, das irgendwo in Cardiff für Probleme sorgte. Genau deswegen sah Owen kaum einen Sinn darin, so zu tun, als würde bei ihnen echte Weihnachtsstimmung herrschen. Wenn sie Glück hatten, würden sie einen Tag Ruhe haben, aber machte das wirklich einen Unterschied? Als Jack alle zusammentrommelte, um die Geschenke auszupacken und Gwens köstlichen Kuchen zu probieren, verdrehte Owen die Augen. Wie gut, dass er dieses Theater nur einmal im Jahr über sich ergehen lassen musste. ~*~ Selten war es hier so warm. Und das lag gewiss nicht an der reparierten Heizung, um die sich Jack endlich gekümmert hatte, sondern einzig und allein an der Atmosphäre. Diese vier Personen waren nicht nur ihre Arbeitskollegen – sie waren ihre Freunde und in diesem Moment auch ihre Familie, denn Toshiko verbrachte mit niemandem so viel Zeit, wie mit Jack, Gwen, Owen und Ianto. Die Geschenke, die sie bekommen hatte, waren wundervoll… allerdings waren es nur drei. Als Tosh sich dessen bewusst geworden war, hatte das eisige Gefühl in ihrer Magengegend ihre Stimmung doch etwas gedämpft. Kurz danach hatte aber wieder die naive Hoffnung das Steuer an sich gerissen, denn jetzt konnte sie nicht aufhören zu hoffen, dass Owen – sie war sich mehr als sicher, dass sie von ihm noch nichts bekommen hatte – einfach den richtigen Moment abwarten wollte, um ihr sein Geschenk persönlich zu überreichen. Etwas, das ihm nicht ähnlich sehen würde, doch Weihnachten war ja bekanntlich die Zeit, in der Wunder passierten. Ihm einen verstohlenen Blick zuwerfend, schob sich Tosh einen weiteren Bissen von Gwens Kuchen in den Mund. Owen sah unglücklich und genervt aus. Man musste ihn nicht einmal besonders gut kennen, um das zu bemerken. Lustlos und mit gerunzelter Stirn packte er ein Geschenk nach dem anderen aus, bedankte sich monoton und legte das Bekommene beiseite, ohne es näher zu betrachten. Als er bei Toshikos Fotoalbum ankam, veränderte sich sein Gesichtsausdruck. Tosh spürte, wie sich ihre Schultern anspannten und sie beobachtete Owens Reaktion gebannt. Sichtlich überrascht klappte Owen das kleine Büchlein auf und begann darin zu blättern. Schon nach der zweiten Seite wusste er, wem er es zu verdanken hatte, denn sein Blick huschte in ihre Richtung. Toshiko lächelte und schenkte ihm ein bestätigendes Nicken, denn es war sinnlos so zu tun, als hätte sie nur zufällig seinen Blick abgefangen. Owens Mundwinkel verzogen sich zu einem schiefen Lächeln, das jedoch alles andere als freundlich aussah. Es hatte eher etwas… Abwertendes. Toshiko erstarrte, denn selbst ohne Worte verstand Owen es ihr die besonderen Momente zu ruinieren. Sie wusste, dass es an der Zeit war, um ihn in Ruhe zu lassen und Jack, der ihn vorhin uncharmant Grinch genannt hatte, beizupflichten, doch sie konnte die Augen einfach nicht von ihm nehmen. Kopfschüttelnd schloss Owen das Fotoalbum, legte es auf den Tisch und schob es von sich weg. Es war diese ablehnende Geste, die Toshiko am meisten traf, nicht die Worte, die darauf folgten. „Du solltest wissen, dass ich nicht auf Sentimentalitäten stehe. Sollte einer von uns beiden sterben, wird dieses Fotoalbum sowieso vernichtet.“ Die Gleichgültigkeit, mit der Owen sprach, überraschte sogar die anderen, die bisher eher mit ihren eigenen Gesprächen oder Geschenken beschäftigt gewesen waren. Am Tisch wurde es still und Toshiko spürte, wie all die Wärme, die sich heute in ihr gesammelt hatte, verschwand. Die Stille wurde erst vom Quietschen der Stuhlbeine durchbrochen, als Owen sich langsam erhob. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, verließ er den Raum, den sie sonst immer für Besprechungen benutzten, hinterließ ein sprachloses Team und eine verletzte Toshiko. ~*~ Die kalte Luft tat ihm gut. Sie klärte seinen Kopf und kühlte seine Wut. Wut auf sich selbst, Wut auf die Weihnachtszeit und Wut darauf, dass er wütend war. Owen versuchte den Grund für sein Handeln zu verdrängen, doch es gelang ihm nicht. Er wusste sehr genau, weshalb er an Weihnachten seine Mauern noch höher baute, weshalb er in dieser Zeit erst recht niemanden an sich heranlassen wollte und schon gar nicht sie… Toshiko, das Mauerblümchen. Toshiko, die trotz ihres unscheinbaren Auftretens so viel stärker war als er. Toshiko, die es schaffte mit ihrem Leben weiterzumachen, egal wie sehr er sie von sich wies. Toshiko, die einfach nicht aufgab. Die ihn nicht aufgab. Owen spürte, wie sich neue Wut in ihm sammelte, wie Glut in seinem Bauch lag und nur darauf wartete mit frischem Holz gefüttert zu werden. Doch diesen Gefallen tat er ihr nicht; Owen schluckte einmal hart, um den bitteren Geschmack in seinem Mund loszuwerden. Er konzentrierte sich auf die beißende Kälte, die sich gierig an seinen Körper klammerte, da er seinen Mantel nicht mit nach draußen genommen hatte. „Du holst dir noch den Tod“, erklang eine beiläufig klingende Stimme und wenig später konnte Owen spüren, dass jemand neben ihm stand. „Das Problem hast du ja nicht“, brummte Owen und verschränkte demonstrativ die Arme vor der Brust. Allerdings hatte das auch noch einen anderen Grund: so langsam war ihm wirklich zu kalt. „Stimmt. Aber wenn wir schon von Problemen sprechen…“ Owen konnte den stechenden und mahnenden Blick seines Chefs auf sich spüren, doch wie ein stures Kind starrte er weiter geradeaus auf die Straße. Er wusste genau, worauf Jack hinaus wollte und er wollte es nicht hören. Als ob er nicht selbst genau wüsste, dass er einen Fehler gemacht hatte! Er brauchte niemanden, der ihm das noch unter die Nase rieb. Da schien Jack aber leider anderer Meinung zu sein, denn er ließ sich von Owens abwehrendem Verhalten nicht beirren. „Tosh hat es nur gut gemeint, das weißt du. Sie wollte dir eine Freude machen und dich nicht an Dinge erinnern, die du vor langer Zeit verloren hast. Owen, es bringt nichts in der Vergangenheit zu leben und die Zukunft zu fürchten. Dazwischen liegt noch die Gegenwart und die solltest du aufhören zu ignorieren.“ Zähneknirschend ließ Owen Jacks Moralpredigt über sich ergehen. Leider konnte man jemandem, der schon so viele Jahre lebte und so viele Dinge gesehen hatte, nicht vorwerfen, dass er keine Ahnung hatte, wovon er sprach. Jack schien genau zu wissen, was er Owen mitteilen wollte und dieser war intelligent genug, um die kurze Aussage fehlerfrei zu interpretieren. Hör auf, dich an Katie zu klammern. Hör auf, vor Gefühlen Angst zu haben. Hör auf, Toshiko zu ignorieren und verletzen. Im Großen und Ganzen meinte Jack doch das, oder? Owen warf ihm einen genervten Blick zu, sagte aber nichts. Er war nie besonders gut darin gewesen seine Gefühle auszudrücken. Meistens schaffte er es auch sie zu verbergen, aber seine gelegentlichen impulsiven Ausbrüche kamen immer dann, wenn er sie am wenigsten brauchte. Die Frage war nur, weshalb es dann so viele Personen schafften hinter seine Maske zu blicken. Darauf hatte der Arzt keine Antwort. „Owen…“, setzte Jack erneut an, doch eine abrupte Handbewegung des Angesprochenen ließ ihn verstummen. „Ist ja schon gut. Ich hab’s nicht so gemeint, das wird Tosh schon wissen.“ Er war viel zu stolz, um offen zuzugeben, dass er sich bei ihr entschuldigen sollte. Er hatte sich nur noch nicht so richtig entschieden, ob er es auch wollte. Trotz allem wandte sich Owen ab, steuerte langsam wieder auf den Eingang zu. Jack schien das für ein gutes Zeichen zu halten, denn er folgte seinem Kollegen stumm, auch wenn Owen spürte, dass Jack mit seiner Antwort nicht ganz zufrieden war. Etwas anderes würde er aber nicht bekommen. Dafür hielt Owen viel zu verbissen an seiner Meinung fest, auch wenn seine Gedanken bereits darum kreisten, wie er Toshiko am besten erklären sollte, weshalb er ihr Geschenk nicht akzeptiert hatte. Als er den warmen Raum jedoch betrat, fand er nur Gwen und Ianto vor. Von Toshiko fehlte jede Spur. „Ich glaube nicht, dass sie es weiß“, kommentierte Jack mit harter Stimme Owens vorherige Worte und damit schien er seine Rolle als Vermittler und Streitschlichter erfüllt zu haben, denn er ließ den Arzt im Türrahmen stehen und gesellte sich wieder zu den anderen, überließ Owen sich selbst und der bitteren Erkenntnis, dass er es wohl diesmal wirklich verbockt hatte. ~*~ Es war bereits dunkel, als Toshiko sich auf den Weg nach Hause machte. Nachdem Owen aus dem Raum gestürmt war, hatte auch sie das Institut verlassen. Es war das erste Mal gewesen, dass Toshiko ihren Gefühlen beinahe freien Lauf gelassen hätte. Deswegen war sie geflüchtet, hatte den einfachen Weg gewählt, um nicht noch einmal verletzt zu werden. Wie hoffnungslos ihre Zuneigung für Owen war, musste sie mal wieder auf brutale Art und Weise erfahren, denn anders wollten die Tatsachen ja nicht in ihren sonst so aufnahmefähigen Schädel hinein! Den Nachmittag hatte sie in der Stadt verbracht, war ziellos durch die Straßen geirrt, hatte Jacks Anrufe ignoriert, bis sich ihr schlechtes Gewissen gemeldet hatte, um ihr zuzuflüstern, dass es ja vielleicht ein Notfall war. Kaum hatte sich Toshiko vorgenommen den nächsten Anruf abzunehmen, war ihr Mobiltelefon stumm geblieben. Ihre geröteten Wangen schmerzten, denn die Tränenspuren waren dank der Kälte auf ihrer Haut gefroren. Es war also gar kein Wunder, dass sie ihre Wohnungstür zitternd und mit den Zähnen klappernd erreichte, denn das winterliche Wetter war wirklich nicht für stundenlange Spaziergänge geeignet. Vor allem, wenn diese ohnehin nicht den gewünschten Effekt brachten. Toshiko fühlte sich nämlich immer noch miserabel und sie konnte sich kaum mehr an die weihnachtliche Vorfreude von heute Morgen erinnern, als sie mit Ianto den Baum geschmückt hatte. Leise schniefend und sich die unangenehm kribbelnden Hände reibend, schloss Tosh die Eingangstür hinter sich und schaltete das Licht ein. In ihrer Wohnung war es kalt und einsam, aber diese Empfindung lag vermutlich eher an ihrer momentanen Grundstimmung. Sich aus ihrer Jacke und den Schuhen befreiend, krabbelte sie sofort ins Bett und zog die Bettdecke über ihren unterkühlten Körper, um sich zu wärmen. An Schlaf war, trotz körperlicher Erschöpfung, nicht zu denken. Müde warf Toshiko einen Blick durch ihr Apartment – und da fiel ihr das blinkenden Licht ihres Anrufbeantworters auf. Ihr Magen zog sich unangenehm zusammen, denn aus irgendeinem Grund wusste sie, dass es nicht Jack war, der angerufen hatte. Dieser hatte schließlich versucht sie auf dem Handy zu erreichen. Es musste jemand sein, der ihr etwas zu sagen hatte, aber zu feige war, es von Angesicht zu Angesicht zu tun. Wer das war, lag wohl klar auf der Hand. Zögernd warf Tosh die Decke wieder von sich und schwang ihre Beine über die Bettkante. In dieser Position verharrte sie ein paar Momente, ehe sie sich einen Ruck gab und die Hand nach dem Telefon ausstreckte, das auf ihrem Nachttisch platziert war. Bevor sie es sich anders überlegen konnte, drückte sie den Abhörknopf. „Tosh…“ Einige Sekunden herrschte Stille. Sie hatte sich nicht getäuscht, es war Owen. Die Reue in seiner Stimme war deutlich zu hören und Toshiko revidierte ihre Meinung – es war vielleicht doch besser, wenn sie ihm dabei nicht ins Gesicht sehen musste. So konnte sie seine Worte objektiv beurteilen und dann entscheiden, ob sie ihm vergeben sollte oder nicht. Vorausgesetzt natürlich, dass Owen sich überhaupt entschuldigen wollte. Dass dies wohl – wie immer – nicht funktionieren würde, wurde Toshiko schon im nächsten Augenblick klar. Sich nervös über die Lippen leckend und sogar das Gefühl der Kälte vergessend, lauschte sie der aufgenommenen Stimme. „Ich… ich weiß, dass ich’s vermasselt habe. Dass ich dir Weihnachten vermiest habe. Das wollte ich nicht, ob du mir glaubst oder nicht. Ich hatte nicht vor dich zu verletzten.“ Owens abgehackte Sätze wirkten weder einfühlsam, noch besonders sanft. Er hörte sich eher an, als hätte er sie auswendig gelernt und würde sie nun stockend vortragen. Toshiko wusste aber, dass er jedes einzelne Wort ehrlich meinte und dass es ihn unglaublich viel Überwindung gekostet haben musste überhaupt zum Hörer zu greifen. „Ich wollte mit dir reden, aber du warst nicht da… Und weil ich nicht will, dass du auch nur eine weitere Sekunde glaubst etwas falsch gemacht zu haben, habe ich keine andere Wahl, als es auf diese Weise zu tun.“ Als hätte man sie auf frischer Tat ertappt, zuckte Toshiko zusammen. Es stimmte, sie hatte sich zunächst tatsächlich die Schuld für dieses Desaster gegeben. Hätte sie Owens Reaktion vorhergesehen und sich stattdessen für ein anderes, neutraleres Geschenk entschieden, wäre es nie so weit gekommen. Toshikos Absichten waren jedoch ganz anderer Art gewesen und hatten nicht einmal wirklich etwas mit Weihnachten zu tun gehabt – sie hatte die Gelegenheit lediglich am Schopfe gepackt, um Owen ein kleines bisschen von sich zu geben, in der Hoffnung, dass er irgendwann erkennen würde, dass sie ihn einfach nicht aufgeben konnte, dass sie es ernst meinte. Wie kam es aber, dass Owen sie so gut kannte? Hatte er sich wirklich mehr mit ihr beschäftigt, als es den Anschein machte? Tosh ließ den Gedanken an diese Möglichkeit erst gar nicht an sich heran, denn sie war ohnehin viel zu sehr damit beschäftigt dem weiteren Verlauf von Owens Monolog zu folgen. „Tosh, ich weiß nicht, wie ich es dir erklären soll. Es soll nicht wie eine Ausrede klingen, aber im Endeffekt hat Jack wohl Recht. Es gibt Dinge, die kann ich nicht loslassen. Weihnachten hat mir nie etwas bedeutet und ich habe wohl einfach nicht daran gedacht, dass es dir etwas bedeuten könnte. Außerdem… habe ich nicht einmal in Erwägung gezogen, dass sich das für mich auch ändern könnte. Mit guten Dingen kann ich genauso wenig umgehen wie mit schlechten.“ Wieder herrschte eine Weile Stille und die Zeit brauchte Toshiko auch, um ihre Gedanken zu ordnen und diese Nachricht wirklich zu erfassen. Mit den Informationen, die sie von Owen erhielt, musste sie vorsichtig umgehen, denn es waren seine Gefühle, verpackt in scheinbar gleichgültige Worte. Doch sie konnte hören, dass es ihm schwer fiel, dass seine Stimme gegen Ende immer leiser wurde. Es war nicht seine Absicht ihr Mitleid zu erwecken. Nein, der Owen, den sie kannte, war zu stolz dafür. Er wollte sie wirklich wissen lassen, wieso er so gehandelt hatte. Den dicken Klos, der sich in ihrem Hals eingenistet hatte, herunterschluckend, konzentrierte sich Toshiko auf den letzten Teil seiner Nachricht. „Es tut mir leid, Tosh. Ich wünschte, ich könnte es wiedergutmachen. Ich wünschte, ich könnte so viel Gesagtes zurücknehmen und Dinge ungeschehen machen, aber ich weiß, dass es nicht geht. Deswegen bleibt mir nichts anderes übrig, als auf dein gutes Herz zu hoffen. Meine Weihnachtswünsche sind nie in Erfüllung gegangen, aber vielleicht habe ich dieses Jahr meine Chance noch nicht verpatzt. Ich hatte keine Ahnung, was ich dir schenken sollte, Tosh. Das ist mir noch nie passiert. Ich hatte zum ersten Mal das Gefühl, dass… du etwas besseres als einen Wollpullover verdient hast. Es kommt spät, ich weiß… aber wenn du meine Nachricht bis hierher angehört hast, dann möchte ich dich um einen letzten Gefallen bitten. Geh zur Tür, dort wirst du etwas finden, das ich unter dem Türspalt durchgeschoben habe. Es ist nicht viel, aber ich hoffe, dass du… vielleicht trotzdem etwas damit anfangen kannst. Lass mich wissen, was du… ähm, was du davon hältst. Frohe Weihnachten, Tosh.“ Owens Stimme verstummte, die Aufnahme war zu Ende. In Toshs Kopf herrschte das reinste Chaos; sie hatte keine Ahnung, was sie mit Owens Worten – man könnte beinahe Geständnissen sagen – anfangen sollte. Sie konnte nur mit Sicherheit sagen, dass ihre Wut und ihre Trauer wie weggeblasen waren. Die Verwirrung und die seltsame Hoffnung, die sich in ihr breit machte, als sie langsam aufstand, waren aber auch nicht viel besser. Geräuschlos überwand sie den kurzen Weg zur Eingangstür und suchte den Boden ab. Tatsächlich, da lag ein Briefumschlag, den sie beim Betreten der Wohnung wohl übersehen haben musste. Auf ihm war sogar ein schmutziger Schuhabdruck zu sehen, was darauf hindeutete, dass sie zu allem Überfluss auch noch draufgetreten war. Mit zitternden Händen hob Toshiko den Briefumschlag auf, öffnete ihn und holte den Inhalt heraus. Es war ein einfaches Blatt Papier, auf dem nur eine einzige Frage stand: Hast du an Silvester schon etwas vor? Mit angehaltenem Atem und viel zu schnellem Herzschlag starrte Toshiko die unsaubere Handschrift an, konnte nicht fassen, dass dies wirklich passierte. Das hier war das einzige Weihnachtsgeschenk, das sie sich jedes Jahr gewünscht, aber nie bekommen hatte. Owen gab ihr das, wonach sie sich von Herzen sehnte. Fest presste sie das Papier, das winzige, weiße Stückchen Glück gegen ihre Brust und atmete laut aus. Das erste Lächeln seit heute Morgen formte sich auf ihren Lippen, ihren müden Augenlider gönnte sie endlich eine Ruhepause, indem sie die Augen schloss. Die Feuchtigkeit der Tränen in ihren Augenwinkeln verklebte ihre Wimpern, doch das Zittern ihrer Hände hörte auf. Vielleicht hatte es sich ja gelohnt. Das Hoffen, die Bemühungen, das Warten. Sie würde es in einer Woche erfahren. „Frohe Weihnachten, Owen“, murmelte Tosh in das leere Zimmer hinein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)