17:59, it's Guinness Time von Memphis ================================================================================ Kapitel 3: »Kein Stress!« ------------------------- Völlig erschlagen öffne ich meine Augen. Ich hasse es, wenn sich Schlaf nicht nach Schlaf anfühlt, sondern als hätte mich ein LKW überfahren – zweimal. In solchen Moment kommen bei mir die ersten Gedanken ans Alter auf. Mit zwanzig konnte ich noch trinken wie ein Loch und war am nächsten Tag taufrisch wie ein Butterblümchen am Morgen. Seit ein paar Jahren rächt sich ein Körper immer fürchterlich nach solchen Saufgelagen. Kopf- und Gliederschmerzen und eigentlich ist man nicht mehr, als zäher, alter Teig. Ich schleppe mich ins Badezimmer und suche nach einem Aspirin. Es ist schon länger her, dass ich soviel getrunken habe. Vermutlich habe ich mich von dem Mittzwanziger-Übermut anstecken lassen, der bei mir auch noch nicht so lange her ist. Selbst im Spiegelbild sehe ich alt aus. Sind das Tränensäcke, die sich da unter meinen Augen abzeichnen? Unglücklich drücke ich darauf … Allerdings sah ich auch schon mit sechzehn mit einem Kater total beschissen aus. Da hab ich das nur noch nicht eingesehen. Ich drücke ein Aspirin aus der Verpackung und gehe damit in die Küche, um sie in ein Glas voll Wasser zu werfen. Träge beobachte ich, wie sich die Tablette sprudelnd auflöst. In zwei Schluck leere ich das Glas und bleibe am Küchentisch sitzen. Bewegung verursacht nämlich nur mehr Kopfschmerz und ich will erst wieder was tun, wenn die Tablette anfängt zu wirken. Nachher werde ich einen Orangensaft trinken – meine andere bewährte Katermedizin – und mich den restlichen Tag an Wasser und leichte Küche halten. Ich lege meinen Kopf auf den kühlen Küchentisch und harre der Dinge. Gerade als ich das Gefühl hatte, dass es mir besser geht, schrillt die Türklingel als stechender Schmerz durch meinen Kopf. Gequält stöhne ich auf. Ich bin zu alt für diesen Scheiß. Es klingelt nochmal. Ich überlege, ob ich einen auf schwerhörig machen soll, so alt wie ich mich gerade fühle. Das dritte Mal klingeln. Genervt erhebe ich mich und schlürfe zur Wohnungstür. Ich starre durch den Spion und sehe Julius Gesicht in Fischaugen-Optik. Kein sehr toller Anblick. Was er wohl will? Ich öffne ihm die Tür. Auch ohne die Verzerrung des Spions bietet er nicht den besten Anblick. Er sieht mindestens so alt aus, wie ich. »Du, sorry, dass ich dich schon wieder nerve … und ehrlich, irgendwann zahl ich dir das alles zurück und so. Aber hast du Aspirin für mich? Meines ist irgendwie beim Umzug verloren gegangen und ich glaub, ich schaff es nicht bis zur nächsten Apotheke. Weiß auch gar nicht, wo die ist.« Irgendwie fühle ich mich nach der Schilderung etwas weniger alt. Wenigstens stehe ich mit dem Kater nicht alleine da. Ich ringe mir ein Grinsen ab. »Auch vom Kater befallen, hm?« Ich mache einen Schritt beiseite, um ihn in meine Wohnung zu lassen. Langsam fühlt er sich an, wie ein alter Bekannter. »Setz dich einfach in die Küche, ich hol dir was.« Selbst in meinem derzeitigen Zustand bin ich immer noch ganz der Gastgeber, wie sich das gehört. In der Küche bleiben wir erstmal eine Weile in Katerstille sitzen. Irgendwann taucht Ophelia auf, mustert uns misstrauisch und verlässt die Küche wieder. Wie ich es mir dachte, Kater kann sie auch nicht leiden. »Willst du einen Orangensaft oder Kaffee oder was anderes?«, frage ich schließlich, als der Kopfschmerz endlich erträglich geworden ist. Julius schaut mich mit einem trägen Blick an. »Kaffee fänd ich gut. Und morgen, morgen kriegst du Kaffee bei mir.« »Werd ich mir merken.« Ich gehe zu meiner Senseo-Maschine und lege ein Kaffeepad ein. Genau genommen, ist es die Kaffeemaschine von Thomas, zumindest wollte er sie damals haben. Aber wie alles hier in der Küche, habe ich sie bezahlt und deshalb ist sie hier geblieben. Richtig häufig verwende ich die Maschine nicht. Meinen Kaffee mache ich mir meistens im Betrieb mit so einem urigen Teil, das beim Kaffeekochen laut stöhnt und ächzt und dabei jedem Porno Konkurrenz macht. Praktikanten und andere Frischlinge erröten meistens, wenn sie sie das erste Mal hören. Dafür schmeckt der Kaffee nach viel Liebe und Herzblut und als hätte sich das Stöhnen gelohnt – kein Vergleich zu dem Senseo-Zeug, dass ganz dezent und leise in einem feinen Strahl in die Tasse fließt. Ich reiche Julius die Tasse und schenke mir einen Orangensaft ein. Langsam fühle ich mich wieder fitter, bin aber froh, dass ich heute nicht arbeiten muss. So kann man wohl auch seine Zeit verplempern: mit Krankheitssymptomen. Wir beschließen, dass wir uns einfach vor meinen Fernseher flänzen und DVD gucken. Beim Aussortieren sind mir ein paar Filme in die Hände gefallen, die ich länger mal wieder schauen wollte. Aber eigentlich sehe ich ungern alleine fern. Julius Anwesenheit ist also eine gute Gelegenheit. Er hat seinen Fernseher noch nicht angeschlossen und hat auch nicht vor, heute viel zu machen. Das schrille Klingeln schreckt mich vom Sofa auf. Wer … Stimmt Thomas wollte heute kommen, wegen seinen Sachen. »Bin gleich wieder da«, sage ich kurz zu Julius, der nur abwinkt und weiter gespannt den Film verfolgt. Gran Torino kennt er noch nicht und ich wollte den Film mal wieder sehen. Großartige Story und immer wieder sehenswert. Nochmal höre ich Thomas klingeln. Besonders geduldig ist er nie gewesen. »Kein Stress!«, rufe ich im entgegen, schließe die Wohnungstür auf. Meine Hände zittern etwas dabei. Ich hätte heute gerne auf Thomas verzichtet. »Hey, dachte schon, du wärst nicht da.« Thomas hebt kurz die Hand, schafft aber nicht einmal ein Lächeln. »Ich hab doch gesagt, dass ich heute da bin.« Ich trete beiseite, um ihn reinzulassen. Als er an mir vorbei geht, nehme ich seinen Geruch nach Tabak wahr. »Ja, ja, ich weiß.« Jetzt lächelt er doch. Ich muss schlucken und wünsche mir, nicht so verkatert auszusehen. »Wo sind denn meine Sache?« »Warte, ich hab sie zusammen geräumt.« Ich hebe die Ikeatasche vom Boden und öffne sie etwas, um ihm zu zeigen, was drin ist. »Ein paar DVDs und CDs, und ich glaube, das Hemd gehört dir, oder?« »Ja, habe ich schon vermisst.« Er nimmt mir die Tasche aus der Hand. Dabei berühren sich unsere Fingerspitzen kurz. Es hinterlässt kein Kribbeln, sondern den Wunsch in mir, mir die Hand an meiner Hose abzuwischen. Ich schaffe es nicht, irgendwelche positiven Gefühle für ihn wach zu rufen. Was wohl auch besser so ist. »Und … und wie geht es dir?«, fängt er doch ein Gespräch an. Gerade wollte ich ihn aus der Wohnung schieben, würde jetzt aber sehr unreif rüberkommen. Immerhin sind wir erwachsen und können eine gesunde Konversation führen, oder? »Gut, nur gerade wenig zu tun. Und selbst?« Eigentlich interessiert es mich nicht, die Frage hat sich als lästige Höflichkeitsfloskel einfach ran gehängt. »Könnte besser sein. Weißt du, die ganze Sache mit uns, also es tut mir leid.« Tatsächlich sieht Thomas etwas verloren aus, wie er mit der blauen Tasche in meinem Flur steht, seinen Blick leicht gesenkt hat. Was ihm Leid tut, weiß ich allerdings nicht und ich weiß auch nicht, was eine Entschuldigung ändern soll. »Falls du mal eine Wohnung findest, in der Katzen erlaubt sind. Ich glaube, Ophelia würde sich freuen, zu dir zu ziehen.« Vielleicht versteht er ja, was ich ihm damit sagen will. Nämlich, dass ich alles von ihm los werden will, soweit es geht. »Sie mochte dich immer lieber, als mich.« Seine Stimme klingt melancholisch, als würde er auch damit mehr sagen wollen. Ich verstehe nicht, was das soll. Diese ganze reumütige Gehabe, diese Entschuldigung. Er wollte verdammt nochmal die Trennung! Und die Katze … Thomas bereut wohl häufig seine Entscheidungen. Aber entschieden, ist entschieden. »Du, ich habe Besuch, also naja …« Ich will das er geht, presse die Lippen aufeinander und nicke Richtung Tür. »Oh, ach so, ja … dann will ich nicht weiter stören. Bis dann!« »Bis dann.« Und auf Nimmerwiedersehen. Ich schließe die Tür und fühle mich nicht so gut, wie ich gehofft habe. Aber es ist alles etwas endgültiger, das macht es irgendwie besser. Ich seufze und beschließe, wieder ins Wohnzimmer zu gehen. Die Tür habe ich nur angelehnt, also hat Julius die Unterhaltung wohl mitbekommen. Bis jetzt habe ich nicht mit ihm darüber geredet, dass ich schwul bin, war auch nicht weiter wichtig. Von Heimlichtuerei halte ich allerdings nicht. Als ich den Raum betrete, sehe ich gerade noch, wie Julius seinen Gesicht hastig richtig Fernseher richtet. Ihm ist es wohl unangenehm, dass er gelauscht hat, allerdings hätte er wohl auch alles gehört, wenn er normal dran sitzen geblieben wäre. »Das war mein Ex. Er hat seine Sachen geholt«, erkläre ich kurz, setze mich neben ihn. In Outings habe ich mittlerweile Übung und kann gelassener damit umgehen, als früher. »Ja, dachte ich mir.« Ich finde es sympathisch, dass er zugibt, gelauscht zu haben. »Sowas ist immer ätzend, oder? Diese ganze Mein-Zeug-dein-Zeug-Scheiß, mein ich. War bei einem Freund von mir auch so. Deshalb bin ich diesmal ausgezogen und hab gemeint, das alles was meine Ex von mir noch findet, behalten oder verbrennen kann.« »Klarer Cut. Sowas ist mir auch immer lieber. Ich bin jetzt auch froh, dass sein Zeug weg ist.« Julius nickt. Ich nicke. Wir gebeutelten Seelen mit gebrochenen Herzen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)