17:59, it's Guinness Time von Memphis ================================================================================ Kapitel 2: »Du schon wieder!« ----------------------------- Über mir höre ich es rumpeln und krachen. Missmutig murrt Ophelia, die gemeinsame Katze von Thomas und mir. Sie blinzelt mit ihren blauen Augen zur Decke, woher der Lärm kommt. Julius ist vermutlich dabei, seine Möbel aufzubauen. Gestern wurde seine Einweihungsfeier zu mir nach unten verlagert, aber es war ziemlich lustig. Julius scheint sich in Gesellschaft sehr wohl zu fühlen und er hat mir alles mögliche über sich erzählt. Ich habe erfahren, dass seine Ex-Freundin ihre blonden Haare immer braun gefärbt hat, um ernster genommen zu werden, dass der Professor, bei dem er seinen Doktor macht, super verplant ist und noch irgendwelches anderes Zeug. Eine jüngere Schwester hat er, daran erinnere ich mich noch. Und er mag Katzen. Ophelia allerdings gab sich die größte Mühe ungastlich und garstig zu sein. Aber deswegen hat man wohl Katzen, weil sie sich nicht über Besuch freuen. Thomas wollte damals die Katze haben, kann aber in seiner neuen Wohnung keine halten und ich habe mich mittlerweile an sie gewöhnt. Ich streichle sie nicht, wenn sie nicht von alleine kommt, dafür beißt und kratzt sie mich nicht bei jeder Gelegenheit. Wieder donnert es laut von oben. Ich höre Julius fluchen und ich spiele mit dem Gedanken, ihm meine Hilfe nochmal anzubieten. Genau genommen habe ich nicht viel zu tun. Eigentlich bin ich Ingenieur, aber eine Lieferung aus Japan hat einige Tage Verspätung und nun haben wir alle so etwas wie bezahlten Zwangsurlaub. Ich nutze die Gelegenheit, um Papierkram abzuarbeiten, aber richtig viel zu tun ist nicht und sonderlich spannend ist es auch nicht. Und Julius klingt so, als wäre über jede helfende Hand dankbar. Außerdem ist es eine ganz nette Ausrede, um vom Schreibtisch weg zu kommen. Ich mag Arbeit lieber, bei der ich richtig was tun kann und nicht die ganze Zeit auf einen Monitor starren muss. Ich hole noch eine Tafel Schokolade aus dem Schrank, so als Gastgeschenk, in Ermangelung von einem richtigen Einweihungsgeschenk. Aber eigentlich ist meine Hilfe ja schon Geschenk genug, hat er mir gestern jedenfalls versichert. Ich gehe die Treppen nach oben, höre dabei wieder etwas scheppern. Diesmal klingt es, als wäre eine Kiste von Töpfen umgefallen. Soll ich wirklich bei ihm klingeln? Ich habe den Verdacht, dass ich dann vor heute Abend nicht mehr aus dieser Wohnung komme. Trotz der Bedenken drücke ich auf den Klingelknopf. Derselbe schrille Ton, wie auch bei mir in der Wohnung. Das Klingeln würde selbst Tote wieder wecken, aber soll vermutlich auch gerade das tun. Ich höre es hinter der Tür rumpeln, dann wird sie geöffnet. »Isaac«, stellt er scheinbar überrascht fest. »Es klingt so, als würdest du Hilfe gebrauchen.« Ich grinse ihn an, linse an ihm vorbei in seine Wohnung. Der Flur steht immer noch voll mit Kartons. »Oh Gott, bin ich so laut? Sorry, irgendwie klappt das alles nicht so, wie es soll. Über Hilfe wäre echt super dankbar!« Er tritt beiseite, anscheinend ist es ihm auch nicht unangenehm nochmal meine Hilfe anzunehmen. Ich kenne Leute, die sich damit ziemlich schwer tun. Anderseits hatte Julius gestern auch keine Hemmungen gehabt, mich zu fragen. »Ehrlich, ich schulde dir echt was.« Unzufrieden blättere ich durch meine Unterlagen. Mir ist langweilig. Ich bin es nicht gewohnt, nichts zu tun zu haben und ich mag das Gefühl auch nicht sonderlich. Wir sind immer noch in Warteschleife in der Firma und es kann auch noch etwas dauern. Mit den Dokumentationen bin ich auch fast durch und mit Julius habe ich gestern all seine Möbel zusammen gebaut. Er hat sich eigentlich gar nicht so ungeschickt angestellt, aber gerade Schränke sind eine ziemliche Herausforderung, wenn man sie alleine zusammenbauen will. Meinen Schlafzimmerschrank habe ich damals auch alleine zusammengeschraubt. Eine Tür ist deshalb etwas schief, aber mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt und kann drüber hinweg sehen. Die Wohnung von Julius ist größer, als ich sie eingeschätzt habe. Aber so etwas kann man auch immer schlecht sagen, wenn man nur sieht, dass überall Zeug herum steht. Die Einrichtung selbst ist eine unpassende Mischung aus alten Jugendmöbeln, Möbel, die seine Ex-Freundin ausgesucht haben und Ikea-Möbeln aus der Fundgrube. Julius meint, wenn er mal mehr Geld verdient, wird sich das alles ändern. War bei mir auch so. Nach dem ich endlich einen festen Job hatte, habe ich eine Anzahlung für meine Eigentumswohnung gemacht und angefangen mich besser einzurichten. Aber auch erst alles nach und nach. Ich lebe hier schon drei Jahre. Meine Küche habe ich mir erst vor einem Jahr gekauft. Davor war alles sehr zusammengewürfelt in der Küche: Eine Waschmaschine, die mal zur Hälfte meinen zweiten Ex-Freund gehört hat, ein Kühlschrank, an den ich ein Schloss montiert habe, damit man ihn wieder richtig schließen kann. Oh, und die Mikrowelle, die ein Geschenk von einem Ex war. Es hat gut getan, als ich damals diese nigelnagel neue Küche eingebaut habe, zusammen mit Thomas. Jetzt erinnert mich sie wohl auf ewig an ihn, aber wenigstens funktioniert alles. Und so super sentimental bin ich auch nicht, als das es mich wirklich stört. Julius wird heute wohl all sein Zeug verstauen, dabei kann und will ich nicht helfen. Mich geht es nichts an, was andere in ihren Schränken haben. Außerdem finde ich es dann doch zu aufdringlich, bloß weil mir mal langweilig ist. Das Problem, wenn man Urlaub hat, aber niemand sonst, ist das niemand Zeit hat. Normal würde ich mit ein paar Studienkollegen jetzt was unternehmen. Aber entweder sind sie zu sehr damit beschäftigt, ihre Brut zu hüten, oder sie sind eben arbeiten. Ich rolle mit meinem Bürostuhl vor und zurück. Ophelia beobachtet mich dabei mit einem giftigen Blick. Ihr passt es nicht, dass ich mich bewege. Kurz starre ich ihr in die Augen. Sie hasst es, wenn ich das tue. Ein tiefes Grollen kommt von ihr. Breche ich das Blickduell nicht ab, fällt sie mich an. Ich habe keine Ahnung, warum Thomas gerade sie haben wollte. Gut, sie sieht ganz hübsch aus, mit ihren blauen Augen und der schoko-braunen Maske, aber ihr schlechter Charakter hat sich schon als Kätzchen abgezeichnet. In der ersten Nacht, als sie hier war, hat sie mir in den Schrank gepinkelt und einen Kratzer im Gesicht verpasst, knapp am Auge vorbei. Mittlerweile hat sie das mit dem Pissen zum Glück gelassen, sonst hätte ich sie vermutlich ins Tierheim gesteckt. Genervt von dem Blick der Katze, stehe ich auf und beschließe einen Spaziergang zu machen. Eigentlich fühle ich mich zu jung für Spaziergänge durch den Park oder über den Friedhof, aber in der Wohnung versauere ich nur. Angeblich sollen Spaziergänge helfen, um den Kopf frei zu kriegen. Wobei ich sagen muss, dass es momentan nicht wirklich etwas gibt, was mich stört oder worüber ich mir den Kopf machen müsste. Außer das ich demnächst mal bei Thomas anrufen sollte, der immer noch Sachen bei mir hat. Gut, er hat hier über ein Jahr gewohnt und ist erst vor zwei Monaten ausgezogen, da ist es irgendwie klar, dass ich immer wieder etwas finde, was ihm gehört. Momentan handhabe ich es so, wenn der Wert der Fundstücke insgesamt fünfzig Euro übersteigt, rufe ich an. Nicht, dass man mir irgendwas böses nachsagt. Was ich schon länger mal machen wollte, war die DVD-Sammlung zu sortieren. Wir haben sie, verliebte Trottel, die wir waren, alle zusammen geworfen und niemand hat den Nerv gefunden, sie wieder zu trennen. Jetzt habe ich ja die Zeit, das zu machen. Hm, besser als Spazieren gehen, oder? Während ich in meinem Wohnzimmer auf dem weichen Teppich sitze, überall DVDs um mich herum verstreut, stelle ich fest, dass ich wirklich zu wenig zu tun habe. Ich greife zur nächsten DVD. V wie Vendetta. Hm, meine oder seine DVD? Wir haben ihn damals zusammen gekauft, ich weiß aber nicht, wer ihn gezahlt hat. Ich mag den Film. In dem Fall gehört er mir, beschließe ich. Zufrieden lege ich ihn auf meinem Stapel, der zugegeben höher ist, als der von Thomas. Ich sehe das aber als Bezahlung und eine gute Gelegenheit, ungeliebte Filme los zu werden. ›Der mit dem Wolf tanzt‹ landet auf Thomas Stapel. Irgendwann bin ich nach meiner Zufriedenheit damit fertig. Ich weiß, dass Thomas sich nicht darüber beschweren wird, wie ich aufgeteilt habe. Dafür hat er mich mit der Trennung zu sehr verletzt. Deshalb versuchen wir zivilisiert miteinander umzugehen, wenn wir uns sehen. Möglichst keine Gefühle aufwühlen. Seine Sachen von meinen zu trennen, tut mir aber gut. Es macht alles endgültiger. Ich beschließe, die Wohnung weiter nach Sachen von ihm abzusuchen, damit er nicht mehr kommen muss. Mir ist es wichtig, einen klaren Cut hinter einer Beziehung zu ziehen. Ich bin kein großer Fan davon, alles unnötig in die Länge zu ziehen und sich immer wieder mit der gegenseitigen Anwesenheit zu quälen. Wie man mit seinem Ex noch befreundet sein kann, verstehe ich auch nicht. Bei mir hat das nie funktioniert, auch wenn die wenigsten Beziehungen in Streit auseinander gegangen sind. Ich bin nicht so der Typ zum Streiten, was mir lustigerweise auch schon zum Vorwurf gemacht wurde. Bei meiner Suche finde ich noch etwas Dekokram, ein paar CDs und ein rosa Hemd, recht weit hinten in meinem Schrank verborgen. Als ich es aus dem Schrank ziehen will, fange ich mir einen Kratzer von Ophelia ein, die dort wohl geschlafen hat. Ich sollte sie zu den Sachen dazu setzen, dann kann Thomas sie mitnehmen! Anderseits würde ich sie vermutlich irgendwie vermissen. Manchmal kann sie ganz nett sein und sie freut sich, wenn ich nachhause komme. Primär, weil ich ihr dann Futter gebe. Aber ich mag es, wie sie mir dabei um die Beine streift und schnurrt. Die einzige Gelegenheit, bei der sie das tut. Ich wasche mir das Blut von meinen Händen und fühle mich zu gutmütig. Selbst eine garstige Katze, wie Ophelia weckt in mir das Bedürfnis, ihr zu helfen. Man könnte meinen, nach dreißig Jahren habe ich das mit der Nettigkeit besser im Griff, aber man kommt wohl nicht so einfach aus seiner Haut raus. Thomas Sachen landen in einer großen Ikea-Tüte, die ich in den Flur stelle. Unschlüssig bleibe ich dort vor dem Telefon stehen. Die fünfzig Euro sind zusammen, ich sollte ihn anrufen und endlich mit ihm abschließen. Entschlossen greife ich zum Hörer und tippe seine Handynummer ein. Nach seiner neuen Festnetznummer habe ich ihn nicht gefragt. »Thomas Grün. Wer spricht?«, meldet sich seine Stimme. Meine Festnetznummer ist standardmäßig unterdrückt. »Hier ist Isaac. Ich habe noch Zeug von dir gefunden. Ich wäre froh, wenn du das demnächst abholst.« »Oh, okay. Wann hast du denn Zeit?« Er wirkt nicht sehr erfreut über meinen Anruf, kann ich aber verstehen. So richtig glücklich mit ihm zu reden, bin ich auch nicht. »Diese Woche eigentlich immer.« »Was ist denn passiert, dass du mal frei hast? Ist was explodiert?« Thomas lacht. Einer der Punkte, die er immer wieder kritisiert hat, war der Umstand, dass ich angeblich nie Zeit für ihn gefunden habe und ein Workaholic wäre. »Japan«, gebe ich trocken zurück. Ein bisschen zu spät fällt mir auf, dass der Kommentar etwas pietätslos ist. Aber tatsächlich ist das der Grund für die ganze Verzögerungen. Thomas lacht wieder. Meinen Humor hat er immer gemocht, hat er gesagt. Ich mochte es, wenn er solche Aussagen für Humor hielt. »Ich komme morgen mal vorbei. Ich weiß aber noch nicht genau wann.« Das war einer der Dinge, die mich an ihm immer gestört haben. Immer vage und man wusste nie, wann und was von ihm zu rechnen ist. Klar, dass man sich dann immer wieder mal verpasst. Aber prinzipiell war ich der Schuldige, weil ich ja so wenig Zeit habe und mit meiner Arbeit verheiratet bin. »Okay, ich versuche da zu sein.« Genau genommen werde ich meinen ganzen Tag in der Wohnung verbringen, bis er da ist. Ihn zu verpassen und so nochmal mit ihm zu telefonieren, will ich wirklich nicht. »Wie geht es Ophelia?«, fragt er, als wäre ihm gerade eingefallen, dass er Interesse für unsere Trennungskatze heucheln sollte, wenn er vielleicht doch mal das Sorgerecht für sie will. »Reizend, wie immer.« Fahre mir bei den Worten über die frischen Kratzer. Ja, absolut reizend. Vielleicht ist Thomas auch mit Absicht in eine Wohnung gezogen, in dem Katzen nicht erlaubt sind, nur um eine Ausrede zu haben. Auch wenn er es nie zu zugeben hat, ich glaube, so richtig toll, fand er Ophelia im Endeffekt auch nicht. Zumindest blieb meistens das Füttern und Katzenklo säubern an mir hängen. »Hm, okay. Dann bis morgen.« Er fragt nicht mal nach, was sie wieder getan hat. Das ›Reizend‹ ist ein Insider zwischen uns, wenn Ophelia mal irgendwas unmögliches angestellt hat. Aber das mit den Insidern ist nun auch vorbei. »Ja, bis dann.« Ich lege auf, bevor ich das Tuten aus seiner Leitung höre. Im Gedanken mache ich einen Haken hinter ›Lästigen Sache mit Ex erledigt‹. Sehr viel steht auf meiner mentalen To-Do-Liste nicht mehr für meine freie Woche. Hätte ich mit dem Ausfall gerechnet, hätte ich mir vielleicht einen schönen Urlaub gebucht. Mit Thomas wollte ich mal nach Barcelona, hat sich nun aber erledigt. Wenn ich so darüber nachdenke, die ganze Sache mit Thomas... Manchmal frage ich mich, ob wir unsere Beziehung zu ernst genommen haben: Zusammenziehen, eine gemeinsame Küche aussuchen, sich eine Katze anschaffen, Urlaube planen … Meine Beziehungen davor sind weniger ernst abgelaufen, aber genauso wenig erfolgreich. Sonst wäre ich jetzt kein Single. An und für sich finde ich es gar nicht so schlimm. Tatsächlich bin ich sehr zufrieden mit meiner Arbeit, meiner Wohnung und den Wochenend-Ausflügen mit Arbeitskollegen oder anderen Kumpels. Es fühlt sich auch ohne Thomas nicht an, als würde etwas in meinem Leben fehlen. Vielleicht hat das Thomas gemeint, als er sagte, mit mir ist man in keiner Beziehung, sondern man lebt nur neben einander her. Nein, eigentlich verstehe ich noch immer nicht, was er damit meint. Ich habe mir immer viel Mühe gegeben und Thomas war mir wirklich wichtig gewesen. Die Trennung hat mich auch ziemlich unerwartet und sehr hart getroffen. Ich schüttle den Kopf. Keine Lust wieder daran zu denken. Der bittere Nachgeschmack der Trennung hat schon fast nach gelassen und ich will es dabei belassen. Ich beschließe einkaufen zu gehen. Seit Wochen will ich mir neue Schuhe kaufen gehen und bin nie dazu gekommen. Neue Hosen und ein paar T-Shirts für die Freizeit könnte ich auch gebrauchen. Und wann soll ich das machen, wenn nicht jetzt? Außerdem freue ich mich, mal wieder für mich einzukaufen. Thomas hat immer darauf bestanden, bei Einkäufen mit zu kommen, weil er der Meinung war, dass ich viel mehr aus meinem Typ machen könnte. Mag ich halt weiße Shirts und gemütliche Jeans, und? Bloß weil ich auf Kerle stehe, heißt das doch nicht, dass ich mich gerne rausputze. Das habe ich immer Thomas überlassen, oder meinen anderen Ex-Freunden, die das gerne gemacht haben, waren aber zum Glück bei weitem nicht alle. Tatsächlich genieße ich das Gefühl durch die Innenstadt zu laufen und nur für mich alleine einzukaufen. Kein lästiges »Das könnte dir doch stehen!« oder »Das ist nicht deine Farbe!« Wie sehr es einen nervt, merkt man erst, wenn man es nicht mehr hört. Sehr gelassen und entspannt bringe ich meinen Einkauf hinter mich. Leider habe ich damit nicht ganz soviel Zeit tot geschlagen, als ich gehofft habe. Mit Thomas hat das immer wesentlich länger gebraucht. Ich fange damit an, meinen Kleiderschrank auszusortieren, wenn ich schon dazu komme. Meine Figur hat sich seit einigen Jahren nicht mehr geändert – zum Glück – aber einige Sachen sind schon etwas abgetragen und eigentlich genau das richtige für die Altkleidersammlung. Wie viel man alles schafft, wenn man nichts zu tun hat! Als ich es an der Tür klingeln höre, atme ich erleichtert aus. Selbst wenn es nur der Postbote ist, ich habe eben festgestellt, dass ich Sortieren nicht leiden kann. Ich schließe den Schrank und gehe zur Tür, um meinen Retter vor dem Sortierwahn die Tür zu öffnen. »Du schon wieder!«, begrüße ich Julius mit einem Grinsen. »Ach, ich dachte mir, weil du ja die ganze Woche daheim bist und mir soviel geholfen hast, vielleicht hast du Lust mit mir Essen zu gehen. Du weißt schon, als Dankeschön.« »Alles, Hauptsache ich kann ein bisschen raus. Mir fällt hier die Decke auf dem Kopf.« »So schlimm?« Julius lacht. Ich habe ihm gestern schon erklärt, dass ich gerade zu viel Zeit habe. »Ich arbeite eben gern.« Ist meiner Meinung nach auch nicht sehr verwerflich. Ich kontrolliere, ob ich meinen Geldbeutel noch eingesteckt habe und verlasse mit Julius die Wohnung. »Muss cool sein, wenn man seinen Job so liebt.« »Kann man so oder so sehen«, antworte ich vage, während ich meine Wohnung abschließe. Meine Ex-Freunde haben es lieber anders gesehen. »Kannst du mit deinem Studienfach nichts anfangen?« Ich habe mir leider nicht gemerkt, was er genau studiert, beziehungsweise in was er seinen Doktor macht, das ging in der Informationsflut der letzten Tage wohl unter. »Oh doch, klar, sonst würde ich meinen Doktor nicht machen. Nur Studium und Arbeiten ist ja nochmal was anderes. Ich weiß noch gar nicht, ob ich an der Uni bleiben will, oder was ich so genau machen will.« Diese Entschlossenheit kenne ich nur von Bekannten. Ich selbst wusste schon sehr früh, was ich arbeiten will und habe nach meinem Diplom auch sofort einen Job gefunden. Gerne würde ich ihm sagen, das er spätestens nach seinem Doktor weiß, was er machen will. Aber das klingt nach einem altklugen Spruch und scheint mir nicht angemessen. Außerdem habe ich meinen Doktor nie gemacht, also kann ich so gesehen gar nicht richtig mitreden. »Weißt du denn ein gutes Restaurant hier? Ich kenn mich in dem Viertel gar nicht aus«, wechselt er unvermittelt das Thema. »Kommt drauf an, auf was du Lust hast. Indisch, Chinesisch und gut bürgerliche deutsche Küche gibt’s hier nicht. Genau genommen gibt es zu Fuß nur einen guten Dönerladen und einen Italiener, der diese coole Teig-in-die-Höhe-werfen-Nummer drauf hat.« »Hm, wir können auch mit der Straßenbahn ein paar Stationen fahren, beim Nepumukplatz gibt’s ein Irish Pub, bei dem es Mittags englische Küche gibt.« Ich schaue ihn skeptisch an. Das Irish Pub kenne ich, mit Martin, Arbeitskollege, bin ich dort manchmal. Aber englische Küche in einem irischen Pub … Ich mein, englische Küche ist sowieso schon nicht so bekannt dafür, sehr lecker zu sein. »Ehrlich, die sind gut. Die haben fabelhaften Yorkshire Pie und Baked Potatoes! Ich hab am Anfang auch nicht geglaubt, dass das schmecken kann. Aber soweit ich weiß, haben die keinen englischen Koch. Vielleicht liegt´s ja daran.« Ich muss lachen. »Na gut, einen Versuch ist es wert.« Beim Essen erzählt er mir über sein Austauschjahr in England, wo er überraschenderweise auf den Geschmack der echten englischen Küche gekommen ist. Und ich erzähle ihm ein bisschen was über meine Arbeit. Da unsere Firma oftmals Aufträge im Ausland hat, bin ich immer wieder mal für ein paar Wochen unterwegs. Ich war schon in Saudi Arabien, Indonesien, Kanada, vor einer Weile auch in Japan. Das Reisen ist ein interessanter Aspekt meiner Arbeit, mit dem ich zu Anfang nicht gerechnet habe. Ich genieße es immer sehr, mal unterwegs zu sein. Das es meine Ex-Freunde immer angekotzt hat, verschweige ich Julius allerdings. Tatsächlich ist das englische Essen im irischen Pub gar nicht mal so übel. Ich bin bei Baked Potatoes geblieben. Bei Kartoffeln mit Quark kann man nicht viel falsch machen, nicht mal als Engländer. Aber zugegeben, es hat geschmeckt! Wir sind dann nach dem Essen zu einem kräftigen Guiness gewechselt und noch eine Weile in dem Pub geblieben. Wenn man sich noch nicht lange kennt, kann man sich glücklicherweise immer noch sehr viel erzählen. Später kamen Freunde von ihm dazu, die mich recht herzlich in ihre Gruppe aufgenommen haben. Alles in allem bin ich recht glücklich mit meinem neuen Nachbar. Ich könnte mir sogar vorstellen, mit Julius öfter mal einen trinken zu gehen. Immerhin kann man sich das Geld fürs Taxi teilen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)