Life von kioko-chan ================================================================================ Kapitel 1: Leaving ------------------ Langsam bewegte sich das Flugzeug in Richtung Startbahn. Der nasse Asphalt glitzerte im Licht der kleinen Lämpchen, währen der schwere Eisenkoloss immer schneller wurde. Das Flugzeug erbebte und ich wurde in den Sitz gedrückt. Ganz allmählich verschwammen die Lichter des Flughafens vor meinem Fenster. Draußen regnete es. Dicke, schwere Tropfen klatschten gegen die welt und hinterließen ein lautes, trommelndes Klagelied. Ob der Himmel wohl ahnte wie ich mich fühlte? Das Ruckeln wurde stärker. Auf der letzten Strecke der Startbahn beschleunigte das Flugzeug und hob ab. Nun war es also offiziell. Ich verließ meine Heimat und war auf dem weg in eine völlig neue, völlig fremde Welt. All das kam mir so unwirklich vor. Noch vor einem Monat war noch alles in Ordnung gewesen. Ein Monat … so eine kurze Zeitspanne und doch fühlte es sich an, als wäre es eine Ewigkeit her. Ich konnte mich noch daran erinnern wie ich Nachhause gekommen war, und meiner Mutter nur schnell einen kleinen Zettel geschrieben hatte. Danach war ich sofort in die Stadt gefahren um mit meinen Freundinnen Shoppen zu gehen. Ich hatte es nicht für nötig gehalten „Hallo“ zu sagen. Auch ein „Ich liebe dich Mama“ habe ich nicht geschrieben. Ich dachte ich könne ihr all das auch noch am Abend sagen. Ich weiß noch wie ich ein Buch aus ihrer Lieblingsreihe im städtischen Buchladen gefunden habe. Niemals hätte ich gedacht, das meine ganze Welt innerhalb eines winzigen Augenblicks ausgelöscht werden konnte. Und doch war es so gekommen. Es war ungefähr acht Uhr Abends gewesen als ich nach Hause kam. Sie haben vor unserer Haustür gewartet. Zwei große Männer in Uniform und sehr ernstem Blick. Als ich sie fragte ob ich ihnen helfen könne, ragen sie eine Weile mit sich bevor sie mit einem einzigen Satz alles fortrissen was ich hatte: „Ich muss ihnen leider mitteilen das ihre Eltern und ihr jüngerer Bruder bei einem Autounfall heute ums Leben gekommen sind.“ Schmerzhaft krampfte sich mein Herz zusammen. Meine Atmung ging ein wenig flacher. Ich versuchte den Schmerz zu unterdrücken, ballte die Fäuste als ich spürte, wie meine Augen anfingen zu brennen. Schnell biss ich mir auf die Unterlippe und versuchte die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. Hatte ich denn nicht schon genug geweint? Eigentlich dürfte ich gar keine Tränen mehr haben. Doch gerade eben, dort am Flughafen hatte mein Körper mir das Gegenteil bewiesen. Langsam glitt mein Kopf gegen die kalte Wand neben mir. Ein dicker Kloß hatte sich in meiner Kehle gebildet. Der Abschied war schrecklich gewesen. Sie waren alle gekommen. Alex, Lea, Rojdan, Lisa, Michelle und Bianca, alle meine Freunde waren da gewesen um mich zu verabschieden. Sie alle hatten geweint, hatten mir Glück gewünscht und waren untröstlich gewesen. Ich hatte nicht gewollt das sie kommen, weil ich gewusst hatte das das passieren würde. So oft hatte ich gesagt sie sollten nicht kommen, hatte mich sogar von jedem einzelnen Persönlich verabschiedet, weil ich nicht wollte das sie mich so sehen. In den Jahren, in denen wir uns kannten, hatte ich für ihr Lächeln gekämpft. Ich habe alles dafür gegeben damit sie glücklich sind. Und jetzt weinten sie meinetwegen. Als wir uns alle schluchzend in den Armen gehalten hatten, waren es ihre Tränen gewesen, die mein Herz vollends zerrissen hatten und mir das letzte bisschen Beherrschung nahm das übrig geblieben war. Würden sie ohne mich zurecht kommen? Die Vorstellung nie wieder einfach zu Alex fahren zu können um uns dann K-Pop Lieder anzuschauen oder zusammen zu kochen, ja selbst das Zimtessen nie wieder zu essen, brannte wie Säure in meiner zerbrochenen Seele. Wütend über meine eigene Schwäche lehnte ich mich zurück und atmete tief durch. Ich musste mich wieder in den Griff bekommen. Zum einen weil mich die ältere Dame neben mir besorgt musterte und zu Spucktüte schielte und zum anderen weil es einfach kein zurück mehr gab. Zum allerersten mal verstand ich meine Freundin Michelle, die immer zu mir gesagt hatte das es wichtig war unveränderliche Dinge zu akzeptieren als dagegen anzukämpfen. Damals hatte ich mich immer darüber geärgert, doch nun bewunderte ich sie dafür. Wieder brannte der Kloß in meiner Kehle. Mein verfluchter Körper schrie förmlich danach in Tränen auszubrechen, doch ich weigerte mich verzweifelt. Es war genug! Es war einfach genug! Ich konnte nicht mehr. Was hatte Dieter immer gesagt? „Wenn uns mal was zustoßen sollte, denn man weiß ja nie, dann darfst du nicht in Tränen zerfließen. Das Leben geht weiter, das darfst du niemals vergessen...“ Ich musste mich zusammenreißen... Dennoch konnte ich nicht verhindern, das sich eine kleine Träne meine Wange hinab stahl. Tief in Gedanken verfluchte ich die Welt und kaute auf meiner Unterlippe. Allmählich schmeckte ich Blut, doch das war mir nur recht. Dieser Schmerz war erträglicher als der, den ich im Herzen trug. Am liebsten hätte ich geschrien. So laut und so lange bis kein Ton mehr über meine Lippen kommen würde. Meine Hände fühlten sich seltsam fremd an, als ich in meine Tasche griff und meinen Mp3-Player raus holte und die Lautstärke aufdrehte. Angestrengt versuchte ich den koreanischen Zeilen von G-Dragons Heartbreaker zu folgen. Zumindest ein gutes hatte es ja, das ich jetzt nach Korea zog. Ich kam leichter an meine Musik ran. Haha...welch Glück...nicht mal mein Sarkasmus rückte das hier in ein positives Licht. Ich hatte immer davon geträumt nach Korea zu ziehen, aber so? In meiner Vorstellung war ich nicht alleine gewesen. Alex und Lea wären mit mir gekommen. Gott, wie sehr ich mir wünschte sie wären hier! Ein weiterer Stich durchzog mein Herz. Alex, Lea und ich hatten den Koreanischen Pop geliebt. Wir hatten zusammen koreanische Dramen geschaut und die Bands angehimmelt. Auch das war nun vorbei... Ein kleines, bitteres Lächeln glitt über mein Gesicht. Niemals würde ich vergessen wie Alex ausgeflippt war als sie erfuhr das ich nach Korea zog. Und wie sehr wir beide danach geweint hatten. Nach dem Tod meiner Mutter, meines Stiefvaters Dieter und meines jüngeren Bruders Björn musste entschieden werden, zu wem ich gehen würde. Ich war zwar schon 17, doch ging ich immer noch zur Schule und hatte deswegen auch keine Möglichkeit mich alleine zu versorgen. Die Familie meines Stiefvaters hätte mich zwar liebevoll unterstützt, doch ich wollte ihnen nicht zu Last fallen. Deshalb waren für mich nur zwei Möglichkeiten übrig geblieben: Entweder ich wäre zu meinem verhassten Vater gezogen, der davon genau so wenig begeistert wäre wie ich, oder eben zu dieser komischen Tante aus Korea von der ich bis vor kurzem noch nicht einmal wusste das es sie gab. Wenn man sich zwischen der ewigen Verdammnis und dem Unbekannten entscheiden muss, dann nimmt man das Unbekannte, auch wen das bedeutete alles hinter sich zu lassen. Als G-Dragon begann das Wort Heart zu buchstabieren wechselte ich das Lied. Mein Herz war gebrochen genug. Das wusste ich auch ohne das der Rapper mit dem Babyface mir das Wort mit jedem einzelnen Buchstaben unter die Nase rieb. Ziellos suchte ich in meiner Playlist, bis mir auffiel, das ich nur solche Lieder hatte. Mit jedem einzelnen verknüpfte ich eine Erinnerung aus meinem früheren Leben, die mich jetzt unerträglich schmerzte. Seufzend entschloss ich mich für Sunset Glow von Big Bang. Sofort musste ich an Alex „Let's go east“ Schilder denken, die sie wegen diesem Lied gemacht hatte. Und an ihre bekloppte Idee das mit einem Einkaufswagen zu parodieren. Ein feines Lächeln schlich sich auf meine Lippen. „So ist's recht! Sieh das positive, du kleiner Neg! Du gehst nach Korea! Freu dich!“ Leise hallte die Stimme meines Stiefvaters in meinem Gedächtnis wieder. Das Lächeln wurde etwas breiter, doch als ich meine Spiegelung im Fenster sah, erkannte ich wie traurig es war. Neg. So hatte er mich immer liebevoll genannt. Negativ denkender Mensch... Erschöpft schloss ich die Augen und suchte nach einem letzten Rest Entschlossenheit in mir. Ich würde nicht mehr verzweifeln und weinen. Ich würde mich jetzt zusammenreißen. Ganz bestimmt! „Ich werde mein Bestes geben...für euch alle!“, murmelte ich kaum hörbar und zwang mich zu schlafen. Der Flug würde lang werden und ich war so unendlich erschöpft. Das heftige ruckeln des Landeanflugs riss mich aus meinem unruhigen Schlaf. Hinter mir fing ein kleines Mädchen an zu weinen, weil das stetige ruckeln dem Kind angst machte. Ich stöhnte und rieb mir die Augen. Wirre Träume hatten mich die ganze Nacht über gequält. Von ein wenig Erholung also keine Spur. Die Lautsprecher über mir knackten, und eine Frauenstimme verkündete, das wir bald landen würden. Mein müder Blick glitt zum Fenster. Noch befanden wir uns über den Wolken. Die Sonne tauchte die weiße Wolkendecke unter sich in ein atemberaubendes rubinrot. Irgendwie war es erschreckend, das ich bei diesem wunderschönen Anblick absolut nichts empfand. Als hätte man mich betäubt. Ganz so, als ginge mich das alles hier nichts an. Ich hatte absolut keine Ahnung was mich jetzt erwarten würde. Meine koreanisch Kenntnisse waren gleich Null. Die paar Begriffe die ich während meines „K-Pop-Studiums“ würden mir hier nicht viel bringen, denn meine Lehrer würden wohl kaum beeindruckt sein, wenn ich ganz laut „Oppa!“ rufen konnte. Ebenso würde mir mein mehr als nur sehr brüchiges Japanisch in Korea keine Freunde machen. Alles womit ich punkten konnte, war mein flüssiges Englisch. Doch wer sprach in Korea schon Englisch. Sofort kam mir der Maknae von Mblaq, Bang Cheol Yong in den Sinn, dessen Englisch – oder besser Engrish Kenntnisse mehr als nur eine Lachnummer gewesen waren. Was meine seltsame Tante anging, hatte ich genau so wenig Ahnung von dem, was mich erwartete. Noch nie hatte ich ein Wort mir ihr gewechselt, geschweige denn das ich wusste wie Sie aussah und was Sie arbeitete. Ich hatte das Gefühl, als hätte das sowieso keine Bedeutung mehr. Es hätte keinen Unterschied gemacht, wenn ich mich über sie Informiert hätte. Innerlich lachte ich über mich selbst. Gestern als ich in Deutschland abgehoben hatte, war ich entschlossen gewesen auch in Korea mein bestes zu geben. Doch nun war dieses bisschen Willenskraft vollkommen verpufft, als hätte ich es in Deutschland bei allem was ich liebte zurückgelassen. »Alex würde mich schlagen, wenn sie meine Gedankengänge hören könnte« „Mach es richtig!“ Waren ihre letzten Worte an mich gewesen, wenn man die wüsten Beschimpfungen ausklammerte. Durch mein Fenster sah ich zu, wie wir durch die blutroten Wolken sanken und das goldene Licht der Sonne hinter uns ließen. Sie würde erst in ein paar stunden ihre wärmenden Hände nach der Welt ausstrecken. Mein kleiner Bruder war früher fest davon überzeugt gewesen, das man auf der weißen, fluffigen Wolkendecke laufen könne und jedes mal, wenn wir in den Urlaub geflogen waren hatte er angst gehabt, das Flugzeug würde mit den Wolken kollidieren. Schnell schob ich den Gedanken an meinen kleinen Bruder weg. Es hatte keinen Sinn in Traurigkeit zu versinken, die Welt würde sowieso nicht danach fragen und sich einfach weiterdrehen. Gedankenverloren begann ich wieder auf meiner Lippe herum zu kauen. Sie war noch leicht geschwollen wegen der gestrigen Tortur, doch das störte mich nicht sonderlich. Je mehr Schmerzen ich dadurch hatte, desto leichter war mein gebrochenes Herz zu ertragen. Was danach kam, nahm ich gar nicht mehr richtig wahr. Das Flugzeug landete, die Passagiere stiegen aus. Wie in Trance folgte ich der Masse zum Gepäckband. Alles geschah wie in einem Traum, nur das ich diesmal nicht aufwachen würde. Ich würde diesmal nicht einfach aufstehen und meine Mutter in der Küche treffen. Während ich wie weggetreten neben dem Gepäckband stand und wartete, war es mir, als könne ich den angenehmen Kaffeegeruch aus der Küche riechen, der jeden Morgen das Haus durchflutet hatte. Das Haus das jetzt leer stand... Ein weiteres mal schob ich die Erinnerung an mein altes Leben weg. Es war unwiderruflich vorbei und würde genau so wenig zurück kommen wie die Toten. Viel zu langsam bewegten sich die Koffer an mir vorbei. Machten die etwa extra langsam?! Ich seufzte und fuhr mir durch das braun gefärbte Haar mit den weißblonden Streifen. Gelangweilt streifte mein Blick durch den Raum. Der Boden bestand aus makellosen grauen Fließen, die alles spiegelten, was auf ihnen stand. Die Wände und die Decke hingegen waren weiß. Eine sehr neutrale Atmosphäre eigentlich, so wie an jedem Flughafen. Doch für mich war sie Eiskalt. Als wolle sie mir einen Vorgeschmack darauf vermitteln, was mich hinter diesen Türen erwartete. Ein frösteln durchfuhr mich und ich zog den Reißverschluss meiner Jacke zu. Was eigentlich nutzlos war, denn die Kälte kam aus meinem Herzen und konnte nicht einfach durch meine Klamotten beseitigt werden. Nach einer halben Ewigkeit kamen endlich meine Koffer. Während ich meinen halben Kleiderschrank zum Ausgang schleifte wurde mir bei jedem Schritt schwerer ums Herz. Da draußen würde keine Alex mehr sein, die ich einfach anrufen konnte wenn es mir nicht gut ging um mein abendliches Gespräch mit ihr zu führen. Es würde auch keine Lea mehr geben, die wie eine Sonne geleuchtet hatte, wenn ich selbst kein Licht mehr gesehen habe. Dort draußen war ich ganz alleine... Ein paar Schritte von der Ausgangstür entfernt blieben meine Füße plötzlich stehen. Mein Körper begann zu zittern. Ich war...allein. Wenn ich dort hinaus gehen würde, wäre ich vollkommen allein! Allein...dieses Wort und seine grausame Bedeutung trafen mich wie ein Hammerschlag. Schnell presste ich mir eine Hand auf den Mund um das schluchzen zu ersticken. Tränen schossen mir in die Augen und liefen mir die Wangen hinab. Ich konnte genau fühlen wie die Tropfen über meine Haut liefen. Warum?! Warum musste ich gerade jetzt in Tränen ausbrechen?! Verzweifelt versuchte ich mich zu beruhigen und zu verstehen was mit mir passierte. Zitternd schlang ich die Arme um mich und versuchte krampfhaft wieder die Kontrolle über meinen Körper wieder zu bekommen. Ich verstand nicht, was in mir vorging, schon gar nicht meine immer wieder so radikal schwankenden Gefühle. Erst fühlte ich gar nichts, beinahe als wäre ich tot, dann war ich entschlossen alles zu geben was ich konnte um dem Wunsch meiner Familie zu entsprechen und danach brach ich vollkommen verzweifelt und mutlos wieder in mich zusammen! Wieso musste ich ausgerechnet hier sein? Warum musste ich ausgerechnet hier in Tränen ausbrechen und mir am Flughafen von Seoul die Augen aus dem Kopf heulen??!! Menschenmassen drängten sich lärmend an mir vorbei, während ich immer noch am selben Fleck stand und unkontrolliert vor mich hin schluchzte. Viele der Passanten starrten mich komisch an, manche tuschelten und zeigten sogar mit dem Finger auf mich. Irgendwie verstand ich das sogar...ich musste ein erbärmliches Bild abgeben. Wieder andere gingen einfach an mir vorbei und beachteten mich nicht weiter. So viele Menschen warum um mich versammelt und trotzdem! Und trotzdem war ich ganz alleine. Alle Menschen die ich liebte, die mir jemals etwas bedeutet haben, hatten mich verlassen. Einfach so... Ob nun freiwillig oder nicht, was machte das für einen Unterschied?! Unsanft wurde ich angerempelt und fiel zu boden. Ohne Unterlass liefen mir Tränen über meine Wangen, ohne das ich sie hätte aufhalten können. Mein Herz schmerzte so unerträglich das ich schon befürchtete, es würde in meiner Brust zerspringen. Warum war all das Geschehen?! Der Unfall, der Abschied von den anderen und all das hier! Wie konnte das alles nur geschehen?! Meine Gedanken und Gefühle drehten sich im Kreis und ich war nicht in der Lage sie wieder einzufangen. Mir schwindelte ein wenig und mir war kalt, doch ich schaffte es einfach nicht vom kalten Marmorboden aufzustehen. Ich musste ein schrecklich erbärmliches Bild abgeben wie ich hier so zusammen gesunken und schluchzend am Boden saß, völlig unfähig irgend etwas zu machen. Plötzlich schob sich eine Größe, kräftige Hand in mein Blickfeld. „Anneyeonghaseyo?“, sagte eine tiefe, männliche Stimme über mir sanft, „Gwaenchanh-ayo?“ Langsam hob ich den Kopf und blickte geradewegs in das lächelnde Gesicht eines jungen Mannes. Er trug eine Mütze, die er tief ins Gesicht gezogen hatte und eine große Sonnenbrille, so das ich sein Gesicht nicht richtig erkennen konnte. Dennoch war mir als hätte ich seine Stimme schon irgendwo schon mal gehört. Als ich ihn nur aus verheulten Augen wortlos anstarrte, räusperte er sich und hielt mir ein Taschentuch hin. Vorsichtig ergriffen meine zitternden Finger danach, doch ich wischte meine Tränen nicht fort. Es würde ohnehin nichts bringen... „Ya! Wae unneungeoya? Museun il-i issseubnika? Eodi dachyeoss-eo?“, sagte der Mann in besorgtem Tonfall und schenkte mir ein atemberaubendes Lächeln. Noch immer konnte ich nichts anderes tun, als ihn einfach nur anzustarren. Ich konnte schwören das mein Mund nach seinem Killer-smile auch noch ein wenig offen stand. Wieso kam der mir so bekannt vor? Wahrscheinlich dachte der arme Kerl, ich wäre schwer von Begriff, was ich ihm nicht wirklich verdenken konnte. Vor ihm saß ein völlig aufgelöstes europäisches Mädchen das ihn nur mit offenem Mund anstarrte ohne ihm zu antworten. Andererseits was sollte ich denn bitte machen? Ich verstand kein Wort von dem was der Mann zu mir sagte! Schnell zwang ich mich, den Kopf zu schütteln und aufzustehen. Der Koreaner nahm vorsichtig meine Hand und half mir auf. Als er sie losließ, konnte ich immer noch seine Wärme auf meiner kalten Haut spüren, was in mir einen leichten Schauer auslöste. Das alles geschah so schnell, das ich es gar nicht richtig zuordnen konnte. Der junge Mann lachte leise, ein Lachen, das mir eine wohlige Gänsehaut bescherte und zog sanft das Taschentuch aus der Hand. „Ulji mal-ayo! Miso!“, sagte er und hob mit seinen langen Fingern mein Kinn an. Ich zuckte zusammen als er mir vorsichtig die Tränen von den Wangen wischte und mir aufmunternd lächelnd mit dem Daumen über die Wange strich. Er war mir so nah, das ich seinen Duft wahrnehmen konnte. Er roch nach Ingwer, seife und Mann. Mein Körper erschauerte unter seiner Präsenz. „Miso!“, wiederholte er leise und lächelte wieder dieses unglaublich schöne Lächeln. Ich musste schlucken, und spürte, das sich meine Mundwinkel bei dem Anblick unwillkürlich ein wenig hoben. Wie viele Frauen dieses Lächeln schon um den verstand gebracht hatte? Hunderte bestimmt. Meinen Kopf hatte es jedenfalls vollkommen leer gefegt. Noch immer hatte ich das unumstößlich Gefühl das ich den Kerl schon mal gesehen hatte..bloß wo? Es wollte mir einfach nicht einfallen... „Hyung! Dangsin-eun mwohaneungeoya? Uliga gaya dwaeyol!“, sagte plötzlich ein jemand hinter ihm. Die Beiden fingen an, sich zu unterhalten. Ich wusste nicht wirklich was ich machen sollte, deswegen blieb ich stehen und beobachtete sie. Immer wieder sahen sie abwechselnd zu mir, doch ich verstand kein Wort von dem was sie sagten. Wobei mich das wirklich interessierte. Sprachen sie über mich? Dann plötzlich kam der junge Mann, der erst dazugestoßen war auf mich zu und blieb vor mir stehen. Auch seine Augen waren ebenfalls unter einer großen, dunklen Sonnenbrille versteckt, jedoch kam auch er mir irgendwie bekannt vor. Innerlich schüttelte ich den Kopf. Das bildete ich mir wahrscheinlich nur ein weil ich mir unbedingt Bekannte Gesichter wünschte. „Alles okay?“, fragte er plötzlich in einem recht gutem Englisch. Ein wenig überrascht darüber, das ich jetzt verstand was er sagte, brachte ich lediglich ein schwaches nicken zu Stande. „Du bist sicher?“, fragte der Mann, der mir aufgeholfen hatte. Ich musste ein wenig über seinen komischen Satzbau schmunzeln. Er sah sehr besorgt aus. Ich fing an mich für mein Verhalten zu schämen. Einfach hier mitten auf dem Flughafen zusammen zu klappen und sich von wildfremden auflesen lassen. Nein also weiter nach unten fallen konnte ich wirklich nicht. Schnell räusperte ich und nickte. „Ja, es...es geht mir gut. Danke“ , würgte ich mit gebrochener Stimme heraus. Der andere Mann nickte und zupfte an der Jacke seines Freundes. „Haja.“, sagte er und verbeugte sich leicht, „Anneyong“ Ein wenig überfordert tat ich es ihm gleich und verbeugte mich schnell. Ich drehte mich langsam zu dem Mann um, der mir geholfen hatte. Ich wünschte er würde die Sonnenbrille abnehmen, damit ich sein gesicht erkennen konnte, doch er hob nur die Hand und wuschelte mir kurz durchs Haar. Ein letztes mal schenkte er mir sein engelsgleiches Lächeln und lachte. „Muss gehen“, sagte er auf Englisch, „Anneyong“ Damit verschwand er in der Menge und ließ mich alleine zurück. Perplex sah ich ihm nach. Wer das wohl gewesen war? Seine Stimme, sein Lächeln.....all das war mir so bekannt vor gekommen. Genau wie die des Anderen. Doch die einzigen Koreaner die ich kannte, waren koreanische Idols und davon lief bestimmt keiner rum, um einer kleinen Deutschen zu helfen! Höchst wahrscheinlich bildete ich mir das nur ein. Ich war erschöpft, meine Gefühlte spielten verrückt und deswegen hatte mir mein Kopf einen Streich gespielt. Vielleicht wünschte ich mir so sehr ein bekanntes Gesicht zu sehen, das meine Fantasie mir einfach welche schuf... Genervt zog ich meine schweren Koffer durch den Ausgang, an dem ich mit meiner Tante verabredet war. Immer wieder musste ich an den jungen Mann denken, der mir geholfen hatte. Zumal ich ja immer noch sein Taschentuch hatte. Es war mir erst viel später aufgefallen, aber als ich mich nach seinem plötzlichen Abgang wieder gefangen hatte. Diese Lächeln hatte meinen Kopf für einen kleinen Moment tatsächlich komplett leergefegt. Noch immer fragte ich mich, wieso er mir so bekannt vor gekommen war. Es wollte mir einfach nicht aus dem Kopf gehen, doch je mehr ich mich versuchte an ihn zu erinnern, desto weniger spuckte mein Hirn aus. Vielleicht sah er einfach nur einem koreanischen Idol ähnlich und ich war einfach durch getillt Als ich endlich den Ausgang erreicht hatte und ins Freie trat,holte ich tief Luft. Hier in Seoul roch es genau so, wie zuhause auch. Kaum zu glauben, das ich jetzt am anderen Ende der Welt stand. Suchend glitt mein Blick durch die Menge, was natürlich irgendwie sinnlos war, denn ich hatte absolut keine Ahnung wie meine Tante aussah. Mich beschlichen zweifel ob die gute Frau auch wusste wie sie mich erkennen sollte und ob sie überhaupt wusste, auf wen sie hier warten musste. Unsicher sah ich mich um und fragte mich, ob es nicht besser wäre irgendwo auf die Seite zu gehen, doch bevor ich mich entscheiden konnte, hörte ich hinter mir einen Aufschrei und irgend jemand warf sich mir an den Hals. „Oh Liebes, endlich haben wir dich gefunden!“, schluchzte die Frau an meinem Hals auf Englisch. Sie drückte mich von sich und sah mich an. Wenn ich diese Frau beschreiben müsste, würde mir nur ein Begriff dazu einfallen: Barbie Puppe. Sie hatte alles was eine menschliche Barbiepuppe brauchte. Ein überschminktes gesiecht, viel zu lange, falsche Wimpern und Körbchengröße Doppel D. Selbst ihre Designer Klamotten passten ins Barbie Bild. Gehörte die zu mir??? Ich konnte kaum glauben das so was in meiner Familie vertreten sein konnte. „Sind sie...meine Tante?“, fragte ich vorsichtig, wohlgemerkt auf Deutsch, denn ich wollte sicher gehen das sie mich auch wirklich verstand. Die Frau nickte und lächelte mich mit einem schneeweiß gebleichtem Lächeln an. „Sch....bin Sandra, aber bitte nenn mich Sandy. Ich hoffe es macht dir nichts aus wenn wir Englisch sprechen, denn mein Deutsch ist nach all den Jahren grauenhaft!“, sagte sie mit einem schrecklich übertriebenem Wimpernklimpern und einem fetten, mit rotem Lippenstift geschminkten Schmollmund. Ich muss zugeben ich war ein wenig (eigentlich sehr) entsetzt. Meine Deutsche Tante Sandy war einer der Menschen, die mit einer übertriebenen englischen Aussprache ( ähnlich wie die der Tv Tussis wie Paris Hilton und Co.) und verhalten ausgestattet und alles in einen affektierten Affenzirkus verwandelten. Eben die Sorte Mensch die ich am liebsten nur schlug damit sie sich verpissen. Und bei so einer Frau musste ich die nächsten Jahre leben?! Große klasse. Aber warum überraschte mich mein Pech überhaupt noch? Jedes mal wenn ich dachte, es könne nicht mehr schlimmer kommen, setzte mir das Leben den nächsten Brocken vor die Füße... „Nein Englisch ist kein Problem“, sagte ich resigniert und seufzte. Sandy klatschte in die Hände wie ein kleines Kind und quietschte. „Sehr schön! Komm komm wir gehen schnell nach hause! Du musst doch schrecklich müde sein!“, rief sie vollkommen überdreht und nahm meine Hand. Ich wollte etwas sagen, wollte verstehen was hier gerade abging, doch sie wischte meine meine Worte einfach mit einer Handbewegung weg. Aufgedreht vor sich hin plappernd zog meine Tante mich zu einem großen glänzenden Auto mit getönten Fenstern. Ein richtiges Bonzenauto! Plötzlich stieg ein großer, in einen schwarzen Anzug gekleideter Mann aus. Wortlos griff er nach meinem Gepäck und verstaute es im Kofferraum, dann öffnete er die Tür zur Rückbank und verbeugte sich. Fassungslos klappte mein Mund auf. „Du hast einen Butler??!!“, rief ich überrascht. Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet.! Sandy kicherte und klopfte mir auf die Schulter. „Natürlich du Dummchen, was dachtest du denn? Sonst fehlt doch der Mann im Haus.“, antwortete sie und schob mich zum Auto, „los los! Unnie hat was leckeres für dich gekocht, extra für dich!“ Seufzend fuhr ich mir durch die Haare und folgte ihr ins Auto. Am liebsten wäre ich gerade wegs wieder umgedreht. Jedoch hatte ich nicht wirklich eine Wahl, also musste ich mich wohl oder übel fügen. Die ganze Fahrt über redete meine Tante wie ein Wasserfall, dem man Drogen verabreicht hatte, was meine ohnehin schon strapazierten Nerven auf eine ziemlich harte Probe stellte. Immer und immer wieder stellte ich mir die Fragen Schlagen oder nicht Schlagen Töten oder nicht Töten In beiden Fällen hätte ich zwar meine Ruhe gehabt, aber Hilfreich wäre es trotzdem nicht gewesen. Also riss ich mich zusammen und versuchte interessiert auszusehen, was Sandys Redeschwall zu meinem Leidwesen nur noch etwas ankurbelte. Das positive daran war, das ich endlich etwas über sie erfuhr. Sie war keine direkte verwandte von mir sondern meine Großtante väterlicherseits. Doch genau so wie ich, hielt sie wenig von der Familie meines Vaters. Sandy lebte hier in Korea seit sie mit 18 einfach abgehauen war und hatte sich seitdem zu eine erfolgreichen Designerin hochgearbeitet. Und das ganz alleine, ohne irgendwelche Hilfe! Als ich das hörte musste ich zugegeben, das ich beeindruckt war. Mit 18 Jahren sich ganz alleine hier unten in Süd Korea durchs leben zu kämpfen und nebenher auch noch erfolgreich zu werden war mehr als nur beeindruckend. Und ob ich es nun zugeben wollte oder nicht, dafür hatte meine Tante meinen Respekt. Mein Interesse für ihre Geschichten wurde größer als sie erzählte, das die ältere Schwester von G-Dragon eine gute Freundin von ihr war. Kwon Dami und sie hatten schon viele male zusammen gearbeitet. Aufregung erfasste mich. Das musste ich Alex und Lea erzählen! Reflexartig glitten meine Finger in meine Tasche, um ein Handy raus zu holen, doch als mein blick auf den Display fiel, traf es mich wie ein mächtiger Schlag ins Gesicht. In fetten Buchstaben stand: Ungültige Simkarte auf dem Bildschirm. Natürlich... nachdem mein Handy auf Mamas Namen gelaufen war, existierte meine Nummer nicht mehr. Das Bild meiner lächelnden Mutter tauchte vor meinem inneren Auge auf und schnürrte mir die Luft ab. Tausend kleine Dolche rammten sich in mein Herz und trieben mir die Tränen in die Augen. Mama... Schnell schloss ich die Augen und biss mir auf die Lippen. Ich versuchte, mich aufs Atmen zu konzentrieren um nicht in Tränen auszubrechen. „Alles okay Liebes?“, fragte besorgt neben mir. Nein! Es war nicht alles okay! Wie könnte alles okay sein, nachdem sie alle von mir gegangen waren? Mit Gewalt schob ich diese Gedanken beiseite und zwang mich zu nicken. Das versuchte Lächeln misslang jedoch gründlich. Mit aller Kraft hielt ich die Tränen zurück. Ich wollte nicht schon wieder einen Fremden mit meiner Schwäche belasten. Fremd... Obwohl ich wusste das Sandy meine Tante war und obwohl ich von nun an bei ihr Leben würde war sie nicht mehr als eine Fremde für mich. Plötzliche Kälte ergriff mein Herz und ließ mich erzittern. Warum musste es sich so anfühlen als wäre mein Leben vorbei? Ich stand hier auf der stelle mit all dem Schmerz, der Angst und der Trauer die mein Herz zum verzweifeln brachten, während die Welt sich einfach weiterdrehte. Wieder begannen meine Gedanken sich im Kreis zu drehen, und zogen mich zurück in die Dunkelheit. Doch bevor sie mich vollkommen gefangen nahm, griffen warme Finger nach meiner Hand und weckten mich auf. Als ich aufsah, blickte ich in die hellgrünen Augen meiner Tante, die mich ernst ansahen. „Es tut mir so schrecklich leid was passiert ist Sarah.“, sagte sie in einem sehr ernstem Tonfall, „Ich weiß du kennst mich nicht. Und ich kann verstehen, wenn dir das alles hier suspekt vorkommt, immerhin hattest du bis vor kurzem keine Ahnung, das es mich gibt. Wahrscheinlich hast du sogar große Angst vor dem Morgen oder? Mir ist durchaus bewusst, das ich deinen Verlust nicht ersetzten kann. Ich werde das auch nicht versuchen. Aber ich verspreche dir, das ich alles in meiner Macht stehende tun werde, um für dich da zu sein, okay?“, sagte sie sanft. Auf einmal fragte ich mich, wo die Barbie Puppe ab geblieben war, denn die Frau vor mir hatte gerade absolut nichts mit der nervenden Person gemein, die bis eben noch neben mir gesessen hatte. Sandys grüne Augen, die meinen so ähnlich waren, schenkten mir einen warmen Blick. Dankbar nickte ich. Als ich etwas sagen wollte, brach meine Stimme weg und der Kloß in meinem Hals machte es mir schwer zu atmen. „Schon gut. Weißt du, ich freue mich wirklich sehr das du zu mir kommst. Zwar hatte ich mir gewünscht, es wären andere Umstände, die dich zu mir geführt haben, doch man kann sich im Leben leider nichts aussuchen.“, fuhr sie fort und ihr Blick richtete sich in die Ferne. Während ich das Profil meiner Tante betrachtete begriff ich, dass sie eine Frau war, die in ihrem Leben hatte einiges durchstehen müssen und wahrscheinlich immer noch musste. Ich hätte nicht erwartet das so viel Ernsthaftigkeit in Sandy steckte. Als hätte sie meinen Blick bemerkt, wandte sie sich zu mir und und lächelte mich warm an. Ihre dunkelblonden Haare fielen ihr sanft ums Gesicht, während ihre großen, grünen Augen mich sanft musterten. Erst jetzt fiel mir so richtig auf, das sie mir ziemlich ähnlich sah. Wir hatten die selben Augen, und wenn meine Haare nicht gefärbt waren, hatten wir auch die selbe Haarfarbe. „Es wird alles gut werden.“, sagte Sandy und strich mir sanft durchs Haar, „Ich verspreche es dir, ich werde dir eine gute Unnie sein.“ Diese sanfte Geste war mir so schmerzlich vertraut, das ich schnell wegsehen musste. Viele kleine Messer bohrten sich in mein Herz, schnitten es aus einander, ließen es bluten. Es hatte sich genau so angefühlt die die liebevolle Berührung meiner Mutter. Eigentlich eine so nichtssagende Geste, die einem trotzdem das Gefühl des geliebt seins gab, das Gefühl der Geborgenheit. Eine Liebkosung, die meine Mutter immer im vorbeigehen zuteil werden hatte lassen. Eine Geste, die mich jetzt beinahe umbrachte. Instinktiv schob ich die Hand meiner Tante von mir und rutschte bis ans äußerste Ende der Rückbank bis ich die kalte Tür durch meine Kleider hindurch spüren konnte. Überrascht und auch ein wenig verletzt (zumindest glaubte ich das in Sandys Augen zu sehen) , sah mich meine Tante an, ließ dann aber die Hand sinken und seufzte. Mein Blick richtete sich starr auf die vorbei ziehenden Häuser, die ich durch das getönte Fenster schemenhaft erkennen konnte. Ob die Frau neben mir nun wirklich etwas gekränkt war? Und wenn schon. Erschreckende Gleichgültigkeit überkam mich ein weiteres mal und zog alles in einen unwirklichen teil meines Lebens, wie ein Tagtraum, den man hat, während man mit dem Zug fährt und der zerplatzt, sobald der Zug hält. Nur das der Zug, der sich Leben nennt, niemals halten, und der Traum namens Schicksal nicht zerplatzen würde. Die einzige Endstation die es gab war der Tod. „Entschuldige bitte...“, hörte ich Sandys Stimme von einem weit entfernten Ort. Sie entschuldigte sich? Seltsam monoton hallten ihre Worte in meinem Kopf. Natürlich entschuldigte sie sich. Sie war fremd. Fremde berührten keine Fremden. Wut loderte in meiner Brust auf und setzte mein innerstes in Brand. Die Hitze brannte und pulsierte unangenehm in meinen Adern. Das verlangen Sandy zu schlagen, einfach auf sie loszugehen, meine Nägel in ihr Make-up beschmiertes gesucht zu rammen und solange auf sie ein zu dreschen bis Blut floss brach wie eine grausame welle über mich hinein. Wie konnte sie es wagen mich einfach so anzufassen, als würde sie mich kennen, das ganze Gerede von wegen sie wollte eine gute Unnie für mich werden! Bei Gott ich wollte keine Unnie! Ich wollte nicht angefasst werden, wollte nicht die Wärme spüren die von ihrem Körper ausging, die mich so schmerzlich an meine Mutter erinnerte! Ich wollte noch nicht einmal Leben! Ich wollte gar nichts! Warum musste der Schmerz in meinem Herzen immer größer und stärker werden und mich langsam aber sicher immer mehr zerreißen? Ich wünschte wirklich ich wäre tot. Ich wünschte ich wäre mit meinen Eltern in diesem Auto gesessen. Das Auto, das angeblich so sicher gewesen war. Das Auto, das ihnen allen das Leben genommen hatte. Warum ich?! Warum hatte meine Familie sterben müssen?! Warum hatte ich ganz Alleine zurück bleiben müssen?! Warum hatte ich nicht mit ihnen gehen können?! Der brennende Zorn in meinem inneren verwandelte sich in Hass. Auch wenn es falsch und ungerecht gegenüber meiner Liebsten und Sandy war, ich hasste sie so sehr in diesem Moment. Sie alle! Meine Eltern und meinen Bruder weil sie einfach ohne mich gegangen waren. Sandy und Korea weil ich nicht hier sein wollte. Und meine Freunde weil sie so unendlich weit weg waren. Und ich hasste mich selbst dafür das ich das alles einfach so zugelassen hatte. Wenn ich nicht gegangen wäre ohne was zu sagen, wenn ich nicht nur einen lumpigen Zettel dagelassen hätte dann wäre ich vielleicht bei ihnen gewesen. Den Rest der fahrt sprachen Sandy und ich kein Wort mehr. Ich sah sie auch nicht mehr an, sondern folgte den vorbeiziehenden Bildern die ich aus den getönten Fenstern erkennen konnte. Mehrmals hatte meine Tante versucht mit mir eine Konversation auf zu bauen, doch ich ignorierte sie einfach. Ich wollte nicht sprechen. Mit niemandem, nicht einmal mit mir selbst. Ein weiteres mal war ich nach unten getrieben und empfand nichts als Gleichgültigkeit. Ich war froh darüber, denn so musste ich nicht jeden Atemzug kämpfen um nicht zusammen zu brechen. Der Wagen hielt nach einer gefühlten Ewigkeit des Schweigens vor einem großen Hochhaus. Es sah nicht wirklich nach etwas besonderem aus, eher wie ein riesiger, kalter, lebloser Klotz Stein. Wie passend das doch war... Der große, in schwarz gekleidete Mann öffnete die Autotür neben mir und stieg aus. Es war kühler geworden und mein erschöpfter Körper fröstelte in der dünnen Jeans Jacke. Wer auch immer mal gesagt hatte es wäre hier im März wärmer als in Deutschland war entweder ein Lügner, oder hatte einfach absolut keine Ahnung. Regentropfen begannen aus den Wolken zu fallen und benetzten den Boden. Ich konnte spüren wie die Nässe durch meine Kleidung kroch als der Regen stärker wurde. Langsam schloss ich die Augen. Ich hatte es schon immer gemocht vom Regen vollkommen durchnässt zu werden. Ein lauter Donner über uns ließ Sandy leise auf quieken. Ich seufzte als der Himmel über mir in Tränen ausbrach und mich damit einhüllte. Schon nach wenigen Minuten klebten mir meine Schulter langen Haare nass im Gesicht. Plötzlich berührte mich jemand sanft an der Schulter. Ich zuckte unwillkürlich zusammen, als ich den fremden Körperkontakt spürte . Langsam drehte ich mich um und sah in das besorgte Gesicht meiner Tante. „Sarah...komm rein, du wirst noch krank“, sagte sie sanft. Mir war als könne ich Mitleid in ihren Augen sehen. Wütend schlug ich ihre Hand weg. Ich wollte kein Mitleid. Ich BRAUCHTE kein Mitleid. Ohne ein weiteres Wort zu sagen folgte ich dem Butler ins Haus. Sollte Sandy jetzt denken was sie wollte. Sollte sie doch wütend werden oder gekränkt sein, es war mir egal. Warum ich so schrecklich gleichgültig war verstand ich selbst nicht. Das Gefühlschaos in meinem inneren machte es mir schwer zu unterscheiden was nun richtig und was falsch war. Das ständige auf und ab, die Schmerzen, der Verlust und die Trauer trübten meinen Verstand. Während wir mit dem Aufzug bis fast ganz nach oben fuhren, fühlte ich mich einmal mehr wie in einem bösen Albtraum, der mich mit seinen kalten Händen gefangen hielt. Man sagt das jeder Albtraum einmal ein Ende hatte. Bis vor kurzem hatte ich das auch noch geglaubt, doch jetzt wusste ich das es eine Lüge war. Es gab kein Entkommen, keinen Ausweg, kein Schlupfloch und kein Ende in das ich flüchten konnte. Ich war gefangen wie eine Ratte in der Falle. Fröhlich vor sich hin summend stieß meine Tante ihre Wohnungstür auf und vollführte eine galante Drehung. „Willkommen in deinem neuen Zuhause!“, trällerte sie in einer Stimmlage, die mir in den Ohren schmerzte. Konnte diese Frau denn niemals still sein?! Und was sollte das ganze Gerede über zuhause? Ich hatte kein Zuhause mehr und auch keine Familie. Wozu also der ganze Zirkus? Wir waren beide Fremde, warum musste sie so tun als kenne sie mich schon mein Leben lang? Ich hatte keine Lust für Sandy das aufgeregte Mädchen zu spielen, also schwieg ich, zumal ich ohne hin nichts sehen konnte. „Das Lich ist aus.“, sagte ich tonlos. Sandy ließ ein peinlich berührtes Kichern ertönen und lief schnell zum Lichtschalter. Meinetwegen konnte das Licht auch aus bleiben. Ich wollte einfach nur meine Ruhe und alleine sein. Sandys immerwährende gute Laune machte mich krank. Das jäh-aufflammende Licht blendete meine Augen, doch als sie sich daran gewöhnt hatten, konnte ich nicht anders als zu Staunen. Die ganze Wohnung war Hochmodern eingerichtet. Alles war in creme Farben gehalten und wurde von dunklem Holz abgerundet. Die Außenwand vom Wohnzimmer bestand aus Glas und gab einen mehr als nur atemberaubenden Blick auf die hell erleuchtete Stadt Seoul frei. An den Wänden hingen teure Bilder und andere kostspielige Dekoartikel. Alles in allem eine richtige Bonzenhütte. Während ich von meiner Tante durch die Wohnung geführt wurde, fragte ich mich, ob Sandy nicht sogar eine Art Idol war. Nach der Einrichtung zufolge war sie hundert prozentig eine Celebrity. „So meine Süße, jetzt zeige ich dir dein Zimmer.“, flötete sie und führte mich weiter nach hinten Hatte sie mich gerade Süße genant? Ich knirschte mit den Zähnen. Natürlich wusste ich, das sie alles nur gut meinte, doch es war mir egal. Es hatte so schrecklich falsch in meinen Ohren geklungen das ich ihr am liebsten verboten hätte jemals wieder den Mund auf zu machen. Sandy führte mich in einen riesigen, der offensichtlich mein Zimmer sein sollte. Ein riesiges Himmelbett zierte die eine Ecke, während in der anderen ein großer Schreibtisch stand. Große Fenster , verziert mit hübschen vorhängen gaben einen schönen blick auf das abendlich Seoul frei. Es gab riesige regale mit unmengen von Büchern und Mangas und selbst eine staffelei hatte Sandy für mich gekauft. Der ganze Raum war in sanftem bege und grüntönen gehalten. Verblüfft sah ich mich um. Ich hatte mit allem gerechnet, nur damit nicht. Das war alles für mich? Spätestens jetzt war ich mir sicher dass Sandy nicht mehr ganz sauber im Kopf war. „ Gefällt es dir?“, fragte Sandy und umarmte mich von hinten, ließ mich aber sofort wieder los als sie spürte, wie mein Körper sich unter ihrer berührung verkrampfte. Es tat mir ja auch irgendwie leid für sie. Sie versuchte mir zu helfen, mir das gefühl von wäre und Familie zu vermitteln, aber ich wollte das nicht. Sie war nicht meine Familie. Und sie würde das auch niemals sein. Meine familie war tot. Ich konnte Sandy berührungen nicht ertragen. Zu sehr erinnerte diese nähe an das, was mir so einfach vom Schicksal entrissen worden war. „Schau mal hier“, sagte meine Tante plötzlich und zeigte auf eine Schublade. Geschickt öffnete sie sie und zog ein paar CD's heraus. „Ich war so frei dir ein paar hiervon zu besorgen. Ich weiß nicht ob du sie kennst, aber das sind sehr gute und bekannte Bands hier in korea. Big bang, shinee, mblaq, super junior, 2pm, 2am, girls generation ft island und vieles mehr. Ich hoffe du magst es.“ Als ich zögernd näher trat, klappte mir der mund auf. Meine verrückte Tante hatte mir jedes album der Bands gekauft und sie dort in die Schublade gestopft. Ich wunderte mich wie die da alle reinpassten! „D-danke“, murmelte ich mit ein bisschen schlechtem gewissen. „Also gefällt es dir?“, fragte Sandy aufgeregt wie ein kleines Kind. Ich nickte. Wie könnte es nicht? Vor wenigen monaten hätte ich von so einem zimmer nur geträumt. Das alles hier musste ein vermögen gekostet haben. „Oh ich bin so glücklich! Weißt du, ich habe extra eine Wand einreißen lassen und dieses Zimmer vollkommen neu gemacht. Eine heiden arbeit, aber es hat sich Gelohnt!“, flötete sie und strich mit einem finger sanft über einen kunstvoll gearbeiteten Bettpfosten. Wow. Jetzt fühlte ich mich natürlich besser. Mir schwindelte es. Warum hatte sich eine Fremde so viel mühe gemacht und hatte so viel Geld für eine Fremde wie mich ausgegeben? Ich fühlte mich schlecht und schuldig, weil ich nur eine bürde für Sandy war. Sie versuchte alles um freundlich zu mir zu sein und ich konnte nicht anders als sie abzuweisen. Aber was sollte ich tun? All das ging mir viel zu schnell, ich hatte absolut keinen schimmer wie das hier alles ablaufen, wie es überhaupt funktionieren konnte. OB es überhaupft funktionieren konnte. „Ich...bin dir wirklich dankbar und alles ...aber...aber so viel hättest du nicht...“,begann ich leise, denn meine Stimme fühlte sich seltsam schwach an und ich hatte angst sie würde brechen sobald ich lauter sprach. „Ach papperlapap! Ich wollte das so und fertig!“,rief sie theatralisch und deutete aufs bett, „ ruh dich erst mal aus. Morgen darfst du dir dann auch noch einen Computer und ein neues Handy aussuchen. Ich wusste nicht welchen du gerne hättest, deshalb dachte ich mir wir kaufen die sachen zusammen.“ Ein Handy? Und einen Computer? Mein Herz machte einen verräterischen satz. Ein Computer bedeutete internet und internet bedeutete das ich meine Freunde vielleicht doch nicht verlieren musste, doch bevor sich die Hoffnung in mir ausbreiten konnte schob ich ihr schnell einen Riegel vor. „Nein. Ich...brauch das nicht.“, sagte ich leise und biss mir auf die Lippe. „Bist du sicher?“, fragte Sandy erstaunt. „Ja...das hier...“, ich deutete auf mein Zimmer, „ ist genug.“ Meine stimme brach weg und ich schluckte schwer, wohlwissend, das ich meine einzige Chance mit meinen freunden in kontakt zu bleiben in den Wind geschlagen hatte. Sandy hatte schon zu viel für mich getan. Es war genug. Ich konnte unmöglich mehr verlangen. Auch wenn es bedeutete meine Freunde ein zweites mal zu verlieren. Diesmal endgülltig. Ein warmes Lächeln umspielte die rot geschminkten Lippen meiner Tante. „Mach dir darüber jetzt keine Gendanken.“, sagte sie sanft, „Leg dich ein bisschen hin und ruh dich aus. Wenn du wieder wach bist, reden wir über alles ok?“ Ich nickte langsam. Leise verließ Sandy den raum und schloss die Tür hinter sich. Erschöpft ließ ich mich auf das Bett fallen. Alles roch neu und fremd. Nichts von all dem hier hatte irgendetwas mit dem gemein was ich kannte. Tränen stiegen in mir auf und rollten mir über die bleichen Wangen. Kaum drangen die ersten schluchtzer aus meiner kehle, griff der Schmerz nach meinem herz und rammte seine grausamen Krallen hinein. Geborgen in der dunkelheit ließ ich endlich los und gab mich dem schrecklichen Verlust und dem Schmerz hin. Ich wusste er würde mich auffressen doch ich konnte einfach nicht mehr. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)