Ein Stück Unendlichkeit von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Kapitel 1 Es war doch erstaunlich, wie fürchterlich und doch auch wunderbar einige Dinge manchmal gleichzeitig sein konnten. Die letzten Sonnenstrahlen, die einem herrlichen Tag ein Ende setzten, um einer schummrigen Nacht Platz zu machen. Ein letzter Abschiedskuss, voller Liebe und Sehnsucht und doch auch Trauer und unaussprechlichem Unglück, das einem fast das Herz zerriss. Das Blut, das ihm langsam über die Handgelenke lief, und seinem Leben langsam aber sicher ein Ende setzen würde. Ein Schritt in die Unendlichkeit, den er nun endlich gehen wollte, weil er doch in diesem Leben kein Glück mehr finden würde. Hatte er sich doch schließlich diese eine Chance, die er vielleicht noch gehabt hätte, selbst verdorben… Es war ein kleines Zimmer, gerade groß genug für ein Bett und einen Schreibtisch, auf dem zahlreiche Unterlagen verstreut lagen. Aber dennoch war es gemütlich, heimlich, einladend. Ganz anders als sein Zimmer, in dem zwar immer wieder Entwürfe für eines seiner Dramen oder einer Novelle herum lagen, das aber dennoch meist unpersönlich wirkte. Hier fühlte er sich wohl, hier würde er gerne den ganzen Tag bleiben. Vor allem heute, da er unglaublich traurig war. „Sie ist tot.“ Drei Wörter, die er, obwohl sie doch so kurz waren, kaum aussprechen konnte. „Ich liebe dich“, hatte er sagen wollen, um diese furchtbare Sehnsucht loszuwerden, um endlich seinen Gefühlen freien Lauf lassen zu können. Aber diese Aussage wäre, obwohl sie doch so viel positiver erschien, noch unaussprechlicher gewesen. „Sie ist tot, Ernst.“ Obwohl sich sein Freund schon längst zu ihm umgedreht und seine Worte mit Sicherheit auch schon beim ersten Mal verstanden hatte, verspürte er den Drang sie noch einmal aussprechen zu müssen. „Sie ist-“, ein Schluchzen entwich ihm und obwohl er sich so fest vorgenommen hatte nicht zu weinen, konnte er die Tränen nun nicht mehr unterdrücken. Er wusste nicht einmal wieso er weinte, schließlich hatte er sie doch selbst umgebracht. Gerade wollte er sich vor Scham schon wieder umdrehen, um das Zimmer seines Freundes zu verlassen, da spürte er, wie sich eine Hand sanft auf seine Schulter legte. „Wer ist tot, Heinrich?“, fragte Ernst leise und fuhr ihm beruhigend über den Rücken. „Ich dachte, du hättest gestern einen Brief von Ulrike erhalten? Es muss ihr doch also-“ „Nicht Ulrike“, brachte er hervor. „P-Penthesilea.“ Es herrschte einen Augenblick lang Stille, in dem Ernst über diese Aussage nachzudenken schien, während Heinrich sich kaum traute aufzusehen. Es war natürlich lächerlich deswegen so emotional zu sein, das wusste er selbst. Es war schließlich nur eine Dramenfigur. Ein fiktionaler Charakter, den er auch noch selbst umgebracht hatte. Wieso nur war er dann jetzt so aufgebracht? „Dann bist du also fertig mit dem Drama.“ Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. Eine Feststellung, die Heinrich fast den Verstand raubte. „Aber ich dachte, es wäre so geplant gewesen? Sollte sie nicht von Anfang an am Ende sterben?“ „N-natürlich sollte sie das, aber…- Ich weiß auch nicht, Ernst, bin ich nun endgültig wahnsinnig?“. Er wischte sich über die Augen, versuchte endlich aufzuhören zu weinen, aber er konnte nicht. Er hatte sogar das Gefühl, dass er niemals mehr würde aufhören können. „Setzt dich doch erst einmal.“ Heinrich spürte, wie er langsam von seinem Freund auf dessen Bett geschoben wurde und wie sich Ernst gleich darauf neben ihn setzte. „S-sie musste sterben“, setzte er dann auf einmal an, fast so, als müsste er sich nun rechtfertigen. „Sie musste s-sterben, weil sie sich nicht vertraut haben. Aber eine Beziehung kann doch nur funktionieren, wenn man sich gegenseitig vertraut.“ „Damit hast du sicher nicht Unrecht, Heinrich.“ „A-aber w-wieso … w-wieso…“. Er wollte sich nicht eingestehen, was er Ernst fragen wollte, er wollte es verdrängen, in den hintersten Winkel seines Herzens, um endlich nicht mehr daran denken zu müssen. Doch als er spürte, wie der Freund ihm vorsichtig über den Rücken strich, um ihn zu beruhigen, wusste er, dass er das niemals tun könnte. Dass er diese schrecklichen Gedanken bei jeder Berührung und jedem Lächeln haben würde. Und plötzlich wurde ihm auch klar, wieso er so sehr weinen musste. „P-Penthesileas Beziehung zu Achill ist nicht die einzige, die scheitern musste, weil sich beide Partner nicht genug v-vertraut haben.“ Hatte er das eben tatsächlich laut gesagt? Ängstlich blickte er zu Ernst auf, der aufgehört hatte ihn zu streicheln. „Was meinst du denn damit, Heinrich? Bist du etwa auch…-“ „… unglücklich verliebt? Ich g-glaube schon.“ „Aber dagegen muss man doch etwas tun können!“, rief sein Freund und es brach Heinrich fast das Herz, wie optimistisch er dabei klang. Er würde wohl nie verstehen können, wie Ernst immer so zuversichtlich sein konnte. Wie er immer wieder die Kraft fand von vorne anzufangen, wenn ihm etwas nicht gelungen war. „Wer ist die Glückliche, an die du dein Herz verloren hast?“. Wenn ihm vorher zum Weinen zu Mute gewesen war, dann erst recht jetzt, als er in die blitzenden Augen seines Freundes blickte. Er wusste es nicht. Er wusste es tatsächlich nicht. „Das k-kann ich dir nicht sagen. Das will ich dir nicht sagen.“ „Aber wieso das denn?“. Ernst war vor Aufregung aufgesprungen und kniete sich nun vor seinen Freund auf den Boden, sodass er mit ihm auf Augenhöhe war. Heinrich wollte seinen Blick abwenden, wollte endlich aufhören zu weinen, wollte dieses furchtbare Gefühl loswerden. Er wollte wieder atmen, wieder lachen, wieder glücklich sein. Doch er wusste, dass er das nicht konnte. Nicht allein. Und die einzige Person, die ihm helfen konnte, kniete vor ihm, war so nah bei ihm und doch so unglaublich weit weg. „Weil, w-weil…-“. Heinrich rang nach Atmen, versuchte sich zu beruhigen, versuchte sich zusammenzureißen, allerdings war ihm klar, dass es bereits zu spät war. Er hätte nie zu Ernst gehen sollen, zumindest nicht in diesem Zustand, in dem er vor Verzweiflung unberechenbar geworden war. Denn ohne noch einmal darüber nachzudenken, was er eigentlich tat, stürzte er sich nun nach vorne in die Arme seine Freundes und küsste ihn, wie er noch nie einen Menschen zuvor geküsst hatte. „Heinrich, um Gottes Willen!“ Er wollte nicht aufsehen. Wollte seinem Freund nicht in die Augen blicken, da er wusste, dass er nur Entsetzen und Wut in ihnen lesen würde. „Heinrich, was…- jetzt sieh mich wenigstens an!“ Er spürte, wie ihn Ernst an den Handgelenken auf die Beine zog, wie sich zwei starke Hände auf seine Schultern legten und ihn leicht schüttelten. „Du bist verwirrt, Heinrich, du weißt nicht, was du tust, nicht wahr?“ Doch als Heinrich seinen Blick endlich anhob, wusste er, dass er nicht mehr lügen konnte. Er liebte ihn. Er liebte seinen Freund Ernst, wie er wahrscheinlich noch nie jemanden geliebt hatte und es war zwecklos diese Tatsache nun weiterhin zu leugnen. „Sie ist tot. Sie ist tot, Ernst.“ Ein einfaches „Ich liebe dich“, hatte er nicht über seine Lippen gebracht. Er war zu aufgebracht gewesen, zu verwirrt, zu verletzt. Wie er es in diesem Zustand überhaupt noch fertig gebracht hatte das Zimmer zu verlassen, seine Sachen zu packen und sich auf den Weg nach Berlin zu machen, wusste er nicht mehr. Er konnte sich nur noch daran erinnern, wie er den Kutscher bezahlt und sich gleich nach seiner Ankunft auf den Weg zum kleinen Wannsee gemacht hatte. Und hier saß er nun schon stundenlang und dachte darüber nach, wie er die einzige Chance jemals wieder glücklich zu werden, vernichtet hatte. Wenn er sich nur in diesem Moment zusammen gerissen hätte, dann wäre er jetzt immer noch in Dresden und würde mit Ernst und Rühle wahrscheinlich in einem Gasthaus sitzen und über sein fertiggestelltes Drama sprechen. Er hätte Ernst zwar nicht als Geliebten gewonnen, aber ihn immerhin nicht als Freund verloren. Nun war er aber völlig allein, hatte alles verloren, was ihm jemals wichtig gewesen war, und wusste nicht mehr, was er tun sollte. Wieso nur war er immer zur falschen Zeit am falschen Ort? Das Glück schien wie sein eigener Schatten zu sein, immer dicht hinter ihm, doch immer so weit entfernt, dass er es nicht greifen konnte. Es war ein furchtbares Leben hier auf Erden, ein Leben, für das er nicht gemacht war. Wenn er nur an die Waffe gedachte hätte, als er seine Wohnung so plötzlich verlassen hatte. Dann würde er jetzt nicht auch noch auf den Tod warten müssen. Doch eigentlich spürte er die Schmerzen, die er sich selbst zugefügt hatte, schon gar nicht mehr. Er wusste schließlich, dass er es bald geschafft hatte. Es war nur noch ein kleiner, ein letzter Schritt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)