Lebensdrehungen von Alyeskah (Denn es gibt keine Definition) ================================================================================ Kapitel 11: | elf | ------------------- Am nächsten Morgen war Daniel bei Sonnenaufgang in sein Zimmer geschlichen und hatte seine Schulsachen geholt, bevor er wieder zu Erik gegangen war, bei dem er die letzte Nacht verbracht hatte. So hatte er noch ein bisschen mehr Zeit, sich eine detailreiche Geschichte für seine Eltern zu überlegen, und Erik konnte derweil mathematische Aufgabenblätter entwerfen. Eigentlich ein perfekter Plan. Kevin stand um die gewohnte Uhrzeit vor seiner Tür, die Daniel durch Eriks Fenster beobachtet hatte. Er klopfte gegen die Scheibe, um Kevins Aufmerksamkeit zu erregen und winkte ihn hinüber. „Was machst du denn bei Erik?“, wollte der Schwarzhaarige stirnrunzelnd wissen. „Ich konnte gestern ja schlecht nach Hause gehen. Also hatte Erik die Idee, dass ich bei ihm übernachte, was wir dann auch so gemacht haben. Ich sage meinen Eltern, dass wir Mathe gelernt haben, und passend dazu schreibt Erik ein paar Übungsaufgaben. Sie werden mich also mehr oder weniger in Ruhe lassen.“ Er strahlte sein Gegenüber an. „Genial, oder?“ Dass Kevin diese Idee alles andere als genial fand und einige Haken des Plan erkannte, zeigte sein Gesichtsausdruck deutlich. „Und du hast die ganze Nacht bei Erik verbracht?“, hakte er nach. „Ja, hab‘ ich doch gesagt.“ Er gähnte. Viel geschlafen hatten die beiden nicht, und entsprechend müde war er. Das bemerkte auch Kevin. „Zur Ruhe scheint ihr ja nicht wirklich gekommen zu sein“, stellte er fest und die Falte zwischen seinen Augen vertiefte sich. Was will der denn jetzt von mir? „Nein, sind wir nicht …“, antwortete Daniel zögernd und musterte seinen Freund. „Warum?“ Kevin ignorierte die Frage. „Seid ihr jetzt zusammen?“ Äh … was?! Fassungslos starrte Daniel ihn an. Wie kam er denn darauf? Schließlich hatte er ihn gestern noch geküsst! Anschließend würde er doch wohl kaum … Nein, würde er nicht, und Kevin sollte das verdammt nochmal auch wissen! Außerdem – hatte er ihm gestern nicht angeboten, mitzukommen? Aber nein, Kevin war derjenige gewesen, der lieber Vivien hinterhergerannt war! Und das sagte Daniel ihm jetzt auch. Kevin ruderte zurück. „Tut mir leid, ich bin verpennt, habe mich heute Morgen schon von meinem Bruder anschreien lassen und musste mir einen Vortrag von meiner Mutter anhören. Ich weiß natürlich, dass ihr nur befreundet seid“, entgegnete er zähneknirschend. „Schon okay“, brummte Daniel. Er wollte ja keinen Streit anfangen. Nun war es allerdings Kevin, der herzhaft gähnte. „Wann bist du denn gestern nach Hause gekommen?“ Er zuckte mit den Schultern. „Kurz vor drei, glaube ich.“ Kurz vor drei?! Was um Himmels Willen hatte er so lange gemacht … mit Vivien? Daniel brauchte all seine Selbstbeherrschung, um sich zusammenzureißen und nicht denselben Fehler wie Kevin zu machen und seinen Freund sofort anzuschnauzen. „Warum so spät?“, fragte er und versuchte, seiner Stimme dabei einen neutralen Klang zu geben. „Vivien und ich haben lange geredet …“ Bei dieser Antwort riss ihm allerdings der Geduldsfaden. „Ach? Geredet habt ihr, soso. In einer Disco, mitten in der Nacht, zwei Stunden lang.“ Er starrte ihn wütend an. „Lass dir doch wenigstens etwas Kreativeres einfallen! Verdammt, Kevin!“ „Ich habe mit ihr Schluss gemacht! Sie hat es nicht verstanden, weil wir ja noch nicht einmal vierundzwanzig Stunden zusammen waren, und es hat eine Weile gedauert, bis ich das hinbekommen habe!“, raunzte Kevin verdrossen, „Erzähl‘ mir nicht, dein Gespräch mit Valerie hätte keine fünf Minuten gedauert!“ Daniel schwieg und wusste nicht so recht, was er davon halten sollte. Kevin seufzte. „Was hältst du davon, wenn wir schwänzen?“ Damit hatte er nun überhaupt nicht gerechnet. „Äh … was?“ „Du hast mich schon richtig verstanden.“ Ein schalkhaftes Grinsen schlich sich in Kevins Blick. „Frühstücken, zu mir gehen, zocken, oder irgendwas anderes machen, statt uns in der Schule zu langweilen.“ Daniel sah ihn einen Moment lang ungläubig an, dann zuckte er mit den Achseln. Warum auch nicht? Ein freier Tag würde kaum schaden. „Meinetwegen“, stimmte er also zu. Vor allem das irgendetwas andere gefiel ihm. Es gab Kakao mit Sahne und Nutellatoast. Sie saßen auf Kevins Bett, aßen und unterhielten sich, vor allem über den vergangenen Abend, und unterbrachen das Gespräch immer wieder, indem sie sich küssten. Zu mehr als Küssen kam es allerdings nicht, doch diese Nähe reichte Daniel vorerst vollkommen aus. Es gefiel ihm, zu wissen, dass dieser Vormittag, gemeinsam mit Kevin im Bett, das Produkt seiner Fehler der letzten Zeit war. Seine Endorphine tanzten Salsa in seinen Blutbahnen und sein Herz hatte Schwierigkeiten, diesen schnellen Rhythmus zu halten, ohne ihm einen Herzinfarkt zu bescheren. Irgendwann wurde Kevins Miene jedoch ernst. „Daniel … Wir müssen das hier nicht an die große Glocke hängen, oder?“ Er runzelte die Stirn, verstimmt wegen der Unterbrechung. „Wie meinst du das?“ „Na ja, wir könnten erst einmal gar nichts sagen … über uns. Und so weitermachen wie, hm, wie bisher“, sagte er vorsichtig. Daniel zog die Augenbrauen zusammen. „Kevin, ich weiß, du hörst das genauso ungern wie ich, aber du bist schwul. Und das wird garantiert rauskommen.“ „Weiß ich. Aber das kann ja ein Weilchen warten. Bis ich mich selbst daran gewöhnt habe, nicht wahr?“ Er küsste Daniels Kinn. „Von mir aus …“, gab dieser also nach. Obwohl er ein seltsames, flaues Gefühl dabei hatte. Es war das Telefon, das die nächste Unterbrechung zu verschulden hatte. Grummelnd und fluchend schälte sich Kevin aus der Decke, um in die Küche zu laufen und abzunehmen. Wenige Sekunden später kam er wieder zurück, den Hörer in der Hand und reichlich blass im Gesicht. „Für dich“, sagte er und hielt Daniel den Hörer hin. „Wer?“, fragte er verwirrt und nahm das Gerät entgegen. „Dein Vater“, formte Kevin tonlos mit den Lippen. Wie erstarrt fixierte Daniel das Telefon in seiner Hand. Er schluckte und führte es todesmutig an sein Ohr. „Papa?“ „Was zum Teufel machst du bei diesem Burschen?“, raunzte die unverkennbare Stimme seines Vaters. Daniel warf Kevin einen hilfesuchenden Blick zu. Was sollte er denn sagen? Er wusste, dass sein Vater es früher sehr ungenau mit schulischen Pflichten genommen hatte, aber wenn er dieses Argument jetzt brachte, hätte er den Ärger seines Lebens. „Wir hatten früher aus“, erwiderte er lahm. „Soso, früher aus. Gleich vor der ersten Stunde, ja? Lüg mich nicht an und komm lieber sofort nach Hause!“ Er war stinkwütend und legte auf. Bestürzt schaute Daniel seinen Freund an. „Ich muss gehen.“ Kevin umarmte ihn kurz. „Viel Glück.“ „Danke“, murmelte Daniel. Dann verließ er das Zimmer und wenige Sekunden später auch das Haus. Dieter Jansen tobte, wie Daniel es schon lange nicht mehr erlebt hatte. „Na endlich!“, blaffte er seinen Sohn an. Schweigend stellte Daniel seine Tasche ab und zog seine Jacke und die Schuhe aus. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Woher wusste sein Vater überhaupt, dass er nicht in der Schule gewesen war? Und warum war er eigentlich zu Hause und nicht bei der Arbeit? „Nicht genug, dass du einfach die Schule schwänzt, nein, ich muss mir auch noch am verfluchten Telefon sagen lassen, dass mein einziger Sohn eine verdammte Schwuchtel ist!“, schrie er. Die Welt blieb stehen und Daniels Herz rutschte immer tiefer. Woher um alles in der Welt ...? Woher wusste dieser Mann, dass er schwul war?! Er starrte ihn an, unfähig, sich zu bewegen oder zu denken. „Ich bin keine Schwuchtel“, sagte er langsam, „ich bin schwul.“ Und ich habe gerade mein Todesurteil unterschrieben. Sein Vater sah ihn entsetzte an. „Sag das noch einmal“, verlangte er und setzte sich. Daniel zögerte. „Ich bin schwul“, wiederholte er leise. Und Dieter sprang wieder auf. „Nicht in meinem Hause!“, bellte er. Wo denn sonst? Ich wohne hier! „Ich kann doch nichts dafür!“, versuchte Daniel, sich zu verteidigen. Er kam sich vor wie ein kleines Kind mit dieser lahmen Rechtfertigung, aber es stimmte nun einmal. „Oh doch, Freundchen. Und du wirst auf der Stelle damit aufhören!“ Daniel verstand kein Wort. Er brachte nur ein ersticktes „Was?“ hervor. „Du hast schon richtig gehört. Du unterdrückst das so lange, bis es weg ist, gehst diesem Kevin aus dem Weg und suchst dir eine Freundin. Es gibt schließlich genug Mädels auf der Welt.“ Was eine Ironie – das hab ich schon versucht, Papa. „Sonst“, - er senkte drohend die Stimme -, „kannst du dieses Haus unverzüglich verlassen und sehen, wo du bleibst. Hast du mich verstanden?“ Daniel schluckte mühsam. „Ja.“ xXx Ich hab ja bereits angekündigt, dass das Leiden jetzt anfängt... die Hälfte haben wir übrigens geschafft ^^. San Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)