Ein Katzenhai im Bullennest von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 12: Katerfrühstück -------------------------- XIII. Katerfrühstück „Das ist ein Kaffee! Schmeckst du das! Nicht diese erbärmlich Resteplörre, die du immer hast stehenlassen!“, schwärmte Schnurrer und schlürfte mit genüsslicher Miene. Seine Schnurrhaare bebten voll Entzücken. David saß ihm gegenüber, nippte an seiner Tasse, litt überfordert vor sich hin und glotzte den anderen immer wieder ziemlich ungehemmt an. Er hatte das Gefühl, vom Katz mit dem Latz aus dem Kinderbuchklassiker heimgesucht worden zu sein, aber dazu fehlten ihm Goldfisch und kindliches Gemüt. Wenn Schnurrer lief, klackten seinen bloßen Zehen scharf auf den Fliesen, er hatte garantiert auch dort Krallen. „Und jetzt!“, verkündete Schnurrer energisch, während er weiterhin vor sich hin duselte – Himmel, er hätte sich beinahe umgebracht, er Versager! – „will ich endlich wieder was Vernünftiges zu essen. Du kannst ja nicht kochen, aber ich. Zumindest ein bisschen, auch wenn das total unter meiner Würde ist. Elterliche Zwangsschulung, lange her. In der Not frisst der Teufel Fliegen! Oder die Katze! Die schmecken echt nicht gut und sind aasig schwer zu erwischen, sind aber eine Herausforderung! Ich will jedoch keine Fliegen, sondern Spaghetti mit Tomatensoße. Dafür hast du ja alles da, Himmel, hab ich das schon angegiert. Hoffentlich ist das Haltbarkeitsdatum nicht abgelaufen. Auch was?“ „Zum Frühstück?“, protestierte David schwach. Schnurrer rümpfte die Nase. „Es ist halb Zwölf! Das wäre eher Brunch. Du solltest echt was essen. Und ruf lieber Merle an und sag ihr ab – oder willst du ihr so gegenübertreten?“ „Nein!“, stimmte David erschrocken zu. Er musste erst mal selbst mit den Geschehnissen klarkommen. Und damit, einen agilen Katzenmann in der Küche hocken zu haben, dem er Diskretion versprochen hatte, auch wenn er sich das alles nur einbildete, das wollte er jetzt auch nicht ausdiskutieren. „Gut! Ruf an, wasche dich – Bad ist raus! – und dann füttere ausnahmsweise ich dich! Mache dir das Näpfen richtig schön voll! Los, hopp!“, kommandierte ihn Schnurrer herum. „Aye, Sir!“, muffelte David. „Ganz wie Ihr wollt!“ „Ach ja“, meinte Schnurrer und drehte sich mit der Geschmeidigkeit einer Katze zu ihm um. „Lass das endlich mit dem Gesiezte! Du magst es gewohnt sein, dass irgendwelche Leute dich frech duzen oder „Bullensau“ nennen …“ „Da steht eine saftige Geldstrafe drauf!“, warnte ihn David automatisch. „Versuch’s doch, ich bin sowas von blank! Ich musste sogar deine Klamotten klauen! Was ich sagen wollte: Wir sind doch ganz dicke! Okay, tut nicht not, dass du mich weiterhin „Süßer“, „Fellknäul“ oder ähnlichen Dünnpfiff nennst, aber Nox wäre schon besser!“, empfahl der Herr Kater. „Das wäre unprofessionell!“, sträubte sich David. „Alter, du bist grad raus. Willst du ernsthaft deine Katze mit Nachnamen anreden? Soll ich mitkommen und dir helfen, dir den Stock wie jeden Morgen ganz tief in den Arsch zu schieben? Mache ich gerne …“, bot Schnurrer breit grinsend an. „Nein danke! Das kriege ich auch ganz alleine hin!“, verhaspelte sich David. „Aber es kommt mir komisch vor! Und … du bist nicht meine Katze!“ „Wohl wahr!“, griente Nox doppeldeutig. „Okay, okay. Nox. Dann mache ich mich mal frisch. Ich fühle mich ziemlich mau“, murmelte er. „Soll das ein Witz sein?“, hakte Nox säuerlich nach. „Mau! Nicht miau!“, stellte David klar, während er die Treppe ansteuerte. ……………. David hielt sich den Umständen entsprechend. Nox war sich ziemlich sicher, dass das nur mittelmäßig gute Nachrichten waren. David wähnte sich garantiert immer noch durchgedreht und war zu lethargisch, um recht zu reagieren. Projekt Nummer eins war also: David wieder fitbekommen! Und ihn weiter zu überzeugen! Natürlich könnte er sich vor seiner Nase verwandeln, aber das würde ihn wahrscheinlich endgültig zu der Überzeugung treiben, im Irrenhaus oder im Koma zu stecken. Zeit war ein kostbares Gut, aber manchmal musste man eben auch investieren. Er hörte mit seinen scharfen Sinnen, wie David sich bei Merle wegen einer Erkältung entschuldigte. In Hinsicht auf sein berufliches Desaster würde er ihr noch reinen Wein einschenken müssen. Nicht hier, nicht heute. Aber bald. Seufzend erhob er sich. Nicht nur Davids Welt stand ziemlich Kopf. Da war handeln eine gute Alternative, immerhin konnte er jetzt etwas halbwegs Sinnvolles und Menschliches tun. Er bückte sich, schnappte sich Töpfe und Zutaten und machte sich ans Werk. Schon allein wieder auf vernünftige Art und Weise einen Kaffee trinken gekonnt zu haben, kam ihm vor wie eine besondere Gnade. Dabei war die Beute doch immer sein! Es war so lange her, dass er gekocht hatte, ein simples Gericht wie dieses würde er schon noch hinbekommen. Zuhause, draußen auf dem Land, in ihrer chaotischen Uraltvilla, da hatte das zu seinen Pflichten gehört. Damals war er ja nur der Kleine gewesen, den man lehrte und der innerhalb seiner Familie seinen Platz zu kennen hatte. Allein und unter den Menschen aufgestiegen, war ihm das nicht mehr in den Sinn gekommen, da hatte er andere für sich kochen lassen, hatte gezeigt, wer er war, indem er Essen gegangen war und das nicht bei MacDo. Jetzt war es an ihm, Herrchen/David eine Maus/Spaghetti zu präsentieren, damit der nicht verhungerte und froh war … Ach, verdammt! Sein Hirn war dank dieser Schizophrenie schon ganz porös geworden! Sie hatten Hunger, sie mussten Essen, David war nicht in der Verfassung oder prinzipiell fähig, dem Abhilfe zu schaffen. Da musste er eben ran. Das war schlichtweg logisch! Er brauchte einen fitten David, um seinen Arsch zu retten, so war das! Er spitzte die Ohren, während er darauf wartete, dass das Wasser kochte. David duschte artig und rumpelte dann im Schlafzimmer herum, zog sich wahrscheinlich um. Von seinen Selbstmord-Gedanken war er ab nun, da er wieder halbwegs Herr seiner Sinne war, aber Vorsicht war besser als Nachsicht. David machte jedoch keine Zicken, sondern kam deutlich besser als zuvor riechend in Freizeitmontur mit immer noch feuchtem Haar wieder die Treppe hinab. Sein Gesicht war ziemlich fahl, der Zug um seinen Mund hart. „Du bist immer noch da!“, stellte er leise stöhnend fest, schlurfte an ihm vorbei und ließ sich auf einen der Küchenhocker fallen. Ihm dürfte die Birne ganz schön dröhnen, auch wenn er den teuren Whiskey größtenteils wieder ausgekotzt hatte. Das wegzuputzen war ein weiterer Tiefpunkt in Nox Vita gewesen. „Wo sollte ich auch hin?“, erwiderte Nox und würzte halbherzig die Tomatensauce mit einem erbärmlichen Zeug, das wohl mal getrockneter Basilikum gewesen war. „Das ist ja das Problem! Oder eines unter vielen.“ „Dann hat die kalte Dusche nichts gebracht!“, ächzte David und raufte sich das Haar. „Doch. Du riechst besser. Die Realität lässt sich leider nicht weg duschen. Ich bin echt! Live und in Farbe!“, versuchte Nox die Angelegenheit weiter in Davids Hirn zu verankern. „Eines muss ich aber wissen!“, stellte David fest und erhob sich wieder. Ehe Nox es sich versah, war er bei ihm und zog ihm ungeniert am Schwanz. Er kreischte auf. „Du tote Hirnzelle eines Pavian!“, jaulte er und versuchte sich zu befreien. Leider kannte David so überhaupt kein Pardon und zerrte einfach immer weiter. Er strampelte, dann übernahm sein Katzenich die Kontrolle und regelte die Angelegenheit. Jetzt war es David, der schrie – aber immerhin ließ er los. „Hast du sie noch alle!“, fauchte Nox und hielt sich den schmerzenden Schwanz. „Verdammt!“, jammerte David und presste sich die Hand gegen die Wange. „Kacke!“, schimpfte Nox. „Wie sieht das denn aus!“ „Du hast mich gekratzt!“, beschwerte sich David fassungslos. „Was bitteschön hast du erwartet, du Tierquäler!“, fuhr er ihn an. Schade, dass er sich da im aktuellen Zustand nicht lecken konnte! Das war immer gut bei Schmerzen! David war zurück getorkelt und klammerte sich jetzt an die Anrichte. Er hielt sich die Wange, zwischen seinen Fingern quoll Blut hervor. Kein Wunder, er war ja auch keine kleine Schmusekatze mehr, sondern hatte im Moment ziemliche Pranken. „Sag mal, hast du eigentlich beschlossen, nur noch Mist zu machen!“, fuhr Nox ihn an. „Der Schwanz ist echt! Ich bin verrückt!“, erwiderte David nur. „Der Schwanz ist echt, und du bist nicht verrückt!“, korrigierte ihn Nox. „Höchstens in der Hinsicht, dass Du mir daran gezogen hast, du Pestpustel! Was fällt dir ein! Das tut weh wie Hölle!“ „Das hier etwa nicht!“, entgegnete David und starrte entsetzt seine vollgeblutete Hand an. „Oh, verdammt!“, stöhnte Nox. „Jetzt siehst du aus, als habe dich ein Puma angefallen!“ „Schön wär’s!“, ächzte David. „Nicht wirklich“, erwiderte Nox säuerlich mit pochendem Schwanz. Er hatte garantiert einen Bluterguss unter dem Fell oder sich was ausgerenkt! „Hast du Jod oder sowas da? Scheiße, muss ich dich schon wieder betüdeln, du Null!“ „Im Medizinschrank“, erwiderte David geschlagen. „Okay, gut. Salbe auch?“, wollte Nox wissen und stellte geistesgegenwärtig den Herd ab. Das Essen müsste fertig sein, aber aktuell dürfte keiner von ihnen Hunger haben. David nickte, und er stapfte los. In der Tür hielt er inne. „David?“, murmelte er. „Mmm?“, kam nur. „Du bist keine Null, okay! War nur so daher gesagt, schließlich war das eben nicht gerade angenehm! Krieg jetzt bitte nicht den nächsten Depri-Anfall! Du bist bestimmt keine Null! Und ich auch nicht. Okay?“, versuchte er sicherheitshalber sein Bestes. „Okay“, erwiderte David dumpf. ,,,,,,,,,,,,,,,,,, Sein Gesicht tat weh wie sonst was, der Brummschädel und das ganze Chaos und der Stress machten die Sache auch nicht besser. Doch Schnurrer war kein Kanevalsjeck! Der Katzenschwanz war wirklich mit ihm verwachsen. Genau wie die Krallen. Aua! Also war er wirklich in eine Zwischenwelt abgedriftet, nicht tot, nicht lebendig. War das nicht eigentlich schon vorher so gewesen? Vorher hatte er zumindest Schnurrer nicht gesehen. Etwas piepte. Verwirrt sah er sich um. Handy! Das war sein Handy! Wie ferngesteuert ging er ran. „Oh Mann, David!“, stöhnte ihm Lydia ins Ohr. „Hast du auch so einen Kater?“ „Wie sieht deiner denn aus?“, fragte David vorsichtig. „Wie ein Beil in meinem Haupt!“, verkündete sie. Die Glückliche! Aber ohne seinen „Kater“ wäre er jetzt tot, oder? Vielleicht wäre es besser so gewesen. Wozu war er denn überhaupt noch gut? Aber er war doch kein Feigling, hatte so mancher Gefahr ins Auge gesehen, ohne zu zucken, bisher allerdings nicht dem eigenen Irrsinn … „Bist du noch gut nach Hause gekommen?“, fragte sie. „Äh ja. Ich sitze hier in meiner Küche und mein Kater hat mich ganz schön im Griff“, gestand David. „Mich auch! Nimm ne Tablette!“, empfahl sie. Nein Danke, er war schon so auf nem Trip. „Öh, mal sehen“, erwiderte er diplomatisch. „Ich fahre zu meiner Schwester, habe schon Bescheid gesagt. Sie wohnt in Schleswig, da krieche ich unter. Gehst du zu Merle?“, wollte sie wissen. „Weiß noch nicht“, brummelte er, die Wut darüber, dass sie ihn zum Saufen angestiftet hatte, runterschluckend. Er war schließlich erwachsen, selbst schuld! Und sie hatte garantiert nicht gewollt, dass er sich etwas antat. Das hatte er gewollt, schwach und wehleidig, wie ihn der Suff gemacht hatte. „Du kannst auch mitkommen. Sie hat Platz, ist ja mit so einem reichen von und zu verheiratet. Ein paar Tage an der See?“, lockte sie. „Nein danke“, lehnte er ab. In seinem gegenwärtigen Zustand blieb er besser, wo er war. „Erhol dich gut. Wir telefonieren, okay?“ „Klar. Ich muss das erst mal verdauen. Aber was sollen wir schon machen? Wir dürfen ja auch gar nichts tun, das würde nur noch mehr Ärger bringen“, erwiderte sie bitter. „Als Kind wollte ich Floristin werden. Vielleicht kann ich die Lehre ja im Knast machen?“ „Sag sowas nicht!“, bat er sie. „Was wolltest du denn werden?“, wollte sie mit schwacher Stimme wissen. Wider Willen musste David lächeln. „Pilot – die ganze Welt sehen. Und Förster – die Ruhe, der Wald, die Tiere. Oder Dompteur …“ „Ach, du Tierfreund“, seufzte sie. „Wie geht es Tripper?“ Der verarztet gerade seinen Schwanz, denkt sich dabei bestimmt ein paar neue Flüche aus und kocht das Mittagessen. „So gut, wie es ihm gehen kann!“, erwiderte David um den heißen Brei herumredend. Was sollte er schon sagen? Zum einen hatte er es seinem unsichtbaren Freund versprochen, zum anderen wollte er seiner Freundin nicht jetzt schon unter die Nase reiben, dass er irre geworden war. Vielleicht würde er gleich aufwachen und das alles wäre einfach weg? Sie tauschten noch ein paar Worte aus. Lydia stand nicht weniger unter Schock als er, auch sie musste sich erst mal fangen. Dennoch war es tröstlich, ihre Stimme zu hören. Sie brauchte ihn auch. Und er brauchte sie. Er war nicht alleine, und er lebte, und das war an ihm auch zu tun. Feige zu fliehen, die Menschen so zu enttäuschen und zu verletzen, die ihn liebten, ganz besonders Theo – verdammter Alkohol! Er machte einen emotional und brach die Kontrollen weg. Früher war das manchmal gar nicht schlecht gewesen, mit Theo am Pazifikstrand zu trinken und zu träumen, ein schöner Rausch … Jetzt jedoch deckte er nicht die geheimsten Zukunftssehsüchte auf, sondern nur das Entsetzen. Er senkte das Handy. Es war voller Blut. „Oh Mann, David!“, stöhnte Nox, der wieder eingetreten war. Er hatte einen albernen Mullbindenverband um den Schwanz und schien nicht überrascht. Katzen hörten extrem gut und Nox hatte Katzenohren – konnte er das auch? Gesetzt, dass er wirklich da war … „Komm her!“, wurde er aufgefordert. „War ja nur ein Warnhieb, das ist nicht tief. Aber besser ist‘s. Und dann essen wir endlich, die Nudeln sind jetzt bestimmt wie aus einem von Buch-Babyglas!“ …………………. Nox blickte auf. David sah dank des Jods aus wie abgeschlachtet, aber das würde rasch verheilen. Allerdings konnte er sich so kaum irgendwo blicken lassen, wo Leute in Versuchung geraten würden zu fragen, was zur Hölle ihn angefallen habe. Ein großes Pflaster würde es tun. „Schmeckt’s?“, fragte er. „Lecker!“, nickte David. „Ist so lange her, das mir wer was gekocht hat!“ „Das ist doch Kinderkacke! Das kannst du doch auch!“, widersprach ihm Nox, während er gierig die Nudeln in sich hineinstopfte. Kein Kobe-Rind in Trüffelsoße, aber richtiges Essen! Menschenessen! Obwohl das Katzenfutter besser geschmeckt hatte. David schüttelte verhalten den Kopf. „In der Küche bin ich ein Totaldepp“, seufzte er. „Aber Glühbirnenwechseln oder das Auto reparieren kann ich!“ „Ein echter Kerl also!“, spottete Nox. „Jeder hat so seine Qualitäten“, erwiderte David nonchalant. „Kochen gehört auch nicht gerade zu meinen Hobbies!“, protestierte Nox. „Hast du Hobbies?“, fragte David. „Nö“, gestand Nox und inhalierte eine weitere Gabel voll Glückseligkeit. „Und du?“ „Sport?“, schlug David vor. „Ach ja! Das mache ich ja auch!“, fiel Nox ein. „Das muss eben sein, Hobbies sind doch da, um Nonsens zu treiben, oder? Wie deine Polizeiautos?“ „Ach die! Ja!“, erwiderte David leicht errötend. „Das sind Andenken. Geschenke von Bekannten und Freunden. Früher hatte ich Hobbies. Einfach aus Spaß. Wir sind viel gereist, haben Blödsinn gemacht. Nicht der Kegelverein, immer spontan. Es war so … so … schön!“ Nox musterte das Gesicht des anderen, in dem die Wehmut gepaart mit handfestem Verlustschmerz stand. Nicht nur Theo war gestorben, sondern auch dieser Teil von David. Quatsch! David war immer noch da, genau wie er! „Ich mochte früher auch Blödsinn“, gestand er und lud David ungefragt nach. David protestierte nicht, sondern machte sich darüber her. „Du warst ein wilder Junge“, meinte er. „Was ist mit dir passiert?“ „Nichts“, erwiderte Nox. „Ich bin bloß erwachsen geworden. Meine Sippe hat beschlossen, sich noch weiter zurückzuziehen. Ich wollte das nicht! Ich wollte leben. Als Mensch. Und jagen, Beute machen – der Job war perfekt!“ David sah ihn erstaunt an, dann grinste er plötzlich verstehend: „Maus oder Mäuse – alles eins?“, fragte er. Nox nickte und grinste zurück. „Genauso ist es. Ich musste vorsichtig sein, niemand durfte es wisse. Ich war allein. Aber es war gut, es ging schon!“ „So einsam? Ich weiß nicht“, wandte David ein und drehte die Gabel durch die Nudeln. „Alles hat so seine Vor- und Nachteile. Nichts ist gewiss. Sieh dich an“, erwiderte Nox. David sah betroffen hinab. „So müsste es nicht sein! Scheiß-Krankheit!“ „Tja“, erwiderte Nox gedehnt. „Wir denken immer, des eigenen Glückes Schmied zu sein. Manchmal stimmt es, manchmal nicht. Auf einige Dinge haben wir keinen Einfluss, egal wie sehr wir kämpfen. Aber du und ich, wir sind wirklich hier, gleichgültig, wie sehr dich das irritieren mag. Und K&K-Enterprises hat uns unserer Existenz beraubt. Wir können den Schwanz einziehen, obwohl das in meinem Falle aktuell ziemlich schmerzhaft wäre – oder zurückbeißen!“ „Wie stellst du dir das vor?“, wollte David wissen. „Mal sehen. Ich bin ein Werkater und du ein Bulle – verklag mich doch! – wir haben Trümpfe im Ärmel, von denen die nichts ahnen. Wer rechnet denn auch mit sowas?“, freute sich Nox. „Ich nicht“, stöhnte David. „Niemand tut das. Was meinst du, warum ich so schnell aufgestiegen bin? Niemand verdächtigt die Katze, aber alle heulen sich bei ihr aus. Das war mein Trumpf. Ich bin gut, doch kein Finanzgenie wie meine Vorgesetzten oder auch Kollegen. Ich wusste nur mehr“, erklärte Nox. „Du bist eine Art lebendige Wanze?“, folgerte David messerscharf. „Haargenau. Mehr Nudeln?“, bot Nox höflich an. ……………………. War das jetzt die Wirklichkeit oder hing er aktuell zwischen Leben und Tod und fantasierte vor sich hin? Eine extrem schwer zu beantwortende Frage, gerade da alles so perfekt in die Realität zu passen schien inklusive der Schmerzen – bis auf Nox Schnurrer, Werkater. Seine Küche fühlte sich echt an, seine Schmerzen, seine Sehnsucht, sein Entsetzen und sein Verdruss – aber Schnurrers Katzenschwanz auch, verdammt! Und seine Nudeln waren echt lecker, es war so lange her, dass jemand ihm dieses Gericht gekocht hatte, das er seit seiner Kindheit liebte! Kochen war trotz der Maulerei immer ein Liebesbeweis Theos gewesen, den er so sehr genossen hatte, nicht nur kulinarisch. Jemand kümmerte sich um ihn, gab ihm Essen! Vielleicht war das primitiv gewesen, aber auch so wundervoll! Das Essen hier hatte ihm nicht Theo bereitet, sondern dieser hybride Typ mit den Katzenaugen, der Nox Schnurrer sein wollte! Er musterte ihn über die dampfenden Nudeln hinweg. Auch in dieser seltsamen Erscheinungsform war Schnurrer ein bildschöner Mann mit einer latenten Aggressivität in den eleganten Bewegungen. Das hatten die Fotos nicht verraten über ihn. „Okay!“, verkündete Schnurrer und leckte sich die Oberlippe. Tomatensoße ging ihm in den Schurrhaaren. „Das wäre erledigt!“ „Aha?“, erwiderte David verwirrt. „Wie fühlst du dich?“, wollte Schnurrer pragmatisch wissen. „Besser“, gestand er. „Immer noch ziemlich zerschossen, aber besser.“ „Kein Wunder!“, meinte Schnurrer. „Du solltest pennen. Krieg erst mal einen klaren Kopf!“ „Mir ist nicht nach schlafen!“, sträubte sich David. „Mann! Ich bin nicht dein Babysitter! Was willst du denn?“, stöhnte Nox. Er lümmelte auf seinem Stuhl und leckte sich akribisch die Hand sauber, die Geste einer sich nach dem Essen putzenden Katze. Es sah völlig absurd aus, und er schien es nicht mal zu bemerken. „Aufwachen wäre gut“, wünschte sich David. „Geht nicht, krieg’s bitte bald mal in dein Hirn. Nur weil die Realität zum Himmel stinkt, ist sie leider nicht bloß ausgedacht. Denkst du, mir gefällt das alles hier? Vor ein paar Wochen war ich noch ein gemachter Mann, und jetzt bin ich ein kriminalisierter Katzenfuzzi ohne alles! Das ist auch nicht gerade mein Wunschtraum, das kannst du mir glauben! Verflixt, wie kriege ich dich wieder in Form?“, grübelte Schnurrer angestrengt. „Indem du verschwindest, und ich aufhören kann, an meiner geistigen Gesundheit zu zweifeln?“, schlug David vor. „Nein“, erwiderte der andere nur lapidar. „Vergiss es. Ah! Jetzt weiß ich es!“ Er grinste wie eine satte Katze und erhob sich. Kurz streckte er sich wohlig, gähnte, dann griff er ins obere Regal, wo sich der Korb mit den Katzensachen verbarg. Er schnappte sich die Bürste und drückte sie David in die Hand. „Geh ins Wohnzimmer, setzt dich auf die Couch!“, befahl er. David zuckte mit den Schultern und tat es, ohne nachzufragen. Aktuell war ihm so ziemlich alles egal, da konnte er auch einfach mitspielen. Ächzend ließ er sich auf das vertraute Polster sinken. Es fühlte sich an wie immer, und erinnerte ihn an die Zeit, in der noch alles so gewesen war, wie es hätte bleiben sollen. In der Küche raschelte es, dann kam Tripper raschen Schrittes auf ihn zugesaust. Reflexartig lächelte David ihm entgegen, dann erstarrte er. War jetzt alles wieder in Ordnung? Oder war das wirklich Nox Schnurrer in verwandelter Form? In den Märchen waren es meist Frösche, die in Wirklichkeit Prinzen waren. Steckte in diesem Kater ein Finanzhai? Würde er sich zurückverwandeln, wenn man ihn küsste oder gegen die Wand schmiss? Besser nicht ausprobieren. Es roch immer noch nach Kaffee und Tomatensauce, aber das mochten noch Restposten seines Irrsinnsschubs sein. Genau! „Na, Tripper!“, versuchte er sich probehalber. „Da bist du ja! Und ich dachte schon, ich sei endgültig durchgedreht!“ Der Kater starrte ihn entnervt an und sprang auf seinen Schoß. Er war echt da! Dem Himmel sei Dank. David streckte die Hand aus und strich über sein Fell. Da war das Tattoo und sein Schwanz hing auch etwas komisch … Aber auch das war garantiert irgendwie logisch erklärbar! Hatte er dem Kater während seines Aussetzers etwas getan, war versehentlich auf ihn getreten? Nein, dann würde er jetzt schmollen und nicht bei ihm sein. Hatte er sich wieder geprügelt? Sollte er ihn besser zum Tierarzt bringen? Tripper sah ihn aufmerksam an, dann miaute er fordernd und stupste mit der Pfote die Hand mit der Bürste an. „Äh, ja, okay!“, murmelte David. War er im Begriff, Nox Schnurrer zu bürsten? Nein, Blödsinn! Tripper war ein schlauer Kater, in den sein aus dem Lot geratenes Hirn sonst was rein interpretiert hatte! So musste es doch einfach sein! Der Kater machte sich auf ihm breit, und David sah zu, mit seinem Werk zu beginnen. Uff, das tat gut, war echt, vernünftig, entspannend. Das weiche Fell, der warme, kleine Körper, die vertraute Haltung, alles war gut! Naja, nicht gut, aber zumindest wieder halbwegs normal! Darauf musste er sich jetzt konzentrieren, der Rest musste warten. Er musste sich erst mal wieder einkriegen! Was war bloß los hier? Was war mit ihm, seiner Welt geschehen? Er wusste es nicht, und sah zu, seine volle Aufmerksamkeit dem Kater zu widmen, der begonnen hatte zu schnurren, ein beruhigendes, warmes Geräusch. Nox Schnurrer! Pah! So ein Blödsinn! Er hatte gesoffen, hatte sich das Gesicht aufgeschrammt und eine Weile lang halluziniert! Das war es, genau! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)