Ein Katzenhai im Bullennest von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 5: Wer ist Nox? ----------------------- VI. Wer ist Nox? „Ach ja, Nox!“, seufzte ihr Gegenüber und verdrehte in süßen Erinnerungen schwelgend die Augen. David bemühte sich um einen neutralen Gesichtsausdruck, während Lydia immer noch unverhohlen gebannt in alle Richtungen starrte. Wenn ein verrückter Wissenschaftler auf die Idee gekommen wäre, eine Biosphäre für reiche, oberflächliche Homosexuelle zu kreieren, dann hätte das Ergebnis wahrscheinlich dem „Frantic“ frappierend ähnlich gesehen: Edelstes Design, exotische Drinks und ein ausgesuchtes Publikum. Nach bauchfrei herum hopsenden Disko-Hühnchen spähte man hier vergeblich, die Gäste trugen Designermode und punkteten mit Eleganz und nicht mit Nacktheit. Der Besitzer, Georg Pesseler, hatte wie Al Pacino in Klischee-schwul ausgesehen, obwohl das affektiert Mafiöse an seinem Auftreten nur einstudierte Fassade sein dürfte. Der Laden war sauber, es hatte nie auch nur den leisesten Verdacht gegeben, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen vorgehen mochte. Pesseler selbst mischte sich nicht unter die Gäste, so dass ihm Schnurrer nichts gesagt hatte, aber er hatte sie an den Chefbarkeeper verwiesen, der sie wiederum an den Mann weitergereicht hatte, der jetzt vor ihnen stand. Er hatte sich bei der Aussicht, der Polizei wie in einem richtigen Krimi helfen zu können, schier überschlagen vor Pflichteifer. David hatte sein Notizbuch gar nicht so rasch zücken können, wie der andere Mann ihnen seine Daten um die Ohren gehauen hatte: Henrik Ernst, achtunddreißig Jahre alt, Juniorchef einer Firma für Flugzeugteile. David wollte gar nicht wisse, was der so im Monate verdiente, dagegen waren Polizisten wie er und Lydia arme Schlucker. Aber das verdross ihn nicht weiter, er brauchte kein samtgefüttertes, maßgeschneidertes Edelsakko mit Platinmanschettenknöpfen, wie Ernst eines trug. Ihr Zeuge in spe sah sie indes an, als hätten sie das Abenteuer gepachtet, von dem er nur träumen konnte. „Sie erkennen den Mann?“, fragte David und nickte in Richtung des Fotos, mit dem er sich für diesen Abend bewaffnet hatte. „Ja, Herr Polizeioberkommissar Schwarz!“, antwortete ihr Gesprächspartner formvollendet. „Ich kenne ihn. Nox Schnurrer. Was für ein Mann!“ Er seufzte erneut, dann schien er sich zu besinnen: „Aber wo sind meine Manieren? Setzen wir uns doch. Ich darf Ihnen wahrscheinlich nichts anbieten, da Sie im Dienst sind?“, fragte er. „So ist es leider“, erwiderte Lydia mit einem sehnsüchtigen Blick auf einen besonders farbenfrohen Drink, der gerade auf die Bar gestellt wurde. Ernst geleitete sie zu einer kleinen Sitzecke, die ein diskretes Miteinander ermöglichte, und kam David zuvor, Lydia den Stuhl hinzuschieben. Lydia verzog schicksalsergeben das Gesicht. „Gut, Herr Ernst. Was können Sie uns über Herrn Schnurrer berichten?“, fuhr David fort, als sie schlussendlich alle saßen. „Ein leuchtender Stern am Karrierehimmel! Er ist rasant aufgestiegen und weiß zu leben. Was ist denn mit ihm?“, fragte Ernst neugierig. „Darüber dürfen wir Ihnen keine Auskunft geben“, sagte Lydia. „Aber er wird keines Verbrechens bezichtigt.“ „Aha“, erwiderte Ernst mit einer Miene, als sei er vom Gegenteil auch nicht überrascht gewesen. David war es genau genommen auch nicht, aber das würde er wohl kaum laut sagen, bevor es keine stichhaltigen Beweise gab. „Welcher Natur war Ihre Beziehung zu Herrn Schnurrer?“, fragte Lydia, während er seinen Stift gespitzt hielt. „Beziehung? Mit einem Nox Schnurrer hat man keine Beziehung“, belehrte sie Ernst. „Wir kannten uns von gelegentlichen Treffen hier, haben uns über geschäftliche Dinge unterhalten, auch wenn wir wenig Schnittmenge hatten. Smalltalk, Sie wissen schon. Aber der Kern unseres Kontaktes war eher intimer Natur.“ „Sie haben mit Schnurrer sexuell verkehrt?“, umschrieb es Lydia elegant. „Selten, aber ja. Eher in Form eines Deals, nicht einer persönlichen Annäherung. Gelegentliche One Night-Stands ohne Versprechen auf Wiederholung“, berichtete Ernst. „Waren Sie zufrieden mit diesem Arrangement?“, wollte David wissen. Ernst zuckte mit den Schultern. „Ja, das war ich. Schnurrer ist nicht der Typ von Mann, in den man sich verliebt“, entgegnete er nüchtern. „Wie meinen Sie das?“, hakte David nach. Ernst zeigte ein leichtes, durchaus sympathisches Lächeln, auch wenn das antrainiert sein mochte. „Wenn sie sich ein Haustier zulegen würden, was würden sie nehmen: Einen liebevollen, treuen Bernhardiner oder einen hungrigen Berglöwen?“ „Wir sprechen hier von einer Partnerschaft und nicht von einem Haustier!“, widersprach David, sein Entsetzen über diesen Vergleich runterschluckend. „Ich weiß!“, beschwichtigte ihn der Andere, die Finger mit den manikürten Nägeln auf die polierte Tischplatte legend. „Aber dennoch bestehen Ähnlichkeiten: Ein Mensch, mit dem man dauerhaft zu harmonieren gedenkt, hat andere Qualitäten als Nox Schnurrer. Schnurrer wird da seinem Namen schon gerecht: Er mag schnurren können, aber den Rest kann er auch. Ein Einzelgänger, durch und durch. Weiß der Himmel, was in seinem Kopf vorgeht. Aber für eine Nacht ist er ein unvergessliches Abenteuer.“ „Wie meinen Sie das?“, fragte jetzt Lydia. David beschlich der Verdacht, dass diese Frage eher ihrer eigenen Neugier geschuldet war als dem Ermittlungsinteresse. Ernst verdrehte etwas die Augen, aber er zierte sich auch nicht weiter: „Schnurrer ist unglaublich im Bett. Ein fantastischer Liebhaber. Wild. Kreativ. Aggressiv. Spielend. Anschmiegsam und die Krallen ausfahrend. Das war Inhalt und Zweck unserer „Beziehung“.“ „Was wissen Sie über sein weiteres Privatleben?“, wollte David wissen. Er musste die Zähne zusammen beißen. Die Beschreibung erinnerte ihn fürchterlich an Theo, er fühlte ein leichtes Ziehen in der Lendengegend im Nachhall der Erinnerung an ihre Nächte. Aber Theo war auch sein Bernhardiner gewesen. Er wusste haargenau, dass das kein Widerspruch sein musste. Er verdrängte den Gedanken, jetzt war er schließlich dabei zu arbeiten und das Schicksal eines Vermissten zu klären. „Nicht viel“, meinte Ernst. „Die meiste Zeit war er wohl in der Firma. So einen Aufstieg wie den Seinen bekommt man nicht hin, wenn man nach fünf und am Wochenende seine Zeit genießt. Sport hat er gemacht, Fitnessstudio, Kampfsport, solche Sachen. Wie gesagt, unsere Unterhaltungen haben sich auf Smalltalk beschränkt. Keine Ahnung, was ihn sonst so bewegt, er hat es nie erwähnt. Ich weiß, dass er außer zu mir noch andere sexuelle Kontakte unterhalten hat. Ehe Sie mich noch verdächtigen: Nein, das hat mich nicht weiter interessiert. Eine emotionale Bindung bestand nicht zwischen uns. Auch für mich war er nur eine gelegentliche, wenn auch exzellente, Unterhaltung. Wie gesagt, er hat nichts an sich, das einem das Herz schmelzen würde. Er ist eine Sexbombe, wenn sie so wollen, doch wer mehr in ihm sehen möchte, der tut mir leid.“ „Schnurrer ist also eiskalt und oberflächlich?“, bohrte David. Ernst schaute kurz etwas niedergeschlagen, dann fand er sein Lächeln wieder: „Sind wir das nicht alle hier? Aber bei ihm war es schon extrem. Was auch immer es mit Schnurrer noch weiter auf sich haben mag, falls das überhaupt der Fall sein sollte, dann hält er es sehr privat und gewährt seinen Bettgenossen kaum einen Blick darauf. Er punktet nicht mit Wärme, sondern mit Sexappeal.“ ……………….. „Verrückt!“, murmelte Lydia. „Das ist doch echt verrückt! Wo immer wir hin gehen, wen immer wir fragen, gibt es nur dieses eine Bild, das nicht die geringsten Risse zeigt!“ Sie liefen nebeneinander her in Richtung von Davids Auto, mit dem sie in Zivil hergekommen waren. Es nieselte, Straßenlaternen spendeten ein diffuses Licht. „Es muss doch etwas geben!“, behauptete David. „Das „Frantic“ und der Sportclub, in dem er trainiert hat, liefern dasselbe Bild. Vielleicht sollten wir seine Kollegen noch genauer unter die Lupe nehmen, schließlich scheint er mit denen die meiste Zeit verbracht zu haben.“ „Du hast recht“, erwiderte sie düster. „Versuchen wir uns da. Wirtschaftstypen – bäh. Das kann ja heiter werden. Die erinnern mich immer an meinen Ex-Mann, die kapitalistische Ratte. Möge er einsam inmitten eines Berges seiner Kohle verrecken, nachdem ihn auch die letzte Sekretärin, die er gefickt hat, in den Wind geschossen hat!“ „Na na, nicht bitter werden!“, warnte sie David. Lydia schnaufte. „Du hast ja recht. Manchmal ist das aber leichter gesagt als getan. Ab und an suchen mich immer noch diese Hass-Attacken heim, aber das bringt leider nichts. Immerhin können wir halbwegs sicher sein, dass Schnurrer mit seiner Sekretärin nichts am Laufen hatte.“ „Wohl eher nicht“, murmelte David. Sie hatten sie bisher nur kurz vernommen, eine dickliche, äußerst resolute Dame an die Sechzig. „Vielleicht ist Schnurrer ja wirklich so? Ein aalglattes, völlig hohles Arschgesicht?“, spekulierte Lydia. „Möglich. Ich bin noch nie jemandem begegnet, der wirklich bis in die Tiefen seiner Seele so gewesen wäre. Auch der schlimmste Verbrecher hat bisher auch Seiten gehabt, die ihn dennoch menschlich gemacht haben, wenn auch zuweilen auf pervertierte Art. Denk an diesen Kinderschänder, der so liebevoll sein Aquarium gepflegt hat. Er ist beinahe durchgedreht, als wir ihn verhaftet haben, weil er Angst um seine Fische hatte. Aber Schnurrer hat nicht mal Fische“, seufzte David. „Nein. Nur ein Armeelager versautes Spielzeug und ein Katzenfoto“, ergänzte sie. „Stimmt. Zumindest ein Punkt für ihn. Wer weiß. Vielleicht hat das auch gar nichts zu bedeuten, ist nur ein Witz oder so“, wiegelte David ab. „Aber mir macht der Kerl zunehmend Magengeschwüre. Wo ist er hin? Der Flughafen wurde überprüft, Schnurrers Nobelkarosse steht nach wie vor in der Tiefgarage, seinen Ausweis haben wir auch gefunden, nichts scheint zu fehlen. Er könnte natürlich mit dem, was er am Leibe hatte, in den nächsten Zug gestiegen sein, aber das würde gar nicht zu der Person passen, die bisher alle beschreiben. Allerdings wissen wir nicht, ob er wirklich diese Person ist. Manchmal drehen Menschen auch ohne erkenntlichen Anlass plötzlich auf der Stelle um und gehen einfach fort. Möglich. Seine Firma scheint ihn auch nicht wegen irgendetwas belangen zu wollen, aber vielleicht verheimlichen sie das auch, weil sie Dreck am Stecken haben. Ich weiß es einfach nicht.“ „Ich auch nicht“, stimmte Lydia ihm zu. „Wirklich ein vertrackter Fall. Wo mag er bloß sein?“ ………….. Sofa … Cordsofa … Kackbraunes, abgewetztes Uralt-Sofa … Aber gemütlich. Trotzdem öde. Fernsehen war raus, das war zu gefährlich. Ein Mal mochte David noch an einen Unfall glauben, beim zweiten Mal mochte ihm die Sache anfangen, spanisch vorzukommen. Besser nicht. Also was tun? Es gab noch keine Katzenklappe, er saß hier fest. Nox sprang von seinem Lager und sah sich um. Der Polizeiauto-Setzkasten vergewaltigte ihn optisch. Wie oberscheiße! Ziellos tigerte er los. Das Wohnzimmer und die Küche kannte er ja schon in- und auswendig. Das Schlafzimmer war auch nicht gerade wie ein Empfang bei der Queen inklusive Ritterschlag. Keller? Im Keller war er noch gar nicht gewesen. Es war peinlich, aber er freute sich angesichts der Aussicht, etwas Neues kennenzulernen. Davids Keller, kein edler Club in New York, ach weh, aber das Wort „wählerisch“ durfte er gerade ziemlich aus seinem Wortschatz streichen. Er flitzte die schmale Stiege, die von der Küche ausging, hinab. Licht konnte er sich getrost sparen, obwohl er sehr wohl gegen den Lichtschalter springen konnte, aber in dieser Gestalt konnte er im Dunklen ja sehen. Es roch muffig und nach Mottenkugeln und Staub. Und ein wenig nach Maus … Nichts da! Das hier war wie eine Bildungsreise, er durfte um Himmelswillen nicht anfangen zu jagen! Nach Kohle und geilen Typen und Beute insgesamt: ja! Nach Mäusen, Amseln, Goldfischen: nein! Das durfte er nicht vergessen, trotz der Versuchung. Gespannt sah er sich um. Der Keller, obwohl ziemlich geräumig, war bis zum Rand vollgestopft. Der vorderste Raum war eine Waschküche. Eine Riege von Davids Unterhosen und Socken hing auf einem Wäscheständer und trocknete. Der Gute musste dringend mal shoppen, diese Teile waren ja nicht zum Aushalten! Davids Knackarsch in Spießer-Feinripp, das war doch echt nicht nötig! Aber David hatte offensichtlich keinerlei schwule Selbstachtung. War der überhaupt schwul? Oder war der eine Gesinnungs-Hete, die nur gerne mit Männern schlief? Einiges sprach dafür. Er spazierte an dem Elend vorbei und schob mit seinem Körper die klapperige Holztür zu einem der drei angrenzenden Räume auf. Das Haus musste schon älter sein, aus einer Zeit, in der noch großzügig unterkellert wurde. Der Boden war glatter Beton, kalt und schmutzig. Überall standen Kisten. Er ließ den Blick wandern. Theos CDs. Theos Kleidung. Theos Handtücher. Oh weh, das war ja wie eine Gruft! Ach du Schreck! Gesund konnte das nicht sein! Aber wenn er ehrlich war, konnte er sich nicht vorstellen, wie es war, in Davids Haut zu stecken, den Menschen verloren zu haben, den man geliebt hatte, lang vor seiner Zeit. Er hatte nie so einen Menschen gehabt. Er war, wie er war, und er konnte niemandem vertrauen. Kein Mensch durfte wissen, was er wirklich war, wenn er sich nicht irgendwann auf einem Seziertisch in Area 51 wiederfinden wollte. In den Pausen könnte er sich dann mit einem grauen Alien mit Wasserkopf und Insektenaugen anfreunden. Sehr ungeil. Nein danke. Seine Eltern hatten es ihm von klein auf eingetrichtert: Es ging nicht nur um ihn, sondern auch um seine Familie, seine Sippe. David mochte ihn für einen aufgeblasenen Schnösel halten, das war er ja zum Teil auch, aber der andere Teil war unverrückbar loyal den Seinen gegenüber. Er spielte gerne, aber nicht um ihre Sicherheit. Er drehte sich, dann fiel sein Blick auf ein von Spinnenweben umrankten Regal. Theos Bücher, jede Wette. Er tigerte heran, musterte die Buchrücken. Geschichte der Maya? Einführung in die Ethnologie? Maya-Hieroglyphen für Fortgeschrittene? Häh? Was war das denn für ein kranker Kram? Er setzte sich auf den Hintern und studierte die weiteren Buchrücken. Fast alles drehte sich um irgendwelche Eingeborenen Mittelamerikas. Was war dieser Theo für ein Typ gewesen? Hatte der auf Indianer gestanden? David sah echt nicht wie einer aus, dazu fehlte ihm nicht nur der exotische Federschmuck. David war ein ausgesprochen stattlicher Nordeuropäer. Oder war das Theos Beruf gewesen? Es gab ja solche Orchideen-Fächer, über die sich BWLer wie er nur kaputt gelacht hatten an der Uni. Weltfremde Spinner! War Theo so einer gewesen? Er fuhr eine Tatze aus und angelte ein Buch aus dem Regal. „Die Geschichte der Maya“ hatte er immer schon lesen wollen. Oder auch ganz und gar nicht. Aber besser als nichts. Das hier war unauffällig, und es drehte sich um Menschen, ihr Leben, ihre Geschichte. Außerdem war es nicht ganz so hirnamputiert wie MacGyver. Innerlich seufzte er, äußerlich konnte er ja nicht, und begann mit der Lektüre. ……………….. „Tripper?“ „Miau?“ „Da bist du ja, mein Süßer! Ja, du hast Hunger! Herrchen mach dir eine superleckere Dose auf, fein, fein!“ Oh ja, zerkratzter Sessel hin oder her, der Kater war Balsam für seine zerschundene Seele, ganz wie Merle es prophezeit hatte. Es war so unendlich gut, erwartet zu werden und den Körper eines anderen Lebewesens sich vertrauensvoll gegen sich schmiegen zu spüren, auch wenn das Tier vielleicht nur die Aussicht aufs Abendbrot antrieb. Es war fast egal, er wurde gebraucht, ersehnt, umschmeichelt, warum auch immer. Tripper flitzte in Richtung Küche voran und drehte sich erwartungsvoll um zu ihm. Er lächelte und folgte ihm. Der Kater umstreifte seine Beine, während er den Dosenöffner schwang. Dann war nur noch gieriges Schmatzen zu hören, unterbrochen von einem ungenierten Rülpsen, wie es in dieser Selbstverständlichkeit nur Tiere – und Chinesen – zuwege brachten. „Lecker, was?“, grinste David. „Oh Mann, ich bin auch am Verhungern. Mal sehen, was für eine Dose es für mich gibt. Ich bin wirklich nicht so der Koch, Theo hat das meistens gemacht und mit mir gemeckert. Ich lasse selbst Wasser anbrennen. Ach, mir fehlen seine Pfannkuchen! Hat er jeden Sonntag gebraten. Er war nicht mein Hausmann, nein! Wenn ich zu doof zum Kochen sei, hat er gesagt, dann solle ich mich lieber anstrengen oder gescheite Tiefkühlkost kaufen. Ich habe mich eher für Letzteres entschieden. Aber sonntags war er immer großzügig. Erst ein leckeres Frühstück und später dann ein richtiger Braten. Köstlich! Und dann haben wir rumgehangen, geschmust und abends, wenn wir nicht mehr so vollgefressen waren, die Balken krachen lassen. Er war echt ein Wilder! Es war wunderschön mit ihm. Die beste Zeit meines Lebens. Ich sollte dankbar sein, andere haben so etwas nie erlebt. Aber wenn man nicht weiß, wie das ist, dann fehlt es einem nicht. Wie bei diesem Zeugen von heute, so einem One Night-Stand von Schnurrer. Henrik Ernst. Der hat das nie erlebt, aber er hatte schon eine Ahnung, dass es das geben mag. Und Schnurrer selbst? Ist mir ein totales Rätsel. Hat er niemanden geliebt außer sich selbst? Das würde es vielleicht erklären. Das wäre krank. Wir Menschen sind nichts allein.“ Bernsteinfarbene Augen musterten ihn geringschätzig. Katzen sahen das anders, na gut. Aber sie konnten auch nicht wirklich widersprechen. Er kniete sich hin und streckte die Hand aus. „Aber weißt du was?“, sagte er. „Auch wenn du das nicht im menschlichen Sinne erwidern kannst: Ich habe dich lieb, Tripper. Wirklich. Wie ein Mensch ein Tier lieb haben kann. Und das ist manchmal mehr, als das zwischen Menschen, ganz ohne Gier. Ich bin so dankbar, dass es dich gibt, dass ich mich um dich kümmern darf. Einfach nur so. Du musst mir nichts dafür geben, das kannst du ja auch gar nicht, weil dir das Prinzip von geben und widergeben unbekannt ist. Du bist ehrlich. Absolut ehrlich.“ Der Kater kam ihm in zögerlichen Schritten, sich das Maul leckend, entgegen, dann griff er sich ihn, hob ihn hoch und drückte ihn sanft gegen seine Brust. ………….. Wenn der wüsste … Das Prinzip von Gabe und Gegengabe kannte er sehr wohl. Vorzugsweise in der Variation: ich gebe dir wenig, du gibst mir viel. David gab ihm Schutz, Zeit zum Nachdenken und Edelfressi. Er gab David vorrübergehend ein bisschen Gesellschaft und Trost. Doch was wäre, wenn er endlich die Rückverwandlung schaffte und David dann verzweifelt nach Tripper suchen würde? Das wäre schon übel. Es war ihm scheißegal, ob die Manager der Konkurrenz wegen seiner Aktionen abends heulend im Bettchen lagen. Sie spielten dasselbe Spiel, die Verlierer hatten das Nachsehen. Aber David war kein Manager von Material Inc. oder OSC GmbH. David war sein Herrchen. Verdammt, nein! Nun gut, aktuell schon, pro forma, aber er war nun mal Nox Schnurrer, und dem hatte niemand etwas zu sagen! „Komm, Tripper, lass uns ins Bettchen gehen!“ Oder auch doch … ……………… Nox hatte friedlich geschlafen. Es war zwar befremdlich, doch da kam sein Katzenselbst durch: an einen warmen Menschen gekuschelt einzupennen war gemütlich! Und David roch so gut, auch für seine menschlichen Sinne. Männlich und lecker. Da vermischten sich zwei Ebenen der Wohligkeit. Selten hatte er so gut geschlafen wie in diesen Tagen bei David. Selten hatte er für so viel Faulheit überhaupt Zeit gehabt. Doch jetzt hatte ihn aber ein unangenehmer Stoß mit dem Ellenbogen aus seiner Versunkenheit geweckt. Er jaulte leise auf, während er zur Seite abrollte, aber das schien David nicht zu erreichen. Nox kam auf alle Viere und starrte ihn an. Davids Gesicht war verzerrt, seine Hände krampften ins Leere, sein Körper wand sich ziellos. „Theo!“, röchelte er im Schlaf. „Süßer! Theo! Oh … Theo!“ Nox blinzelte, fokussierte, dann wurde ihm alles klar. So schlabberig war Davids braver Pyjama auch nicht, als dass er das hätte verbergen können, was in ihm vorging. Oh weh! Seinen menschlichen Teil überfuhr eine spontane Sabberattacke: ein knackegeiler Typ, der sich in höchster Erregung vor ihm durch die Kissen wälzte. Aber sein Denken hakte dennoch nicht völlig aus. Was hätte er auch tun können in dieser Form? So pervertiert war er denn nun auch nicht. Scheiße, der arme Kerl! Sehnte sich nach einem Typen, nein, nicht einem Typen, seinem Ehemann, der tot war, verbrannt worden war oder in einer Holzkiste vermoderte. Eine Gänsehaut verhagelte ihm den Anblick. Scheiße, wie grässlich! Davids Körper bog sich durch, ein erwartungsvolles Lächeln lag auf seinen Zügen. David hatte ihn ja auch schon angelächelt, aber darin hatte immer auch sein Schmerz gelegen, und er hatte mit seinem Haustier kommuniziert. Das hier war aber der wahre, der glückliche David, doch es war bloß ein Traum, eine Illusion. Das Erwachen würde furchtbar werden. Kurzentschlossen spannte er sich und sprang. ………….. „AHHHH!“, schrie David in die Nacht. Aua! Was!? Völlig benommen schoss er hoch. Theo? War Theo nicht eben hier gewesen? Ein Nebel legte sich über die Erinnerung. Er sah sich im Licht des Mondes um. Neben ihm auf der Decke lag Tripper mit geschlossenen Augen und schnarchte zufrieden. Verdattert starrte er ihn an. Hatte ihn nicht gerade etwas gebissen? Er tastete über seine Nase. Waren da Dellen?! Bluten tat es nicht. Und keine Katze der Welt würde nach so etwas schlafend neben ihm liegen, nicht in Sekundenbruchteilen. Das hatte er bloß geträumt. Nichts weiter. So real! Aber was war das davor gewesen? Er bekam es nicht richtig zu fassen. Hosted by Animexx e.V. 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