Eisvogel von Anemia (Der erste Stock) ================================================================================ Kapitel 4: Der Brief -------------------- Freitagnacht war eine schwierige Nacht für mich und meinen Kopf. Obwohl mich mein kuscheliges Bettchen wiederhatte und mich die Zudecke mit den eigentlich recht peinlichen Kindermotiven ebenso warm umfing wie Mihais Körper, fand ich einfach keinen Schlaf. Die Uhr schlug schon zwei, als ich auf die Lichttaste meines Funkweckers drückte. Es war anders. Alles war dermaßen anders, dass es schmerzte. Die Eindrücke, die ich an diesem Abend gesammelt hatten, hielten mich wach, gönnten meinem Hirn keine ruhige Minute mehr. Es war zu viel, um es einfach so verarbeiten zu können. Es war befremdlich, nun wieder in meinem Bett zu liegen, als sei nichts geschehen. In meinem Kinderzimmer. Eine neue Phase meines Lebens war angebrochen. Es hätte mich nicht gewundert, wenn meine Beine pink und mein Schwanz gelb geworden wären. Ja, ich gab zu, ich hatte nachgesehen, als ich mich zum Schlafen auszog. Doch da war nichts. Nichts Körperliches. Hier drin war lediglich etwas geschehen. ***** Den Samstag verbrachte ich größtenteils allein in meinem Zimmer mit meinen CDs und Computerspielen, die mich für ein paar Stunden abzulenken wussten. Erst Sonntag Morgen gesellte ich mich zu meiner Mutter an den Frühstückstisch, die nun endlich ihre Standpauke loswerden konnte, wenn auch in geminderter Form, denn ich wusste, dass sie nie nachtragend sein konnte und ihr einziges Kind über alles liebte. Nur war sie heute doch ein wenig zu besorgt, so, als habe sie gewittert, dass die vorletzte Nacht eine besondere für mich und mein Seelenleben darstellte. Vielleicht lag es auch daran, dass ich gestern für nichts und niemanden ansprechbar war und wie in meiner ganz eigenen Welt zu leben schien. Und Mum dachte sich ihren Teil... "Du hast wirklich keine Drogen genommen?" "Nein, Mama. Nur ein paar Cocktails getrunken." "Ach", machte sie nur, während sie in ihrem Küchenschrank wühlte, in dem sie wirklich alles aufbewahrte. Von Arznei, die da eigentlich gar nichts zu suchen hatte bis hin zu den üblichen Tassen und Tellern, von denen sie sich ihre liebsten Griff und sich wieder mir gegenüber setzte. Skeptische Blicke trafen erst ihr Brötchen, dann mein Gesicht. Meinte sie, sie könne es aus ihm herauslesen wie aus einem offenen Buch, sollte ich lügen? Theoretisch hätte sie mich längst so gut kennen müssen, dass sie wusste, dass mir Schwindeleien mehr schmerzten als ihr und dass mich mein Gewissen innerlich auffressen konnte. "Warst du wieder mit diesem...Rockertypen unterwegs? Dem Russen?" "Kolja meinst du. Der hat einen Namen, Mama!" Alter Falter. Mama ordnete stets und ständig jeden Menschen nach seinem ursprünglichen Herkunftsland ein, und das, obwohl Kolja hier in Deutschland geboren und lediglich seine Eltern aus der damaligen Sowjetunion nach Deutschland ausgewandert waren. Nein, er war 'der Russe'. Und ich wusste genau, dass Mum dies nicht freundlich meinte. Russen saufen Wodka wie Löcher, so war ihre Meinung, von der sie felsenfest überzeugt war und von der sie nichts und niemand abbringen konnte. Dabei trank Kolja nicht mehr als alle anderen auch, die in meine Klasse gingen. Und außer seinem recht gefährlich aussehendem Haarschnitt deutete nichts darauf hin, dass er irgendwie gemein sein könnte. War er auch nicht. Im Gegenteil. Nur, dass er Mihai 'Toastbrot' getauft hatte, das würde ich ihm ewig verübeln. Der junge Mann besaß schließlich andere Vorzüge...ganz andere... Mama seufzte, bestrich ihr Brot fett mit Marmelade, was sie, wenn sie nachher auf die Waage stieg, sicher bereuen würde. "Und da warst du in diesem Club...na ja, du weißt, was ich davon halte. Ich hoffe ja, dass du dich nicht mit irgendwelchen zwielichtigen Gestalten abgibst oder verleiten lässt, Junge." Oh, Kolja war also noch nicht zwielichtig genug ihrer Meinung nach. Was sollte denn schlimmer sein als ein Russe? "Wieso suchst du dir denn nicht mal eine nette Freundin? Da gibt's doch bestimmt eine auf deiner Schule, die dir gefällt, oder?" Sie redete noch weiter, aber schon nach diesen zwei tollen Fragen schrillten in meinem Kopf die Alarmglocken und beinahe hätte es einen Wasserfall aus purem Kakao von Mund zu Teller gegeben. Oh, da glühte die Birne lichterloh. Freundin? Ich wusste, dass diese Frage irgendwann einmal kommen musste, wunderte sich Mama doch eh schon, dass ich noch nie von einem Mädchen gesprochen hatte, in den ganzen Jahren, in denen ich mich als geschlechtsreif bezeichnen durfte. Vor einiger Zeit schon hatte sie mal so etwas angedeutet, von wegen, dass ich nicht mal wüsste, dass ein weibliches Geschlecht exisitere. Und schon da befürchtete ich, dass Mama denken könnte, ich sei eher an Jungs interessiert...ähm, ja. "Ne ja, eigentlich ist da niemand...so wirklich...ich..ähm..." Boah, ich hasste mein Sprachorgan! Meine Stimmbänder, meine Stimmlippen, den Kehlkopf und wie sie alle hießen, die eigentlich dafür sorgen sollten, dass ich ordentliche Sätze bilden konnte und das in einem ordentlichen deutsch. Aber das war wohl zu viel verlangt. Bei diesem Thema stand mir das Wasser bis zum Halse und leider war Mum nicht dumm wie Stroh, sodass sie sicher bald von meiner ersten Nacht erfahren würde. Die ich mit einem Jungen erlebte. Und dann auch noch mit einem - "Oh, es läutet..." Gott sei Dank, der Retter in der Not. Länger hätte ich diese peinliche Befragung unmöglich ausgehalten. Mama sollte nie wieder darauf zu sprechen kommen, am besten generell nie wieder irgendwelche Fragen zu meinem Leben stellen, denn es war eindeutig - "Was ist?" Mama guckte, als ob sie einen Drohbrief erhalten hatte, mit zusammengezogenen Augenbrauen und erstarrten Gliedern. Tatsächlich. In ihren Händen befand sich ein weißes Etwas, das die Form eines Briefes besaß. Komisch, denn dann musste ja derjenige, der uns eine Nachricht überbringen wollte, sich gleich verflüchtigt haben, nachdem er die Klingel betätigt hatte. "Das ist ja seltsam...da steht dein Name drauf und irgendwas auf...türkisch..." Sie hielt inne, schenkte mir einen Blick, der mich wohl tot umfallen lassen sollte. "Gibst du dich jetzt auch noch mit einem Türken ab? Und wieso schreibt er dir einen Brief im Zeitalter von Internet und Handy? Bei jungen Leuten ist das doch gar nicht mehr aktuell!" Türkisch? Nein. Gott. Obwohl Mama schimpte wie ein Rohrspatz, blendete ich sie für einen Moment einfach aus und spürte nur noch, wie mein Herz schneller zu schlagen begann. Der Brief konnte nur von einem sein. Und er war garantiert nicht von einem Türken, sondern von einem Rumänen, den ich selbst manchmal in diese Schublade steckte, weil es so attraktiv und rassig klang, dieses Wort. Weil es zu ihm passte. Oh, scheiße. Doch wieso um alles in der Welt sollte er mir einen Brief schreiben? Wir würden uns doch morgen in der Schule wiedersehen - worauf ich mich einerseits zum Kaputtgehen freute, andererseits jedoch Bauchschmerzen bekam. Sehr mysteriös. Zögerlich erhob ich mich von meinem Stuhl, griff mit unruhigen Händen nach dem Brief und nahm ihn an mich, nicht, dass Mama noch auf die Idee gekommen wäre, in ihrer Rage den Umschlag aufzureißen und zu lesen, was darin stand! Ich wäre auf den Friedhof gekommen, ganz sicher. Das war spätestens dann klar, als ich ungestört in meinem Zimmer die mit recht liederlicher Handschrift verfassten Zeilen laß. Dragului meu Jaden, wie du vielleicht weißt, bin ich nicht so gut im Schreiben. Eigentlich hasse ich es, aber heute muss es einmal sein, weil es Dinge gibt, die man leichter zu Papier bringen kann als jemandem ins Gesicht zu sagen. Jaden, unsere gemeinsame Nacht...ich weiß nicht, wie du darüber denkst, ob es dir gefallen hat mit mir oder nicht, keine Ahnung. Aber ich wollte dir sagen, dass es für mich was ganz Besonderes war mit dir. Nicht so ein stinknormaler One Night Stand wie mit anderen Männern. Es war ganz, ganz doll schön und ich habe so eine Bombenlaune schon das ganze Wochenende. Weil ich mir das mit dir schon sehr lange gewünscht habe, mich aber nicht traute, dich einfach mal anzusprechen. Ich dachte ja, dass du Mädchen magst und dass du mich sowieso nicht leiden kannst, weil ich so schlechte Zensuren schreibe. Aber dann habe ich gemerkt, wie du mich auf dem Hof angeguckt hast und da ich dann schon wusste, dass du noch keinen Sex hattest, musste ich einfach einen Schritt wagen. Und es hat sich so verdammt gelohnt. Na ja, ich wollte dich nur wissen lassen, dass ich dich ganz doll lieb habe, schon für eine sehr lange Zeit und dass ich gerne öfter mit dir zusammen wäre. Ich hab' dich so gerne Jaden, der Jack ist schon ganz sauer wegen dir, weil er das auch alles weiß, was ich für dich empfinde. Ich merke schon, auch schriftlich ist die ganze Sache ziemlich schwer, vielleicht, weil ich mich generell nicht so gut in Worte fassen kann. Aber irgendwie glaube ich auch, dass mich meine Taten am Freitag dir schon zu verstehen gegeben haben, was ich sagen wollte. Denn ich konnte es nicht länger verbergen. Nicht, wenn ich dir ohne den Schutz meiner Sonnenbrille in die Augen schauen musste. Manchmal sagt man eben mehr als tausend Worte, wenn man seine Klappe hält. Ich hoffe jetzt einfach mal, dass ich dich nicht vollkommen vergrault habe mit dem doch recht kitschigen Brief (der kein Liebesbrief ist, das klingt albern!) und dass du mich vielleicht auch ein kleines bisschen lieb hast. Muss ja nicht viel sein, aber so, dass wir mal wieder kuscheln könnten oder so. Oder was unternehmen. Te iubesc, iubitule. Te iubesc mai mult decat pot exprima in cuvinte. Mihai P.S.: Auf rumänisch kann ich es irgendwie besser sagen, da klingt es nicht so krass und peinlich. ~ "Junge, jetzt schwindel mich nicht an! Du hast was genommen, das ist eindeutig!" Ich erschrak nicht einmal mehr vor der Stimme meiner ziemlich aufgebracht klingenden Mutter, die sich wohl unbemerkt und vor allen Dingen ungefragt in meine heiligen Hallen geschlichen hatte. Da lag ich nun auf meinem Bett, an die weiße Decke mein Kopfkino projizierend und es hätte mich keineswegs gewundert, wenn meine Augen zu großen, roten Herzen mutiert wären. Es stimmte. Ich war high. Schuld waren die verdammten Glückshormone, die mein Hirn in Strömen durch mich fließen ließ, bis ich schon fast besinnungslos wurde. "Ich hab' nichts genommen, Mum...ich wurde genommen...ich..." Ja, auch das Gefühl der Scham hatten die fleißigen Hormone betäubt. Sollte sie es nun durch meine berühmte Unfähigkeit, zu lügen, herausfinden, dass ich eines schönen Abends gelocht wurde, würde ich mich zwar nach meinem Rausch in Grund und Boden schämen, jetzt aber ging mir das alles am Arsch vorbei. Mihai wollte mich - auch wenn ich die Gründe dafür wohl nie nachvollziehen könnte. War ja fast so wie bei der Schönen und dem Biest. Absolut suspekt, wieso ein dermaßen attraktiver Mann auf einen beinahe unterdurschnittlichen Typen wie mich abfahren konnte. Aber es war ja nur zu meinem Vorteil, dass Mihai irgendjemand ins Gehirn geschissen hatte. Ich durfte es nicht weiter hinterfragen, ich wollte auch gar nicht, wollte einfach nur, dass dieser Junge jetzt gleich neben mir liegen würde und ich ihn auffressen könnte, weil ich seine Gefühle so krass erwiderte. Doch erst morgen würde ich ihn wiedersehen können. Ich würde sicher sterben bis dahin. Brauch Drooogen. Ein wenig froh war ich jedenfalls, dass Mama wohl nicht gecheckt hatte, was mich hier wie abgeknallt auf der Matratze liegen ließ. Sicher fragte sie sich, wie man ihren geliebten Sohn oral oder durch die Venen einnehmen konnte, aber das war ihr Problem. Ich hatte für ein paar Stunden meinen Seelenfrieden erlangt. Ich wollte zu Mihai gehen und ihm sagen, dass es mir ein inneres Blumenpflücken wäre, mit ihm zu kuscheln oder sonstwas zu treiben. Es war schon ziemlich affig, dass ich deswegen wieder nicht einpennen konnte wie ein kleines Kind, welches in der Nacht zum 24. Dezember rätselte, was es wohl unter dem Gabenbaum vorfinden würde. Ich wusste schließlich, was ich bekam. Trotzdem bekam ich kein Auge zu und pflückte schon einmal im Vorraus innerlich Blumen, als die Uhr endlich fünfe Schlug und ich mir ausrechnete, dass ich in drei Stunden im Klassenraum sitzen würde. Noch nie hatte ich mich so auf den Unterricht gefreut. Ich war krank. Krank aber glücklich. Und müde. Doch irgendwie platzte ich fast vor Anspannung. Brauch Drooogen. ***** Der Schulhof. Ein schönes Fleckchen Erde, wenn man Sonne im Herzen und Glück in der Seele trug. Und besonders, wenn man auf einen ganz besonderen Menschen wartete, der auch kurz vor Unterrichtsbeginn noch nicht eingetroffen war, was man von meinen speziellen Freunden, nämlich der Hopperclique, nicht behaupten konnte. Aufgeregt von einem Bein auf das andere tänzelnd hielt ich mich nahe der Mauer auf, Christian argwöhnisch beobachtend und versuchend, die Angst vor ihm zu ignorieren, denn erstens wollte ich mir heute von nichts und niemandem die gute Laune verderben lassen und zweitens gab es überhaupt keinen Grund mehr, 'Like a Virgin' in meiner Gegenwart zu singen. Doch konnten sie das riechen? Leider nicht. Sie hatten mich natürlich wieder entdeckt und rückten an, die ganze Meute. Ich konnte es ihnen auch nicht stecken, das würde mir nie im Leben über die Lippen kommen. Mit stolzgeschwellter Brust zu verkünden: Ich bin keine Jungfrau mehr, seht mich an, seht mich an! Und da begann das große Zittern auch schon, während ich mich ein letztes Mal umschaute, ob Mihai denn nicht irgendwo zu entdecken wäre. Doch keine Spur von ihm. Nichtmal Jacks Riesenperücke ragte hinter irgendeinem Busch hervor. Scheiße. "Lirum larum Löffelstiel, wer keine abkriegt, wichst sehr viel." Chris schlich grinsend um mich herum. Ganz klein fühlte ich mich wieder, und mutterseelenallein. "Na, was macht die Pornosammlung, Weichei? Schön geguckt am Wochenende, ja?" Ich hasste, wie sie lachten. Ihre Stimmen, ihre Gesichtszüge, ihre Klamotten. Ihre ganze ekelhafte Art. Darauf hoffend, dass sie endlich aufhören würden, starrte ich den Boden an, wagte es kaum mehr, zu atmen Totstellen am besten. "Wieso fragst du eigentlich nichtmal den Mihai, ob er dich poppen möchte? Der knallt doch eh jedes Arschloch, egal, wie hässlich es ist." "Schon geschehen." Huch? Die Stimme kannte ich doch - und vor allen Dingen mochte ich sie. Sehr gern sogar. Obwohl die Typen noch immer um mich kreisten wie die Aasgeier, wagte ich es, einen kurzen Blick hinter mich zu werfen, um einen langersehnten Glücksschauer durch mich fahren zu spüren. Ich sah in ein dunkelbraunes, beinahe schwarzes Augenpaar, welches mich förmlich anzulächeln schien. Mihai. Jetzt brauchte ich keine Angst mehr zu haben, das wusste ich. Schützend, fast wie ein großer Bruder, legte er seine Hand auf meine Schulter, streichte mir wie einem Kätzchen über den Kopf und sorgte dafür, dass die Wahrheit über mich und mein Sexualleben endlich ans Licht kam. "Freitag Nacht hab' ich Jaden geknallt, mit ganz viel Liebe. Und er war der absolute Hammer! Von so einem Typen werdet ihr immer nur träumen können, denn mit Frauen könnt ihr das nicht erleben. Nur ein Mann weiß, was ein Mann wirklich will und wir wissen, dass wir uns wollen. Nicht, Jaden?" Triumphierend nickte ich. Meine Fresse, Mihai war absolut genial. Schließlich sorgte er dafür, dass Chris und Kumpanen abzogen, ganz ohne Schwulenwitze und -beschimpfungen, die sie nun sicher hinter vorgehaltener Hand loswurden, weil sie im Grunde viel zu feige waren, um sich mit so einem Mann wie Mihai anzulegen. Und wer Schwächere mobbt, ist eh ein Schlappschwanz. "Und, wie war ich?", grinste Mihai mich erwartungsvoll an, seine Hand noch immer auf meiner Schulter. "Gut. Nein, klasse!", erwiderte ich und konnte es mir beim besten Willen nicht verkneifen, die Zweideutigkeit in dieser Frage in Betracht zu ziehen, auch wenn es vielleicht nicht auf diese verruchte Art und Weise bei mir ankommen sollte. "Denen hast du's gezeigt. Danke!" Er seufzte, ich seufzte. Irgendwie mussten wir doch nun auf uns zu sprechen kommen, auf den Brief, darauf, dass wir uns auffressen könnten vor Freude, dass wir uns gefunden haben. Und da Mihai nichts mehr sagte und nur noch stumm hinter mir stand, musste ich dieses Mal den ersten Schritt tätigen. Schließlich war Mihai am Freitag derjenige gewesen, der gehandelt hatte. "Ich...ich hab' deinen Brief bekommen." Jaden, du verhurte Erdbeere - ein Insider mit mir selbst, der mir einmal vor gar nicht allzu langer Zeit während meiner fünf Minuten eingekommen war - jetzt leier' hier keinen sachlichen Text hinunter, das hier hat was mit den peinlichen Gefühlen zu tun, von denen deine Mutter nichts wissen darf und die ich eigentlich für ein Mädchen empfinden sollte. Also, am Riemen reißen, bitte. "...und...ich...bin fast geplatzt vor Freude, darüber, dass du mich auch magst! Ich hatt' schon Angst, dass ich nur einer von vielen war..oder so..." "Naaa, mein Jaden ist doch der Mann! Iubitule meu!" Aww, wie er seine Wange an meine drückte und mich an seine Brust zog, sodass ich fast wegen der Puddingknie die Ziegelmauer geküsst hätte anstatt ihn. Aber dazu hielt er mich dann doch viel zu fest und ich konnte seinen schönen Duft erschnuppern. Und seine Nähe machte mich endlich wieder richtig high. Doch jetzt, wo das geklärt war, musste ich noch eine Frage loswerden, die mich schon seit Freitag beschäftigte. "Du, was meinst du eigentlich immer mit diesen rumänischen Worten? Is' das was so Perverses, dass du es nicht auf deutsch ausdrücken kannst? Zum Beispiel dieses...iubu..." "Iubitule. Mhh..." Er brummte, so als ob er überlegte, ob er mich aufklären wollte oder nicht. "Nee, pervers is' es nicht. Nur so...peinlich auf deutsch, weißt du?" Nun wurde ich zunehmends ungeduldig. Ich löste mich etwas aus der Umarmung, sodass ich Mihai Angesicht zu Angesicht stand. "Und dieses...te iubesc...oder so, das heißt bestimmt 'du verhurte Erdbeere', stimmts?" "Was?" Nun lachte er lauthals los, verkniff es sich jedoch ganz eilig wieder, denn sonst wäre ich womöglich noch auf die Idee gekommen, er lache mich aus. "Jaden." Er platzierte seine Hände auf meinen Hüften, und es machte mich gleich noch higher. Wie er mir in die Augen sah. "Iubitule heißt soviel wie 'Baby' auf deutsch. Oder 'Liebling' oder 'Süßer' oder irgendsowas...und te iubesc bedeutet schlicht und ergreifend..." Seine warmen Lippen näherten sich meinem Ohr, dann hauchte er es warm und zart hinein. "...ich liebe dich." Wäre ich aus Zucker gewesen, ich wäre wahrscheinlich zerrieselt und man müsste mich mit Schaufel und Besen vom Schulhof aufkehren. Das war wirklich genauso wie in diesen kitschigen Hollywoodfilmen, bei denen die Klischeemädchen anfingen zu heulen, weil es ja 'sooo süß!' sei. Doch wie es aussah, wurde ich langsam zum Mädchen. Weil ich jetzt verstand, wie man bei Romeo und Julia quietschen konnte. "Ich...ach manno...ich liebe dich auch. Ich sag's nur nicht gerne..." Meine arme Birne glühte licherloh wie eh und je und ich schämte mich doch wirklich für die Wahrheit. Wie es schien, war diese in jeder Lebenslage etwas unangenehm. "Ich sag's auch nicht gerne", grinste da aber glücklicherweise Mihai nah an meinen Lippen, auf die er Sekunden später schon einen Mini-Kuss gedrückt hatte. "Deswegen red' ich oft in rumänisch, weil das keiner versteht." "Ich versteh dich jetzt aber ganz genau!", drohte ich, den Zeigefinger wie eine Waffe gehoben. Doch eigentlich hieß es doch 'make love and not war', also wollte ich heute einmal den Hippie geben und ganz viel Liebe machen. Mit dem Mann, der heute wieder seine wundervollen blauen Federn in den gedehnten Ohrlöchern trug. Apropos... "Nur eine Sache will ich noch wissen", setzte ich an. "Was heißt 'Eisvogel' auf rumänisch?" Mihai verzog die Augenbrauen ganz seltsam, musterte mich so, als überlegte er, ob diese Frage wirklich ernst gemeint war. "Pescăruş. Wieso?" Und die Federn wiegten sich im sanften Herbstwind, so, als nickten sie mir zu. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)