Rübenfürst und Möhrenkönig von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 3: Ein Nachbar mit Dachschaden -------------------------------------- IV. Ein Nachbar mit Dachschaden Okay… das war etwas fies gewesen… aber so schrecklich verführerisch… Jeder andere hier hätte bei seinen Worten schallend gelacht, aber Ragnar war sich im Nachhinein nicht ganz sicher, ob von Buch ihm das nicht tatsächlich abgenommen hatte. Seine Familie mütterlicherseits stammte ursprünglich aus Friesland, wo auch sein Name herrührte, und da war man auf seinen trockenen Humor recht stolz. Von Buch hatte aber nicht wirklich gelacht… Lag der jetzt in seinem schief montierten Bettchen in seiner finsteren Bruchbude und nässte ein, weil er sich von gierigen Fangzahnträgern eingekesselt wähnte…? Aber der war doch kein Kleinkind, wer bitte fiel denn auf so etwas rein? Ein Dummkopf…? Ein Stadtmensch? Ein weltfremder Designerklamotten-Junkie? Oh oh… ……………………………………………………………………………………………………………………………………………….. Jason war sich ziemlich sicher, spontan ertaubt zu sein. Sollte ja vorkommen in Stresssituationen… War er wirklich so ein Weichei? Deprimierender Weise fühlte er sich gerade so. Dabei war er auf sein männliches Auftreten immer so stolz gewesen… ein wenig verwegen… geheimnisvoll… aber hier galt wohl: außen hui, innen pfui. Oder warum hörte er hier gar nichts? Waren das die Wölfe…? Quatsch, dieser dämliche Möhren-Heini hatte ihn sauber verarscht, dachte wohl, die doofe Stadtmaus vor der Nase zu haben, die er bauerschlaue Landmaus ein wenig verkohlen konnte. Er war keine Maus… aber warum war das hier so still? Er rappelte sich hoch und tastete nach der Taschenlampe. Weiter als bis ins „Wohnzimmer“ hatte er es vorerst nicht geschafft. Das Bett im Halbdunklen allein die enge Treppe hoch zu würgen… besser nicht. Sonst würde er kein Opfer imaginärer Wölfe, sondern der Ratten, wenn er bei der Aktion ausrutschte und sich den Schädel einschlug. Außerdem war das Obergeschoss auch wenig vertrauenerweckend… Als er die Füße aus dem Bett schwang und aufstand, knirschte der Dielenboden unter ihm. Okay… war er also doch nicht taub… Er ging hinüber zum geschlossenen Fenster und blickte hinaus. Da war… nichts. Nichts, außer einem überwachsenen Hang und einer halb hinter Wolken verborgenen Mondsichel. Er öffnete das Fenster, frische Nachtluft strömte hinein – und kein Rudel hungriger Wölfe. Ansonsten… Ruhe. Die Welt schlief. Irgendwo weiter weg schrie ein Nachtvogel. Das war’s. Nein, er war nicht ertaubt, die Welt war verstummt. Jason fühle, wie eine Gänsehaut über seinen Rücken kroch. Angst war das nicht… irgendetwas anderes… wo war er hier bloß rein geraten? Wo war das Rauschen der Stadt? Die Lichter? Irgendein Anzeichen von Zivilisation? Nicht hier auf jeden Fall. Hier war nur das da… und er. Und, etwa fünfzig Meter entfernt, ein Öko-Mohrrüben-Magnat namens Ragnar Tannenberger. Mit dem würde er es wohl oder übel aushalten müssen – und der mit ihm, zumindest für ein Jahr. Und dann erzählte der ihm irgendwelche verkackten Schauermärchen! Das Hilfsangebot war ja sehr nett, auch wenn er sich auf diese Dusche im ländlichen Stil nicht gerade freute. Aber ansonsten würden ihn selbst die Wölfe bald zum Kotzen finden, auf diese Art der Sicherheit konnte er definitiv verzichten. Wirklich, sehr freundlich alles, auch wenn er sich dabei fühlen mochte wie der letzte Depp, aber in den hier erforderlichen Tätigkeiten war er nun mal nicht gerade geschult, da durfte er sich wahrscheinlich nicht über Gebühr anstellen, aber… Wölfe… na warte… ……………………………………………………………………………………………… „Hallo Nachbar!“ grüßte Ragnar den Neuzugang im Vorübergehen. Von Buch wurstelte ziemlich verloren an einem schief hängenden Fensterladen herum. Von der Schotterpiste, die von hier aus in Richtung der Felder führte, war es nicht weit bis zum Treiben des Möchtegern-Jungbauerns, der anscheinend gerade dabei war, die Fenster notdürftig wieder auf Zack zu bringen. Aber ohne Werkzeug würde er da nicht weit kommen… aber das war dessen Bier, das dürfte dem hoffentlich selber aufgehen, wenn er hier bestehen wollte. „Morgen!“ grüßte von Buch ihn mit einer Heiterkeit zurück, die Ragnar doch ein wenig überraschte. „Ein wundervoller Tag!“ jubilierte er, wandte sich ihm direkt zu, strahlte und strich sich eine seiner kokett ondulierten schwarzen Strähnen hinters Ohr. „Die Schwingungen hier – einfach wunderbar!“ „Schwingungen?“ fragte Ragnar ziemlich irritiert. „Ach…“, winkte von Buch strahlend ab. Seine Zähne waren wie aus einer Zahnpasta-Reklame – da hatte irgendein Arzt wahrscheinlich ein hübsches Sümmchen mit verdient… „Sie wissen schon…“ „Äh…?“ stammelte Ragnar nun wirklich etwas wirre. Von Buch schaute sich um, als könne sie hier jemand Falsches belauschen, dann flüsterte er verschwörerisch: „Die kosmische Energie!“ als sei das jedem sofort sonnenklar. „Ach ja…?“ stotterte Ragnar. Oh Gott! Das war deutlich schlimmer, als er es befürchtet hatte! Das war kein bloßer Luftikus, den irgendwer oder er selbst aus irgendwelchen ansatzweise logischen Gründen hierher befördert hatte – der war ernsthaft bekloppt! Sowas kam in den besten Familien vor… und jetzt hing der ihm an der Backe… und er hatte nicht mal einen Zaun, geschweige denn eine Selbstschussanlage! „Deswegen wachsen die Möhren hier auch so gut!“ verriet ihm von Buch. „Die fühlen es auch… Rüben sind da auch sehr sensibel…“ Ragnar konnte ihn nur anstarren. Nein… bitte nicht…! Oder… oder… verarschte der ihn?! „Deshalb“, gestand ihm von Buch unverdrossen, „musste ich meinem Leben eine andere Richtung geben. Ich habe es einfach irgendwann gewusst… eine… Erleuchtung, genau! Irgendwann werden „sie“ kommen! Mohrrüben sind fantastische Indikatoren, da haben Sie weise gewählt. Sobald ich den Laden hier klar habe, werde ich auch mal sehen… Ich will Ihnen ja keine Konkurrenz vor der eigenen Haustür machen, da bin ich solidarisch, man muss ja auch solange über die Runden kommen, bis es soweit ist… aber Rüben… Zuckerrüben… oder vielleicht Rettiche? Wäre das okay?“ „Von mir aus!“ keuchte Ragnar. Nein, der meinte das ernst! Der war verrückt! Der war kein verwöhnter Schönling – okay, das wohl auch den Klamotten nach – der hatte in erster Linie ein Rad ab! Kosmische Strahlung! Außerirdische?! Und das ihm! Er war ein unter die Agrarökonomen gegangener Ingenieur, er hasste solchen Blödsinn! Hoffentlich versagte der da auf ganzer Linie bei seinen Sanierungsmaßnahmen und trollte sich wieder – gab bestimmt auch anderorts klasse Schwingungen! „Deswegen habe ich auch keine Angst vor den Wölfen, wissen Sie… Ich habe Kräfte! Haben „sie“ mir verliehen! Ist auch in den Möhren, daher sind die so gesund! Wenn die Graupelze kommen – rufen Sie mich nur! Ich werde sie rompirutisieren!“ schwor von Buch voll Enthusiasmus. „Sie werden die: Was???“ ächzte Ragnar. Er hatte das Gefühl, der andere würde ihn mit Dauerfeuer unter Beschuss nehmen. Einem Dauerfeuer aus lauter kleinen Irrsinns-Kügelchen. „Pssst!“ brachte ihn von Buch zum Schweigen. „Sonst hören sie uns noch… die „anderen“… Sie wissen schon! Und ich bin mir nicht sicher, ob ich schon stark genug bin, um die auch zu rompirutisieren… Vielleicht könnten wir ja zusammen üben? Ich kann die Möhren bei Nacht singen hören… sie flüstern zu mir… Es steckt viel Kraft, viel Weisheit in den Möhren!“ „Auf gar keinen Fall!“ stieß Ragnar entsetzt hervor. Von Buch zog ein trauriges Gesicht. „Wie schade… Ich dachte, wir seien voll auf einer Wellenlänge… wie füreinander geschaffen… Sie mit ihren imaginären Wölfen… und ich mit den imaginären Aliens…“, trauerte er demonstrativ. „Sie haben mich verscheißert!“ entflammte in Ragnar das Licht der Erkenntnis. „Können diese Augen lügen?“ lächelte von Buch und sah ihn aus blauen Kulleraugen an, die nicht so ganz in sein männliches, von einem leichten Bartschatten pittoresk betontes Gesicht zu passen schienen – und da wohl auch nicht wirklich hin gehörten. Eins musste er dem lassen – der war wirklich gut. So leicht verarschte man ihn nicht. Lag auch mit daran, dass er diesem auf Hochglanz polierten Trottel, der aus sehr ominösen Gründen in diesem ruinösen Haus herumhing, wahrscheinlich so Einiges zugetraut hätte, selbst das. Selber schuld. „Hier gibt es Wölfe!“ bestand er stur. „Klar, die warten nur darauf, bei mir einzumarschieren, sicher. Vielleicht bin ich an diesem Ort gelinde gesagt deplatziert, aber völlig blöde bin ich nicht!“ stellte von Buch klar und schaute wieder normal aus der Wäsche. „Schon gut. Tut mir echt leid. Ich wollte Ihnen keine Angst einjagen“, entschuldigte sich Ragnar. „Angst?“ erwiderte von Buch beleidigt. „Nix da. Aber ich merke schon, wenn man mir krumm kommt. Ich komme auch nicht aus dem Lummerland. Und ich bin auch nicht gerade freiwillig hier.“ „Was treiben Sie denn hier überhaupt?“ erkundigte sich Ragnar, die Chance nutzend, seiner Neugierde nachzugeben. „Wurde zwangsverdonnert“, erklärte von Buch kurz angebunden. „Wenn ich es nicht schaffe, diesen jämmerlichen Laden mit minimalen Mitteln innerhalb eines Jahres wieder flott zu bekommen, dann kann ich meinem Erbe hinterher winken. Und selbiges besteht keinesfalls bloß aus diesem Kackhof hier.“ Ragnar pfiff durch die Zähne. Also daher wehte der Wind… das war in der Tat ein verwöhntes Schnösel-Söhnchen, hatte er doch Recht gehabt! Das geschah dem nur Recht, musste der sich doch glatt die Finger mal dreckig machen. Wenn er daran dachte, wie er sich abgerackert hatte… und wie andere das taten, um über die Runden zu kommen. Und der latschte hier in seiner Gala-Garderobe über den Acker, obwohl das wahrscheinlich nicht mal seine Gala-Garderobe war. Für das Geld, das der am Leibe trug, konnte man in Afrika wahrscheinlich ganze Dörfer vorm Hungertod retten… aber da sollte er selber auch besser still sein, ein Beispiel an sozialem Engagement war er nun auch nicht gerade. Aber wer auch immer von Buch diese Aufgabe gestellt hatte, dem war nur zu gratulieren. Das konnte dem nur guttun – aber warum ausgerechnet vor seiner Haustür?! Arbeit konnte etwas sehr Erfüllendes sein, wenn man darüber nicht alles andere aus den Augen verlor – aber musste von Buch das ausgerechnet Tür an Tür von ihm erfahren? Vielleicht fiel er auch auf die Fresse… aber eigentlich wünschte ihm Ragnar das nicht… Er konnte schon verschmerzen, dass von Buch ihm Paroli geboten hatte. Aber warum musste der das alles ausgerechnet hier treiben! Eine innere Stimme flüsterte Ragnar, dass das eventuell Einfluss auf sein ruhiges Alltagsleben haben könnte, und darauf konnte er eigentlich gut verzichten. „Na, dann mal viel Erfolg…“, purzelte aus ihm heraus. „Es ist Regen angesagt – ist Ihr Dach eigentlich dicht? Wie auch immer, eventuell helfen dann ja doch die Aliens, die haben ja eine Schwäche für Leute mit Dachschaden. Ich drücke ganz fest die Daumen!“ „Dankeschön!“ freute sich von Buch falsch. „Oh… war das ein Hase? Sah irgendwie hungrig aus…“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)