Extravaganza von Sengo-sun ([HolmesxWatson]) ================================================================================ Kapitel 25: Verletzungen und ihre weitreichenden Folgen ------------------------------------------------------- Er fühlte sich taub, als er den Weg die Treppe hoch einschlug, Hotelgäste schauten ihn mit seltsamem Blick an, es war ihm egal. Er fühlte sich müde, träge und kraftlos… Alles auf einmal und in seinem Hinterkopf rauschten Woyzecks Worte, immer wieder einem unheiligen Echo gleich. Als er im Hotelflur stand, erstarrte er und senkte schuldbewusst das Haupt. Der Baron stand da und betrachtete Mirco. Diesem entging der leicht zornige, leicht sorgenvolle Blick nicht, die Anspannung, sowie der grauen Schatten einer Krankheit mit Todesfolge prangerten die kühlen Züge seines Chefs an. Die Wangen wirkten eingefallener, die Lippen spröder, als wäre der stolze Mann vor Mirco nichts mehr als die letzten Überbleibsel einer Leiche. Ein Geist, traf die Erscheinung des Barons wohl eher. „Ich hoffe doch, er hat nichts getan.“, erklang die Stimme des Barons in Mircos Muttersprache. Mirco schüttelte den Kopf. „Nein.“ „Lüg nicht, Junge, ich sehe die Wunde selbst in dieser Entfernung, sowie dein umnebelter Verstand. Du taumelst, als hättest du Drogen eingenommen.“ Es war eine Peitsche, gekleidet in ruhigen Worten. Der Baron konnte einen mit Worten umbringen flüsterten dessen Gegner, nun erfuhr es Mirco am eigenen Leib. Solch eine Kraft, solch eine Kälte, vermochte es andere zu töten, nicht körperlich, sondern tiefer, viel tiefer mit weitreichenderen Folgen, als schlichter physischer Tod. „Was wird er tun?“, wisperte Mirco und duckte sich etwas. Der Baron schnaubte leicht verächtlich: „Habe ich das nicht bereits gesagt? Er wird spielen, soweit er dazu fähig die richtige Bedeutung des Wortes ‚spielen‘ zu begreifen.“ Kurz ballten sich Mircos Fäuste, er musste es wissen, schließlich sollte dies ein Ende finden! All das Grauen sollte vorbei sein! Ruckartig hob er den Kopf, straffte seine Gestalt und sah dem Baron in die Augen. Dieser begegnete seinem Blick mit gefährlich ruhiger Geduld. „Was habt ihr mit Woyzeck zu schaffen, Herr?“ Zuerst sah es so aus, als wollte der Baron nicht antworten und Mirco anschweigen, dann: „Ich habe ihn getötet, das habe ich mit ihm geschafft, jetzt will der Rest seines toten Geistes mir zeigen, was er dadurch gelernt hat…“ Verwirrt runzelte Mirco die Stirn: „Ihr sprecht in Rätseln.“ Der Baron lächelte: „Darum lebe ich noch, Mirco, darum lebe ich noch… Komm, du siehst grauenvoll aus.“ Am nächsten Morgen wurde ich durch ein Rempeln, gefolgt von einem gepressten Stöhnen, welches nur schwerlich gedämpft klang, aus dem Bett gerissen. Vermutlich war das Geräusch nicht wirklich laut gewesen, doch ich hatte im Lazarett und auf dem Feld die Schmerzensschreie Verletzter unter dem Lärm von Detonationen vernehmen und unterscheiden können. Höchstwahrscheinlich verdankte ich diesen extrem Situationen, dass ich Sherlocks gepeinigtes Stöhnen überhaupt wahrnahm. Ruckartig und bis zu den Zehen alarmiert, sprang ich aus dem Bett, hastete ins Wohnzimmer und erblickte ein seltenes Bild der Unbeholfenheit, sowie Hilflosigkeit im Kontext mit Sherlock Holmes. Mein Wohngenosse lag sich die geprellten Rippen haltend, ausgestreckt am Boden. Um ihn herum lagen umgekippte Stapel von Büchern, sowie zersplitterte Keramik Scherben, die sich einem Kranz gleich um seine Gestalt ausbreiteten. Eine Hand klammerte sich vergebens am Stoff der Sofalehne, während sein Mienenspiel eine Maske aus Schmerz in all seinen äquivalenten Formen und Facetten darstellte. „Hab ich nicht gesagt, du sollst dich nicht bewegen?“ Ich eilte zu ihm und half ihm auf. Unsere Bewegungen entsprangen einer Behutsamkeit, als würde jeden Augenblick Sherlocks Körper zusammenfallen. „Hatte plötzlichen Gedankengang“, nuschelte Sherlock, während Schweißperlen auf seine Stirn traten. Er wirkte noch zerrütteter und müder als letzte Nach. Das Veilchen stach noch mehr hervor und die aufgeplatzte Lippe wirkte… irgendwie… auf mich schmerzlicher als auf Sherlock, denn es verunstaltete nicht nur diesen, nun ja, irgendwie anziehenden Mund (vor allem für Frauen!), sondern zeigte mir, wie leicht es war, dieses Genie zu verletzen. Mit einem gepressten Keuchen sank mein Wohngenosse auf das Sofa, er legte den Kopf mit halbgeschlossenen Augen in den Nacken und verfolgte meine Bewegungen mit einer trägen, abwartenden Intensität, die mich seit gestern Nacht zu verfolgen schien – stärker und einnehmender als sonst. „Hast du nicht ständig ‚plötzliche Gedankengänge‘?“, meinte ich zynisch und stapfte in Sherlocks Zimmer, dort hatte ich den Verbandskasten liegen gelassen, hinter mir ertönte die tiefe Stimme Sherlocks: „Nicht diese Art von Eingebung! Sie ist essentiell für den weiteren Verlauf des Falles! Es war ein winziges Detail und es wäre mir beinahe entgangen, stell dir dies vor! ... wenn nicht…“ Ich kehrte zurück ins Zimmer und starrte ihn an. Er runzelte die Stirn beim Anblick meiner entgleisten Gesichtszüge. Gedanken schlossen sich ratternd zusammen, bis: „Nicht gut?“- „Nicht angebracht in dieser Situation.“-„ Du willst nicht, dass ich weiter forsche.“ Es hätte bei normalen Menschen eine Frage sein sollen, nicht so bei Sherlock. Ich seufzte: „Ich möchte, dass du jetzt nichts in Sachen Falllösen etc. machst, sondern einfach ruhig im Bett bleibst und dich auskurierst. Dies sage ich nicht nur als Freund, auch als Arzt vertrete ich diese Meinung!“ Zuerst empörtes Schnaufen, dann ein nachdenklicher Blick, der ins genervte wechselte: „Dieser Fall hat eine sehr große Eigendynamik und entfaltet sich zu einem wunderbar abstrusen Problem und du willst, dass ich ihn aufgebe?“- „Kurzfristig, Sherlock! Nicht komplett, sondern bis du fit genug bist.“ Ich merkte erst dass ich die Hände rang, als ich das spöttische Lächeln auf den bleichen Lippen sah und das kurze Zucken seiner Augen in die Richtung meiner Finger registrierte. „Sei doch einmal vernünftig! Es bringt nichts, mehr tot als lebendig auf Verbrecherjagd zu gehen.“, stieß ich hervor und kreuzte die Arme vor der Brust. „Kannst du es verantworten, dass Woyzeck weiter mordet? Falls es dir entgangen ist, oder du es lediglich gesehen aber nicht wahrgenommen hast: bis jetzt war all das der Anfang. Es wird weitergehen… dieser Mann kann nicht anders, es ist ein Zwang, der ihn dazu verleitet… Beinahe Wahnsinn… Ich liebe die Wahnsinnigen, sie tun die verrücktesten und sinnlosesten Dinge und schreien danach gefangen genommen zu werden! John, auf diesen Fall habe ich gewartet – rein metaphorisch gesprochen- und jetzt, wo ich davor bin ein weiteres Verbrechen zu verhindern, verlangst du von mir, ruhig die Hände in den Schoß zu legen, eine Tasse Tee zu trinken und abzuwarten? Also bitte!“ Trotz und ehrliche Verdrießlichkeit sprach aus ihm hervor. „Ja, ich verlange von dir, dass du einmal nicht losrennst und deinen Körper bis zum Exodus treibst! Ohne deinen Körper nutzt dir auch dein Verstand nichts! Wie willst du Fälle bearbeiten, wenn du nicht mehr existierst! Du scheinst andauernd zu vergessen, dass man mehr benötigt als nur das Gehirn, außerdem benötigt dieses Sauerstoff und einen gesunden Körper zum arbeiten…“ Ich rieb mir die Nasenwurzel und wünschte mir einen einfacheren, verständnisvolleren Patienten… Doch man durfte im Leben nicht wählerisch sein… Es war Teil von meinem Leben geworden, Sherlock zu erklären, dass Geist und Körper zusammen funktionierten, nicht getrennt. Auch wenn er es schaffte tagelang ohne Schlaf und Essen zu überleben, lediglich von der Kost von Koffein und Nikotinpflastern. Ein leidgeprüftes Stöhnen erklang vom Sofa und ich fühlte mich in der Zeit zurück gesetzt. Da war er wieder, der Sherlock Holmes, dessen Verstand zurück in den Leerlauf zu fallen drohte, der erneut in den grauenhaften Genuss des Alltags und der Lethargie kommen sollte. Und auf einmal wurde mir bewusst, dass die nächsten Tage schrecklich lang und ermüdend sein würden. Denn ich musste wieder arbeiten, zurück in die Klinik und dort Menschen versorgen, Hypochonder und richtige Patienten, während ich gleichzeitig dafür sorgen musste, dass Sherlock im Bett blieb und sich auskurierte… Ich dachte zurück an meine Verteidigungsmöglichkeiten – oben war mein Stock… Oh, nein! Siedend heiß fiel mir plötzlich ein, dass Sherlock immer noch meinen Revolver besaß! Ich vergrub das Gesicht in den Händen und spürte jetzt schon die Kraftlosigkeit der kommenden Tage. Höllisch würde gar kein Ausdruck sein! Die Hölle war dagegen ein Kindergarten mit zusätzlicher Eispartie! Im Geiste verabschiedete ich mich von meinem gesunden Menschenverstand, von allem Rationalen – wenn ich es nicht bereits bei der ersten Begegnung mit Sherlock getan hatte – und versuchte mich für die nächsten Prüfungen vorzubereiten: es würde hart werden, ohne Zweifel. Härter als man sich vorzustellen wagte. Ich wandte mich um, ging in die Küche, setzte dort Wasser auf und begann Zeitung zu lesen. Es hieß Gewohnheiten ebneten das Leben des Menschen, halfen ihm jeden Tag zu beginnen, hoffentlich war dies nicht nur irgendein Gerücht. So versteckte ich mich hinter der Zeitung, schielte kurz über sie hinweg und betrachtete Sherlock, diesem schien langsam das Ausmaß seiner Verletzungen bewusst zu werden, denn auch seine kühle Miene zeugte von deutlicher Missgunst. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)