Extravaganza von Sengo-sun ([HolmesxWatson]) ================================================================================ Kapitel 24: Stille, deren Ausmaß unendlich ist ---------------------------------------------- Seine Silhouette stach im Türrahmen hervor. Schatten umspielten seine schlanke Gestalt, Lichter von vorbeifahrenden Autos erhellten ihn von hinten in unregelmäßigen Abständen, ließen ihn größer erscheinen als er war. Das gelbe Band war weg, sowie der Rest seiner Verkleidung. Unschlüssig hingen seine Arme herab, doch da war dieser forschende Blick, der über mich glitt – rauf und runter, rauf und runter, immer wieder, als suche er eine Antwort auf etwas, das ich nicht verstehen konnte oder nicht sah. Es waren nur ein paar Tage in denen wir uns mit diesem Fall beschäftigten, doch es waren Tage angefüllt mit einer unsagbar langgezogenen Zeit, die an die Ewigkeit zu grenzen schien. Ich erhob mich leicht. Diese Situation wurde mir etwas unangenehm, denn ich wusste nicht, wie ich ihr entgegentreten sollte. Das hier war anders. Anders als Afghanistan, anders als Moriarty, anders als die Fälle davor. Und ich kam damit nicht wirklich zurecht. „Ich wollte Verbandszeug holen.“ Sagte ich, einfach nur um einer sinnlosen, fehl am Platze wirkenden Konservation willens. „Ist in meinem Zimmer, vorläufig.“ Sherlock schien ebenso überfordert mit diesem Augenblick zu sein. Dass das Präsenz so unglaublich intensiv und erschreckend lang sein konnte, war mir bis zu diesem Moment nicht bewusst. Ich schluckte leicht und nickte, verdrängte die Tatsache, dass Sherlock womöglich wegen eines Experimentes den Verbandskasten umgestellt hatte und quetschte mich durch die Tür. Unsere Körper streiften einander, die Luft wurde merklich dicker und das dämmrige Grau im Wohnzimmer wirkte so unendlich, so ewig, so einnehmend. Ich ging in Sherlocks Schlafzimmer, ignorierte den Kleiderhaufen vor dem Bett und entdeckte den Kasten mit dem Kreuz darauf in einer Ecke des Raumes. Leicht frustriert seufzte ich und hob den Kasten auf. Leises Rascheln ertönte, als Sherlock über die verstreut liegende Kleidungsstücke trat. Schlanke, helle Finger begannen langsam die ersten Knöpfe des dunklen Hemdes aufzumachen. Ich erstarrte, um kurz darauf verwirrt den Kopf zu schütteln. Sherlock war jetzt einer meiner Patienten – womöglich gehörte er zu meinen Stammkunden – und darum war es notwendig, dass er sich auszog, damit ich genauer betrachten konnte, was er alles abbekommen hatte. Außerdem war ich bereits vor einigen Stunden in den Genuss gekommen, einen Sherlock Holmes entblößt vor den Leuten des Scottland Yard zu sehen, sowie deren Gesichter. Folglich war es nichts Neues für mich, ihn unbekleidet zu sehen… Generell besaß er nicht mehr als ich. Anatomisch gesehen besaßen wir dieselben Dinge, wie jeder andere Mann auch. Ich schob diese skurrilen Gedanken auf die Seite, klappte den Kasten auf und inspizierte diesen. Wer wusste schon, was Sherlock alles dort drinnen hinterlassen oder rausgenommen hatte. Stoff glitt zu Boden, ich sah wie er sich auf den anderen Kleidungstücken zusammenfaltete, ein weiterer Teil des Gebildes wurde, welches den Boden in Sherlocks Zimmer annektierte. Ebenso nahm ich wahr, wie sich ein geschmeidiger, schlanker Körper auf das Bett zu bewegte. Ballett, es erinnerte mich an diese hochgeschätzte, perfektionsgleiche Form des Tanzens, ein Spiel aus Disziplin und ästhetischer Muskelarbeit. Ich erhob mich, blinzelte kurz, um auch dies Gedanken auszuradieren und ging auf Sherlock zu. Er saß da, betrachtete mich – stumm, als wären all seine spitzzüngigen Worte verstorben. Als ich jedoch in seine Augen sah, musste ich mich rügen, denn dort purzelten, stapelten, rammten, schlugen und traten sich sprachlose Worte, Eindrücke, gewandet in einer lodernden Dunkelheit, die seine Augen fast schon nachtgrau wirken ließen. Worte hätten all dies zerstört, auch wenn ich nicht wusste, was genau es war. Ich war froh um die fehlende Präsenz von Worten, obwohl diese steigende Intensivität mir das Atmen erschwerte. Behutsam begann ich mit automatisierten Griffen, den Körper vor mir abzutasten. An Sherlocks rechter wie linker Seite prangerten dunkle, fast schon blauschwarze Hämatome, sie breiteten sich über seine Rippen aus. Das waren eindeutig Fußtritte, ich glaubte sogar den Abdruck der Schuhsohle zu erkennen. Ich biss mir auf die Unterlippe. Langsam fuhren meine Finger zum Ende der Rippenreihe, ich tastete auf der sich langsam abkühlenden Haut, spürte den gebrochenen Widerstand der letzten zwei Rippen. Wie Sherlock gesagt hatte: gebrochen. Prüfend glitten meine Hände zurück zu den Hämatomen, drückten leicht dagegen. Ruckartig und mit einem scharfen Zischen, hob sich Sherlocks Brust, ehe sie sich wieder abgehackt senkte. Ich spürte seinen vorwurfsvollen Blick, doch er blieb seltsam ruhig. Ich wandte mich seinen Unterarmen zu. Nur Hämatome, dafür jedoch eine ganze Menge. Widerstandslos ließ Sherlock zu, dass ich seinen Arm näher zu mir schob, schwer lag seine Hand in meiner, während meine freie Hand über die angeschwollenen Stellen fuhr. Da konnte ich nicht viel machen, nur schwellungshemmende Creme. Mein Augenmerk glitt runter, Schürfwunden prangerten auf dem Handgelenk, unter heller Haut sah ich bläuliche Adern, unbewusst zeichneten meine Finger sie nach, ehe sie über die aufgeschürften Stellen strichen. Es war kein Pflaster nötig, aber desinfizieren wäre das Beste, ich wusste ja nicht wodurch Sherlock sich die Kratzer eingefangen hatte. Mechanisch griff ich nach dem Spray. Ich musste nichts sagen, spürte wie sich Sherlock mit einem leisen Luftholen auf das kurze Brennen vorbereitete. Nachdem ich damit fertig war, betrachtete ich kopfschüttelnd die blutig geschlagenen Knöchel, sowie abgewetzte und aufgeplatzte Haut auf dem Handrücken. Irgendwann war ich mit den Händen fertig und hob den Kopf. Grauer Stahl gefangen in einer finsteren Hitze, begegnete meinem Blick. Es kostete mich eine immense Kraft nicht zurück zu zucken. Wellen dunkler Locken hingen, nein klebten an einer Stirn, die von einem leichten Schweißfilm überzogen war. Hatte ich Sherlock Schmerzen zugefügt? Sein Blick ließ sich nicht deuten, doch er schien mich schier zu zerfressen, in sich aufzusaugen, um mich nimmermehr freizugeben. Es ließ mich frösteln. Erneut versuchte ich diese seltsame Intensivität im Raum zu verdrängen, ebenso wie die Wärme des anderen Körpers, sowie die völlig einnehmende Präsenz meines Kollegen, wie sie jeden Zentimeter ausfüllte und mich zu umschmeicheln schien. Nebst den Blessuren des Kampfes nahm ich die Müdigkeit wahr, die an seinem Gesicht zehrte. Behutsam umfasste ich sein Kinn, betrachtete eingehend die aufgeplatzte Lippe, sie blutete nicht mehr, dennoch hatte sich Sherlock nicht die Zeit genommen sie zu säubern. Mein Seufzen schien in dieser eigenartigen Stille unterzugehen. Ich tupfte seinen Mund ab, spürte weiterhin diesen forschenden Blick, wie er sich in mein Gedächtnis zu brennen schien, ein Teil meiner Erinnerung wurde. Sherlock öffnete den Mund, unser Atem vermischte sich, dann verzogen sich seine Lippen schmerzhaft, als ich etwas zu fest tupfte. Mein Gesicht blieb reglos, während ich die Watte weglegte, welche ich zum Säubern benutzt hatte und anfing Sherlock Kopf leicht zur Seite zu drehen. Sein Blick blieb weiterhin an mir hängen. Der Riss an seiner Braue sah schlimmer aus als er war, ebenso das Veilchen auf seinen scharfgeschnittenen Wangen. Nichts, was sonderlich lebensbedrohlich war, nur äußerst schmerzhaft. Ich glaubte zu spüren, wie Sherlocks Gesicht sich näher gegen meine Hände drückte. Ich runzelte die Stirn und das Gefühl eine Wange in die Hand geschmiegt zu bekommen war verschwunden. Ich räusperte mich und ließ sein Kinn los. „Du wirst einige Tage Schmerzen wegen der Rippen verspüren, am besten ist es, wenn du in der Zeit, wo die gebrochenen Rippen wieder zusammenwachsen, nichts Großartiges unternimmst: kurz: bleib im Bett.“ Damit stand ich auf, packte mein Zeug und wandte mich zum Gehen. „Hm.“, vernahm ich Sherlock, doch es klang als sei er tief in den Wirren des Falles versunken und hätte einen interessanten Gedanken gefunden. „Danke, John…“, zuerst traute ich meinen Ohren kaum, doch als ich mich umdrehte, zurück zu meinem Freund und Wohngenossen schaute, hatte dieser sich in sein Bett sinken lassen und starrte über seine aneinander gelegten Finger. Der Blick unter halbgeschlossenen Augen schien seltsam entrückt und ich war mir sicher, dass ich für heute kein weiteres Wort von ihm zu hören bekommen würde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)