Extravaganza von Sengo-sun ([HolmesxWatson]) ================================================================================ Kapitel 22: Ein Gebilde aus Alpträumen -------------------------------------- Die grüne Tür schwang auf, ein Mann trat auf die Straße, Züge bleich, ausgezehrt. Die Parteien hinter Woyzecks Stirn kreischten auf. Er war es nicht! Der Mann war es nicht! Woyzeck hatte ihn angerempelt, doch er war nicht der Dämon mit den grauen Augen. Kalter Stahl hätte nicht lieblicher dreinschauen können, wie dieser Mann! Woyzeck lehnte gegen eine Laterne. Nebel wallte auf. In seiner behandschuhten Hand hielt er ein zerfleddertes, altes Buch. Langsam hob er es hoch, blätterte darin herum. Die Parteien, welche so unsäglichen Krach machten, schwiegen. Im Augenwinkel sah er, wie der Mann in seine Richtung kam. Kurzes blondes Haar, kleiner als er, militärischer Gang- Eindrücke fluteten seinen Kopf, zerrten an seinen Sinnen, die er nicht kontrollieren konnte. Wind wehte den blonden Mann hinterher als er an Woyzeck vorbei schritt. Das Herz in seiner Brust begann zu hämmern. „Harlekin…“ dieses Wort leise vor sich hin murmelnd, stieß er sich von der Laterne ab und folgte dem Mann. Er mochte es zwar nicht sein, doch Woyzeck spürte es wieder… dieses Ding in ihm… „Harlekin… Albertine…“ Ob es nun Mittag, Nachtmittag oder anbrechender Abend war, vermochte man nicht am Wetter zu erkennen. Stundenlang strahlte ein gräuliches, tristes Licht vom Himmel darnieder, drückte meine Stimmung ebenso runter, wie die Wohnung in der Baker Street. Ich sah mich um. London begegnete mir mit einem anonymen, irgendwie faden Blick, es schien abzuwarten… auf was wusste ich nicht – noch nicht. Ich ließ mich von meinen Schritten leiten, fort von meiner Wohnung… vor allem jedoch fort von Sherlock und den verletzenden Worten. Einige Zeit des Herumirrens und Laufens später, saß ich in einem Pub. Ein stetes, pulsierendes Gewirr aus Stimmen hallte im Hintergrund wieder, während in meinem Kopf das Raunen wie ein Schwarm schwarzen Gewissens herumschwirrte. Ich starrte in meinen Pint und wusste nicht so recht, was ich nun machen sollte. Normalerweise renkte sich alles wieder ein… es waren nie wirklich die Worte ‚es tut mir leid‘ oder schlicht ‚entschuldige‘, sondern die nonverbalen Vereinbarungen. Ein morgendliches Frühstück, keine extremen Experimente – auch wenn dies nur zeitlich bedingt war- und auch ein kleines Lob, versteckt in einem zynischen Monolog seitens des Genies. Kurz schloss ich die Augen. Woyzeck lächelte freudlos. Ein Pub war immer so voll, so unerträglich überfüllt… aber ein Gutes hatte die Enge des Raumes: die Stimmen übertönten den Zwist hinter Woyzecks Stirn. Mit höflichem Nicken nahm er sein Getränk entgegen. Nachdenklich glitt sein Blick über die bernsteinfarbene Flüssigkeit. Er wusste, Alkohol würde zu einigem führen… zu Kontrollverlust… Er lächelte, diesmal mit Freude. Der blonde Mann schien jedoch im Sumpf seiner Gedanken zu ertrinken… Vielleicht sollte Woyzeck…? „Doktor Watson?“ Ich zuckte zusammen und drehte mich abrupt um. Rotblonde Locken kringelten sich um ein aschfahles Gesicht. Mirco sah grauenvoll aus, Blessuren und Müdigkeit ließen seine Züge in einer Maske des Entsetzens erstarren. Ich registrierte ein leichtes Beben, wie es von Mircos Körper Besitz ergriffen hatte. „Um Himmelswillen! Wie sehen sie denn aus?“ Ich klopfte auf den Hocker neben mir, kurz blinzelte er und schluckte. Ich konnte einen violetten Fleck an seinem Hals erkennen, ebenso eine punktuelle Blutkruste in der Mitte jenes Fleckes. Mirco lächelte, doch es wirkte verzerrt und verstärkte seinen miserablen Anblick nur noch mehr. „Ich glaube dies wäre wohl das Beste in meinem jetzigen Zustand.“, seine tiefe Stimme klang gebrochen und in seinen Augen konnte ich einen verklärten Ausdruck erkennen. „Haben sie etwas genommen?“, zischte ich mit gedämpfter Stimme in seine Richtung. Mirco schüttelte benommen den Kopf: „Ich bin mir nicht sicher… Eigentlich wollte ich nicht hier sein… ich muss zum Baron… Aber da, ich sah sie, vorne an der Ampel, hab gedacht ich könnte… ich weiß auch nicht…“ Stöhnend sackte er leicht in sich zusammen, schwer fielen seine Schultern nach vorne. Ich bestellte für ihn etwas. Als sein Getränk vor ihm stand, klammerten sich seine Finger so stark daran, dass die Knöchel weißlich hervor traten. Er wirkte weitaus mehr als nur nervlich zerrüttet, er schien vor einem großen Zusammenbruch zu stehen. Als sich unsere Blicke trafen, griente mir namenloses Grauen aus seinen Augen entgegen. Woyzeck stierte auf den rotblonden Jungen. Töricht, töricht, sollte der Diener nicht zurück zum Herrscher? Da durchzuckte ihn ein Gedanke… Es würde so viel versüßen, nicht wahr?... doch da war der Gedanke wieder fort. Kopfschüttelnd trank Woyzeck das Glas lehr, legte Geld auf seinen Platz und stand auf… er wusste was der Junge dem Mann erzählen würde… Alles schien genau auf das richtige Ereignis zuzulaufen… Vergnügt verließ Woyzeck den Pub… Doch nun musste er eine letzte, eindeutige Einladung versenden, dann durfte er Harlekin spielen… Ja, genau, dann ging das Spiel in die nächste Runde… Woyzeck starrte durch das Fenster des Pubs, betrachtete die angespannten Züge der zwei Verschworenen – Arzt und Patient… Er lachte leise auf… Er kannte solche Konstellationen… nur hatten sie nie bei ihm funktioniert – leider… armer, kleiner, dummer, blöder Woyzeck, war nicht gefeit genug solche Beziehungen lange auszuhalten… Er verließ die Straße, wandte sich der Dunkelheit des urbanen Ungeheuers… London war so dicht besiedelt, von Schatten und Unrat, eine perfekte Geburtsstädte für Menschen wie ihn… „Ich habe ihn verfolgt…“ Flüsternd spie Mirco die Worte regelrecht aus, sein Akzent klang durch seine Nervosität noch stärker als sonst. „Wen?“, fragte ich eindringlich und beobachtete den Jungen. „Woyzeck“ Der Name klang wie das Unheil höchstpersönlich. „Der Schwager des Barons?“ „Schwager? Ha! Das ich nicht lache… Oh nein, Doktor Watson… er ist nicht der Schwager meines Chefs.“, bitter schnaufte er und klammerte sich stärker an sein Getränk. Ungeduld wuchs in mir und wischte meine deprimierenden Gedanken gegenüber Sherlock und mir fort. „Was dann?“ Ruckartig sah Mirco auf. „Der Baron sagte mir, es wird ein blutiges Spiel geben, Doktor, und ich habe das ungute Gefühl, dass wir involviert sind und unsere Köpfe zuerst rollen werden. Wussten sie, dass Woyzeck ein Synonym von vielen ist, den man diesem Alptraum geschenkt hat? In Frankreich nannte man ihn die moderne Bestie von Gevaudan… und in meiner Heimat, war er ein wiederkehrender Dämon…“ Mirco fuhr sich rüde übers Gesicht. „Ich war so leichtsinnig… Ein hirnrissiger Idiot! Ich dachte ich könnte ihn fangen, aus einem Mythos ein reales Gebilde schaffen, doch am Ende hat er mir aufgelauert… Ich will nicht, dass er weiter durch die Welt geistert, unaufhaltsam und böse… auch wenn ich es verabscheue Menschen einfach so abzustempeln… aber Woyzeck… Er hat etwas mit dem Baron zu tun und es ist mir egal was es ist, ich will das mein ‚Chef‘ in Sicherheit ist… ich schulde es ihm.“ Mirco trank einen Schluck, dann sah er mich eindringlich an. „Verstehen sie mich? Ich will das es aufhört und das Leben weitergeht und nicht an diesem… Mann hängen bleibt.“ Ich schwieg eine Weile… Woyzeck war also auf ein Spiel aus. Bei dem Gedanken fröstelte es mich, es erinnerte mich an Moriarty. Ja, ich verstand ihn, auf seltsame, irrationale Art und Weise verstand ich Mirco. Ich würde alles für Sherlock tun. Er besaß meine Loyalität, einen großen Teil davon und ich hatte oft genug erlebt, dass er seine eigene Art besaß, mir dieses Vertrauen zurückzuzahlen… Es schien ähnlich bei Mirco und dem Baron zu sein. Der Baron war ebenso ein Genie wie Sherlock, dass konnte selbst ich erkennen, wenn nicht sogar um einiges amoralischer als mein hochverehrter Wohngenosse. Und die kriminelle Dunkelheit, die den Baron wie ein pulsierender, lebendiger Schatten umgab, während ihn gleichzeitig etwas Friedliches erfüllte, erinnerte mich manchmal an Sherlocks fiebrige Art Verbrecher zu jagen. Vielleicht mochte der Baron ein Intrigant auf der falschen Seite sein, aber er schien seinen Kodex zu haben, ähnlich wie Sherlock und beide hatten wohl eine Neigung zur Gefahr, fort von all dem Alltäglichen der Welt. „Ja, ich kann es verstehen… Können sie sich noch an etwas anderes erinnern? Wie ist das an ihrem Hals zu erklären?“, ich zeigte auf den Bluterguss. Mirco zuckte furchtbar zusammen, so stark, dass das Glas drohte um zu fallen. Dann tastete er nach seinem Hals. „Ich weiß es nicht mehr genau. Nur dass ich ihm in eine Gasse gefolgt war…“, er brach abrupt ab und lachte kurz kläglich auf, „… der Klassiker, man rennt dem Feind hinterher und wird in einer Gasse niedergeschlagen… vermutlich ist mir so etwas Ähnliches passiert und dann bin ich in einer Art Katakomben aufgewacht… Ich kann mich nur an den Gestank von Moder und Urin erinnern… Außerdem lag eine vermummte Gestalt in einer Ecke. Es war schrecklich düster und als ich gänzlich erwacht bin, hat er mir etwas in den Hals gerammt…“- „Was noch, hat er ihnen noch irgendetwas angetan? Wie sind sie ihm entkommen?“, ich spannte mich an, beugte mich leicht zu Mirco, dessen Lippen bebten. „Ich bin nicht entkommen… er hat mich auf dem Boden eines Hinterhofes liegen gelassen und ist gegangen…“ Nachdenklich lehnte ich mich wieder zurück. „Es wäre besser, wenn sie dies Sherlock sagen würden.“ – „Nein!... Verzeihung, aber nein, ich sage es ihnen, weil ich das Gefühl nicht loswerde, dass es für sie von mehr Bedeutung ist, als für Sherlock Holmes…“ Mirco schüttelte den Kopf und lächelte mich scheu an und da war er wieder: der Glanz eines unschuldigen Jungens, den ich zuvor in seinen Augen vermisst hatte. „Ich sollte zurück zum Baron… er macht sich bestimmt Sorgen.“ – „Kann ich mir nicht vorstellen…“, grummelte ich leise, doch Mirco hatte mich verstanden. Aber er wirkte nicht verärgert, lediglich leicht amüsiert: „Er wirkt ziemlich… boshaft, aber er hat einen guten Kern.“ Ich sah ihm nach, als er aus dem Pub ging. Irgendwie war der Junge ziemlich gutgläubig… Zähneknirschend und mit dem tiefen Bedürfnis meinen Kopf gegen die Theke zu knallen, hörte ich eine zynische Stimme in meinem Kopf, die meinte, dass ich ebenso gutgläubig war. Ich zahlte, nach dem ich einige Zeit stur in mein Glas gestarrt hatte und verließ den Pub. Alles wirkte verworrener, düsterer, geheimnisvoller und gefährlicher, je mehr dieser Fall seine Fäden um Sherlock strickte, sowie auch um mich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)