Extravaganza von Sengo-sun ([HolmesxWatson]) ================================================================================ Kapitel 21: Lärmender Stille folgt Melancholie ---------------------------------------------- Müde hob der Baron einen Mundwinkel. „Wohl eher… Blut?“, hauchte Helena, als sie über ihn krabbelte, sich kokett auf seine Hüfte setzte, wohl wissend, dass sie nackt war und genüsslich an ihrer Zigarette zog. Kühle Hände, zittrig geworden von einer zynischen, boshaften Krankheit, umfassten ihre Schenkel, lagen da, fast schon neutral. „Wo ist Mirco?“ –„Dein Diener?“- „Mein Untergebener.“, korrigierte er. Helena biss sich spielerisch auf die Unterlippe. „Untergebener? Ist das nicht dasselbe?“ – „Nein. Er ist eine Art Ziehsohn und… nenn mich nostalgisch, dumm, einsam… aber er ist zu meiner besseren Hälfte geworden.“ – „Oh, seit wann interessieren dich junge Burschen?“ – „Mich interessiert gar kein Geschlecht, dass solltest du wissen. Ich habe nicht das Interesse daran mich irgendwie fortzupflanzen, weder dies noch den dazugehörigen Akt durchzuführen, nicht dass ich diese körperliche Ertüchtigung nicht zu schätzen wüsste, aber nein… ich empfinde es… als nicht erfüllend genug.“ Sie sah ihm an, dass er nicht mehr dazu sagen würde. „Das letzte Mal, als ich ihn gesehen habe… es wird dir nicht gefallen, mein Freund…“, sie ließ den Satz offen. „Woyzeck!“, keuchte der Baron auf und Angst ließ seine Züge erstarren. Unverhohlene, blanke, lähmende Angst! Der Rest der Zeit schwiegen wir. Es war wohl das grausamste, melancholischste und vor allem zum schreien einsamste Schweigen, welches je zwischen mir und Sherlock geherrscht hatte. Die Stille füllte jeden Zentimeter zwischen uns aus, jeder Schritt, den wir taten verhallte in ihr und gleichzeitig glaubte ich, dass sie in meinen Ohren kreischte. Stille wurde plötzlich für mich ein Synonym für Lärm. Das Raunen in meinem Kopf füllte meine Gedanken aus, drückte gegen meine Stirn und pochte dumpf in meinen Schläfen. Ein leises Stöhnen entwich mir, als ich kurz mein Gesicht verdeckte. Zentnerschwere Gewichte türmten sich auf meinen Schultern auf. Mein Kreuz schien leise zu knarren, als sei mein Körper nicht mehr, als morsches Holz. Wortlos traten wir durch die Tür unserer Wohnung. Schweigend liefen wir die Treppe hoch. Das Ächzen der Stufen zerschnitt die immer dichtere, schwerer werdende Luft um uns herum. Kalte Gänsehaut rann mir beinahe schmerzhaft den Rücken herunter. Sherlock verschwand in seinem Zimmer. Unschlüssig stand ich im Raum, betrachtete das Bild des Totenkopfes. Er grinste, aber es sah fade und gefühllos aus. Genauso, wie ich mich fühlte. Mit bebenden Fingern strich ich mir erneut übers Gesicht, ließ meine Hand über den Augen verweilen und erinnerte mich an die drei Affen: nichts sehen, nichts sagen, nichts hören. Ich wollte alle drei Dinge gleichzeitig und zwar in der Vergangenheit. Wieso hatte ich so reagiert… „Aktion… Reaktion…“, grummelte ich und ließ mich auf dem Sofa nieder. Ja, ich hatte reagiert, auf Sherlocks Worte, auf seine Gesten, auf alles von ihm… nur heftiger… Obwohl ich es doch eigentlich gewöhnt sein müsste. Irgendwo tickte eine Uhr und es machte mich wahnsinnig. Immer wieder hörte ich den monotonen Klang verstreichender Sekunden. Sekunden, die mit Worten gefüllt wären, mit einer unvergleichbaren Präsenz, mit schillernder Genialität… Aber diesmal nicht. Ich biss die Zähne zusammen, spürte wie mein Kiefermuskel zuckte, merkte wie Muskel um Muskel sich anspannte. Gefühle waren mein Spezialgebiet, im Vergleich zu Sherlock, doch das hier, sprengte mein Verständnis, mein Wissen… einfach alles. Rumoren von unten, erinnerte mich daran, dass es immer noch Mrs. Hudson gab. Ich lächelte bitter und schüttelte dann den Kopf. Plötzlich fluteten all die kleinen, seltsamen Eindrücke aus meinen Träumen meinen Kopf. Da war dieses eigenartige Geschehen, welches sich hier abgespielt hatte. Verwundert glitten meine Finger über das Leder des Sofas. Mein Blick folgte der Bewegung. Ich hatte hier gelegen und Sherlock war auch da gewesen… Aber seine Präsenz hatte sich verändert… Trockenheit breitete sich in meiner Kehle aus, eröffnete eine neue Wüste in meinem Hals, während mein Herz unregelmäßig schlug. Mein Körper, wie mein Geist waren sich so uneins. Ich wusste einfach nicht, was all das bedeutete. Die Wärme, die mich durchrieselte, die plötzlich auftauchende Melancholie und anschließend ein eigenartiges Gefühl des Fehlens, Missens. Ich schloss die Augen, konnte mich an den Traum erinnern… Er barg irgendwie das helle Licht von Hoffnung in sich, versteckte es, wie all die anderen diffusen Begegnungen, die ich im halbwachen Zustand mit Sherlock gehabt hatte. Ich war mir nicht sicher, welche noch einmal real waren… Doch! „Das Zimmer…“, flüsterte ich in die Stille hinein. Warum machte sich Sherlock über ein geöffnetes Zimmer Gedanken? War dies nicht viel zu uninteressant- zu langweilig? Und vor allem: „Was hat das mit mir zu tun?“ Denn weshalb sollte Sherlock sonst, nachts in mein Zimmer geschlichen kommen und mir dies sagen? Gut, vielleicht hatte er geglaubt, dass ich schlief, aber irgendwie war ich mir da nicht ganz so sicher. Es war schließlich die Rede von Sherlock Holmes. Meinem Wohngenossen, meinem Kollegen und ja, meinem besten, soziopathischen, fast schon amoralischem Freund, der mehr war als schlicht ein Genie. „Ist es das? Warum ich immer noch hier sitze?“ Ich lehnte mich zurück. Irgendwie ordneten sich meine Gedankengänge mehr, wenn ich sie laut aussprach, ihnen eine reale Form gab. Womöglich lag in der Grundidee des Gedankens die Antwort, aber ich spürte, dass es mehr gab, ich war in ein Labyrinth gestiegen, dass immer mehr Stollen preisgab, je tiefer ich hineinging. Nur besaß ich keinen goldenen Faden, der mich wieder nach draußen führen würde, nur ein unbestimmbares Gefühl, dass vor mir etwas zu verbergen schien… „Ich muss hier raus… diese ganzen niedergeschlagenen Gedanken, zerschmettern mir gleich den Schädel!“, knurrte ich und stand abrupt auf. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)