Extravaganza von Sengo-sun ([HolmesxWatson]) ================================================================================ Kapitel 15: Perfide ist gar kein Ausdruck! ------------------------------------------ Mirco schlang den Schal enger um seinen Hals, vergrub mit finsterer Miene seine Nase in den leicht muffigen Stoff und bat inständig um besseres Wetter. Die feuchte Kälte des Novembers kroch ihm mit jeder verstreichenden Minute mehr in seine Glieder. Er hatte längst vergessen wie lange er schon hier draußen stand, beständig umgeben von einem klammen Nieselregen. Als der Mann den Baron besucht hatte, war Mirco gegangen. Es war die Gelegenheit gewesen. Er wusste, dass sein ‚Chef‘ nicht gerade erfreut sein würde, wenn er erfuhr, was Mirco machte. „Dein Hoffen auf besseres Wetter ist vergebens, Kleiner.“ Die rauchige Stimme riss Mirco aus seinen trüben Gedanken. Erschrocken holte er Luft und starrte Helena an. Er hätte sie fast nicht wieder erkannt. Ein dunkler Parker verhüllte jegliche Weiblichkeit, doch ihr Mund glänzte immer noch in einem dunklen Purpur. Sie lächelte ihn in ihrer trägen lasziven Art an. „Und auch dein Hoffen, hier mehr über ihn zu erfahren.“ „Ich weiß nicht wovon sie sprechen, Madam.“ Helena lachte kokett auf. „Oh einmal von ‚Woyzeck‘ und einmal vom ‚Baron‘ und dann auch von dem Detektiv.“ Sie sah, wie Mirco sich anspannte und nach einem Ausweg aus dieser Situation suchte. „Ich werde dich nicht verraten. Doch sei dir gewiss, dass hier ist erst der Anfang.“ Sie fuhr Mirco sanft durch die Locken, es wirkte fast schon wie eine mütterliche Geste. Helena hörte Mircos tiefes Stimme, wie sie verbittert im Nebel der Londoner Straßen verklang: „Das höre ich nicht zum ersten Mal.“ Auch dieses Mal fand ich keinen Schlaf. Wie auch, wenn Sherlocks rätselhaftes, nur als kryptisch zu bezeichnendes Verhalten meine Gedankenwelt beherrschte? Es war schier unmöglich an etwas anderes zu denken, sobald ich die Augen schloss, als an seine tiefe Stimme, wie sie immer wieder dieselben Worte wiederholte. Herrgott! Was passierte hier nur? Als mein Blick mein Spiegelbild im Fenster erblickte, schauderte es mich. Dort stand kein vitaler Kriegsveteran, sondern ein Schatten von einer Baracke. Mit einem lautlosen Seufzen fuhr ich mir übers Gesicht. Dieser Fall schien uns einiges abzuverlangen, ohne dass sonderlich viel passiert war. Oder war es dieser zweite Fall, den Sherlock behandelte? Kam er gut darin voran? Oder hatte er ebenso viel Erfolg wie ich bei meiner Liste? „Ich sollte es vielleicht aufschreiben…“, murmelte ich und merkte wie rau meine Kehle war. Draußen quoll dicker Nebel aus schier jede Pore der urbanen Stadt. Eine weißliche Wand erhob sich gen Himmel empor. Etwas rat- und planlos stand ich in meinem Zimmer, mein Schlafhemd zerknittert, halb offen und auch der Rest meines Erscheinens wirkte wohl etwas zerknautscht. „Und was soll ich rein schreiben? Apropos schreiben! Ich sollte wieder nach meinem Blog schauen.“ Ohne großen Wert darauf zu legen, mich irgendwie herzurichten – schließlich war ich daheim- ging ich runter. „Sherlock?“ Meine Stimme verhallte ungehört und unbeantwortet. Ich wusste, dass er gestern hergekommen war… Die Erinnerungen an die vergangene Nacht ließen mich erbeben. Ich fühlte einen gewissen Drang nach Zerstreuung. Es musste irgendetwas passieren, sonst würden meine eigenen Gedanken mich in den Wahnsinn treiben. Auf einmal verstand ich Sherlock, warum er regelrecht danach lechzte seinen Geist irgendwie abzuwetzen. Er benötigte ebenso Zerstreuung wie ich in diesem Augenblick. Ich schlenderte durch das Wohnzimmer, beziehungsweise wollte es, doch da stockte ich. Mit weitaufgerissenen Augen starrte ich auf den Tisch. Dunkelrote Lachen, geronnener Flüssigkeit schimmerten im Licht unserer Lampe, während mich Sherlocks neustes Experiment ebenso entsetzt anzustarren schien, wie ich es. „Sherlock?!“, meine Stimme überschlug sich leicht. Ich hätte es wissen müssen. Na gut, nicht wirklich wissen, aber wenigstens ahnen müssen! Sherlock war Sherlock und dies war ebenso Teil seines mannigfachen Charakters, mit all seinen dunklen Facetten. Pudding schien meine Knie ersetzen zu wollen. „Oh, Gott! Sherlock!“, ich konnte nicht verhindern, dass ich leicht hysterisch klang. Manch anderer hätte sich wohl selbst in die innerste Abteilung einer Klapsmühle verschrieben. Ein Hoch auf meine Loyalität, dachte ich bitter. „Was machst du für einen Krach, John? Falls es dir nicht aufgefallen ist, war ich gestern noch unterwegs! Zwar benötige ich nur bedingt Schlaf, doch wenn ich ihn nutze, will ich nicht gestört werden. Mein Kopf muss vollkommen klar für die nächsten Schritte unseres Falls sein und du…“ Die sehnige Gestalt, fest eingewickelt in ein weißes Laken, erschien im Türrahmen. Dunkel fielen seine Locken ihm in die Stirn und warfen bleiche Schatten auf seine markanten Züge. Ich konnte ihm ansehen, dass sein Körper schmerzhaft Schlaf benötigte. Sherlock sah fast genauso berauschend aus wie ich, wenn nicht sogar schlimmer. Er stockte und das wortlose Raunen in meinem Kopf schwoll an. Ich wurde anscheinend verrückt. Graue Augen fixierten mich, sie schienen meinen Körper mit einem allesumfassenden Blick zu scannen. Ein unheimliches Gefühl nagte in meiner Magengegend und riss mich aus meiner starre. „Da ist ein abgetrennter Kopf auf unserem Wohnzimmertisch. Ein frisch abgetrennter Kopf.“ Zitternd deutete ich auf das Haupt eines Toten, welches vorwurfsvoll zwischen Sherlock und mir starrte. „John, wie konntest du nur Doktor werden. Das Blut ist geronnen und der Kopf zeigt bereits nebst Leichenstarre auch Leichenflecke auf – folglich ist dies kein frisch abgetrennter Kopf. Außerdem: erkennst du ihn nicht wieder?“ - „Sollte ich?“, hörte ich mich selbst sprechen, doch dann erklang ein ungeduldiges Seufzen. Obwohl Sherlock genervt zu sein schien und sein Körper Richtung Zimmer tendierte, schaute er mich unverwandt an. „Nachdenken, mein Freund, genau dass solltest du tun, ehe du mir noch mehr meiner wertvollen Zeit raubst.“ Ungeachtet seines Seitenhiebes, betrachtete ich den Kopf. Die Züge kamen mir bekannt vor. Dann: „Das ist der namenlose Tote aus der Zeitung, der Seemann! Aber wie kommt sein Kopf hier… Sherlock? Hast du etwa in der Pathologie seinen Kopf abgeschlagen und hierher gebracht? Das ist Diebstahl! Leichenschändung! O, Gott, wie soll ich das Lestrade erklären.“ Sherlock verdrehte genervt die Augen. „Deiner schmeichelnden Theorie zum Trotz, hatte ich nicht den Einfall der Leiche den Kopf abzutrennen, sondern derjenige, der sie gestohlen hat, oder wohl eher den restlichen Teil davon. Außerdem muss ich dich korrigieren: ich kann keine Leiche schänden, denn es gibt keinen ganzen Toten und wen interessiert es, dass ich den Kopf habe? Es reicht, wenn Molly darüber Bescheid weiß. Ich brauche diesen Kopf, hier und nicht in der Gerichtsmedizin, dort fühle ich mich stetig unter Beobachtung und Molly tigert ständig um mich herum, das stört beim Denken… Nicht zu vergessen, dass ab und zu Anderson dort auftaucht. Selten jemanden kennengelernt, der so stark den IQ der Allgemeinheit senken kann.“ „Moment: die Leiche wurde gestohlen.“ Meine Knie bekamen eine gänzlich neuartige Konsistenz, weit entfernt von Pudding, sondern fiel näher an zusammenhangloses Nichts. Ich ließ mich leicht gegen die Wand sinken, Sherlocks Augen schienen mir zu folgen, was in seinen grauen Tiefen aufloderte, ignorierte ich. „Genauer formuliert: hat jemand seinen Korpus gestohlen.“ Korrigierte mich Sherlock, während er gänzlich ins Zimmer trat. Lag da Besorgnis in seiner Stimme? Die Frage tauchte im Durcheinander meiner Gedanken auf und verschwand wieder. „Aber warum?“, flüsterte ich, starrte auf den toten Kopf. „Das werden wir bald erfahren, wenn ich ihn näher untersucht habe.“ – „Den Kopf?“ – „Natürlich und noch etwas anderes.“ Samtig, wie vergoldeter Honig rauschten seine Worte in meinem Gehirn, vermischten sich mit jenen von der nächtlichen Begegnung. Ich schüttelte leicht den Kopf, versuchte mich zu fassen. Sherlocks Präsenz näherte sich mir. Ich sah auf. Studierend, einprägend und höchst konzentriert glitt sein Blick über mich hinweg. Was war so interessant an mir? Meine Gewöhnlichkeit? Geschwungene Lippen öffneten sich, als wollte Sherlock noch etwas hinzufügen, als ein Klingen uns zusammenzucken ließ. Geschockt sahen wir uns an, dann kam plötzlich Bewegung in Sherlock. Mit einem Ruck schmiss er das Laken auf den abgetrennten Kopf, völlig außeracht lassend, dass er nun entblößt umher rannte. „Steh nicht so versteinert da! Hilf mir, versteck diesen verdammten Kopf.“ Seine schlanken Finger nestelten an dem Laken herum und wickelten den Kopf darin ein. Unten ertönte Mrs. Hudsons Stimme, gefolgt von Lestrades. „Scheiße!“ Rief ich aus. Sherlock sah mich mit gehobener Braue an, als wolle er mir sagen, dass mir mein Erkennen der Situation, wohl recht früh einfiel. Ruckartig starrten wir zur Tür, als wir die knarrende Diele hörten. Wirbelnd drehte sich Sherlock um, warf den Kopf in hohem Bogen und mit einem dumpfen Laut landete dieser im Kamin. Ruß erfüllte die Luft. Die Tür schwang auf, während Sherlock sich galant auf das Sofa schmiss und auffordernd mit der Hand wedelte. Er bedeutete mir mit einem verschwörerischen Nicken zum Kamin, dass ich mich dort hinstellen sollte. „Sherlock, wir brauchen deine“ – „Hallo Lestrade. Nichts von Anklopfen gehört?“ Unterbrach Sherlock den plötzlich zur Salzsäule erstarrten Polizisten. Irgendwie wirkte die Situation etwas zu – nun ja, seltsam. Sherlock wie er nackt da lag auf dem Sofa und ein Buch, das er vom Boden aufgeklaubt hatte, in der Hand. Er wirkte wie die Unschuld in Persona und ich kämpfte mit meiner Fassung nicht lauthals loszulachen. Das hier war mehr als schräg… Lestrade sah zu mir, Sherlocks Blöße irgendwie versuchend zu ignorieren und er wirkte total hilflos. „Inspektor, haben sie…O. Mein. Gott.“ Donovan stierte auf Sherlock. „Wieder jemand der nicht gelernt hat anzuklopfen.“ Vernahm ich die trockene, fast vor Sarkasmus spröde Worte seitens Sherlock. Er legte das Buch auf seinen Bauch. Donovan blickte weg – war da Röte auf ihren Wangen? Dann sah sie mich ebenfalls an. Erneut überfiel mich das Gefühl, mich verteidigen zu müssen: „Ich habe nichts damit zu tun.“ Abwehrend hob ich die Hände. Ich hörte ein tiefes amüsiert klingendes Schnaufen. Das unterschwellige Amüsement schien jedoch nur mir aufzufallen, auch das belustigte Glitzern in den grauen Augen meines Kollegen, bemerkte nur ich – und irgendwie war ich stolz darauf. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)