Extravaganza von Sengo-sun ([HolmesxWatson]) ================================================================================ Kapitel 14: Von geöffneten Zimmern ---------------------------------- „Und?“ Der Besucher starrte aus dem Fenster, der Baron betrachtete seine Silhouette. „Welche Art ‚und‘, meinen sie, Baron?“ Der Baron lachte. „Suchen sie es sich aus.“ „Dafür dass sie so verdutzt darüber sind, dass ich hier bei ihnen auftauche und mit ihnen eine Art Dialog führe, wirken sie viel zu gefasst. Sie wussten genau, dass ich kommen würde. Ich schätze, sie wussten dass…“ „Dass die Tür offen war? O, ich weiß vieles und ich schaffe vieles.“ „Sie sind ein Baron der Lügen, wenn ich es als blumige Verfassung beschreiben würde.“ „Wohl wahr, aber sie sind ebenso ein Lügner. Die Tür wird offenbleiben, denn sie war nie verschlossen.“ –„Unsinn!“ – „Ist es wirklich solch ein Unsinn?“ – „Wollen sie Zweifel sähen? Schlechter Versuch, denn mit Manipulation kenne ich mich aus.“ Der Baron goss Tee in eine Tasse. „Ich weiß, aber ich kenne mich mit dem Mobiliar und den versteckten Tresoren ihres geöffneten Zimmers aus. Ich gleiche ihnen nicht, aber wir haben Ähnlichkeiten. Wir sehen, was anderen verborgen bleibt, weil sie es ignorieren und wir nicht.“ Schnauben seitens des Besuchers, wohl zum tausenden Male an diesem Abend – oder war es bereits schon Nacht? Der Baron sah aus dem Fenster. „Offensichtlich.“ – „Der Inhalt des Zimmers wird vieles stürzen.“ – „Ich werde es unter Kontrolle haben.“ – „Wie sie ihre Sucht nach immer währender Tätigkeit unter Kontrolle haben?“- „…“ Leise kichernd schüttelte der Baron den Kopf. „Glauben sie mir: sie haben ein Spielfeld betreten, dessen Regeln ihnen weder gefallen noch verstehen werden. Denn da gibt es keinerlei Verstehen, sondern Taten und… nun ja, andere Dinge.“ „Sie spielen mit mir.“ Es klang leise zu dem Baron herüber, doch die unterschwellige Drohung bebte darin mit. „Sie sollten gehen, ehe der Tag anbricht. Viel Erfolg mit ihrem eigentlichen Fall.“ Der Besucher sah den Baron an. Beide wussten sie, dass dies nicht das letzte Gespräch gewesen war. Und dem Baron war bewusst, dass der Besucher Angst verspürte. Das Wasser prasselte darnieder, perlte an meiner Haut ab. Weißlicher Dampf umhüllte mich, das Rauschen tröpfelte mir ins Gehör. Stöhnend legte ich den Kopf in den Nacken. Schaum floss mir schwerer als das Wasser über den Rücken. Es fühlte sich an als würden zarte Seidenbänder meine angespannten Muskeln lockern. Erneut vernahm ich, wie ein langgezogener Laut meine Lippen verließ. Stillstehen schien jede Ritze, jede Wärme, jede Dampfwolke im Bad auszufüllen und mit diesem Gefühl der erstarrenden Zeit versteinerten meine Gedanken. Langsam öffnete ich die Augen, Wasserperlen hingen in meinen Wimpern, ließen meine Sicht unklar werden, während ich auf den Boden starrte. Ich konnte es nicht einordnen. Diese Regung tief verborgen in Sherlocks Augen, welche nur in solch seltsam intensiven Moment aufflackerte, dass ich davon einerseits irritiert und andererseits verschreckt war. Es wirkte immer wieder anders auf mich und hinterließ nebst Ratlosigkeit auch noch eine nagende, formlose Stimme in meinem Kopf. Sie war nicht mehr als ein Flüstern, ein stetes Raunen, welches erst jetzt seine Präsenz zeigte. Ich hörte in meinem Kopf diese Stimme, die irgendwie ein Teil von mir war. Sie wollte mir etwas sagen, doch ich verstand nichts, vernahm nur wortlose Laute, die mich einlullten. Doch auch sie bargen etwas in sich, was Verlust zu bedeuten schien. Die eingefrorene Zeit schien auf einmal wieder normal zu verlaufen. Ein kalter Schauer ließ meinen Körper beben. Ich schlang meine Arme um die Brust. Blinzelnd hob ich den Kopf. Wasser rauschte weiter darnieder. Massierte meine Schultern, schien meine Schulter zu umspielen – es tat gut. Irgendwann drehte ich das Wasser ab und stand einfach so da. Das Gefühl verlassen worden zu sein durchflutete unangenehm meinen Körper. Frustriert seufzte ich. „Ich sollte wirklich schlafen gehen… das hier mir ist irgendwie…“ Zu seltsam? Zu verrückt? Zu fern des Rationalen? Wieder einmal wurde mir meine Unwissenheit bewusst. Allmählich glaubte ich, dass in unserer Wohnung in der Baker Street eine neuartige Atmosphäre ihren Reigen zog. Es war als stünde das Wort Veränderung auf einem schwarzen Grabstein mit leuchtenden Neonziffern. Mit einem Kopfschütteln rief ich mich zur Raison. Das waren doch alles nur die Gedanken eines Mannes, der an deutlichen Schlafmangel litt! Mein Spiegelbild bestätigte mir meine Vermutung. Wenig später lag ich auf meinem Bett und musste zu meinem Bedauern feststellen, dass ich auf einmal ganz und gar nicht müde war. Mit einem gepressten Laut fuhr ich mir rüde übers Gesicht. Zischend entwich mein Atem zwischen meinen Handballen, die ich etwas fester gegen meine Augen drückte. Irgendetwas lief hier aus den Bahnen und ich hatte keine Ahnung wohin es gehen würde. Ich musste mich ablenken. Ruckartig erhob ich mich. Okay, was würde Sherlock tun? Kaum hatte ich diesen Gedanken erfasst, verwarf ich ihn wieder in die tiefsten Tiefen meines gedanklichen Mülleimers. Schlechte Frage, niemand wusste, was Sherlock tun würde und dass was ich aus Erfahrung sagen konnte, war nicht gerade hilfreich. Und ich war der festen Überzeugung, dass ein Gespräch mit einem Schädel nichts half. Mein Blick glitt zu meinem Stock. Dieser würde mir auch keine Antwort geben. „Verflucht, John, das sind Dinge! Die Antworten in der Regel nicht… Also noch mal von vorne: wir werden von dem Baron konsultiert, nach dem er uns eine kryptische Briefnachricht zukommen ließ. Dann stirbt ein Seemann, Name bis jetzt unbekannt. Als wir näheres über ihn herausfinden wollten, stirbt Sherlocks Informant… Und dann war da noch meine Begegnung mit diesem Jungen…“, nuschelte ich, runzelte meine Stirn und grummelte leise: „Und ich habe keine Ahnung, was ich übersehen haben könnte…“, und um einiges leiser fügte ich hinzu: „… und mein persönlicher Fall scheint ebenso auf Eis zu liegen…“ Das war nicht dass, was ich mir erhofft hatte. „Außerdem wolltest du schlafen gehen, John.“, hörte ich mich selbst ermahnen. Kurz darauf lag ich wieder unter der Bettdecke und versuchte mit fest geschlossenen Augen die altbewährte Technik des Schäfchenzählens – die nie wirklich funktioniert hatte. Plötzlich spürte ich, wie die Luft im Zimmer in Bewegung geriet, als ein Windhauch es durchstreifte. Als würde jemand leise meine Tür öffnen. Mein erster Impuls war, aufzuspringen und den nächtlichen Besucher entgegenzutreten, doch etwas hielt mich zurück. Es war jenes Raunen, welches leise in mir wiederhallte. Gespannt lauschte ich in die zurückkehrende Stille. Dann glaubte ich einen Lufthauch direkt über meinen Schläfen zu spüren. Innerlich spannte ich mich an, während ich versuchte mich so schlafend wie möglich zu stellen. „Warum ist es offen? Das Zimmer, John? Wie ist es möglich?“ Sie war so vertraut, so schmerzlich bekannt, dass ihr Klang mich durchrieselte wie kaltes Quecksilber. Sherlocks in dunklen Tönen gekleidete Worte verwunderten mich, gleichsam haftete ihnen eine Faszination inne, die ich so bei dem Detektiven nicht kannte. Ich wartete darauf, dass er mehr sagen würde, doch er Schwieg. Sein leiser Atem durchschnitt die Stille um uns nur minimal. Als er ging und die Tür beinahe geräuschlos verschloss, schlug ich meine Augen auf. „Welches Zimmer, Sherlock?“, murmelte ich, während seine Worte wie eine wehmütige Melodie in mir erklangen. Immer und immer wieder. Ein stetiges Echo. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)