Extravaganza von Sengo-sun ([HolmesxWatson]) ================================================================================ Kapitel 5: Infantil erscheinende Entscheidungen ----------------------------------------------- infantil bedeutet so viel wie kindisch __________________- Für einen Baron oder gar einen Mann, der zwischen den hohen politischen sowie aristokratischen Rängen einen Platz hatte, wirkte jener, welcher unsere Wohnung betrat, fast schon absolut stümperhaft und schrecklich unerfahren. Ihm fehlte jene autoritäre Präsenz, die Mycroft Holmes mit schlichten Gesten ausdrücken konnte. Er war recht klein und wirkte auf mich fast schon wie ein kleiner Bursche, der gerade erst frisch aus dem Alter eines Teenagers entschlüpft war. Sherlock schien ihn mit gerunzelter Stirn zu mustern. Kurz zuckte unser Besucher unter dem intensiven Blick meines Kollegen zusammen. Rotblonde, gekräuselte Locken standen wie elektrisiert von seinem Kopf ab und eine Schar aus Sommersprossen zierte sein Gesicht. Augen, die etwas Unschuldiges und Reines innehatten starrten mich hilfesuchend an, während ein schmaler Mund nervös von Zähnen malträtiert wurde. „Du bist nicht der ‚Baron‘“ grummelte Sherlock und ließ sich ein einem Sessel nieder. Leicht lehnte er sich zurück und beäugte unseren Gast aufmerksam unter halbgeschlossenen Lidern. „Also, wer bist du dann?“ Ich öffnete den Mund um etwas zu sagen, doch da erklang eine ungewohnt tiefe Stimme hinter mir, die einen deutlichen, harten Akzent in sich barg. „Mein Name ist Mirco und der ‚Baron‘ schickt mich, um ihnen zu sagen, meine werten Herren, dass er leider nicht hierher kommen kann, aber er würde es redlich begrüßen, wenn sie ihn besuchen würden.“ Mirco lächelte kurz und für einen kurzen Moment, stippte mich eine vorwitzige Ahnung an und flüsterte leise, dass jener junge Mann mit der unruhigen Ausstrahlung mehr verbarg und ebenso ein guter Schauspieler sein mochte, wie es nun Sherlock Holmes war. Hinter dem Lächeln barg sich ein aufrechter Geist, keineswegs ein Genie, doch er schien – ähnlich wie ich- Bekanntschaften mit einem solchen gemacht zu haben. „Und du bist hier, weil du uns abholen sollst, nicht wahr?“, Sherlock schien unseren Besucher mit seinen durchdringenden Blicken schier aufzuspießen, während er unruhig auf und ab schritt. Das Bildnis eines eingesperrten Tigers tauchte unwillkürlich in meinem Kopf auf und für einen winzigen Zeitraum verharrte es dort beharrlich, bis ich es mit einem leichten Kopfschütteln verschwinden ließ. Mirco lächelte leicht unbeholfen und knetete nervös seine Finger, ehe er nickte. „Ja, dies soll ich tun. Wenn sie mir bitte folgen würden, meine Herren?“ Ich setzte gerade an etwas zu sagen, als Sherlock plötzlich meinte: „Moment! Geh ruhig vor, aber lassen sie uns zwei Minuten Zeit um über den Fall nachzudenken! Exakt zwei Minuten!“, er war auf den jungen Mirco zugegangen und schob ihn mit leichten Nachdruck nach draußen vor die Tür. Ich hörte noch ein leicht gestottertes: „Ich werde warten“ ehe die Tür mit einem – irgendwie endgültig klingenden Laut zufiel. Sherlock wirbelte herum, griff nach meinen Schultern und starrte mir für zwei, drei endlose Ewigkeiten in die Augen. Schwer hing sein Atem zwischen uns, während mein eigener den Weg zwischen Luftröhre und Mund nicht weiter fortsetzen wollte. Was war nur los mit Sherlock? Für einen winzigen Moment, so klein, dass selbst eine Amöbe im Vergleich ein riesiges Ungeheuer bildete, konnte ich eine unsägliche Spannung verspüren, wie sie sich mit spinnengleichen Fäden zwischen uns aufbaute und eine Hitze entsendete, dass irgendetwas in meinem Kopf für jene Winzigkeit eines Zeitraumes eine Art rätselhaften Kurzschluss bekam. Doch die raue, von einer plötzlichen sterilen Kälte durchwobene Stimme meines Kollegen, zerriss mit einer schieren Grausamkeit diesen kleinen Augenblick, der mich fortan wie ein Gespenst verfolgen würde. „Egal, was gleich passieren wird, halte dich an mich. Ich bin mir absolut sicher, dass dieser ‚Baron‘ mehr zu sein scheint, als ein schlichter Aristokrat und Politiker.“ Irgendwie schwangen die Worte gefährlich und unheilvoll im Widerhall seiner leise geflüsterten Anweisung mit. Unwillkürlich schluckte ich und nickte etwas verwirrt. Konnte es sein, dass Sherlock mehr als nur einen Klienten in dem ‚Baron‘ sah? Eine ähnliche Herausforderung, wie es Moriaty war, wenn nicht sogar einen Tick interessanter? „Ah, und noch etwas: wo war noch mal dein Revolver?“, er schaute sich suchend im Zimmer um und wirkte fast schon wie ein kleines Kind, dass gerade ein höchst interessantes Spielzeug gesichtet hatte und nun nicht mehr genau wusste, wo es jenen begehrten Gegenstand widerfand. „Nein! Du bekommst nicht meinen Revolver.“ Zischte ich und unwillkürlich zuckte mein Augenmerk zu jener Stelle, wo ich den Revolver verstaut hatte. Leider entging Sherlock mein kurzes Zucken nicht, denn er grinste mich schalkhaft an. „Ah, dort also.“ – „Nein, definitiv, nicht dort“ wehrte ich ab, doch da war es schon zu spät. Mit seinen langen Beinen war er am Versteck angekommen, hatte die Waffe hervorgeholt und inspizierte sie mit konzentriertem Gesichtsausdruck. „Sherlock, gib mir meine Waffe zurück.“ Er wandte seinen Kopf mir zu und ein geheimnisvolles und kurzes Lächeln erhellte seine bleichen Züge, etwas blitzte in den stahlgrauen Augen auf. „Natürlich bekommst du sie zurück“ ich wollte danach greifen, doch ein sehniger Arm, der mehr Kraft in sich barg, als er vermuten ließ, hielt mich auf Abstand, während mein Revolver in der Tasche von Sherlocks Mantel verschwand. „Hey!“ stieß ich hervor und versuchte mit kindlicher Wut danach zu greifen. „Aber, aber Doktor. Ich hab doch gesagt du kriegst ihn zurück – nur nicht jetzt.“ Damit schien das Gespräch für ihn beendet zu sein und er ließ mich los, eilte zur Tür, hielt dann kurz im Rahmen inne und wandte sich wieder mir zu: „Komm schon! Oder willst du einen ereignislosen, ungefährlichen Abend alleine in der Wohnung verbringen. Denn wenn ich mich recht entsinne hat Sarah deinen Dienst übernommen, damit du frei bekommst, hab ich recht?“ Er wusste dass diese Worte den Kern meines ruhelosen Geistes trafen, er wusste es und ich sah in seinem wissenden Heben der Mundwinkel ganz deutlich, dass er es mir ansah, dass ich es ebenso wusste wie er. Doch ich schwieg, leicht aus einem unsinnigen Versuch meinen verletzten Stolz zu bestärken und wegen dem schlichten beleidigt Seins. Sherlock seufzte gedehnt, drehte sich um und ging die Treppe runter, er ließ es sich jedoch nicht nehmen mir etwas zuzurufen und ich konnte das berechnende Grinsen deutlich vor meinem Auge schweben sehen: „Gut, dann eben nicht. Ich wünsche dir noch einen schönen Abend, Doktor.“ Oh, wie er wusste, dass ich ihn niemals allein lassen wollte und konnte! Wie dieser vermaledeite, verflixt geniale Teufel dies so genau wusste und zu seinem eigen gut Dünken benutzte, es trieb mich teilweise in den Wahnsinn und andererseits hatte es einen gewissen schmeichelhaften Effekt, bezeugte es mich doch darin, dass Sherlock mich in gewisser Weise benötigte und brauchte. Kurz schnaubte ich leicht, verschränkte die Arme vor der Brust und sah demonstrativ von der provokativ offenen Tür weg. Doch ein Drang, den ich erst seit meinem Treffen mit dem beratenden Detektiv hatte, der ebenso vertraut wie neu war, verführte mich dazu, laut zu seufzen und mit einem leisen Fluch auf den Lippen die Treppe herunter zu stürmen. In einem schwarzen Wagen wartete Sherlock bereits ungeduldig auf mich: „Wurde auch Zeit!“, zischte er leicht barsch, während unruhig und von einer nervös erscheinenden Erregung seine Finger wild auf einem kostbar anmutendem Leder trommelten. Sein Blick glitt kurz über mein Gesicht, ehe er leicht lächelte. „Nun, Herr Mirco, bring uns endlich zu dem werten Herrn ‚Baron‘.“ In freudiger Erwartung rieb er sich kurz die langen schmalen Finger, ehe er durch getönten Scheiben nach draußen starrte. Einen unruhigen und erwartungsvollen Blick über die langsam eindämmernde Nachtwelt Londons werfend. Sein Profil wirkte diffus und unwirklich im kalten Neonlicht und im trüben Dämmerlicht jener Novembernacht. Und dennoch kam ich nicht umhin eine gewisse, erhabene Schönheit darin zu erkennen. Irritiert über meine Gedanken, schaute ich ebenfalls aus dem Fenster, lauschte dem gleichmäßigen Atem meines Kollegen und dem Rauschen des fahrenden Autos. Langsam aber sicher wurde ich aufgeregt. Diesmal würden wir den ‚Baron‘ treffen und ich war gespannt darauf, wer er war und wie er war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)