Retrograde Amnesie von Mihikoru ================================================================================ Kapitel 5: Streitigkeiten ------------------------- Ich weiß, diesmal habe ich ziemlich lange auf ein neues Kapitel warten lassen. Aber jetzt ist es fertig und ich hoffe, es gefällt. Über eure Meinung würde ich mich sehr freuen. Vielen Dank für 48 Favoriteneinträge und 22 Kommentare! :) Streitigkeiten Joey Wheeler konnte kochen. Er konnte kochen ohne – wie auf seine übliche Art – alles umzuwerfen, in Scherben zu setzen oder aus Versehen anzuzünden. Mokuba war erstaunt und beeindruckt, hatte er doch zuerst etwas Angst um ihre Designerküche gehabt. Sein großer Bruder hatte zwar den blonden Chaoten bei ihnen aufgenommen, aber seine überstrapazierten Nerven wären sicherlich gerissen, sobald ein Feuer in ihrer Villa ausgebrochen wäre. Doch diese Angst war unbegründet, denn Joey werkelte so geschmeidig und sauber an der großen Küchenzeile, als hätte er dies schon hunderte Male gemacht. Seine Handgriffe waren gezielt und präzise, so kannte Mokuba den Blonden gar nicht. „Das machst du heute nicht zum ersten Mal, oder?“ „Ich habe keine Ahnung, immerhin kann ich mich an nichts erinnern. Aber zum ersten Mal, seit ich im Krankenhaus aufgewacht bin, fühle ich mich sicher.“ Über Joeys Lippen huschte ein beinahe befreiendes Lächeln, während er das geschnittene Rindfleisch zu den glasig angebratenen Zwiebeln in die Pfanne gab und diese schwenkte. Vorhin hatte er die edel aussehende Küche betreten und auf einmal seine ganze Scheu verloren. Sobald er den riesigen, gefüllten Kühlschrank gesehen hatte, waren ihm tausende von exzellenten Gerichten in den Kopf geschossen und sein Tatendrang war unerschöpflich gewesen. „Das ist Wahnsinn, Joey, wirklich.“ Mokuba starrte mit ungläubigen Augen auf den wirklich vorzüglich angerichteten Salat mit Gambas und konnte noch immer nicht fassen, dass der Blonde ihn angerichtet hatte. Zum Glück hatte er dies mit eigenen Augen gesehen. „Weißt du, was ich glaube? Du hast bestimmt einen Job als Koch.“ „Denkst du?“ Auch der Blonde hatte sich darüber so seine Gedanken gemacht, während er mit schnellen Handbewegungen das Essen zubereitet hatte. Die Arbeit war ihm so leicht von der Hand gegangen und irgendwie hatte er gewusst, was er hatte tun müssen. „Um ehrlich zu sein, habe ich mir schon so etwas Ähnliches gedacht, Mokuba. Aber immerhin bin ich Oberschüler und es ist doch verboten, neben der Schule zu arbeiten.“ Von dem Schwarzhaarigen kam ein belustigtes Schnauben. „Ach, und was ist mit Seto?“ „Dein Bruder ist ja wohl eine Ausnahme.“ Joey warf die Stirn in Falten und dachte angestrengt nach, während er das Fleisch mit geübten Bewegungen in der Pfanne wendete. „Mein Kochtalent würde aber erklären, warum ich so schlechte Schulnoten habe.“ „Woher weißt du, dass du nicht so gut in der Schule bist?“ „Von Tea. Die liegt mir seit Tagen in den Ohren, dass meine Amnesie die Chance ist, endlich meinen grottenschlechten Zeugnisdurchschnitt aufzubessern. Als ob ich keine anderen Probleme hätte!“ Joey nahm es der Braunhaarigen nicht übel, immerhin meinte sie es nur gut. Doch aufgrund seines Gedächtnisverlusts stand die Wiedererlangung seiner Erinnerung an erster Stelle, und nicht seine verbesserungswürdigen Schulnoten. Im Moment war er nur froh, wenigstens etwas so Banales wie Kochen im Griff zu haben. Endlich fühlte er sich nicht mehr so ausgeliefert und schutzlos, wie in den letzten Tagen. „Wenn du einen Job als Koch hast, heißt das doch, dass du Geld brauchst.“, knüpfte Mokuba nun sogleich an und bedachte den Blonden mit einem nachdenklichen Blick. „Ich meine, normalerweise arbeitet man als Schüler nicht.“ „Falls ich arbeite.“, wandte Joey sogleich ein, während er das fertige Rindfleischgericht mit ein paar Gewürzen abrundete und den fertigen Reis noch einmal durchrührte. „Und wenn ich arbeiten sollte, dann doch wohl, weil ich und mein Vater nicht genug Geld haben.“ Daraufhin schwieg Mokuba, und beschränkte sich lieber darauf, den Tisch für sie beide zu decken. Was immer er in den letzten Tagen von Yugi und den anderen über Joeys Vater aufgeschnappt hatte, ließ nur erahnen, dass dieser keinen guten Kern hatte. Der Blonde täte gut daran, ihm nicht zu begegnen, solange er in diesem unsicherem Zustand war. „Kennst du meinen Vater?“ Auf die Frage des Anderen schüttelte der kleine Kaiba wahrheitsgemäß den Kopf und schimpfte sich im Stillen selber darüber, dass sie beide in dieses Gesprächsthema gerutscht waren. „Auch an ihn kann ich mich nicht erinnern, weißt du.“ Der Blonde seufzte geschlagen, während er den Salat in Schälchen füllte und auf den gedeckten Tisch stellte. „Vielleicht ist das besser so, Joey.“ Mokuba versuchte seine Worte mit Bedacht zu wählen. „Yugi und die anderen meinten, dass du ihm in nächster Zeit besser nicht begegnen solltest.“ „Ja, ich weiß.“ Der Blonde nickte, hatte er diese Aussage doch auch von Tristan gehört. Auch wenn er rein gar nicht verstand, was ihm seine Freunde damit sagen wollten, vertraute er ihnen. Zwar war er neugierig auf seinen Vater und seine verlorene Erinnerung, jedoch hatte er ein ungutes Gefühl in der Magengegend, was dieses Thema anbelangte. Fast war es so, als würde sich sein Unterbewusstsein automatisch wehren, sich an sein Zuhause zu erinnern – und dies war sicherlich kein gutes Zeichen. „Weißt du was, Mokuba? Als Nachtisch mache ich uns eine selbstgemachte Himbeerquarkspeise.“ „Super!“ Das Abendessen zwischen Joey und Mokuba verlief in allgemeinen, ungezwungenen Themen, die hauptsächlich daraus bestanden, wie der erste Schultag des Blonden ablaufen würde. Der Blonde wollte sich nicht mit diesen vielen, verwirrenden Fragen aufhalten, was seine ausgelöschte Vergangenheit anbetraf, sondern lieber über das Hier und Jetzt nachdenken. Es war schon kurz nach halb acht abends, als der Tisch abgeräumt war und das dreckige Geschirr in der Spülmaschine seinen Platz gefunden hatte. „Will Kaiba denn gar nichts essen?“ Joey war es seltsam vorgekommen, dass sich sein Schulkamerad während der ganzen Zeit nicht in der Küche hatte blicken lassen. „Seto vergisst immer zu essen. Er ist regelrecht besessen von seiner Arbeit.“ Sein kleiner Bruder rollte entnervt mit den Augen. „Wenn ich ihm nicht regelmäßig etwas zu Essen bringen würde, würde er sich nur von Kaffee ernähren.“ Der Blonde schüttelte leicht den Kopf. „Kochst du dir denn jeden Abend selbst?“ „Nein, nur wenn ich das Personal nach Hause schicke. Aber meist leistet mir unsere Köchin beim Essen Gesellschaft.“ „Ihr esst nie zusammen?!“ Joey war geschockt. Das gemeinsame Abendessen einer Familie war in seinen Augen ein unantastbares, wertvolles Ritual. Doch Mokuba schien sich schon damit abgefunden zu haben, denn er zuckte nur leichthin mit den Schultern. „Nein. Aber das macht mir schon lange nichts mehr aus. Seto würde so oder so an seinem Laptop während des Essens herum tippen und sich nicht richtig mit mir unterhalten. Da ist mir unsere Köchin lieber, die hört mir wenigstens zu und gibt mir Antworten.“ „Dieser Kerl kann doch nicht nur arbeiten! Irgendwann muss er doch Hunger bekommen.“ „Wir frühstücken immer zusammen, aber dort isst er auch nicht besonders viel, außer ein bisschen Reis und Gemüsebrühe.“ „Kaiba ist mir wirklich ein Rätsel.“ Kritisch warf Joey einen Blick auf das Essen, dass er für den Brünette aufgehoben hatte. Das Rindfleischgericht war schon längst erkaltet, aber zum Glück gab es ja Mikrowellen. „Hast du was dagegen, wenn ich deinem Bruder das Abendessen bringe?“ „Nein, mach ruhig. Die fünfte Tür von links ist sein Arbeitszimmer im oberen Stockwerk. Aber glaub bloß nicht, dass er freundlich zu dir sein wird.“ „Keine Sorge, diese Hoffnung habe ich so langsam begraben.“ Der Blonde seufzte geschlagen, sein Entschluss stand aber fest. Irgendwie hatte er das eigentümliche Verlangen, mit dem Brünetten über das heikle Thema „Abendessen“ zu reden. Kaiba hatte wieder einmal nicht bemerkt, wie lange er an seinem Laptop saß. Die Zeit verging wie im Fluge und es schien ihm so, als wäre er trotzdem keinen Schritt vorangekommen. Dauernd musste er an das Problem mit dem Köter denken und konnte sich zum ersten Mal, seitdem er denken konnte, nicht richtig konzentrieren. Mit einem lauten Schnauben ließ er sich in seinen Lederstuhl zurückfallen und verfluchte seinen dümmlichen Klassenkameraden, der ihn jetzt schon in seinen Gedanken einzuholen drohte. Dabei hatte er den Kleineren doch schon am Hals… in seiner Villa! Ein zögerliches Pochen an der Tür ließ ihn aufsehen. Seine Mundwinkel zuckten hoch, da er sich schon denken konnte, wer da im Gang vor seinem Arbeitszimmer stand. Mokuba klopfte nicht, immerhin war das hier auch sein Zuhause, und somit kam nur eine andere Person in Frage. Immerhin hatte er dieser Person gedroht, dass er ihn rausschmeißen würde, wenn er sein Arbeitszimmer ohne Erlaubnis betreten würde. „Herein.“ Seto hätte sich im Traum nicht ausgemalt, dass der blonde Köter mal seine vier Wände betreten würde. Vor allem nicht, dass er ein Tablett mit Essen in den Händen halten würde. „Hallo Kaiba. Ich bringe dir dein Abendessen.“ „Wirklich überaus freundlich von dir, Köter. Wenigstens machst du dich etwas nützlich, wenn du schon auf meine Kosten hier wohnst.“ Joey verkniff sich jeden Kommentar, was Setos Laune keineswegs steigerte. Der Blonde war sonst auf jede Aussage von ihm in die Luft gegangen. Er vermisste regelrecht die Wutausbrüche des Kleineren. „Gamba-Salat, süß-saures Rindfleisch mit Reis und als Nachttisch eine Himbeerquarkspeise. Ich hoffe, es schmeckt dir.“ Selbst wenn es ihn umbringen würde, Joey hatte sich geschworen, diplomatisch mit seinem zänkischen Schulkameraden umzugehen. Eine fein geschwungene Braue des Brünetten erhob sich, während er einige Sekunden auf das vollbeladene Tablett sah, welches der Andere ihm hingestellt hatte. „Wer hat das gekocht?“ Er wusste genau, dass seine Köchin keine landestypischen Gerichte zubereitete. Abgesehen davon, gab es selten ein Dessert. Die Frage des Brünetten ließ Joey innerlich in Abwehrhaltung gehen. Der Blick von Kaiba, mit dem er sein Gekochtes bedachte, gefiel ihm gar nicht. „Ich und Mokuba. Na ja, Mokuba hat hauptsächlich das Gemüse geschnitten und ich habe das andere gemacht.“ „Das ist ja widerlich und höchst bedenklich.“ „Hey! Du hast es ja noch gar nicht probiert!“ Nun war Joey wirklich angesäuert, langsam verdunkelten sich seine braunen Augen. „Mokuba hat es sehr gut geschmeckt.“ „Er ist bloß überaus höflich, diskret und taktvoll.“ Kaibas Lippen verzogen sich zu einem schmalen Lächeln, als Wheeler seine Hände in die Hüften stemmte. Endlich kam wieder etwas Kampfgeist in seinen Köter. „Du musst es ja nicht essen, wenn du nicht willst.“ Joey war versucht, das Tablett wieder mitzunehmen, doch Kaibas hochmütiger Blick hinderte ihn daran. Diesmal wollte er nicht klein beigeben. „Und im Übrigen könntest du dir etwas von der Höflichkeit deines Bruders angewöhnen. Von dir hat er sie nämlich nicht geerbt.“ „Wie habe ich das zu verstehen?“ „So wie ich es sage, Kaiba. Verstehst du es etwa nicht?“ „Drück dich deutlicher aus, Wheeler, und hör auf zu kläffen!“ „Wieso esst ihr nicht zusammen zu Abend?“ Joey rang aufgebracht die Hände. „Mokuba hat mir gerade eben erzählt, dass er es ist, der dir dein Abendessen immer bringt, weil du ihn vor lauter Arbeit jeden Abend vergisst. Er isst mit eurer Köchin!“ „Es hat dich nicht zu interessieren, wie unser Tagesablauf aussieht. Du bist hier nur Gast, verstanden?“ Die Saphire des Älteren verdunkelten sich merklich. „Meine Arbeit ist unser Lebensunterhalt, nur deswegen leben wir hier. Meine Essgewohnheiten lass meine Sorgen sein.“ „Wer redet denn von dir? Ich habe Mokubas Wohl im Auge. Immerhin tut es ihm nicht gut, jeden Abend mit der Köchin zu essen. Du bist sein großer Bruder und solltest mit ihm essen, und dich nicht alleine hier vergraben.“ „Ich wiederhole mich gerne nochmal, Köter! Es hat dich einen feuchten Kehricht zu interessieren, wie das Leben von mir und meinem kleinen Bruder aussieht. Wie wir leben, was wir machen, wann wir essen und wie wir essen hast du nicht zu bestimmen.“ „Ach ja?“ Diesmal wich der Blonde nicht zurück, als sich der Ältere aus seinem Stuhl erhob und sich beinahe bedrohlich vor ihm aufbaute. Starr blickte er Kaiba in die Augen. „Dann spitz mal deine Ohren, Kaiba! Solange ich das Vergnügen habe, in deinem Haus zu wohnen, wird dir niemand mehr das Abendessen bringen. Weder ich, noch Mokuba, noch die Köchin, noch irgendein anderer von deinen zahlreichen Angestellten. Solange du dich nicht mit uns an den Tisch setzt, bekommst du kein Essen mehr!“ Ein dunkles Lachen entwich der Kehle des Brünetten. „Wirklich? Seit wann gibst du hier Befehle in diesem… in meinem Haus, Köter?!“ „Verdammt…! Du aufgeblasener, eitler, blasierter Kerl! ICH BIN KEIN HUND!!“ Joey wusste nicht, wie es geschah, nur, dass es geschah. Auf einmal hatte er die Schale mit dem Himbeerquark in der Hand und nur Sekunden später klebte das Dessert in dem Gesicht seines Klassenkameraden. Einige Sekunden herrschte gespenstische Stille, die der Jüngere nutzte, um einige Schritte Sicherheitsabstand zwischen sie beide zu bringen. „Tja, danke für dieses aufschlussreiche Gespräch, Kaiba…“ „Wheeler…“ „… ich gehe dann mal in mein Zimmer. Guten Appetit noch und so…“ „WHEELER!!“ Mokuba, der in seinem Zimmer saß und gerade dabei war seine Hausaufgaben zu machen, schreckte hoch, als lautes Poltern im Gang zu hören war und mehrere knallende Geräusche von Türen erfolgten. Joeys panischer Schrei mischte sich in noch nie gehörte, wüste Flüche seines großen Bruders, während dieser wohl vergeblich versuchte, durch die gerade zugeschlossene Tür seines Klassenkameraden zu kommen. Der Schwarzhaarige grinste breit, während sich die Stimme von Seto immer mehr erhob, bis sie beinahe als schrill zu bezeichnen war. Joey würde sicherlich etwas mehr Schwung in ihrer beider Alltag bringen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)