Imperial Fortune von Lianait (Persona 4: Social Link 16.3) ================================================================================ Rank 5 ------ Nachdem sie das Rätsel um den Briefkasten gelöst hatten, fanden immer wieder neue mysteriös formulierte Karten ihren Eingang in Naotos eigenen Briefkasten. Die neueste beinhaltete ein Rätsel über Bäume. Zwar hatte Naoto schon während der Mittagspause mit Kanji darüber reden wollen – eigentlich nur deswegen war sie mit Rise auf das Schuldach gegangen – doch Chie-senpais und Yosuke-senpais zugegeben epischer Kampf um Yosuke-senpais Bentô hatte sogar Naoto abgelenkt. Sie saß allein an ihrem Tisch in ihrem mittlerweile leeren Klassenraum. Eigentlich hatte sie mit Rise nach Hause gehen wollen, doch diese war von Souji-senpai gefragt worden, ob sie ihn begleiten wollen würde und Naoto wollte sich nicht dazwischen drängen. Rise war natürlich überglücklich gewesen, aber hatte sich trotzdem bei Naoto entschuldigt und ihr versprochen, wenigstens Kanji Bescheid zu sagen, damit sie nicht alleine nach Hause gehen müsste. Vor ein paar Monaten wäre es Naoto noch vollkommen gleichgültig gewesen, ob sie alleine nach Hause ging, oder nicht, aber mittlerweile beruhigte es sie irgendwie, wenn jemand neben ihr ging und ihren Weg teilte, selbst wenn sie nicht viel mit diesem Jemand redete. Sie persönlich empfand Schweigen normalerweise nicht unbedingt als unangenehm, aber andere Leute. Allerdings wusste sie in den seltensten Fällen, worüber sie mit jemandem reden sollte… Mit Rise unterwegs zu sein, war einfach. Und angenehm. Naoto musste nicht unbedingt reden, sondern es genügte Rise, wenn sie ihr zumindest zuhörte und ihre Meinung zu gewissen Punkten äußerte. (Oder sie anfeuerte, in ihrem Bemühen, Souji-senpai für sich zu gewinnen.) Mittlerweile hatte Naoto auch eine Basis, auf der sie mit Kanji kommunizieren konnte, denn er wirkte gewillt, ihr bei ihrer Herausforderung durch den Phantomdieb zu helfen. (Auch wenn Naoto das ganze Vorhaben immer noch für kindisch hielt.) Naoto mochte es, mit Rise und Kanji zusammen zu sein, und genau deswegen hasste sie es auch, wenn die beiden nicht redeten. Sie mochte Rises klare, helle Stimme und Kanjis tiefen, grummelnden Bass. Sie mochte Rises freudiges Lachen, wenn sie von Souji-senpai sprach, und sie mochte es, wenn Kanji verlegen Nadel und Faden zückte, um zum Beispiel Daisuke-senpais Trainingsjacke zu flicken. Die Welt ist doch paradox…, dachte sie sich. Ein Gähnen unterdrückend, breitete sie sie ihre Arme auf dem Tisch auf und bettete ihren Kopf darauf. Gestern hatte Souji-senpai das Investigation Team wieder durch die TV-Welt geführt und Naoto war noch immer wie gerädert von den vielen Kämpfen gegen die zahlreichen Shadows. Als sie dann schließlich am Abend in ihrer Wohnung angekommen war, hatte sie eine neue Karte des Phantomdiebes in ihrem Briefkasten gefunden. Zum einen war sie unglaublich müde gewesen, doch zum anderen wollte sie dennoch das Rätsel lösen. Aber gerade weil sie so müde gewesen war, konnte sie nicht klar denken. Also war sie im Endeffekt auf keinen grünen Zweig gekommen und unverrichteter Dinge mitten in der Nacht ins Bett gefallen. Als Naoto sich einredete, dass sie ihre Augen nur kurz ausruhte, als sie diese schloss, fragte sie sich noch, warum sie Kanji letzte Nacht nicht angerufen hatte, nachdem sie die Karte gefunden hatte, aber sich keinen Reim daraus hatte machen können. Kanji war erstaunlich gut darin, die Rätsel des Phantomdiebes zu lösen; warum hatte sie ihn dann nicht angerufen? Wahrscheinlich weil sie sich schon vorstellen konnte, wie er reagieren würde… Sie hörte schon seine dunkle Stimme… „Verdammt, Rise…“, würde er fluchen. Rise? Warum sollte er Rise verfluchen? Moment… Naoto war sich in diesem Augenblick recht sicher, dass ihre Gedankengänge immer noch nicht wirklich klar waren. Sie hatte definitiv zu wenig Schlaf in den letzten Tagen gehabt. In ihrer Vorstellung hörte sie Kanji nun geschlagen seufzen. Ja, das passte wesentlich besser in das Bild von einem abendlichen Anruf. „Naoto“, hörte sie seine Stimme leise in den Hörer murmeln. Irgendwie mochte sie es, wenn er ihren Namen so sagte. Durch den Hörer klang seine Stimme so klar, als stünde er direkt neben ihr und spreche mit ihr. „Du mutest dir definitiv zu viel auf einmal zu“, kam sein Tadel. Er sprach immer noch so leise und vertraut. Naoto war einen Moment lang irritiert, als sie fühlte, wie ihr eine Hand sacht die Haare aus dem Gesicht strich. Sie hätte Kanji schließlich nicht angerufen, wenn er bei ihr wäre. Außerdem würde er ihr – sollte er paradoxer Weise doch anwesend sein – nicht die Haare klischeehaft wie in einem Shojo-Manga aus dem Gesicht streichen. Ihre Vorstellungskraft schien eindeutig mit ihr durchzugehen. Was allein schon das Auftauchen des Gedankens an Shojo-Manga bewies. Dennoch mochte ihr Shojo-Manga-Selbst, wie die Shojo-Manga-Version von Kanji ihr die Haare aus dem Gesicht strich und wie seine Hände ihre Stirn leicht streiften. Ihre Haut kribbelte sogar ein bisschen an der Stelle, an der sie der imaginäre Shojo-Manga-Kanji berührt hatte… Schluss jetzt mit diesen albernen Tagträumen! Innerlich herrschte sie sich an und zwang ihre Augen dazu, sich wieder zu öffnen. Immer noch mit auf ihren Armen aufgestütztem Kopf konnte sie ihren eigenen Schatten auf den Dielen des Klassenraums sehen, hervorgerufen durch die einfallende Nachmittagssonne. Aber etwas stimmte nicht mit dem Bild, das sich ihr bot… etwas war anders… Sie benötigte einen Augenblick, um zu realisieren, was es genau war, das sie störte. Ein zweiter Schatten zeichnete sich auf den Dielen ab. Jemand saß ihr an ihrem eigenen Tisch gegenüber! Nachdem sie diesen ersten Schock verarbeitetet hatte, erkannte sie auch an eindeutigen Merkmalen, wer bei ihr saß. Die Schultern, die Haare, der Schatten seiner übergeworfenen Jacke. Kanji. Augenblicklich stieg ihr die Hitze ins Gesicht, ihr Herz schlug einen Tacken schneller und ihre Kehle wurde trocken. Sie schluckte und drückte sich unwillkürlich fester auf ihren Tisch. Hoffentlich sieht er nicht zu sehr in meine Richtung! Am besten bleibe ich noch einen Moment an Ort und Stelle und tue so, als würde ich schlafen… ja, genau… Oh, mein Gott, ist mir das peinlich! Ich kann ihm ja schlecht rot, wie eine Tomate gegenübertreten. Dann weiß er, dass irgendwas nicht stimmt. Doch das Kribbeln auf ihrer Stirn wollte und wollte nicht aufhören und Naoto brauchte mehr als nur einen Moment, um sich wieder zu fangen. Irgendwann entschloss sie sich einfach dazu, das Kribbeln so gut es ging zu ignorieren und ‚aufzuwachen‘. Langsam richtete sie sich auf und rieb sich die Augen, um Kanji nicht sofort ansehen zu müssen. „Oh, du bist wach“, sagte er. „Ich wusste nicht, ob ich dich wecken soll…“ In ihren Ohren klang er ein wenig unsicher, aber als sie ihn ansah, war sein Blick klar. Er wirkte, als sei nichts weiter gewesen, auch wenn er die Stirn runzelte. Und so war es schnell wieder an ihr, den Blick unter seiner fragenden Miene zu senken. „Hättest du ruhig machen können“, antwortete sie nach einem anstrengenden Versuch, sich wieder an seine Frage zu erinnern. „Hast du lange gewartet?“ „Nee, ist schon okay“, meinte er ausweichend und zuckte mit den Schultern. „Sollen wir dann?“, fragte er, während er aufstand und Naoto ihre Tasche hinhielt. Sie nickte immer noch ein bisschen überfordert und nahm ihre Tasche entgegen. Als sie mit Kanji durch die menschenleere Schule zum Ausgang ging, war sie froh, dass er einen Schritt vor ihr ging, denn die Haut auf ihrer Stirn kribbelte noch immer. Hosted by Animexx e.V. 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