Imperial Fortune von Lianait (Persona 4: Social Link 16.3) ================================================================================ Rank 3 ------ Naotos erste Reaktion bestand darin zu blinzeln. Ihre zweite war der Gedanke, dass ‚Phantomdieb‘ ein wirklich lächerlicher und nicht ernstzunehmender Name war. Mittlerweile fragte sie sich auch schon ernsthaft, ob heute der Lasst-uns-alle-Naoto-Shirogane-sinnlose-Nachrichten-schreiben!-Tag war; erst ein Liebesbrief, dann eine kryptisch-leere Karte und schließlich eine infantile Herausforderung von einer Person, die sich selber unseriöser Weise ‚Der Phantomdieb‘ nannte. Gerade wollte sie die Karte auf ihren nicht mehr vollkommen chaotischen Schreibtisch legen, als ihr etwas auffiel. Das Gefühl der Karte in ihrer Hand kam ihr irgendwie seltsam vertraut vor… Wie vom Blitzschlag getroffen, realisierte sie auch woher. Naoto kramte ihren Kalender aus ihrer Tasche hervor und nahm die Karte, die ihr Kanji gegeben hatte, heraus. Neben der Tatsache, dass auf Kanjis Karte absolut nichts stand, sahen sie vollkommen identisch aus; die Schnittränder der Karten ließen sogar vermuten, dass sie aus demselben Stapel stammten, was den Verdacht erhärtete, dass es sich bei dem Absender der beiden Karten um ein und dieselbe Person handeln könnte. Super… sie hatte einen Stalker. Nicht nur, dass er in das Haus ihres Großvaters eingebrochen war, nein, er belästigte sogar ihre Freunde, indem er sie in seine kindischen Pläne mithineinzog. Sie sollte diesem Unsinn so schnell wie möglich ein Ende setzen. Naoto war schon drauf und dran Kanjis Nummer zu wählen, um ihn nach Details bezüglich seiner Inbesitznahme der Karte zu fragen, als sie die Uhrzeit bemerkte; es war bereits nach Mitternacht. Sicher, sie hatte schon spät abends mit ihm telefoniert, doch immer nur, wenn sie den Midnight Channel beobachteten. Was, wenn er schon schlief und sie ihn weckte, nur um ihn weiter mit Belanglosigkeiten zu belästigen? Ein Blick aus dem Fenster auf den sternenklaren Himmel sagte ihr, dass es unwahrscheinlich war, dass Kanji gerade vor einem ausgeschalteten Fernseher saß und darauf wartete, dass etwas auf dem schwarzen Bildschirm erschien. Nein. Sie wollte nicht, dass Kanji vielleicht sauer auf sie war, weil sie ihn nachts anrief und um seinen benötigten Schlaf brachte, falls sie morgen wieder von Souji-senpai durch die TV-Welt geführt wurden, um gegen Shadows zu kämpfen. Auch wenn sie noch nie Kanjis Stimme schwer vom Schlaf gehört hatte und sich insgeheim fragte, ob sie wohl wirklich so tief war, wie sie glaubte, redete sie sich ein, dass es für die Teamdynamik äußerst unförderlich sein würde, wenn Kanji auf sie sauer wäre. Also würde sie wohl oder übel erst am nächsten Tag nach der Herkunft dieser ominösen Karte fragen können. Am nächsten Morgen wachte Naoto lange bevor ihr Wecker klingelte auf. Nun ja, eigentlich stand sie einfach nur auf, weil sie die Unordnung in ihrem Zimmer so sehr abgelenkt hatte, dass sie kein Auge hatte vernünftig zu tun können. Allerdings war das Gute daran, dass sie den frühesten Bus in das weiter entfernte Inaba nehmen und so vielleicht sogar noch mit Kanji vor der Schule reden konnte. Für ihre Nachforschungen in Inaba hatte Naoto zuerst im Amagi Inn gewohnt, da es ihrer Meinung nach zu uneffektiv für ihre Arbeit gewesen wäre, wenn sie jedes Mal anderthalb Stunden später eintraf, weil sie den Bus in die Stadt nehmen musste. Als sich Naoto schließlich auch noch dazu entschlossen hatte, die Schule zu wechseln, um vollends dem Investigation Team beizutreten, schien es für sie unvermeidlich sich eine Wohnung in der Kleinstadt zu suchen. Die unmittelbare Folge dessen war natürlich, dass sie Moriyama immer mit Essen überschüttete, wenn sie doch einmal nach Hause kam. Obwohl Naoto die gutherzige Frau zwar nun schon ihr ganzes Leben lang kannte, hatte sie bis heute nicht herausgefunden, wie Moriyama es schaffte, Naoto zu jeder Tageszeit ein frisches Bentô zuzubereiten, wann auch immer sie das Haus verlassen wollte. Dass es Naoto trotz ihrer überaus rationalen Einstellung als Detektiv dennoch ernsthaft in Erwägung zog, dass Moriyama irgendeine Art von Zauberkräften besaß, sollte einiges aussagen. So saß sie also mit ihrer Tasche auf dem Sitz neben sich und ihrer Bentôbox auf dem Schoß im Bus nach Inaba. Als sie endlich ankam, war es früh, aber nicht zu früh, um jemandem auf seinem Schulweg einzusammeln. Sie hätte zwar an der Schule aussteigen können, doch entschied sich dagegen und stieg an der Haltestelle in der Einkaufsstraße aus, die nicht übermäßig weit von Kanjis Wohnhaus entfernt war. Kaum war Naoto in die Straße eingebogen, sah sie auch schon, wie ihr Rise entgegenstürmte; Naoto hätte sogar ohne detektivischen Scharfsinn erkannt, dass sie es ziemlich eilig hatte. Regelrecht schlitternd kam Rise vor ihr zum Stillstand und wartete noch nicht einmal, um wieder zu Atem zu kommen, als sie sofort flehend ihre Hände zusammenlegte und es schaffte gleichzeitig verschwörerisch zu zwinkern und entschuldigend zu bitten. „Entschuldige, wenn ich dich nicht sofort frage, wie es bei deinem Opa war, aber Nanako hat mich gerade angerufen und mir gesagt, dass Senpai bereits das Haus verlassen hat!“, sagte sie sehr schnell und aufgeregt. „Heute erwische ich ihn vor allen anderen!“ Von neuem Tatendrang gepackt, setzte sie erneut zum Lauf an. Rise war bereits ein paar Häuser weiter, als sie über ihre Schulter zurück zu Naoto rief: „Wir reden in der Pause, okay?!“ Sie wartete zwar nicht auf Naotos Antwort, sondern stürmte gleich weiter, doch Naoto nahm es ihr nicht übel. Rise hatte sich fest in den Kopf gesetzt so viel Zeit wie möglich mit Souji-senpai zu verbringen, was natürlich auch bedeutete, zusammen mit ihm zur Schule zu gehen. Naoto musste schon bei dem Gedanken daran schmunzeln, sich eine weitere Tirade darüber anzuhören, wie ihr Yosuke-senpai mal wieder die kostbarsten Momente ihrer Jugend gestohlen hatte, indem er einfach vor Rise mit Souji-senpai zusammengestoßen war. Wie konnte er auch nur. „Was ist so lustig? Habe ich was verpasst?“, hörte sie eine vertraute, tiefe Stimme. Versunken in ihre Gedanken und das Bemühen nicht mädchenhaft – und vielleicht auch ein bisschen verrückt, da sie alleine unterwegs war – zu kichern, hatte Naoto gar nicht gemerkt, wie weit sie bereits gegangen war. Als sie aufblickte, sah sie einen verwirrten Kanji vor sich. „Nein“, bemühte sich Naoto ruhig zu sagen, „nur Rise.“ „Oh“, meinte Kanji verstehend. „Vielleicht ist sie ja heute schneller als Yosuke-senpai…“ „Vielleicht“, stimmte Naoto mit zuckendem Mundwinkel zu. „Versteh mich nicht falsch, Naoto“, begann Kanji schließlich als sie den Samegawa überquerten, „aber warum bist du in die falsche Richtung gegangen? Die Schule ist auf der anderen Seite des Flusses.“ „Ich wollte zu dir.“ „Zu mir?“ Kanji klang außerordentlich verblüfft, als wäre die Vorstellung für ihn vollkommen, nun ja, unvorstellbar. Als Naoto sich ihm zuwenden wollte, drehte er rasch den Kopf und sah stur nach vorne, auch wenn seine Wangen immer noch ein bisschen rosa waren. Vielleicht hatte er ja Fieber; das würde zumindest einen kleinen Teil seiner sonderbaren Reaktion erklären. Er hatte gestern aber auch sehr grün um die Nase ausgesehen. „Warum?“, fragte er brüsk, wie um von seiner vorangegangenen Reaktion abzulenken. „Die Karte, die du mir gestern gegeben hast“, sagte sie langsam, „weißt du noch, von wem du sie bekommen hast?“ Er warf ihr einen Blick unter seinen zusammengezogenen Brauen hervor zu; scheinbar überlegte er. „Von einem Typen; er hatte dunkle Haare, eine Sonnenbrille und hat einen Anzug getragen. Ich kannte ihn nicht, aber er meinte, du würdest Bescheid wissen. War was an der Karte?“ „Das ist es ja: Es steht nichts darauf, das einzig Bemerkenswerte war ein leichter Citrus-Geruch. Allerdings bin ich im Haus meines Großvaters zu einer weiteren Karte gekommen, die darauf schließen lässt, dass sie vom selben Absender kommen.“ Naoto war bereits dabei ihre Schlussfolgerungen in einen zusammenhängenden Kontext zu bringen, sodass sie Kanjis scharfes Inhalieren nur nebenbei bemerkte. Wahrscheinlich hatte sich Kanji wirklich erkältet und musste nun durch den Mund atmen. „Wenn du den Mann, der dir die Karte geben hat, nicht kanntest, dann wird er wahrscheinlich ein Fremder von außerhalb der Stadt gewesen sein, schließlich bist du hier aufgewachsen und kennst viele Menschen allein vom Sehen“, sinnierte sie laut. „Aber warum gibt er dir eine Karte, anstatt sie mir persönlich zukommen zu lassen, wenn er doch weiß, wo ich beziehungsweise mein Großvater wohnt? Ziemlich unlogisch.“ Aber gut, er nennt sich immerhin auch Phantomdieb… „Es wird wohl kaum gewesen sein, weil ich besonders verlässlich aussah“, lachte Kanji leise in sich hinein, aber sein Lachen klang nicht sonderlich amüsiert. Der Unterton dieser Aussage ließ Naoto zu ihm aufblicken. Irgendwie machte sich in ihr das unbestimmte Bedürfnis breit, ihm zu sagen, dass sie ihn für durchaus verlässlich hielt. Gerade als sie den Mund öffnen wollte, um etwas Entsprechendes zu sagen, ergriff Kanji erneut das Wort. „Es ist ja auch nicht so, als würden wir so aussehen, als ob wir uns sonderlich nahe stehen würden“, sagte er in einer Mischung aus Stottern und Murmeln. Die Erkältung musste wohl auch seine Sprachorgane beeinflussen. Damit Kanji nicht sehen konnte, dass sie tatsächlich ein bisschen errötete senkte sie erneut den Blick. Wie sollte man sie denn ernst nehmen, wenn sie immer gleich rot wurde? Ungünstiger Weise wusste sie in diesem Moment wirklich nicht, wie sie das Thema wieder vernünftig auf die Karten bringen konnte, sodass sie schweigend nebeneinander hergingen und das Schultor passierten. Als ihr Hirn endlich einen Weg gefunden hatte, murmelte Kanji etwas davon, noch etwas vor dem Unterricht erledigen zu wollen und wandte von ihr ab. Sein steifer Gang den Flur entlang ließ vermuten, dass ihn ihr gemeinsames Gespräch nicht sonderlich erbaut hatte; er hatte eine Erkältung und sie schwallte ihn über unbeschriebene Karten zu, bevor sie das Gespräch mädchenhaft errötend abbrach. Ganz großes Kino. Dann hätte sie ihn auch gleich die vorangegangene Nacht anrufen können. Es wäre einiges eben doch manchmal wesentlich einfacher, wenn sie ein Junge wäre. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)