Freaks of Nature von sailor_muffin ================================================================================ Kapitel 41: Ein Frauengespräch ------------------------------ Kiyomi Takada war zum Fernsehen gegangen, in der Hoffnung, eines Tages eine angesehene Moderatorin zu werden, die über die großen, bedeutsamen Ereignisse in dieser Welt sprechen würde. Ein seriöser, würdevoller Beruf. Dass sie jetzt eine billige Talkshow leitete, die idiotische Prominente über ihre privaten Skandale und anderen Schwachsinn ausquetschte, war so nicht geplant. Neben ihr auf der Bühne saßen: Ein alternder Selbsthilfeguru namens Terence Dawn, der pausenlos seine unzähligen Ratgeber anpries und von Auren und Energieströmen faselte. Gina Becker, Hardcore-Feministin mit Damenbart und einer penetranten, dröhnenden Stimme, die mehrmals wegen Körperverletzung im Knast gesessen hatte. Natürlich handelte es sich jedes Mal um Notwehr, wie sie beteuerte. Kiyomi hatte Mitleid mit jedem, von dem sich diese Frau angegriffen fühlen würde. Misa Amane, Model, Sängerin, Schauspielerin und Vollzeitblondine. Und schlussendlich ein Kerl, der Mark Irwin hieß und sich auch einbildete, Schauspieler zu sein, nur aus gigantischen Muskelhügeln bestand und gerade mal das geistige Niveau von Toastbrot erreichte. Kiyomi hasste sie alle. „Kommen wir zu unserem nächsten Thema!“ strahlte sie übertrieben enthusiastisch in die Kamera. „Das Phänomen Kira!“ Es gab nur diesen winzigen Lichtblick. Nach ewigen Diskussionen war es ihr endlich gelungen beim Sender durchzusetzen, Kira ansprechen zu dürfen. Wenigstens eine Kategorie, die nicht komplett sinnloses Gelaber war, aber so viel konnte man von ihren Gästen natürlich nicht erwarten. „Wer oder was ist Kira? Gibt es ihn wirklich? Und wenn es ihn gibt, ist das was er tut richtig? Mark, was ist ihre Meinung dazu?“ Sie schenkte ihm ein süßliches Lächeln, während der widerliche Typ endlich seine Augen aus ihrem Ausschnitt nahm. „Ähm, ja, Kira. Also ich glaub ja, dass Kira so ne Art Alien ist. Ich mein, das wär doch total logisch. Und als er hier gelandet ist, da hat er so ne abgefahrene Weltraumkrankheit mitgebracht und alle Menschen, die Verbrechen begehn, sterben daran. Bestimmt gibt’s Planeten da draußen, wo diese Krankheit so gezüchtet wurde, in Labors und so, und ganz normal is, die haben dann keine Polizei und so, weil alle Verbrecher von sich aus Sterben.“ 'Was für ein riesiger Haufen Scheiße.' „Ein interessanter Ansatz! Was ist Ihre Theorie dazu, Terence?“ „Aliens! Pff! Unsinn! Es ist keine Macht von Außerhalb, es ist unsere Erde selbst, die die Verbrecher abstößt. Sie sind nicht mehr willkommen und die ewigen Energien durchfließen sie nicht mehr. Deswegen sterben sie einfach.“ 'Du lieber Himmel.' „Was denken Sie, Misa?“ Kiyomi wandte sich dem Popstar zu, der den größten Teil der Show bisher genau die aufgekratzte, alberne Entertainerin gewesen war, wie man es sich hätte denken können. Aber plötzlich war es, als säße eine andere Person an Misas Platz. Völlig ruhig und ernst, ihre Stimme dunkler und ihre Augen scharf, sie sah beinahe... gefährlich aus. Kiyomi blieb vor Staunen fast der Mund offen stehen. Was war jetzt auf einmal los? „Kira ist ein Mensch, aber er hat eine Macht, die für uns unvorstellbar ist. Und anstatt sie für seine eigenen Zwecke zu nutzen, setzt er sie für die Gerechtigkeit ein. Das ist bewundernswert. Wir sollten uns alle ein Beispiel an ihm nehmen. Er wird diese Erde von Grund auf ändern und ein Paradies für uns erschaffen.“ Im Raum war es völlig still geworden, die Stimmung unsicher und angespannt. Etwas stimmte nicht mit diesem Mädchen, ihr Blick, ihre Körperhaltung... Kiyomi schauderte leicht. „Sie sind also der Meinung, dass Kira Gerechtigkeit ist?“ Ihr Mund fühlte sich ausgetrocknet an, sie leckte sich nervös die Lippen. „Ja. Es muss ein Mensch sein, die all die schlimmen Dinge in dieser Welt gesehen und erfahren hat und jetzt dagegen vorgeht. Er ist so etwas wie ein Superheld.“ Misas grünen Augen bohrten sich in Kiyomis, ein amüsiertes, fast spöttisches Lächeln auf ihren Lippen. Das war nicht der einfältige Popstar. Das war etwas Schönes und Furchteinflößendes. Kiyomi hielt dem Blick stand, ihre Hände schweißnass und ihr Herz rasend. Was wenn... „SO EIN SCHWACHSINN!“ brüllte Gina dazwischen. Kiyomi unterdrückte ein genervtes Aufstöhnen. Misas Blick flog zu der grölenden Frau und wurde Mörderisch. Sie hingegen schien es gar nicht zu bemerken und redete ungehindert weiter. „DIESER KIRA IST EIN VERBRECHER WIE JEDER ANDERE. NIEMAND KANN EINFACH DAS GESETZ IN DIE HAND NEHMEN. DAFÜR HABEN WIR DIE POLIZEI.“ „Die Polizei und das Gesetz haben so lange versagt. Aber Kira, er bewegt etwas auf dieser Welt. Er verändert die Dinge wirklich. Außerdem sind Sie doch auch jemand, der das Gesetz gerne selbst ausführt, oder etwa nicht? Kann es sein, dass sie vor ihm Angst haben? Niemand, der sich Rechtschaffen verhält, hat etwas zu Befürchten! Aber ein gewalttätiges Miststück wie Sie sollte sich vor Kira in Acht nehmen! Er reinigt diese Welt von dem Ungeziefer!“ fauchte Misa zurück. Kiyomi bekam die unsicheren Blicke und hektischen Handzeichen der Techniker mit. Stimmengemurmel erhob sich im Publikum, eindeutig zu Gunsten von Misa. Sie musste die Situation entschärfen. Die Sache war nur die, sie wollte es gar nicht. Das war der größte Spaß, den sie je bei ihren Shows gehabt hatte. Teru saß jetzt wahrscheinlich in ihrem gemeinsamen Wohnzimmer und lachte wie ein Wahnsinniger. Sie lächelte so sanftmütig wie sie konnte. „Fakt ist, dass die Verbrecherzahlen extrem zurückgegangen sind. Gefängnisse, die früher überfüllt waren, können wieder frei atmen. Millionen an Steuergeldern werden gespart. Fünfundfünfzig Prozent der Bevölkerung der Vereinigten Staaten sprechen sich positiv für Kira aus, und die Zahlen steigen stetig an. Wir leben in aufregenden Zeiten, finden sie nicht?“ flötete sie Gina zu. Friss das, du Schlampe. Scheiß drauf, wenn sie deswegen gefeuert werden würde, war es das wert. Misa grinste sie breit und ausgelassen an, ein echtes Grinsen, meilenweit entfernt von ihrem üblichen, süßlichen Lächeln für die Kameras und Kiyomi war so glücklich, dass es beinahe lächerlich war. Sie hatte sich seit Jahren nicht mehr so gut gefühlt, dass ausgerechnet Misa Amane dafür gesorgt hatte, war unerwartet. War das ein Zeichen für die Wende? Wurde Kira jetzt endlich von den Menschen in aller Öffentlichkeit anerkannt werden? Hatten sich all die Monate Arbeit zusammen mit Teru endlich bezahlt gemacht? „DAS IST DOCH NICHT IHR ERNST. STEHEN SIE ETWA AUCH AUF DER SEITE VON DIESEM MÖRDER? SIND HIER DENN ALLE VERRÜCKT GEWORDEN?“ In diesem Moment brach Gina Becker stöhnend zusammen, eine Hand an die Brust gepresst. Und Panik brach aus. Es waren fast sechs Stunden später, als sie endlich nach Hause gehen durfte. Die Polizei hatte ihre Zeugenaussage mindestens vier Mal aufgenommen. Von allen Seiten redete man auf sie ein, Reporter drängten sich um das Gebäude vom Fernsehsender, ein riesiges Chaos ließ alle um sie wie Ameisen umher rennen. Kiyomi sah sich das Durcheinander nur lächelnd an. Jinx. Es gab jemand da draußen, der Kiras Macht hatte und bereit war, mit den Menschen in Verbindung zu treten. Sich offen entgegen der Hetze gegen die wahre Gerechtigkeit zu Stellen, und zwar ohne Kompromisse und Sentimentalitäten. Menschen wie Gina Becker waren genauso schlimm wie die Verbrecher, sie verdienten es genauso ausgelöscht zu werden, um diese Verleugnungen zu Stoppen. Die Kinder mussten schon lernen, Kira als ihren Retter zu Sehen! Er muss über jeden Zweifel erhaben sein! „Miss Takada! Kiyomi!“ Sie war schon auf dem Weg zur Tür, als sie ihren Namen hörte. Es war Misa Amane. Sie lächelte und winkte Kiyomi zu sich herüber, nichts an ihr erinnerte an die plötzliche Verwandlung auf der Bühne. Das war das Blondchen, dass man kannte, der Inbegriff hübscher Dummheit. Kiyomi musste sich die seltsame Verwandlung bestimmt nur eingebildet haben... Es war eine Erleichterung, aber irgendwie auch eine Enttäuschung. „Sie können gerne in meinem Auto mitfahren. Wir stehen direkt beim Hintereingang, da können wir den ganzen lästigen Reportern entkommen. Ich bringe Sie nach Hause.“ Strahlend hakte sie sich bei Kiyomi unter. „Nun, ich weiß nicht...“ fing Kiyomi an und auf einmal wurde Misas Griff hart und sie wurde mit unerwarteter Kraft mitgezogen. „Hey, warten...“ „Keine Sorge, dass macht mir gar nichts aus.“ fiel Misa ihr einfach ins Wort. Ihr Lächeln war immer noch zuckrig, als sie die überrumpelte Kiyomi aus der Tür schleppte und sie in eine verdunkelte Limosine stieß. Kiyomi sah panisch zu dem Mädchen, dass sich auf den schwarzen Ledersitz neben ihr fallen gelassen hatte und sie mit einem Piranhagrinsen anstierte. Es war dasselbe Mädchen wie heute auf der Bühne. Und das war entweder gut. Oder sehr, sehr schlecht. Misa lehnte sich nach vorne, bis Kiyomi ihren warmen Atem spüren konnte. Sie roch nach Erdbeerkaugummi. „Wenn du weglaufen willst, kannst du das jetzt tun. Eigentlich wollte ich dir jetzt eine rote und eine blaue Pille anbieten, aber die Idee ist mir zu Spät gekommen und ich hatte keine Zeit mehr, Smarties zu kaufen.“ „Was soll das alles? Was weißt du über den Vorfall heute? Was willst du von mir?“ entgegnete sie so selbstsicher, wie sie konnte, während eine Hand schon am Griff der Autotür lag. Das war doch verrückt! „Na, wenn du das wissen möchtest, musst du mit zu mir kommen. Ich weiß, wer du bist, und was du und dein Freund in eurer Freizeit so machen. Und ich garantiere dir, dass dir das, was ich dir zu Sagen habe, gefallen wird.“ „Ich habe keine Ahnung, worüber du redest!“ „Natürlich. Also, was ist? Die Welt verändert sich. Und mit dem, was ich dir erzählen würde, könntet ihr ein Teil davon sein. Und das wollt ihr doch, oder?“ Kira. Jinx. Misa hatte etwas damit zu tun. Kiyomi beging den größten Fehler ihres Lebens. Oder sie ergriff eine Chance, die nie wiederkommen würde. Sie nickte. Misas Apartment war riesig und sah aus wie der Drehort eines klischeeüberladenen Horrorfilms. Totenköpfe, Kreuze, schwarze Spitze, viktorianische Möbel, unheimliche Puppen. Es passte gut zu dem Gothic-Stil, den Misa die meiste Zeit trug. Was das Ganze nicht weniger albern machte. Weshalb hatte Misa sie noch einmal so nervös gemacht? Kiyomi gähnte erschöpft. Sie war müde und sehnte sich nach ihrem Bett zuhause. Bestimmt wollte sich dieser möchtegern-okkulte Teenager nur wichtig machen. „Ich hab eure Webseiten im Internet gefunden. Ihr macht Propaganda für Kira und stellt Namen von Verbrechern online. Ihr habt mittlerweile eine riesige Fangemeinde aus aller Welt gewonnen. Nicht zu fassen, wie viel du und dein Freund Teru Mikami in nur so wenigen Monaten erreicht habt.“ „Wir haben nichts Illegales getan. Ich weiß zwar nicht, wie du herausgefunden hast, dass wir es waren, aber wenn du uns Erpressen möchtest, wird dir das nichts bringen. Ich werde jetzt wieder gehen.“ „Und ich habe geglaubt, dass ihr bereit seit, den nächsten Schritt zu gehen.“ Sie ließ sich auf ihr dunkelrotes Bett fallen. „Mit dem Tod von Gina Becker habe ich nichts zu tun!“ „Dass weiß ich doch, du Dummerchen! Ich wars doch!“ Lachend setzte sich Misa auf. „Ich bin Jinx. Und? Sollen wir zusammenarbeiten?“ „... DU? Denkst du wirklich, dass ich dir das glaube?“ „Ich kanns dir beweisen, wenn du willst.“ Misa zog einen kleinen Schmollmund und zog ein schmales, schwarzes Buch unter ihrem Kopfkissen hervor. Auf dem Einband waren ein paar merkwürdige Schriftzeichen eingraviert. „Lies den neuesten Eintrag!“ Im Buch standen Namen. Seite um Seite. Auf der Letzten stand: Gina Becker. Herzinfarkt. Gina Becker erleidet einen Infarkt und stirbt, nachdem sie sich im Fernsehen negativ über Kira geäußert hat. Darunter war das genaue Datum und die Uhrzeit, an dem es passiert war. „Und? Du hast die Ereignisse von heute hier eingetragen. Was soll das schon beweisen?“ „Den Eintrag hab ich vor sieben Tagen gemacht.“ „Natürlich...“ Was für eine Zeitverschwendung. „Sags ihr, Rem!“ Monster. Ein riesiges, weißes, skelettartiges Monster. „Ja, Misa hat den Tod von Gina Becker im Voraus eingetragen. Der Mensch, dessen Name in diesem Buch steht, stirbt. Das ist die Macht des Death Note.“ „Ziemlich cool, ne? Kiyomi?“ „D... D... Da... D... Da... Da is... ist... MONSTER!“ „Ich bin kein Monster. Ich bin ein Shinigami.“ Kiyomi griff auf den Frisiertisch und warf eine Bürste nach dem Ding, die durch Es durchflog, als Bestände Es nur aus Luft. „Das ist aber wirklich unhöflich, Kiyomi. Sag Rem doch wenigstens 'Guten Tag', bevor du sie bewirfst.“ „A... Aber... Monster! Skelett! Im Zimmer!“ „Sie war schon die ganze Zeit da. Aber man kann sie nur sehen, wenn man das Death Note berührt hat. Sie ist ein Shinigami, ein Todesgott. Und von ihr habe ich das Notizbuch bekommen. Kira hat bestimmt auch so eins, das ist die einzige Erklärung für seine Macht. Der einsame Held hat Verstärkung bekommen. Er ist Superman und ich bin Wonderwoman. Und mit der Hilfe von dir, Teru Mikami und all unseren Gefolgsleuten im Internet werden wir eine gigantische Revolution starten! Wir sind überall und niemand kann uns aufhalten! Was sagst du?“ Misa war auf ihr Bett gesprungen und stand da, die Arme ausgebreitet und ihre Augen leuchtend. Verrückt, überdreht, schön und wild entschlossen. Das war es also, was sie auf der Bühne gesehen hatte. Das war Jinx. Das weiße Monster, der Totengott, stand mit ruhiger, ausdrucksloser Miene hinter ihr. Die Zukunft. Eine reine Welt. Ein zweiter Kira, der auf sie zugekommen ist, der sie einbeziehen will in diesen Krieg. Die ganze Arbeit hatte sich wirklich bezahlt gemacht. 'Gott ist zu den Menschen gekommen,' würde Teru jetzt sagen. Und das alles nur wegen Kiyomi und ihm. „Jinx. Ich schwöre, dass ich alles in meiner Macht stehende tun werde, um unseren Traum zu erfüllen. Wenn ich und Teru dir auf jedweder Art und Weise dienen können, wäre es für uns eine große Ehre.“ Sie verbeugte sich feierlich. Was für ein Moment! Misa sprang vom Bett und warf sich ihr um den Hals. „Yeah! Das wird ein Riesenspaß! Wir werden bestimmt beste Freundinnen! Und ich freu mich schon so drauf, deinen Teru kennenzulernen! Ist er wirklich immer so mies drauf, wie er auf seinem Passbild aussieht, oder hatte er an dem Tag Blähungen?“ „I.. Ich dachte, du verhältst dich so nur zur Tarnung??“ Ihr Gegenüber blinzelte sie nur unverständig an. „Was meinst du? Wie verhalt ich mich denn?“ Ohne auf eine Antwort zu warten packte Misa plötzlich mit einem erschrockenen Quietschen den schwarzen Plüschwecker auf ihrem Nachtkästchen. „Oh mein Gott, schon so spät? Ich hab die neue Folge von 'Black Blood' verpasst! Dabei wird Victor heute endlich Emilia seine Liebe gestehen!“ Kiyomi seufzte. Da lag wohl noch ein ziemlicher Berg Arbeit vor ihnen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)