Freaks of Nature von sailor_muffin ================================================================================ Kapitel 25: Fahrt ins Ungewisse ------------------------------- Mello hatte das Photo in seiner Hand etwa zehn Minuten angestarrt und sich bemüht, sachlich und neutral über diese neue Situation nachzudenken. Dann hatte er beschlossen, das sich sachlich und neutral ins Knie ficken können, und das erste Bier aufgemacht. Near könnte das Bild aus allen möglichen Gründen haben, als Zielscheibe für Dartpfeile oder um sich damit einen runterzuholen (und verdammt, das war mal ein aufregender Gedanke). Aber er hatte es bestimmt nicht, weil Mello ihm egal war. Bei seinem dritten Bier begann er, vor sich hin zu grinsen. Er fühlte sich leicht und glücklich. Es war zwar alles ein bisschen holpriger gelaufen, als er gedacht hatte, aber letztendlich war es doch ganz gut ausgegangen. 'Near schläft auf meinem Sofa.' Mello kicherte leise bei dem Gedanken. 'Near schläft auf meinem Sofa, in meinen Klamotten, in meiner Wohnung. Alles Meins.' Mello konnte sich noch gut erinnern, wie er damals in Wammys Haus immer mal wieder nachts in Nears Zimmer geschlichen war, und ihm beim Schlafen zugesehen hatte. Er hatte nie etwas getan, obwohl er sein Messer jedes Mal dabei hatte, und Near war nie aufgewacht. Alles in seinem Zimmer war komplett weiß gewesen, die Schränke, die Wände, das Bett, das Bettzeug, Nears Schlafanzug und Near selbst. Er schien beinahe in all dem Weiß zu verschwinden, wie verdammtes Chamäleon, kaum noch zu Erkennen. Und sein 'Büro' hatte ja auch nicht besser ausgesehen. Nichts in Mellos Wohnung war weiß, selbst wenn es einmal gewesen war, hatte es der Schmutz und die Abnutzung längst bearbeitet. Grau, braun, grün, beige, schwarz. 'Versuch jetzt mal, dich zu verstecken...' Er ging vor dem schlafenden Jungen in die Hocke. Verdammt, er sah jung aus. Noch jünger als sonst, und so blass. Und er lag da, so friedlich und wehrlos, seine kleinen Hände zuckten immer wieder leicht. Mellos Pullover war ihm von einer Seite gerutscht, schwarzer Stoff und weiße, schlanke Schulter. So klein... 'Oh Fuck, er ist noch ein Kind! Und ich hab ihn begrabscht!' 'Er ist sechzehn, grade mal zwei Jahre jünger als du. Nur, weil er aussieht, wie direkt aus der Grundschule, heißt es nicht, dass man mit ihm so umgehen muss.' Irgendwie half das trotzdem nicht, sein schlechtes Gewissen zu beruhigen. Near hatte bestimmt keine Ahnung von Sex, wenn man mal von dem biologischen Kram absah. 'Ich fühl mich wie ein Kinderficker. Ok, neue Regel: Nicht anfassen! Zumindest nicht für Sex. Später vielleicht, in ein, zwei Jahren, wenn ich nicht mehr das Gefühl hab, ihn gerade vom Spielplatz entführt zu haben.' Mello nickte zufrieden und öffnete das fünfte Bier. Er war so Vernünftig und Erwachsen! Matt kam in diesem Moment herein getrampelt. „Schatz, ich bin wieder zuhause! Gibt es nen bestimmten Grund, warum es hier noch mehr nach Pisse stinkt als sonst?“ „Gehts auch n bisschen leiser? Er schläft gerade!“ fauchte Mello zurück und schwenkte die Flasche in Nears Richtung. Matt sah mit hochgezogener Augenbraue von Mello, zu Near, zu Mello. „Entschuldigung, hab nicht daran gedacht, dass das Baby schläft. Es interessiert dich vielleicht, dass ich uns was Neues organisiert habe. Wir gehen nach Los Angeles. Da draußen steht ein Wagen für uns, wir sind etwa vier Tage unterwegs, dann kommen wir zu nem privaten Flugplatz, bei dem die Maschine wartet, die uns hinfliegt. Ein Glück, dass wir uns mit der Mafia gut gestellt haben, wir werden dort wahrscheinlich noch ein paar Jobs für sie machen müssen, aber das dürfte alles kein Problem sein.“ Mello schwankte zum Fenster hinüber. „Sag mir, dass es nicht diese Schrottlaube ist.“ „Es ist nicht hübsch, aber funktionstüchtig und unauffällig. Der Kofferraum ist groß und die hinteren Seitenfenster sind verdunkelt, damit Prinzesschen in der Sonne nicht verbrutzelt. Wenn du das Ganze stilvoller gewollt hättest, hättest du es mir ein bisschen vorher sagen sollen. Übrigens, ich hab das Auto gegen dein Motorrad getauscht.“ „Du hast WAS?“ „Sieh es als Strafe dafür, dass du mich nicht eingeweiht hast. Wenn du das nächste Mal irgendwas hochgradig bescheuertes tust, warn mich vor. Und jetzt hilf mir packen.“ Als es dämmrig wurde, weckte Mello Near auf, der immer noch ein bisschen durch den Wind zu sein schien. Irgendwie war er ja ziemlich niedlich. Wie eine kleine, wuschelige Albinokatze. Eine Katze, die offenbar verdammt viele Medikamente brauchte. Sah ganz so aus, dass sie noch Einkaufen gehen mussten. Ein Glück, dass Matt sich vor einiger Zeit in das Sicherheitssystem der Pharmaziehalle einer großen Apotheke gehackt hatte, für ein paar Junkies, deren Dealer im Knast saß. Am Ende wurde nichts draus, weil es diese Idioten geschafft hatten, sich erwischen zu lassen, als sie in irgendein Haus eingestiegen waren. Und Near schien ja zu wissen, was er brauchte, alles also kein Problem. Diese andere Sache war... überraschend. Nears Beine waren damals im Waisenhaus sehr schwach gewesen, aber Mello hatte geglaubt, dass es sich mit der Zeit gelegt hätte. Schließlich war ja ständig dieser Physiotherapeut ständig bei ihm gewesen, er wurde dafür bezahlt, dass es Near besser ging, oder? Wenn er das nicht hinkriegen würde, wieso hatte Watari den Trottel nicht gefeuert und jemanden eingestellt, der wusste, was er tat? Nicht dass sich Mello beschweren würde, der Anblick war mehr als überwältigend, Near, der völlig hilflos und bettelnd vor ihm lag. Mello war erst jetzt bewusst geworden, wie sehr Near wirklich von ihm abhängig war. In diesem Moment kämpften so viele Gedanken um die Oberhand. Er wollte Near zertreten wie ein Insekt, wieder und wieder, bis man seine Leiche nur noch an den Zähnen identifizieren könnte. Er wollte ihn in den Arm nehmen, ihn streicheln und zuflüstern, dass er bei ihm sicher wäre, dass er ihm niemals etwas tun würde. Er wollte ihn einfach liegenlassen und die Wohnung anzünden, und ihn mit ihr verbrennen lassen. Er wollte ihn ficken, ihn an den Haaren auf die Knie zerren und ihm seinen Schwanz in den kleinen Mund rammen. Er wollte ihm wehtun, ihm alle Knochen brechen und ihn noch hilfloser machen, damit er nie, nie mehr ohne Mello sein könnte. Er wollte ihm zu einem Arzt bringen, einem richtigen Arzt, der ihm helfen könnte und gemeinsam würden sie es schaffen, dass er wieder laufen könnte, und Near würde lächeln und bei ihm bleiben. Er wollte... Matt tippte ihm auf die Schulter und unterbrach den wirren Gedankensturm. „Ich unterbreche ja nur ungern, aber: Raus hier.“ Ja, genau, sie mussten sich ja beeilen. Später war genug Zeit, sich zu entscheiden. Er hatte unglaublich gute Laune, als sie losfuhren, das Feuer aus ihrem ehemaligen Haus im Rücken. Sogar, dass Matt sein Motorrad weggegeben hatte, konnte er großmütig übergehen, denn Near lächelte ihn warm und zufrieden an, die Welt schien groß und offen und schön und Mello hatte das Gefühl, dass jetzt nichts mehr unmöglich wäre. Matt parkte den Wagen in einer Nebengasse bei der Pharmaziehalle und zog seinen Laptop nach vorne. „Ok,“ meinte er, während er sich durch das System hackte, „Gleich hab ichs. Sag mir nochmal genau, was du brauchst, dann lauf ich schnell rein und hols.“ „Warte, warte, ich komm mit.“ Mello zupfte ihm heftig am Ärmel. „Vergiss es. Du bist immer noch betrunken, so nehm ich dich nicht mit. Einmal und nie wieder.“ „So schlimm wars doch nicht.“ „Sag das zu dem Kerl, mit dem wir das Ding hätten durchziehen sollen. Der hat mittendrin solche Angst vor dir gekriegt, dass er sich freiwillig der Polizei gestellt hat.“ „Er war ja auch ne Pussy.“ „Und du hast wahllos in die Luft geschossen und geschrienen: 'Die Aliens kommen! Tötet die Königin!' Weglaufen war da eine ziemlich kluge Entscheidung.“ Near gluckste leise vor Lachen. Beide drehten sich erstaunt um. „Ihr zwei seit lustig.“ kicherte er. „Sind wir das?“ Mello sah ihn verwirrt an. Matt zuckte nur mit den Achseln und tippte weiter. Near hatte begonnen, seine Liste für Matt herunterzuplappern, Mello hörte kaum ein Wort davon. Er sah so anders aus. Nicht kalt und arrogant, nicht desinteressiert und gelangweilt, nicht ängstlich und unsicher. Er saß in einer Decke eingekuschelt auf dem Rücksitz, lächelnd und zufrieden. Mello wollte ein Photo machen, einfach weil er diesen Moment einfangen wollte, damit er ihn immer bei sich haben konnte. Und Mello wollte Nears Lächeln küssen und über seine weichen Wangen streichen. 'War da nicht was mit keinem Sex?' 'Scheiße, stimmt...' „Kannst du dir das alles merken?“ fragte Near. „Natürlich.“ Matt steckte sich eine der Waffen in den Hosenbund. „Komm gleich wieder. Seit brav.“ „Ist sie denn gerade verlassen?“ Near sah Matt hinterher, als er auf die Halle zuging. „Keine Ahnung. Was macht das denn, er hat doch ne Knarre dabei.“ „Das soll die Lösung sein?“ Mello grinste ihn fröhlich an. „Du wärst überrascht, wie viele Probleme man lösen kann, indem man ne Waffe mit sich herumträgt.“ Er kletterte mit etwas Mühe nach hinten auf den Rücksitz. „Tun deine Beine sehr weh?“ „Es geht. Es wird besser, sobald ich das Morphium habe.“ „Du kannst dir nicht einfach das Zeug reinpfeifen. Du musst zuerst was Essen.“ Mello legte nachdenklich den Kopf schief. „Essen tust du auch nicht so oft, oder?“ Near sah etwas verlegen und beschämt auf seinen Schoß. „Ich mag Essen nicht.“ „Wieso?“ Wie konnte man Essen nicht mögen? Man, der Junge hatte ja echt Probleme... „Es ist ein ekliges Gefühl im Bauch. Man ist träge und schwer und müde. Das Nachdenken funktioniert nicht mehr so gut. Und Dinge in den Mund zu stecken, zu kauen und herunterzuschlucken, Dinge, die mal gelebt haben, Pflanzen, die im Dreck gewachsen sind, das ist Widerlich.“ Mello sah ihn scharf an und krabbelte direkt auf ihn zu, bis er Nears Atem auf seinem Gesicht fühlen konnte. „Jetzt hör gut zu. Das sag ich jetzt nur einmal und ich werde nicht darüber diskutieren, verstanden? Du wirst essen, was ich dir gebe. Ist mir egal ob dus magst oder nicht, Schluss mit dem Abmagern. Ich mache hier die Regeln, ich bestimme über dein Leben und deinen Tod, und du wirst ganz bestimmt nicht an deiner Magersucht sterben wie irgendein depressiver Teenie.“ Es wäre so einfach ihn jetzt zu küssen, drei Zentimeter und er könnte die weichen, schmalen Lippen auf Seinen spüren. Nears Atem war so warm. Nur ein Kuss. Ein Einziger. Nur eine kleine Kostprobe. „Mello?“ fragte er leise. Der Bann war gebrochen. Mello stöhnte frustriert. „Was denn!?“ „Danke. Danke das es dir nicht gleichgültig ist.“ „Natürlich ist es mir nicht gleichgültig! Ich hab dir doch gesagt, das ich derjenige sein werde, der dich tötet.“ Es war Near, der näher an ihn rückte und sich an ihn kuschelte. Mello legte den Arm um ihn, und es fühlte sich an, als wären sie zwei Puzzleteile. Near passte perfekt an seine Seite, klein, warm und anschmiegsam. Er konnte hören, wie Near leise erwiderte: „Gut. Das ist gut. Das hab ich mir immer gewünscht.“ 'Gratulation. Sieht ganz so aus, als ob du tatsächlich den einen Menschen auf dieser Welt gefunden hast, der noch kaputter ist als du. Du solltest euch beiden besser gleich die Kugel geben.' „Ach, halt doch die Klappe, du Arschloch.“ Near sah erstaunt auf. „Was?“ „Hab nicht mit dir geredet.“ Mello zog ihn wieder an sich. Niemand würde ihm vorschreiben, was er zu tun hätte. Schon gar nicht irgendwelche Stimmen in seinem Kopf, die wie Matt klangen. Pff. Hosted by Animexx e.V. 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