Wer suchet, der findet. von haki-pata (Ob der Fund zur Suche passt ist eine andere Sache) ================================================================================ Kapitel 29: Mehr als genug ist zuviel! -------------------------------------- Nach einer Weile Schimpfkanonade bin ich wieder beim Leichenfundort angekommen. Unsere Pathologin hat alle sterblichen Überreste von Lipinski eingesammelt und eingesackt. Sackgesicht in einen Sack eingesackt. Passend. So ist es. Ich konnte ihn kein bisschen leiden! „Alles klar?“ Die Handschuhe ausgezogen knufft mich Charlene. „Du siehst fertig aus. Hat der Irre wieder angerufen? Dich und dein – mir noch unbekannten – Schatz bedroht?“ „Ja. Auch.“ In ihrer Gegenwart gestatte ich mir einen tiefen, unglücklichen Seufzer. „Ich war glücklich ohne Partner. Ohne Berger.“ Die Arme verschränkt lehne ich mich an die Seite des Leichenwagens. „Da ist dieser Irre und schlitzt Leute auf und ruft an und will sich… Was weiß ich… profilieren…? Scheiße auch! Ich will ermitteln. Wie früher! Allein!“ „Sprich doch mal mit Brace.“ empfiehlt mir Charlene. „Sie weiß, als Solo-Ermittler warst du besser.“ „Null Chance. Der Commissioner hackt auf Brace herum. Die Bürgermeisterin dazu. Bin doch für die der Schläger-Bulle.“ erwidere ich bitter. „Ich will mich nicht beschweren, aber… Sollte ich nicht Innendienst schieben? Ab heute? Und? Wo bin ich? Hier! Und? Was mache ich? Mir das Werk dieses Irren angucken!“ Mit beiden Händen raufe ich mir das Haar. „Sämtliche Fakten zusammengezogen gibt das alles keinen Sinn, Charlene. Was haben die Opfer gemeinsam? Nach welchen Kriterien hat der Täter sie ausgewählt? Was bezweckt er damit, mich anzurufen? Warum ruft er mich an? Nicht… Nicht Berger? Und da ist noch dieses Foto. Kenne ich ihn? Habe ich ihn mal verhaftet? Oder stand ich nur mal auf seinem Parkplatz? Irgend so ein Klein-Scheiß, der ihn ausrasten ließ? Ich weiß nicht, wie ich noch…“ Nach einem heftigen KLATSCH reibe ich mir die Wange. „Du Heulsuse! Wage es nie wieder an dir zu zweifeln, Aaron Meyers!“ schimpft Charlene und hält sich ihre Hand. „Du bist einer der besten Bullen dieser Stadt. Wenn nicht sogar der beste! Zeig es diesem Irren. Mach ihn fertig!“ Charlene Rush ist meine beste Freundin. Sie ist die einzige, die so mit mir reden darf. Sie ist die einzige, die mich ungestraft ohrfeigen darf. Sie ist auch die einzige, die mir – hin und wieder – den Kopf gerade rückt, wenn ich mich zu sehr in einen Fall verbeiße. „Du bist einmalig, Charlene.“ Zum Dank küsse ich ihre Wangen. „Du hast Recht. Ich bin eine Heulsuse. Weniger Wehleidigkeit steht mir besser zu Gesicht.“ „Oh…“ Sie lächelt entschuldigend. „Du hast dich heute das erste Mal wehleidig gezeigt. Das kenne ich nicht von dir. Sorry, Ron.“ „Klar.“ Ich zwinkere ihr zu. „Wir sehen uns später, hm?“ Meine Autoschlüssel gebe ich meiner uniformierten Kollegin Officer Velma Ferric und bitte sie, mir meine Kutsche zum Revier zu bringen. Lieber würde ich Julian bitten – wäre es doch ein besserer Grund zum Wiedersehen, statt dieses Belauschen. Leider ist er sonst wo. Laut Vorschrift muss ich den Tatort mit Dienstfahrzeug und Kollegen verlassen. Es entzieht sich meiner Kenntnis, wer sich das hat einfallen lassen. Bürokratischer Schwachsinn. Am Dienstwagen angekommen sehe ich meinen werten Kollegen an der Fahrertür stehen und er weist mürrisch dreinblickend ins Wageninnere und auf den Beifahrersitz. „Das da ist dein Platz!“ meckert er. „Und so lange wir Partner sind, bleibt das so!“ „In weniger als einer Sekunde habe ich dich entwaffnet und halte dir deine Seavers an den Kopf. Entsichert! Bist du weiterhin der Meinung, das da ist mein Platz?“ Dabei lächle ich. Kalt. Das Lächeln, unter dem Henry King – Menschenhändler aus Leidenschaft – eingeknickt ist. „Das sage ich auch Brace!“ Aber er gibt auf, verzieht sich auf die andere Seite und steigt ein. Das kann ich mir nicht verkneifen: „Eine Petze sagt was?“ „Was?“ fällt er tatsächlich darauf herein. „Petze.“ Schlecht gelaunt starrt Berger über die gesamte Fahrt aus der Seitenscheibe und murmelt wüste Beschimpfungen, die mich durchweg amüsieren. Nichts dabei, was ich nicht schon kenne… Kurz vor dem Revier wirft Berger mir einen finsteren Blick zu. „Du hast was mit Rush am Laufen. Stimmt´s? Darum sagst du ihr auch nichts. Stimmt´s? Hab gesehen, wie ihr euch… abgeküsst habt!“ Er grunzt unzufrieden. „Obwohl du mir versprochen hast, ein gutes Wort für mich einzulegen!“ Erwähnte ich irgendwann einmal, wie doof Berger ist? Ein Dementi wäre angebracht, sonst dichtet er sich alles Mögliche und Unmögliche zusammen und verteilt seine Dichtung im gesamten Distrikt. „Nein.“ Klasse Dementi, oder? Geht noch besser! Achtung: „Da läuft nichts. Wir sind Freunde. Mehr nicht. Und nicht weniger!“ „Und dann macht ihr… Lippenakrobatik?“ Das finde ich nur bedingt witzig und halte meine Antwort zurück, bis der Wagen in einer Parklücke steht. „Charlene bekam einen Kuss auf die linke und einen auf die rechte Wange. Ein Zeichen der Dankbarkeit und eines der Wertschätzung.“ „Ja… Sicher…“ erwidert Berger wenig überzeugt. „So eine heiße Braut und ihr seid ‚nur‘ Freunde? Bist du blind, blöd oder schwul?“ Er lacht auf. „Ne. Schwul nicht. Nur blind und blöd. Und zwar total blind und unheimlich blöd!“ Wortlos steige ich aus und stelle mich neben den Wagen, fahre mir durch mein Haar und atme tief in den Bauch und kontrolliert aus. Mit geringerer Selbstbeherrschung hätte sich Berger dafür eine blutende Nase geholt. Nicht weniger wortlos marschiere ich Richtung Revier. Wo er bleibt ist mir egal. So ausgelaugt war ich schon lange nicht mehr. Bei den Göttern. Scheiß Partner. Scheiß Irrer. Scheiß Fall. Ach ja. Schlimmer geht immer. Ich habe wieder Hunger. Scheiß Hunger! Im Revier setze ich mich an meinen Schreibtisch, schnappe mir das Formular für den Bericht und trage ein, was ich eintragen kann. Eigentlich müsste mein werter Kollege den schreiben, war er doch vor mir am Tatort und ist Leiter dieser Ermittlung. Tut er nicht. Bürdet er ohnehin mir auf. Warum aufregen? Der Tag kann nur besser werden. Was essen wäre nicht schlecht… In der Kantine wird biologisch gekocht und heute gibt es Tacos. Einen Taco… Oder zwei… Extra Soße… Schön scharf… Hm… Wie komme ich jetzt auf Julian? Scharf… Ist er. Und wie er das ist. Meine uniformierte Kollegin Officer Ferric tritt an meinen Schreibtisch und übergibt mir meine Wagenschlüssel. „Ein echtes Schätzchen!“ lobt sie meinen Wagen. „Und so sauber!“ „Ja. Danke, Ferric. Dafür haben Sie einen Kakao und Donuts bei mir gut. Oder einmal Kino.“ „Kino!“ wählt sie. „Ich komme darauf zurück.“ Ein Lächeln, ein Zwinkern und weg ist sie. Meine umstehenden Kollegen haben es mitgekriegt. „Ach? Du machst jetzt die Ferric klar?“ erkundigt sich Shawn McCormick und schnalzt mit der Zunge. „Die nächste in der langen Liste deiner Eroberungen?“ „Er kriegt Ferric. Das kann’s nicht sein! Er – kriegt – Ferric!“ Sein Partner, Emilio Disisto, wirft mir einen bitterbösen Blick zu. „Mann! Wie schaffst du das? Reihenweise schleppst du die Weiber ab!“ Das klingt nach blankem Neid der Heterosexuellen. Schwule haben meist die besseren Karten bei Frauen. Nicht wissenschaftlich bewiesen, ist aber so. Na! Bei mir ist das so. „Yep.“ Die Hände im Nacken lehne ich mich zurück und grinse mokant. „Kino. Popcorn. Ein Drink. Oder zwei. Ein intimes Dinner in einem lauschigen Restaurant. Mal sehen was der Abend da noch bringt…“ Ich übertreibe dermaßen, Shawn und Emilio nehmen es für voll. Shawn gibt mir einen Stupser. „Unter uns. Gibt es ein Weib im Revier, das du noch nicht… eingeladen hast. Zu was auch immer…“ „Brace.“ behauptet Emilio. Aufs Stichwort: „Meyers!“ schallt die ‚zarte‘ Stimme des Captains an mein Ohr. Und durch das gesamte Revier. „In mein Büro! Sofort! Und bringen Sie Ihre Marke und Waffe mit.“ Soweit zum Thema besser werden. Aus der abschließbaren Schublade hole ich meine Dienstwaffe. Auch eine Seavers. Nagelneu und unbenutzt. Tatsache! Aus diesem Kümmerteil habe ich noch nie eine Kugel abgefeuert. Die Walt Wilson ist mein Eigentum und mir lieber. Ja, hab einen Waffenschein dafür. Und ja, auch die Erlaubnis mit dem Teil im Dienst rumzuballern. Eine Wilson ist Respekteinflößender und hat mehr BUMMS, wenn ihr versteht. Bäuche perforieren geht damit am besten. Das Büro meiner Vorgesetzten betreten, möchte ich am liebsten wieder rückwärts raus und mich überrennt die Erkenntnis, warum Brace auf Marke und Waffe bestanden hat. Ein halbes Jahr ist eine lange Zeit. Und manchmal nicht lange genug. Da steht jemand. Dieser jemand! Der Grund für die Beendigung meiner ‚Solo-Karriere‘. Der Grund für Berger als Partner. Die personifizierte Impertinenz. Schlimmer als Berger! Weit schlimmer! In gewichtiger Pose die Hände in die Hüften gestemmt und dieser wissende Blick, mit dem dieser jemand einen zum Seelen-Striptease zu zwingen versucht. Carol Artus. Keine Polizistin im eigentlichen Sinne. Streife ist sie nie gelaufen. Profilerin. Beraterin. Psycho-Tante. Und von allem Schlechten immer das üblere Übel. Wurde vor acht Monaten von Captain, Commissioner und Bürgermeisterin genötigt, mit dieser Frau im Team zu arbeiten. Für ein paar Wochen. Auch um mich zu… begutachten. Ständig redete mir Carol Artus in meine Ermittlungen und krittelte an meiner Arbeitsweise, versuchte mich zu analysieren und mir meine Vergangenheit aus der Nase zu ziehen. Meine Vergangenheit geht keinen was an. Am allerwenigsten dieser… Unperson! Sie hat mir das Leben in der Zeit schwer gemacht. Echt schwer. So ganz nebenbei zettelte sie während einer Befragung in einer Bar eine mittelschwere Schlägerei an, die ich auszukämpfen hatte und anschließend dafür bei Brace, Commissioner und Bürgermeisterin strammstehen durfte. Allein! Als Schläger-Bulle, der schlechte Presse machte! Artus hielt sich raus und reingeritten habe ich sie auch nicht – bin kein Kollegenschwein. Hab sie außen vor gelassen und alles über mich ergehen lassen. Verhöre durch die Dienstaufsicht, Schmähungen von Kollegen und all das. War ja nicht das schlimmste. Der letzte Fall mit ihr war das schlimmste. Dieser endete in einem Gemetzel. Geiselnehmende Bankräuber – zu allem bereit und bis an die Zähne bewaffnet – deren Forderungen diese Frau ignorierte und mit Hinhaltungen, vagen Versprechen und sogar Spott beantwortete. Sie spielte mit der Geduld der Gangster und provozierte sie bis aufs Blut. Bis aufs Blut der siebenundzwanzig Geiseln. Alle tot. Nacheinander erschossen. Darunter drei Kinder und eine Schwangere. Ein leutseliges Mundwerk und Liebling der Bürgermeisterin zu sein hilft – Carol Artus wurde dafür nicht zur Rechenschaft gezogen. Den Fehler wälzte sie gekonnt auf andere ab. Auf die Bankräuber. Auf die stürmenden Beamten. Auf meine Kolleginnen und Kollegen. Auf mich. Der Solo-Ermittler, der – Ihr wisst schon! – zu waghalsig und unkontrollierbar ist, sich über Vorschriften hinwegsetzt und keine Zurückhaltung kennt. Mann! Ich war nicht mal im Dienst und nur zufällig am Ort des Geschehens! Tja… Ein Schläger-Bulle ist immer ein guter Sündenbock. Was danach kam, war ein regelrechter Spießrutenlauf. Es nahm für mich ein halbwegs gutes Ende – ein paar Beamte sagten zu meinen Gunsten aus – und ich durfte Detective bleiben. Ein paar fette Einträge in meiner Akte und in den nächsten paar Jahrzehnten werde ich bei jeder Beförderung übergangen. Lässt sich mit Leben. Dennoch. Damals machte ich meiner Vorgesetzten klar, müsste ich weiter oder je wieder mit dieser… Unperson zusammenarbeiten, quittiere ich den Dienst. Artus ging. Freiwillig, wie sie betonte. Sie wollte nicht an meinem Karriereende schuld sein. Sie sprach noch ihre Empfehlung aus und Berger kam. Nur bedingt eine Verbesserung… Marke und Waffe. Offensichtlich will Captain Brace wissen, wie ernst es mir vor einem halben Jahr war. „Ah. Officer Meyers.“ grüßt mich diese… Unperson. Tadaah! Da ist sie schon, die erste Herabwürdigung. Wartet es ab. Da kommt mehr! „Lange nicht gesehen.“ Carol Artus sucht in meiner Mimik und Gestik nach irgendeiner Reaktion. Ein stummes Nicken sollte reichen. Reicht. Sie spricht weiter. „Wir werden im Fall Ihres Schlitzers ein Team bilden. Nun ja… Auf Wunsch des Commissioners und der Bürgermeisterin werden wir es müssen, da Sie bisher auf Grund mangelnde Kompetenz dem Täter nicht näher gekommen sind.“ Herabwürdigung, die zweite und dritte. „Allein kommen Sie nicht weiter, wie mir Ihr Captain berichtete. Ihnen fehlt das… Nun ja… Feingefühl, das für einen solchen Fall erforderlich ist.“ Die vierte. „Das überrascht mich nicht. Mir wurde zugetragen, Sie pflegen unverändert Ihr Image als… Nun ja… Schläger-Bulle. Trotz Zuteilung eines vernünftigen und erfahrenen Partners.“ Schultern zuckend wendet sie sich ab. „Keinerlei Einsicht, keinerlei Takt. Officer Meyers. Sie sind ein hoffnungsloser Fall. Und meiner Meinung als fachlich kompetente Profilerin nach gehört ein ungehobelter Raufbold wie Sie und mit einer… Nun ja… nebulösen – möglicherweise zwielichtigen Vergangenheit wie der Ihren nicht in den Polizeidienst.“ Mit einer solchen Rede hat selbst Captain Brace nicht gerechnet und sie hält die Luft an. Ich lächle gelassen und sie atmet erleichtert auf. „Hören Sie, Meyers. Ich bin übergangen worden. Das war nicht meine Entscheidung.“ Wieder ein stummes Nicken. Viele Worte machen will ich nicht. Was ich mir vorgenommen habe, ziehe ich durch. Darum bin ich Bulle geworden. Allen Widrigkeiten zum Trotz – Opfer, Tatorte, Monster – ich bin es immer gern gewesen. Schade. Heute ist mein letzter Tag. „Meine Waffe.“ Die Seavers lege ich entladen und gesichert meiner zukünftigen Ex-Vorgesetzten auf den Schreibtisch, das Magazin daneben. „Meine Marke.“ Diese hat mir viel bedeutet, darum werfe ich sie nicht achtlos auf die Tischplatte und streiche ein letztes Mal darüber. „Mein Mobilfon. Möglicherweise ruft mein Schlitzer in Zukunft die fachlich kompetente Profilerin an. In dem Fall… Viel Glück. Captain Brace. Danke für alles. Es war mir eine Ehre.“ Genau das demonstriere ich zusätzlich mit einer Verbeugung, drehe mich um und gehe. Leise und sorgfältig schließe ich die Bürotür hinter mir. Das gedämpfte Klicken hat etwas Endgültiges an sich. Tja, Meyers… Jetzt hast du deine freien Tage. Und…? Was mache ich damit? Fang ich damit an, Zuhause nach dem Rechten zu sehen und Mitternachts Toilette zu säubern. Der Hausflur ist nach einer Woche auch mal wieder fällig. Fenster putzen könnte ich auch – und Staubwischen. Okay. Ihr habt mich erwischt. Ich bin doch pedantisch penibel. Von meinen Schreibtisch sammle ich die wenigen persönlichen Habseligkeiten auf – ein Foto von Lars und mir, ein paar Stifte und meine Kakaotasse – lege Berger meinen halbfertigen Bericht aufs Pult und bin raus aus dem Büro. Raus aus dem Polizeidienst. Nur noch nicht raus aus dem Revier. Ich habe noch ein Versprechen zu halten und begebe mich in die Pathologie. Bei den Göttern. Ich könnte heulen! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)