Kaffee und Vanille von Jeschi ================================================================================ Prolog: Die Kammer des Schreckens --------------------------------- Ein wenig missmutig sehe ich mich in der leeren Wohnung um, die ich seit circa fünf Minuten mein Eigen nennen kann. Ich weiß noch nicht, was ich davon halten soll. Bisher macht sie auf mich nicht unbedingt den besten Eindruck. Alles ist noch leer und karg. Die Wände sind mit einer hässlichen weiß-grauen Tapete überzogen, die an einigen Stellen abgerissen ist, und der Boden ist nicht mit Teppich oder Sonstigem ausgelegt, sondern besteht nur aus dreckigem Holz. Groß ist es auch nicht. Es gibt einen kleinen Flur, der in einen etwas größeren Wohnraum mündet. Von Flur aus geht eine Tür ins Bad weg. Vom Wohnraum aus eine in ein keines Schlafzimmer und eine in eine winzige Küche. Ich stoße mit dem Fuß gegen eben jene Türe und sie schwingt auf. Ich sehe mich um. Neben einer altmodischen Küchenzeile steht ein kleiner vergilbter Kühlschrank und ein Ofen. Der Wasserhahn des Spülbeckens tropft munter vor sich hin. Ich verziehe den Mund, aber sage nichts dazu. „Nichts besonderes, das gebe ich zu. Aber man kann es hier aushalten,“ lächelt mich der Vermieter übertrieben begeistert an und watschelt mit einem komischen Altmännergang zum Wasserhahn, um ihn richtig zu zu drehen. Er hört tatsächlich das Tropfen auf und ich denke, dass das zumindest ein Anfang ist. Ich mustere ihn, während er sich unsicher am Nacken kratzt. Er ist klein und schon ein wenig buckelig. Dabei sieht er gar nicht so alt aus. Er hat relativ wenig Falten und eine Glatze. Ein wenig erinnert er mich an Gollum… „Ich muss dann weiter zu den anderen Jungs. Du kommst ja jetzt sicher auch alleine zurecht.“ Er sieht mich hoffnungsvoll an. Wahrscheinlich hat er keinen Bock, sich länger als nötig mit seinen Mietern zu unterhalten. Ich nicke also und er fummelt mühsam einen Schlüssel von einem dicken Schlüsselbund. Mein Schaaatz, denke ich und muss kichern. Er sieht mich nur undefinierbar an. Danach darf ich irgendeinen Wisch unterschreiben, von wegen, ich hätte den Schlüssel zu Zimmer 217 erhalten, ehe er mir diesen auch übergibt. „Ich schick die Möbelpacker dann gleich zu dir hoch,“ versichert er mir noch, ehe er geht. Ich versuche mich an Höflichkeit und begleite ihn bis zur Türe, schließe diese dann erleichtert und lehne mich dagegen. Komischer Typ! Tief atme ich ein und lasse meinen Blick noch einmal durch mein neues Reich schweifen. Wenigsten ist alles einigermaßen sauber. Gut. Den Boden muss ich mal kehren und so, aber man kann es nicht dreckig nennen. Alles in Allem hätte es mich doch schlimmer treffen können. Und mehr habe ich von einem Studentenwohnheim eh nicht erwartet. Studentenwohnheim. Ich lächle leicht. Ich habe mein Abitur zum Glück recht erfolgreich bestanden und bin nun an der Sporthochschule in Köln angenommen worden. Mein großer Traum, seit ich als kleiner Junge Basketballspielen gelernt habe. In all der Zeit, in der ich unter anderem in der Schulmannschaft als Vizekapitän tätig war, wusste ich, dass ich irgendwann einmal mein Hobby zum Beruf machen möchte. Und nun studiere ich tatsächlich Sport und vielleicht werde ich ja mal als Lehrer und Trainer anderen diesen Sport näher bringen können. Zufrieden mit mir, lächle ich, als es an der Türe klopft. Ich öffne diese schwungvoll. Ah, die Möbelpacker, denke ich und lasse diese herein. Das ging ja wirklich schnell. Die nächste Zeit verbringe ich damit, den Männern zu sagen, wo sie welche Kiste und welches Möbelstück hinstellen sollen. Ich habe so viel Kram, dass ich mich frage, ob das überhaupt alles in die kleine enge Bude passt. Als einige Zeit lang gar keiner mehr auftaucht, trete ich hinaus in den Flur des Wohnheims. Der sieht auch nicht viel besser aus. Er ist mit grauem Holz ausgelegt, während die Stufen ihren Ursprung beibehalten haben und aus hässlichen Steinfließen bestehen. Es passt überhaupt nicht zusammen. „Vorsicht Heinz,“ ertönt da die Stimme eines Möbelpackers, „sonst stößt du den Schrank an!“ Ich trete die erste Treppe hinunter und blicke vom ersten Stock hinunter ins Erdgeschoss, wo zwei Männer sich anbrüllen, während sie meine kleine Kommode durch die enge Türe jonglieren und dann die Treppe in Angriff nehmen. Ich steige wieder nach oben und kurz darauf sind auch sie im ersten Stock angekommen und haben noch eine Treppe vor sich. Was bei der ersten gut geklappt hat, klappt jetzt allerdings gar nicht mehr. Sie bringen die Kommode etwas in Schieflage, um sie um die Kurve herum zu tragen, als ein lautes ‚RATSCH’ ertönt. Kommode meets Treppengeländer. Na Glückwunsch. „Passen sie doch ein bisschen auf, bitte,“ rufe ich verzweifelt und blicke pikiert auf das abgeschrammte Eck. „Die ist schon Generationen alt,“ fauche ich, als das gute Stück in meinem Flur zum stehen kommt und ich mir den Schaden genauer angucke. „Wissen Sie wie viel die wert ist?“, brause ich auf. Ich meine, die Kommode ist hässlich. Sie ist aus dunklem Holz und passt keineswegs zu meinen anderen, wesentlich helleren Möbeln von Ikea. Aber sie bedeutet mir viel, weil sie ein Erbstück meiner Großmutter ist. Das interessiert die Kerle aber nicht. Sie entschuldigen sich nur halbherzig, werfen mir einen genervten Blick zu und gehen wieder nach unten, die restlichen Sachen hoch schleppen. Ich sehe ihnen immer noch wütend nach, von meiner anfangs guten Laune ist jetzt nicht mehr viel übrig. Wenigstens kann es jetzt kaum noch schlimmer kommen! Ich bin immer noch mit dem inspizieren der abgeschrammten Ecke beschäftigt, als man mir ein Futon in mein Zimmer trägt, dass irgendwie nicht mir gehört. Ich runzle die Stirn und gehe dazwischen, als sie es ins Schlafzimmer tragen wollen. „Moment! Das ist nicht mein Bett!“ Und so bleiben sie stehen und es wird im Flur abgestellt. Man sieht mich ratlos an, als wenn ich jetzt wüsste, was man damit anfangen soll. „Das ist mein Bett,“ ertönt in dem Moment eine Stimme und ein Junge springt die letzten paar Stufen hoch und öffnet die Türe zur Wohnung neben meiner. Während er sie anweist, wo sie sein Bett hinzustellen haben, kommt auch mein Bett. Ich trete wieder in den Wohnheimflur, damit die Männer platz haben und sehe zu dem anderen Jungen, der genervt neben mir steht und ständig dazwischen ruft, wenn man eine seiner Kisten in meine Wohnung tragen will. „Da muss man auf dem Boden pennen, weil sie es nicht hinkriegen, am gleichen Tag die Möbel zu liefern, dann heißt es, man bekommt sie erst nächste Woche und jetzt komm ich vom Friseur und diese unfähigen Idioten verteilen mein Zeug im ganzen scheiß Wohnheim!“, flucht er, ohne eine Atempause zu machen, und ich weiß nicht, ob er das nun zu sich selbst, oder zu mir sagt. „Na super,“ stöhne ich und auch er kann sich aussuchen, ob ich das nun zu mir selbst gesagt habe, oder ob es eine Antwort auf sein Gerede gewesen war. Ich bin jedenfalls nur noch angepisst. Ich hoffe, es zieht nicht noch jemand um diese Zeit ein, es reicht schon, wenn jetzt keiner mehr weiß, wem was gehört. Das heißt, dass ich vermutlich bald meine ganzen Kisten untersuchen muss, ob nicht eine von meinem liebreizenden Nachbarn dabei ist. Eben jener herrscht in dem Moment einen Möbelpacker an („Die Kiste gehört auch mir! Sieht man doch, dass da mein Name drauf steht!!!“) und ich überlege, ob ich ihn ein wenig beruhigen soll, ehe er noch wen verprügelt, als ein lautes Klirren ertönt. Ich fahre zusammen und blicke zum Treppenabsatz, wo eine Kiste auf dem Boden aufgekommen ist. „MEINE KAFFEEMASCHINE!“, brülle ich empört und muss mich korrigieren. Der Tag kann noch schlimmer werden! „Tut mir Leid, mein Junge,“ entschuldigt sich der Mensch, der schon für meine kaputte Ecke verantwortlich war, und wuchtet die Kiste in meine Wohnung. „Ist mir aus der Hand gerutscht,“ erklärt er im Vorbeigehen und ich werde das Gefühl nicht los, dass sie ihm absichtlich aus der Hand gerutscht ist, weil ich ihn so angefaucht habe. Wenigstens scheint die Spitze des Eisbergs jetzt endgültig erreicht. Der Rest des Umzugs verläuft nämlich unfallfrei und irgendwann sind die Möbelpacker endlich weg. „Unfähiges Pack,“ faucht mein neuer Nachbar weiter munter vor sich hin, kaum ist der letzte Mann verschwunden. „Allerdings,“ gebe ich ihm Recht und mir fällt auf, dass wir uns noch gar nicht richtig begrüßt haben. „Hey übrigens,“ grinse ich. Er blickt mich kurz verwirrt an, ehe er ebenfalls grinst und ein ‚Hey’ erwidert. „Dann geht’s ja jetzt wohl ans auspacken,“ stöhnt er und blickt über die Schulter in seine Wohnung. „Leider wahr,“ stimme ich zu und sehe ihm nach, während er in sein kleines Reich tritt und die Türe hinter sich schließt. Erst, als diese ins Schloss gefallen ist, raufe ich mich zusammen, auch in meine Bude zu gehen. Ich habe jetzt schließlich keine Zeit für neue Nachbarn. Hier warten schließlich Kisten über Kisten freudig darauf, ausgepackt zu werden. Meine Laune vergeht mir allerdings, als ich im Flur zum stehen komme und sich die Tür hinter mir mit einem lauten Knall schließt. Ich sehe auf das Chaos von Kisten, Möbeln und Sonstigem, das alles an seinen Platz geruckt werden muss. Irgendwie habe ich plötzlich das dringende Bedürfnis, wegzurennen. Aber dann werde ich erst Recht nicht fertig. So schiebe ich die erste Kiste über das dreckige Parkett und öffne sie mit einem Cutter. Schon grinsen mir die Überreste meiner geliebten Kaffeemaschine hämisch entgegen und die Lust verlässt mich wieder. Mürrisch lasse ich Kisten Kisten sein und schrubbe zu meinem Sessel, um mich darauf fallen zu lassen. In der Küche beginnt der Wasserhahn wieder zu tropfen und ich komme mir ein wenig verarscht vor. Irgendwie ist gerade alles scheiße, denke ich und blicke mich in meiner persönlichen Hölle um. Um das noch zu untermalen, dringt im nächsten Moment ohrenbetäubender Krach – in Form von extrem gewöhnungsbedürftiger Musik – aus der Nachbarwohnung. Ich stöhne auf und nehme mir doch vor, auszupacken. Entspannen kann man bei dem Lärm eh nicht mehr und ich habe auch keine Lust, es mir schon jetzt mit meinem cholerischen Nachbarn zu verscheißen, in dem ich mich beschweren gehe. Also schleppe ich ein paar Kisten in die Küche, werfe die Überreste meiner Kaffeemaschine in den Müll und mache mich daran, meine Teller und alles weiter auszupacken. In der Küche bin ich schnell fertig, aber wirklich schlimm wird das Wohnzimmer, in dem ich einfach all meinen Kram unterbringen muss. Vorher sollte ich aber vielleicht ein wenig kehren… Es ist schon elf Uhr nachts, als ich keine Lust mehr habe, weiter auszuräumen, Möbel zu stellen und Staub zu wischen. Ich weiß nicht genau, was ich die ganze Zeit gemacht habe, jedenfalls steht noch immer alles voll mit unausgepackten Sachen. Das einzige Gute ist, dass der Verrückte neben mir seine Musik ausgemacht hat. Ich seufze und komme mir ein wenig vor, als wäre ich in der Kammer des Schreckens gelandet. Müde lasse ich mich auf mein Bett fallen, schließe die Augen und bin so gleich eingeschlafen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)