Die Rabenschwinge von Moonwolf (Warcraft Characterstories) ================================================================================ Kapitel 5: Dawn (Apsu) ---------------------- Eiskrone, Argentumvorhut: Der Sturm hatte nachgelassen. Sowohl der, den die Elemente entfesselt hatten, als auch der Sturm, der aus schier endlosen Wellen grässlicher Neruber bestand, den die Geißel entfesselt hatte. Doch jetzt lag Stille über dem Schlachtfeld. Erdrückende Stille. Noch nicht einmal das sanfte Fallen des Schnees konnte auch nur ein Geräusch hervorbringen. Natürlich war es ein Sieg gewesen, den die Ritter des Argentumkreuzzuges errungen hatten, doch jeder wusste, dass es nur ein kleiner, kaum bedeutsamer Schritt gegen den Lichkönig war. Jetzt, nach der Schlacht begann der eigentliche Kampf. Der, den die Heiler bestreiten mussten, die um jeden verletzten Soldaten kämpften. Apsu zog einen dicken braunen Wollmantel über und verließ das Zelt, in dem sie gerade einen verletzten Soldaten verloren hatte. Die junge Draenei stellte den Kragen hoch und sah nocheinmal zurück, als zwei Männer den Toten heraustrugen und zu den anderen Gefallenen brachten. Sie schritt in Richtung Tor, um auf dem Feld des Kampfes nach möglichen weiteren Überlebenden zu suchen. "Vergiss es, Apsu! Da draußen lebt keiner mehr. Wir haben alle Verletzten schon untergebracht. Es kann keiner mehr überlebt haben!" Apsu wusste, dass sie alle schon ihr Möglichstes getan hatten, doch bisher hatte sich noch keiner bis ans Ende des Tals gewagt, zu dem Pass, aus dem die Schar der Neruber gekommen war, und durch den sie sich wieder zurückzog. Wenn es noch Überlebende geben sollte, dann wären sie gewiss dort. Auch wenn die Chancen, so nah am Geißelherd äußerst gering waren. Apsu winkte trotzdem nur ab und schritt durch das Tor. Nun war das einzige Geräusch, das sie auf dem Schlachtfeld hörte, das Stapfen ihrer eigenen Schritte im Schnee. Immer wieder musste Apsu Spinnen- und Menschengliedmaßen ausweichen, die aus dem Schnee hervorschauten. Wohin sie auch blickte, überall war das Weiß unterbrochen von roten und schwarzen Flecken. Soldaten lagen zu ihren Füßen, denen sie nichtmehr helfen konnte, blutverschmierte, bekannte Gesichter, mit entsetztem Blick und unnatürlich verdrehten Armen, Beinen oder Köpfen. Die junge Heilerin der Paladine sah das alles mit Entsetzen, doch ihr scharfer Blick suchte immer wieder nach Lebenszeichen. Sie war nach Nordend geschickt worden, um denen zu helfen, die ihrer aller Leben schützten. Sie war in der Argentumvorhut geblieben und die Krieger und Streiter des Kreuzzuges hatten ihr Leben verteidigt. Jetzt war sie an der Reihe, so viele Leben zu verteidigen, wie sie vermochte. Man hatte ihr gesagt, dass so weit draußen niemand überlebt haben konnte und auch ihr Verstand gab dem Recht. Dennoch rief irgendetwas tief in ihr ihren Namen und führte sie bis an den hintersten Rand des Schlachtfeldes, wo zu beiden Seiten steile Felswände empor ragten. Hier war das Ausmaß des Kampfes noch deutlicher. Hier prallten beide Fraktionen gnadenlos aufeinander und Apsu musste förmlich über die Leblosen Neruber und Menschen klettern. Über ihr konnte sie das lärmende Brüllen eines Protodrachen hören, der auf der Suche nach Nahrung seine Kreise zog und für den das Ende der Schlacht ein wahres Festmahl eröffnet hatte. Doch er schien weit von ihr entfernt zu sein. Von weit hinter dem engen Pass drang nun auch das Geräusch von Metall , das man über Stein zieht, an ihr Ohr und sie meinte, gelegentlich das Klacken eines Nerubers hören zu können. Weiter wollte sie nicht gehen, das wäre Wahnsinn gewesen und sie hatte schon gedreht, als sie ein leises "Hilf mir..." in ihrem Kopf vernahm. Sie schaute sich in alle Richtungen um, konnte aber niemanden ausmachen. Vielleicht hatte sie es sich auch nur eingebildet. Sie hatte Berichte gehört, in denen die Stille Reisenden einen Streich spielte. Apsu entdeckte in einiger Entfernung einen Haufen der spinnanartigen Kreaturen, die der Lichkönig aus den Tiefen Azjol'Nerubs geholt hatte. Anscheinend hatten sie sich auf etwas gestürzt. -Oder auf jemanden!- schoss es Apsu durch den Kopf und sie beschleunigte ihren Schritt, rannte schon fast durch den roten Schnee. Tatsächlich waren die ungeheuerlichen Spinnen tot. Es interessierte sie wenig, was sie getötet hatte und so drückte sie ein besonders großes Exemplar zur Seite. Wenn sie beim Sturm auf wen-auch-immer gestorben waren, könnte es sein, dass dieser wenig verletzt unter ihnen begraben wurde. Das war zwar nur eine Theorie, aber es reichte, um die Heilerin all ihre Kräfte aufbringen zu lassen, um den Koloss herunter zu schieben. Und tatsächlich schien unter dem Haufen jemand zu liegen, denn sie entdeckte einen Arm, der sehr verdreht zwischen den Chitinpanzern schlaff herunter hing. -Nur eine weitere Leiche- dachte sie enttäuscht. Sie nahm das Handgelenk des vergrabenen, zog ihre Handschuhe aus und fühlte seinen Puls. Und tatsächlich lebte er noch. Ein flüchtiges Lächeln huschte über ihre Gesichtszüge. Er war stark unterkühlt, wahrscheinlich schon einige Zeit ohnmächtig und seine Wunden gewiss schwer, doch der schwache Puls regte Hoffnung in ihr, wenigstens noch einen Soldaten aus der Eishölle zu retten. Mit all ihrer Kraft schob und zerrte sie die leblosen Spinnentiere von ihm, von denen jede mindestens doppelt so schwer war wie sie selbst. In diesem Moment hätte die Draenei einen ganzen Frostwyrm stemmen können, wenn es nur dazu beigetragen hätte, den Menschen darunter zu retten. Sie schob einen weiteren Neruber zur Seite. Der junge Mann, der darunter lag hatte rötliches Haar und stark mit Blut und Dreck verschmierte Gesichtszüge. Er war, wie sie vermutet hatte, nicht bei Bewusstsein. Arme und Rippen waren vermutlich unter dem Gewicht der Arachniden gebrochen. Ein scharfes Neruberbein hatte sich in seine Schulter gebohrt, wahrscheinlich als die Kreatur über ihn geklettert war und Apsu musste es abbrechen, um den Krieger frei zu bekommen. Herausziehen würde sie es später, wenn die Gefahr, sein Herz zu verletzen geringer war. Apsus Hände waren mittlerweile taub geworden. Sie wusste nicht, wie lange sie jetzt schon fort war, denn die schwarzen Wolken, die über dem Tal hingen, verhinderten schon seit Monaten, dass sich auch nur ein Sonnenstrahl seinen Weg hindurch bahnen konnte. Und so kam es ihr so vor, als wäre dies eine einzige dunkle Nacht. Tatsächlich wäre ihr ein sonniger Tag sogar ironisch vorgekommen, denn angesichts des Leids, dass dieses Land erlebte, konnte es nur immerwährend finster sein. Mittlerweile hatte sie es geschafft, den Mann soweit zu befreien, dass sie seinen Körper hinausziehen konnte. Sie griff unter seinen Armen hindurch und zog so fest sie noch konnte, bie sie samt dem Menschen rücklings in den Schnee fiel. Sie rappelte sich auf und lud ihn sich auf den Rücken. Schweren Schrittes stapfte sie zurück zum Lager. Immer wieder hielt sie an, um seinen Puls zu prüfen und war jedes Mal erleichtert, wenn sie das schwache Klopfen seiner Adern vernahm. Als sie über das Schlachtfeld zurück lief, spürte sie erneut diese Stille. Kein Hauch bewegte die Luft und kurz kam es ihr vor, als hörte sie noch nicht einmal ihre Schritte im Schnee. Es war auf seine Art eine perfekte Stille, denn Apsu selbst war ja die Stille. Für einen Moment fühlte sie sich wohl. Aber das war nur ein Augenblick, denn sogleich fiel ihr wieder ein, was diese Tonlosigkeit verursacht hatte. Sie spürte das Blut des Menschen durch ihren Mantel sickern, warm und verhängnisvoll, und beschleunigte ihren Schritt ein wenig. Bald konnte sie den Rand des Lagers durch den Schnee ausmachen. Als sie sich näherte, eilten auch schon zwei Wachen auf sie zu, um ihr ihre Last abzunehmen, doch sie schüttelte den Kopf und bedeutete ihnen mit einer Handbewegung, eine Liege vorzubereiten. Aus einiger Entfernung rannte eine junge Nachtelfe auf sie zu, als sie durch das Tor schritt und starrte ungläubig auf den Menschen auf ihrem Rücken. "Er lebt?" Es war mehr eine Feststellung, als eine Frage. Trotzdem bedachte Apsu sie mit einem durchdringenden Blick. Es war die Priesterin gewesen, die Apsu vorher abgeraten hatte, noch einmal hinaus zu gehen. Apsu ignorierte ihre weiteren Ausführungen geflissentlich und war erleichtert, als die beiden Wachen sie in ein Zelt in der Nähe winkten. Vorsichtig legte sie den Krieger auf die Liege, die man für ihn vorbereitet hatte. Erst jetzt wurden ihr seine Verletzungen wirklich bewusst. Sie streifte ihren Mantel ab und legte ihn neben sich. Er würde sie nur behindern. "Halte durch!", dachte sie immer wieder und versuchte damit, seinen Geist wach zu halten. Als Erstes würde sie das Neruberbein entfernen müssen, dass sich in seiner Schulter verhakt hatte. "Halte durch..." Mit einem kleinen scharfen Skalpell schnitt sie es heraus und entfernte die Widerhaken aus dem Fleisch des tapferen Kämpfers. Sie hoffte, seine Bewusstlosigkeit würde noch etwas anhalten, denn zweifelsohne würde er heftige Schmerzen erleiden. Die Wachen waren inzwischen zwei Helfern gewichen. Einem Menschen und einer Nachtelfe. Sie schienen nicht viel Ahnung von der Heilkunst zu haben, doch sie halfen Apsu, den Verletzten aus seiner Rüstung zu schälen. Apsu fiel auf, wie schwer er in dieser Plattenmontur gewesen sein musste und auch die Elfe starrte sie überrascht an. "Ihr habt ihn den ganzen Weg allein getragen?!" Apsu hatte keine Zeit für Gespräche. Sie nickte knapp und machte sich nun an die wichtigste Aufgabe: Die Blutung zu stoppen, denn sonst würde er es mit Sicherheit nicht schaffen. Sie warf einen Blick auf ihren Mantel. Es war ein Wunder, dass er überhaupt noch lebte. Vorsichtig hielt sie beide Hände über seinen Brustkorb und suchte mit ihren Gedanken nach seinem Geist. Es war nicht schwer, ihn in der Dunkelheit auszumachen, denn er schien eine ähnlich starke Bindung zum Licht zu haben wie Apsu selbst. Zweifelsohne war er ein Paladin. "Halte durch..." sandte sie immer wieder in sein Unterbewusstsein. "Ich werde dir helfen." Sie hatte die Augen geschlossen und saß regungslos da. Sie hatte alle Mühe, seinen Geist zu greifen. Das Licht, dass sie durch seinen Körper sandte konnte zwar die Blutung stillen, aber immernoch hing sein Leben an einem seidenen Faden. Sie musste all ihre Kraft aufbringen. Schweißtropfen rannen über ihre Stirn. Langsam tastete Apsu durch die Dunkelheit, die sich in dem Geist des Paladins ausbreitete. Sie sah Schmerzen und Leid um sich kreisen, die ihr Vorankommen verhindern wollten, doch sie konnte sie mit ihrem eigenen Licht zurückhalten. Nach langem Kampf fand sie seinen Lebenswillen und apellierte an ihn. "Haltet durch..." sandte sie erneut. Es war eine Sache, kleinere Wunden zu heilen, Kratzer, Knochenbrüche. Aber hierfür musste Apsu tief in das Unterbewusstsein des Menschen vordringen, was auch für sie nicht ganz ungefährlich war, da sich das Bewusstsein eines Jeden gegen Fremdeinwirkung wehrt. Doch bisher war dieser Mann entweder zu schwach, um zu reagieren, oder er schaffte es, ihr Einwirken zu erlauben, indem er seinen Geist für sie öffnete. Apsu spürte, dass er kämpfte und ebenfalls nach ihrem Licht tastete. "Nimm meine Hand. Ich helfe dir. Halte durch!" Sie hatte ihn gefunden. Apsu öffnete ihre Augen. Sie fühlte sich ausgelaugt und schlapp. Ihr Atem ging schwer und sie wäre nach hinten gekippt, wenn die zwei Helfer sie nicht geistesgegenwärtig aufgefangen hätten. "Apsu!", hörte sie gedämpft und ihr Blick klärte sich ein wenig. "Ihr wart zwei Tage lang weg!" Sie blickte erschöpft in die zwei Gesichter, die sie fassungslos aber voller Erleichterung anstarrten. Dann fiel ihr Blick auf die ebenen Gesichtszüge des Paladins. Er schlief. Seine Brust hob und senkte sich langsam, aber gleichmäßig. Seine Wunden waren verbunden worden und kleinere Verletzungen kaum noch zu sehen. Sie hatte es geschafft. Er - hatte es geschafft. Wankend und kaum mit festem Schritt erhob sich die Draenei und legte den Mantel, der immernoch neben ihr lag, über ihre Schultern und wandte sich zum Ausgang des Zeltes. Eine schwache Stimme unmittelbar hinter ihr sagte "Ich danke euch...", doch als Apsu sich umdrehte, schlief der Paladin entweder immernoch, oder schonwieder. Sie zog den Mantel fester und ignorierte den beißenden Geruch, der mittlerweile davon ausging. Mit einem sanften Lächeln schob sie die Plane zur Seite und trat in das erste warme Septemberlicht, das sie seit langem gesehen hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)