Ikiteru ★ Fairytale von Black_Melody (Märchen) ================================================================================ Kapitel 7: S•E•V•E•N -------------------- ☆ Ich wusste nicht, wann ich eingeschlafen war, aber ich erwachte erst, als schon wieder etwas Licht durch das Deckenfenster fiel. Ich spürte Renos Körper neben mir, mein Kopf lag auf seiner Brust und ich hörte seinen Herzschlag und seine Atmung. Er war wach, weshalb und seit wann auch immer. Ob er überhaupt geschlafen hatte? Oder ob er nachdachte, sich um unsere Zukunft sorgte? Ich ruhte einfach weiterhin an seinem Körper. Solange es für mich keinen Grund gab, diesen Platz zu räumen, würde ich es auch nicht tun. Wieso sollte ich auch? Er war das einzige, das mir noch Sicherheit gab. Auch wenn ich wusste, dass wir beide in Gefahr waren, er vielleicht noch mehr als ich, aber nur ihm konnte ich vertrauen. Aber was war eigentlich mit Ibuki? Plötzlich bekam ich ein schlechtes Gewissen. Er machte sich bestimmt Sorgen, immerhin hatte er seit neun Tagen kein Lebenszeichen mehr von mir bekommen. Ich wäre gern zu ihm gegangen, aber das konnte ich nicht. Ich hatte ihn anrufen wollen, aber ich war doch zu sehr mit Reno und mir beschäftigt gewesen. Eines wusste ich ganz sicher: Wenn wir ins Ausland fliehen mussten, wollte ich ihn dabei haben. Oder er sollte nachkommen. Ich hatte zwar Reno als meinen festen Freund - Himmel, war es ein komisches Gefühl, das zu denken - aber ich wollte auch meinen besten Freund mitnehmen, und das war einfach Ibuki. Auch wenn er eventuell sauer auf mich wäre, aber was sollte ich schon tun? Wenn ich ihm die Situation erklärte, wäre er bestimmt bereit, mir zu verzeihen. "Hikaru? Du brauchst gar nicht so zu tun, als würdest du noch schlafen." Zärtlich kraulte Reno meinen Nacken. "Tu ich doch gar nicht", murmelte ich missmutig, seufzte dann aber zufrieden. Wie schaffte er es nur, mich so um den Verstand zu bringen? "Warum bist du dann so still?" "Ich denke nach. Ich muss telefonieren." "Okay. Von deinem Handy aus kannst du das ruhig tun." Ich wusste, wie zusammenhanglos meine Aussagen gewesen waren, aber das eine war einfach die Antwort auf seine Frage gewesen, das andere das Ergebnis meiner Überlegungen. Und es war von mir definitiv keine Frage gewesen, lediglich eine Feststellung. Und als ob ich mit seinem Handy telefonieren würde. Wortlos krabbelte ich zu meiner Jacke und zog das Telefon aus meiner Tasche, kuschelte mich dann wieder an Reno, der in der Zwischenzeit das Feuer wieder angefacht hatte. Es war auch eisig geworden. Gott sei Dank waren wir zu zweit und hatten Decken. Unentschlossen sah ich auf meinen Handydisplay. Sollte ich wirklich…? Aber was, wenn er mich gar nicht sprechen wollte? Ich hatte immerhin auf keine seiner Nachrichten reagiert. Hatte ich denn eine wirkliche Wahl? Wie von selbst wählte ich die Nummer, hielt mir mein Handy ans Ohr und wartete. Vielleicht ging er ja auch gar nicht ran. Aber warum erleichterte mich dieser Gedanke so? Ich war ein verdammter Feigling. Ich hatte Mist gebaut, weil ich mich nicht bei ihm gemeldet hatte, und jetzt musste ich dafür gerade stehen. "Hikaru?", kam es aufgeregt von meinem besten Freund. "Hey, Ibuki." Ich hätte meinen Kopf gegen die nächste Wand schlagen können. Selbst ich hörte den eingeschüchterten Unterton in meiner Stimme. "Wo bist du? Wie geht es dir? Was ist los und warum hast du mir nicht geantwortet? Ich habe mir Sorgen gemacht!" Er klang nicht sauer, das war doch schon mal ganz gut. Er war eher etwas zwischen aufgeregt und erleichtert. "Tut mir leid, das wollte ich nicht. Also… Wo ich bin, weiß ich selbst nicht so genau, aber ich bin relativ sicher. Mir geht es nicht schlecht. Die Situation ist kompliziert und ich konnte dir nicht antworten." "Wurdest du entführt?", fragte er atemlos. "Wollen sie Lösegeld? Wie viel? Ich besorge die Kohle, ich brauche nur etwas Zeit!" Entführt? Äh… "Ibuki, komm runter. Ich wurde nicht entführt, eher gerettet. Und ich bin freiwillig bei meinem Retter geblieben." "Keine Entführung, gut. Wäre das Lösegeld auch zu hoch gewesen, hätte ich auch eine Bank überfallen müssen. Aber warum bist du bei deinem Retter? Der Boss ist tierisch sauer auf dich", plapperte er munter weiter. "Hast du einen neuen Freund gefunden?", hängte er noch neckend an. Okay, das mit meinem Chef hätte ich mir auch denken können. "Der Boss ist mir gerade so etwas von scheißegal", ließ ich meinen besten Freund auch gleich wissen. "Und, jein, eigentlich nicht. Kannst du dich erinnern, dass ich dir von Reno erzählt habe?" "Klar. Deine Kindheitsliebe", lachte er. "Nicht nur. Was denkst du, wie weit das mit deinen Fragen zusammenhängt?" Ich grinste vor mich hin, gespannt, ob er es herausfinden würde. Er war nicht dumm, aber ob er darauf kommen würde, war eine ganz andere Geschichte. "Reno ist dein Retter? Und ihr seid wieder zusammen?" Ibuki klang leicht verwirrt, aber ich wusste, dass er sich für mich freute. "Volltreffer, Schätzchen. Mach dir keine Sorgen um mich, er wird schon auf mich aufpassen." "Ehrlich, Kleiner, ich glaube dir. Aber wie weit seid ihr zwei Hübschen denn schon gegangen? Ich hoffe doch, dass es nicht bei Küsschen geblieben ist." "Nein", antwortete ich lachend. "Aber es blieb in einem gewissen Maße." "Soll heißen, du hast noch nicht den Hintern für ihn hingehalten?" Ich seufzte. Warum war er nur so direkt? "Nein, noch nicht, aber das liegt nicht an mir." "Also will er nicht?" "Keine Ahnung. Ich glaube, dass es nicht am Willen scheitert." "Das heißt, er traut sich nicht?", schlussfolgerte mein Gesprächspartner. "Denke ich", bestätigte ich seine Vermutung. Vielleicht hätte ich Reno meine Geschichte nie erzählen sollen. "Dann trete ihm doch in den Arsch. Oder hast du auch Angst?" "Angst nicht. Ich bin eher… nervös. Aber glaube mir, bald gibt es eine klare Ansage." Ich grinste bei dem Gedanken daran. Klar war ich auch irgendwo ängstlich, aber ich wollte doch endlich weiterkommen. "Dann musst du mir alles erzählen. Ich will Details, und zwar alle. Können wir uns nicht treffen?" "Ich denke nicht. Es kann sein, dass Reno und ich das Land verlassen müssen." Ich seufzte leise und schloss die Augen. "Klingt gar nicht gut", stellte Ibuki fest. "Aber ich komme dann mit. Du kennst mich, ich liebe Abenteuer, auch wenn ich nicht wissen will, wo du da reingeraten bist." Ich lachte leise. "Doch, willst du. Ich erzähle es dir später irgendwann, aber ich muss erst gucken, was als Nächstes passiert." "Kann ich verstehen. Kurzer, melde dich bald mal wieder bei mir, ich muss los, habe einen Termin." Ein leises Seufzen verließ meine Lippen. Wie ich Ibuki kannte, war er viel zu spät dran. "Pass auf dich auf", bat ich ihn leise. Wer konnte sich ausmalen, was passierte, wenn die Yakuza - in diesem Falle die Bösen, wer hätte auch gedacht, dass es Gute unter ihnen gab? - ihn in die Finger bekamen? Gut, ich konnte es mir sehr gut denken, aber ich wollte ihn nicht mit reinziehen. "Du auch", antwortete er und legte dann auf. Meine Hand zitterte, als ich das Handy zur Seite legte. Das erste Mal sah ich, wie tief wir wirklich in Schwierigkeiten steckten. Ich hätte mir selbst in den Arsch treten können, weil mein Körper das auch so genau zeigte. Ich war einfach zu weich. Zu mädchenhaft. Und manchmal hasste ich diese Seite an mir. Sanft rieb Reno mir über den Rücken und hauchte mir einen Kuss aufs Haar. Er wollte nicht, dass ich mir Sorgen machte, aber ich hatte es wohl einfach nicht besser verdient. Mein Leben war nie wirklich leicht gewesen, und das würde es auch nie werden. Ich war mit einem Auftragsmörder der japanischen Mafia zusammen, der des Verrats verdächtigt wurde und aus diesem Grund umgebracht werden sollte, aber mit mir untertauchen wollte. Aber wo sollten wir hin? Hier konnten wir nicht bleiben, wir mussten abhauen, am Besten so weit weg wie nur irgendwie möglich. Nur… War es das, was ich wollte? Ich war mir sicher, dass ich Reno wollte, aber war ich wirklich bereit, diesen Preis zu bezahlen? Den Rest meines Lebens aufpassen zu müssen, um nicht hinter der nächsten Ecke umgebracht zu werden? Ich schluckte merklich. Tief in mir kannte ich die Antwort. Ich hatte Reno trotz seines Berufs gewollt. Ich wollte ihn um jeden Preis, das war eine Tatsache, die ich weder leugnen konnte noch wollte. Es war mir schlichtweg egal, in welcher Gefahr ich schwebte. Ich wollte Reno nie wieder hergeben, und dabei blieb es. Nichts konnte schlimmer sein, als ohne ihn zu leben, und ich wusste wirklich, worum es ging. Und wenn ich starb, dann war es so, aber ich wollte vorher noch etwas Zeit mit Reno verbringen. Irgendwann musste sowieso jeder Mensch abtreten, also konnte ich die Zeit auch nutzen. Träume, als würdest du ewig leben; lebe, als würdest du morgen sterben. Warum sollte ich das also nicht tun? Und wenn ich dafür fliehen musste, so lange Reno bei mir war, konnte ich es überleben. Und Ibuki wollte auch mitkommen, wo war also das Problem? "Hikaru, Kleines, alles in Ordnung?", fragte Reno mich leise. Ich konnte als Antwort nur Nicken. Das Problem war, dass ich Angst hatte. Punkt. Ganz simpel. Ich wollte keine Zukunft, die ich nicht vorhersehen konnte. Früher hatte mich die Eintönigkeit fast zur Weißglut getrieben, aber jetzt? Jetzt hatte ich den Salat. Abenteuer und Action, das, was ich früher gewollt hatte. Konnte ich bitte die Eintönigkeit zurück bekommen? Fand sich irgendwer, der mit mir tauschen wollte? Nun, erstes war leider völlig unmöglich, und zweites - leider auch. Vor allen Dingen würde ich Reno nicht so einfach hergeben. "Hikaru", seufzte er theatralisch und strich mir durch die Haare, "ich will wissen, was los ist. Das nicht alles in Ordnung ist, ist klar. Also?" "Wenn wir abhauen… Wohin?" "Weg. Ich weiß nicht, wohin, aber Ryouga wird mitkommen. Und Ibuki anscheinend auch. Aber erst einmal tauchen wir hier in der Stadt unter und warten ab, bis sich die Situation beruhigt hat." Ich nickte leicht. "Was, wenn sie uns finden?" "Dann sind wir beide tot." Er klang so ruhig als würde er über das nächste Mittagessen reden, wodurch mir ein kalter Schauer durch den Körper lief. Wir beide waren in Lebensgefahr und er blieb völlig ruhig. Irgendwas hatte sich doch sehr stark in ihm verändert. Und auch, wenn ich einsah, dass jeder Mensch irgendwann sterben musste, war ich immer noch nicht scharf darauf. "Reno", jammerte ich also los, um ihn auf meine Sicht der Dinge aufmerksam zu machen. "Ich weiß, Kleines. Ich will auch nicht sterben, aber wenn sie uns finden, werden sie uns sicherlich nicht mir Blumen überhäufen. Würdest du dich jetzt von mir trennen und mich nie wieder sehen, hättest du eine Chance." "Niemals!", fauchte ich angriffslustig. "Und du würdest dich ihnen ausliefern, oder was?!" "So ähnlich", antwortete er mir völlig neutral. "Wahrscheinlich würde ich aber eher Ryouga bitten, mich umzubringen oder es selbst tun." "Sei still!", fuhr ich ihn an. Das konnte nur ein sehr schlechter Scherz von ihm sein. "Warum? Wenn du gehst, ist dein Leben gerettet, meins aber sinnlos. Was soll ich dann tun? Nur fliehen will ich nicht, wenn es dafür keinen Grund gibt. Und weißt du, warum ich die ganzen Jahre weitergemacht habe? Wegen dir. Meine Rache war zwar der offizielle Grund, aber ich habe für dich weitergelebt." "Und genau deswegen wirst du weitermachen, auch wenn wir uns trennen müssen." Meine Stimme war nur ein Zischen, aber ich wusste genau, dass er mich verstand. "Ich verlange, dass du lebst, weil es für mich sonst auch keinen Grund mehr gibt!" Ich hörte, wie sein Herzschlag sich beschleunigte, ob er jetzt sauer war oder sich freute, wusste ich nicht, und es war mir auch ziemlich gleich. Sollte er ruhig wissen, wie sehr ich ihn brauchte. Wenn er deswegen sauer auf mich war, bitte, ich wünschte ihm viel Spaß dabei. ★ Ich konnte nicht fassen, was mein Blondchen mir da gerade erklärt hatte. Er machte Witze, oder? Natürlich freute es mich, dass er mich so sehr liebte und nicht einfach ging, um sich zu retten, aber es ging auf jeden Fall zu weit, wenn er ohne mich nicht weiterleben wollte. Aber war ich denn besser? Ich hatte erst vor ein paar Tagen begriffen, dass er der einzige Grund für mich war, weshalb ich noch lebte. Meine Rache hatte es nur vor mir selbst und vor anderen gerechtfertigt. Mir war klar, dass ich ihn nicht davon abbringen konnte, und würde ich etwas Falsches sagen, ginge er wahrscheinlich doch noch an die Decke. Manchmal war Schweigen ihm gegenüber besser als alle Worte. Manchmal verbarg die Stille die Wahrheit besser, als alle Lügen es konnten. Und ich konnte ihn nicht anlügen. _________________________________________________________________________________ Also... Ich hoffe, man nimmt mir den kleinen Fehler, der im letzten Kapitel angesprochen wurde, nicht übel. ._. Als Nachwort nur noch kurz: Das Zitat ist von James Dean. Ich dachte nur, es passte in diesem Zusammenhang. Denkt euch nichts bei einer verwirrten Autorin.^^' Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)