Lichtbringer von MilliBee (Der Fall des Lichkönigs einmal anders...) ================================================================================ Kapitel 13: Kriegshymnenfeste ----------------------------- Der aus den heißen Quellen aufsteigende Dampf hatte sich der eiseigen Kälte des späten Nachmittags wie ein wabernder, lebendiger Teppich über den schneefreien, Boden gelegt. In unregelmäßigen Abständen ragten Pfähle aus den Dampfschwaden, ein jeder mit einer eigenartigen, teilweise sehr bizarr wirkenden Figur gekrönt. Ein Großteil der meist tierähnlichen Gebilde war recht grob aus Holz geschnitzt, andere einfach nur aus Ästen und Knochen zusammengebunden, viele waren bunt bemalt. Ketten aus geflochtenem Bast oder Leder mit allerlei eigenartigem Gehänge hingen von den Pfählen, schaukelten leise im Wind und das leise Klappern von Knochen, Muscheln, und Horn orchestrierte das Wogen des Dampfes mit einer monotonen, urtümlichen Melodie. Die kalte Brise frischte auf und eine heftige Windböe riß den dichten Dunst für einem Moment wie einen Vorhang auseinander und die orangefarbenen Strahlen der untergehenden Sonne fielen auf das wohl ungewöhnlichste Bauwerk in ganz Nordend. Aus einem riesigen Krater vor den steil aufragenden Hängen eines engen Talkessels ragte ein gewaltiges Konstrukt, dessen Aussehen irgendwo zwischen einem Wespennest und den sakralen Prunkbauten der Menschen lag. Ab einer gewissen Höhe waren überall mit schweren Holz- und rostüberzogenen Eisenplatten Kanzeln verschiedenster Größe montiert worden, meist von schweren Ketten gehalten, auf denen mittleres bis schweres Geschütz hinter hohen, pikenbewehrten Schilden stand. Viele Schilde waren mit Figuren und Symbolen bemalt, die bunten Kalkfarben blätterten aber bereits schon wieder ab. Auch das Gebäude selbst war an vielen Stellen mit ähnlichen Bemalungen verziert worden, aber auch hier hatte die extreme Witterung den Farben mittlerweile ihre Leuchtkraft genommen. Auf dem höchsten, kirchturmähnlichen Aufbau wehte in blutrot weithin sichtbar das Banner der Horde. Als zu Beginn der Invasion der vereinigten Streitkräfte die Konflikte zwischen Allianz und Horde, die anfangs gemeinsam in der Königfeste lagerten, zu immer heftigeren, blutigen Streitereien ausarteten, war der damalige Schlachtführer der Horde, der alte, hochangesehene Ork Varok Saurfang, Hochfürst über mehrere Clans, mit seinen Kriegern in das alte, nerubische Ziggurat auf der anderen Seite des Eiskronengletschers eingerückt und hatte das seid Äonen verlassene Zeugnis insektoider Baukunst zu einer schier unüberwindbaren Festung ausbauen lassen. Von der Westseite her gesichert durch den steil abfallenden Talkessel und die direkt hinter dem Krater beginnenden heißen Quellen, gab es nur einen breiteren Pfad der zu dem tief auf der Höhe des Kraterboden liegenden, einzig sichtbaren Eingang führte. Dieser war durch drei hintereinander liegende, schwere Falltüren gesichert. Das eine angreifende Armee bis hierhin kam um sich an den Falltüren endgültig die Zähne auszubeißen, war schon recht unwahrscheinlich- denn zuvor hätte sie das Ehrenfeld durchqueren müssen. Jeder Totempfahl, der in den steinernen Boden auf der Ostseite des Ziggurats gerammt worden war, stand für einen Gefallenen. Aber mehr noch- für jeden Eingeweihten war er gleichwohl ein sicherer Wegweiser durch das fallengespickte, weitläufige Areal. Auf der größten Geschützkanzel zwischen zwei geladenen Speerkatapulten stand Garrosh Höllschrei und ließ seinen Blick in den Himmel schweifen. Dort, vor dem klaren Frostblau des Nachmittagshimmels schwebten zwei riesige Drachen, gewagte Kreationen goblinoider Ingenieurskunst, von schweren Winden an dicken Seilen von den oberen Kanzeln aus in die Höhe gelassen. Wenn man genau hinschaute, sah man unter den Flughäuten auch die dunklen Umrisse der beiden Späherkobolde, die von dort aus das ganze Gebiet überwachten. Ab und an griffen Gargylen die Drachen an und wenn die Windenwache nicht schnell genug reagierte, konnte es durchaus passieren, dass die geflügelten Monster den einen oder anderen Späher vom Himmel fraßen. Gerade diesen Mittag hatte es wieder Gargylenalarm gegeben, aber es war zu keinem Zwischenfall gekommen. Jetzt war es schon eine ganze Weile ruhig am wolkenlosen Firmament. Der nuskelbepackte Ork ließ seine bernsteinfarbenen Augen über die Weite des Ehrenfeldes schweifen. Der auffrischende Wind hatte die Dampfschwaden jetzt mehr und mehr zu Seite gefegt und gab langsam die Sicht frei. Dort, wo der Schnee wieder liegen blieb, begannen die winterkahlen Birkenwälder. Bis zum Waldsaum standen mittlerweile die Totems. Nach der Schlacht an der Pforte des Zorns hatte das Hämmern der Äxte und Beitel mehrere Tage ununterbrochen im Talkessel widergehallt. Viele stolze Krieger waren zu ihren Ahnen gegangen, darunter auch Dranosh, der Sohn von Hochfürst Saurfang. Kriegshäuptling Thrall war selbst nach Nordend gekommen, um die Lage wieder einigermaßen zu stabilisieren. Da es Abtrünnige der Verlassenen waren, die mit ihrem Seuchengebräu für die katastrophale Niederlage auf beiden Seiten gesorgt hatten, in der Hoffnung die Schlacht so für ihren Meister, dem Erzdämon Kil Jaeden zu entscheiden, war offene Feindschaft zwischen der Allianz und der Horde entflammt. Das Nordend-Bündnis drohte zu scheitern. Allein den Bemühungen Thralls und Hochlord Fordrings war des zu verdanken, dass man das Bündnis hatte wieder kitten können. Aber es stand auf tönernen Füßen. Und das aggressive Verhalten des Königs von Sturmwind, der ebenfalls persönlich nach Nordend gekommen war, um die Lage hier zu klären, trug auch nicht gerade zur Verbesserung der Bündnissituation bei. Noch immer nagte in Garrosh der Ärger über die bei dem vorletzten Bündnistreffen vermasselte Gelegenheit, dem verhassten König der Weißhäute den Kopf zu spalten. Ging es nach Garrosh, hätte die Horde das Allianzpack schon längst aus Nordend hinauswerfen sollen. Dann würde man auf Kalimdor für klare Verhältnisse sorgen und danach dem König von Sturmwind sehr deutlich vor Augen führen, wer das Sagen hat. Dreimal wurde sein Land und seine Hauptstadt schon geschleift – offensichtlich brauchte er es noch ein viertes Mal auf die harte Tour, um zu begreifen, wer hier die überlegene Rasse war! Die Streitkräfte der Horde in Nordend waren den Allianzstreitkräften mindestens fünf zu eins unterlegen, was das Rauswerfen der Allianz aus Nordend zu einer wahren, kriegerischen Herausforderung machte- von der Thrall aber überhaupt nichts hören wollte. Auch weigerte sich der Kriegshäuptling vehement, weitere Truppen nach Nordend zu holen. Thrall war überhaupt viel zu nachgiebig mit der Allianz. Die Zeit bei den Menschen hatte ihn weich gemacht! Eine Krähe hatte sich auf einen der Totempfähle niedergelassen. Kurz darauf gesellten sich noch zwei weitere der schwarzen Rabenvögel hinzu. Garrosh rümpfte die Nase. Wind fuhr durch seinen mit kupfernen Ringen hochgebundenen, schwarzen Haarschopf auf dem ansonsten kahlen, braunen Schädel. Wie viele Krieger hatte er sich vom Kopf ausgehend wulstige Naberntätowierungen in schwungvollen Linien hinunter zum Nacken und über die Schultern unter die Haut hämmern lassen und trug trotz der Kälte nur ein ärmelloses, innen fellgefüttertes Lederwams. Obwohl er wie jeder harte Orkkrieger die Kälte verächtlich ignorierte, rief doch die eine oder andere besonders eisige Böe ein kurzes Aufblühen von Gänsehaut auf seiner ledrig-braunen Haut hervor. Seinem Vater, dem respektierten Ork-Helden Grom Höllschrei hatte es Garrosh zu verdanken, das er vom unheilvollen Einfluss des dunklen Blutes verschont geblieben war und so die braune, ursprüngliche Hautfärbung besaß. Grom Höllschrei war einer der ersten gewesen, die das dunkle Blut von ihrem durch die Schatten korrumpierten Hochschamanen Ner’Zhul getrunken hatten, aber in einem lichten Moment war es ihm gelungen, seine Weib wie auch einige andere Mitglieder seines Clans vor Ner’Zhul Einfluss zu verstecken. Während der Großteil der einst so stolzen Krieger in blinder Raserei von Ner’Zhul gegen die Menschen, Elfen und Zwerge auf Azeroth gehetzt wurde, erblickte Garrosh in einem verborgenen Tal irgendwo auf Draenor, der alten Heimat der Orks, das Licht der Welt. Mit jedem Krieg, den die Orks gegen die Bewohner Azeroths führten, verblasste der Fluch des dunklen Blutes mehr und mehr. Aber es hatte sie bis in die kommenden Generationen gezeichnet und ihre Haut grün gefärbt. Wieder war es Grom Höllschrei gewesen, der sich als Erster unter Einsatz seines Lebens Ner’Zhul entgegenstellte und damit dafür sorgte, dass der einstige Hochschamane bei seinem Meister in Ungnade und fiel sein Geist in das ewige Eis des Frostthrones auf Azeroth verbannt wurde. Als sich in jüngster Zeit das schwarze Portal zu der Heimat der Orks wieder öffnete, holte Thrall einen Großteil seines dort noch lebenden Volkes nach Azeroth, da die hemmungslose Freisetzung der Schattenmagie durch Ner’Zhul die Welt zerstört und dem Untergang geweiht hatte. So kam auch Garrosh in diese neue Welt, mit dem großen Namen eines Vaters, den er nie gekannt hatte. Und er hatte auch sehr schnell begriffen, dass Thrall ihn in erster Linie seines Namens wegen förderte. Umso mehr dürstete es ihn nach Taten, die er vollbringen konnte, um seinen eigenen Ruhm zu festigen. Aufgewachsen mit den alten Lehren und unberührt von der Schuld des Blutes, erkannte Garrosh in Thralls nachsichtiger Haltung den Menschen und anderen Völkern Azeroths gegenüber sehr bald eine offensichtliche Schwäche. Dreimal hatte der kampferprobte Kriegshäuptling den jüngeren Ork im öffentlichen Duell niederwerfen müssen, bis dieser ihn schließlich anerkannte. Selbst unter den Clans galt Garrosh mittlerweile als aufbrausend und unberechenbar – und er tat alles, um diesen Ruf zu kultivieren. Er war ein Ork vom alten Blut der noch nach dem Gesetz des Stärkeren lebte und sich auf die Fahne geschrieben hatte, dass die alten Traditionen nicht vergessen würden! Ein gutes Dutzend weiterer Krähen hatte sich auf den Totempfählen niedergelassen. Garrosh konnte den Geruch des Todes jetzt deutlich riechen. Ein weiterer Punkt, den Garrosh ebenfalls nur sehr schwer akzeptieren konnte. Thrall hatte dieser untoten Elfe, die sich Fürstin der Verlassenen nannte den Schutz der Horde angeboten. Nicht nur, dass es eine Elfe war- sie war darüber hinaus auch noch tot, eine Kreatur der Schatten! Und das, wo doch Trall jegliche Form der angewandten Schattenmagie unter Androhung der Todesstrafe verboten hatte! So habe ich besser ein Auge auf sie, war Thrall lapidare Antwort dazu gewesen. Und ebenso lapidar hatte Thrall Sylvanas gedroht, ihr eigenhändig den Kopf abzureißen, sollte sie es je wagen, ihre Schattenmagie in der Nähe seines Volkes anzuwenden. Zwischen den Birken trat ein Pferd mit bodenlanger, schwarzer Schabracke hervor. Auch der Kopf, mit einem wippenden Kamm aus schwarzen Hahnenfedern gekrönt, war gänzlich unter schwarzem Stoff verborgen, nur die Augen leuchteten rotglühend aus den dafür vorgesehenen Öffnungen. Die dunkle Gestalt im Sattel in einem weit über den Pferderücken reichenden Umhang hielt kurz an, schien sich umzusehen und ließ dann das Pferd gemächlich durch die Totems hindurch schreiten. Wie so oft kam die dunkle Fürstin alleine. Sylvanas Windläufer hielt sich an die Abmachung mit Thrall und verzichtete auf den bequemen Sprung durch die Schatten. Aber eine Prise Theatralik ließ sie sich in ihrem Auftritt dennoch nicht nehmen. Garrosh Höllschrei beobachtete die Fürstin der Verlassenen, wie sie sich ohne Zögern auf dem richtigen Weg durch die Totems hindurch der Festung näherte. Mit einem leisen, unwilligen Knurren zog er nach einer Weile den Kopf ein und verließ die Kanzel zurück ins Innere des Ziggurats. „Ihr kommt spät, Untote.“ Im Schein der Fackeln sah Garrosh Höllschrei auf, während er bedächtig fortfuhr, seine mächtige Kriegsaxt zu schärfen. Für einen Moment war das metallische Schaben das einzige Geräusch, dass die Stille der geräumigen, fensterlosen Kriegshalle durchbrach. „Garrosh, an euren Manieren müsst ihr noch gehörig arbeiten.“ Die rauchige Stimme der untoten Fürstin klang überaus freundlich. Sylvanas Windläufer warf die schwere Kapuze ihres bodenlangen Federumhanges ab, schüttelte ihre silberblonden Haare nach hinten und lächelte Garrosh mit ihren rötlich lumineszierenden Augen liebenswürdig an. Der Ork schob seinen bulligen Unterkiefer mit den bedrohlichen, kupferringverzierten Hauern noch ein Stück weiter vor und wandte sich wieder seiner Axt zu. „Totes Fleisch gehört entweder auf den Tisch oder unter die Erde,“ knurrte er leise. „Ihr steht noch, Untote. Das sollte Beweis genug für meine guten Manieren sein.” Wieder rutschte der Wetzstahl mit einem häßlichen Singen über die Klinge. „Charmant wie eh und je. Schön zu hören, dass es euch gut geht, Garrosh. Wir haben euch gestern bei der Besprechung wirklich vermisst.“ Sylvanas lächelte, setze sich auf einen der fellbespannten Scherenstühle an dem runden Banketttisch und legte mit einer eleganten Drehung ihre endlosen Beine auf die massive Tischplatte. Unbeeindruckt ließ Garrosh den Wetzstahl weiter über seine Axt gleiten. „Ich hätte den Gestank der Allianz gar nicht so lange ertragen können.“ knurrte Höllschrei leise. „Aber, ich bin sicher, dass dieser aufgeblasene König der Weißhäute es gar nicht abwarten kann, in die Klinge meiner Axt zu rennen.“ „Ich kann euch versichern, dass eure Zuneigung auf Gegenseitigkeit beruht. Den Tag, an dem ihr Varian gegenübertretet, möchte ich nicht missen.“ „Der Tag wird kommen,“ knurrte Garrosh. „Und dann werdet ihr sehen, wie ein wahrer Krieger seinen Gegner in den Staub wirft! Die Lanze mit dem Kopf dieses Königs werde ich auf den höchsten Turm der Mauern Ogrimmars spießen. Von dort aus kann er dann sehen, wie mein Volk seine Welt erobern und niederwerfen wird, bevor er verfault.“ Zum ersten mal sah Garrosh auf und warf der fahlen Elfe ein kurzes, grimmiges Lächeln zu. „Euer Kopf würde sich übrigens gut daneben machen.“ „Garrosh- reiß dich zusammen!“ Die dunkle Stimme kam vom hinteren Eingangsbogen und schnellen Schrittes kam Kriegshäuptling Thrall auf den Banketttisch und auf Sylvanas zu. Auch er trug nur ein von einem breiten, bronzegenieteten Gürtel gehaltenes, schlichtes Lederwams über einer groben Stoffhose. Dennoch strahlte er mit seiner imposanten Statur und seinem stolzen, aufrechten Gang unbedingte Autorität aus. Sylvanas schwang die Beine vom Tisch und erhob sich. „Ah, Kriegshäuptling!“ Sie deutete eine leichte Verneigung an. „Macht Euch keine Gedanken, wir haben uns nur nett unterhalten.“ Dann verschwand ihr Lächeln und sie sah den großen, grünen Ork mit kühlem Interesse an. „Ihr habt mich rufen lassen.“ „Es gibt Neuigkeiten.“ „Von denen ich noch nichts weiß?“ „Ja, davon könnt ihr ausgehen, Fürstin. Aber vorher sagt ihr mir, was ihr von dieser weißhaarigen Blutelfe wisst, die bei der Allianz aufgetaucht ist und im Lager herumspaziert, als wäre sie eine der ihren.“ „Niamanee Nebeltänzer?“ Sylvanas lachte leise auf. „Ich fürchte, Kriegshäuptling, da kann ich nur mit veralteten Informationen aufwarten. Euch dürfte ja hinreichend bekannt sein, dass meine Beziehung zu dem amtierenden Regenten aus Silbermond nicht zum Besten steht.“ Thrall nickte leicht. „Dann erzählt, was ihr erzählen könnt.“ Das metallische Singen des Wetzstahls beendete Thralls Satz und der große Ork warf einen drohenden Blick zu Garrosh, der auf der anderen Seite der Tischplatte saß und mit demonstrativem Desinteresse den Wetzstahl geradezu zärtlich über die Klinge seiner mächtigen Axt gleiten ließ. „Sohn des Höllschrei! Höre und Lerne!“ Misslaunig lehnte der jüngere Ork seine Waffe an den Tisch, kam langsam zu den beiden Heerführern herübergeschlendert und stellte sich mit verschränkten Armen hinter Thrall. Dieser quittierte Garroshs Verhalten mit einem kurzen Blecken seiner Zähne. Nach dieser unmißverständlichen Drohung schien Garrosh tatsächlich etwas handzahmer zu werden. Sylvanas, die das Gebaren der Orks zu amüsieren schien, fuhr fort. „Nebeltänzers Vater war Kommandant von König Anasterians Leibgarde und hatte die merkwürdige Vorstellung, daß die Elfen sich dem Lichtglauben zuwenden sollten. Nun, angesichts dessen, was dem Sonnenbrunnen und meinem Volk widerfuhr ist die Idee vielleicht gar nicht so abwegig gewesen- aber damals löste sie heftige Kontroversen aus. Kommandant Nebeltänzer überlebte den Angriff der Geißel, ist aber, nach allem, was ich so hörte wenige Jahre danach dennoch der Geißel zum Opfer gefallen. Kurz danach gab es einen Eklat mit seiner Tochter, eben jener Elfe, die ihr bei der Allianz gesehen habt, angeblich war sie in irgendeine abstruse Mordsgeschichte involviert. Danach verliert sich ihre Spur. Ich war selbst ziemlich überrascht, sie bei der Allianz anzutreffen und habe mich ein wenig umgehört. Offensichtlich ist sie in die Scherbenwelt geflohen und dort auf Hochlord Bolvar Fordragon getroffen. Was immer auch da passiert sein mag, es muss zu einer Art von Beziehung gekommen sein, denn seinetwegen ist sie wohl hier aufgekreuzt.“ „Glaubt ihr diese Geschichte?“ „Wenn ich mir so ihren Hintergrund anschaue halte ich es durchaus für möglich, dass Niamanee Nebeltänzer eine gewisse Affinität zum Licht hat und von daher den Kontakt zur Allianz sucht.“ „Und wie seht ihr die Wahrscheinlichkeit, dass sie für die andere Seite arbeitet?“ „Nun, dann würde ich sie wohl besser kennen, nicht wahr?“ Sylvanas setze ein kokettes Lächeln auf. Thralls Miene verfinsterte sich. „Euer Humor gefällt mir nicht, Sylvanas.“ Die untote Elfe wurde wieder ernst. „Beruhigend zu hören, dass ihr immer noch an mich glaubt, Thrall.“ „Strapaziert es nicht.“ „Keinesfalls. Nein, tatsächlich glaube ich nicht, dass sie für die andere Seite arbeitet.“ „Glauben ist nicht Wissen.“ „Wohl wahr. Ist mehr so ein Bauchgefühl.“ Thralls rechte Brauenwulst zuckte nach oben „Für eine Tote eine durchaus erstaunliche Regung.“ „Ich bevorzuge die Bezeichnung Wiederbeseelte. Nur weil wir gestorben sind, heißt es nicht, dass wir alles vergessen hätten. Aber kommen wir doch jetzt zu den Neuigkeiten.“ Thrall nickte bedächtig. „Alles zu seiner Zeit. Sagt ihr mir erst, was ihr noch über die Blutelfe wisst.“ „Wie kommt ihr darauf, dass ich noch etwas weiß?“ „Keine Ahnung. Ist mehr so ein Bauchgefühl.“ Sylvanas lachte leise. „Ja, da gibt es tatsächlich noch etwas. Fordring hat großes Interesse an ihr und lässt sie suchen. Sie hat gestern Abend die Feste verlassen und nach allem, was ich in Erfahrung bringen konnte, hat sie sich zur Zitadelle aufgemacht. Offensichtlich ist unseren Freunden von der Allianz nun auch endlich zu Ohren gekommen, das Hochlord Fordragon noch lebt.“ „Noch gelebt hat,“ fiel ihr Thrall ins Wort. Sylvanas zog fragend ihre spitzen Brauen hoch. „Fordragon ist tot. Und die Blutelfe hat etwas damit zu tun. Wir wissen, daß sie es in die Zitadelle geschafft hat.“ Die dunkle Fürstin nickte. „Der Felwahnsinn. Sie haben sie nicht bemerkt. Bolvar zu töten könnte ein Akt der Gnade gewesen sein. Immerhin haben Arthas’ Folterknechte ihr ganzes Repertoire aufgeboten, um den armen Bolvar davon zu überzeugen, die Seiten zu wechseln. Alles in allem eine gute Nachricht. Nun hat Arthas ein Druckmittel weniger. Weiß die Allianz schon davon?“ Thrall schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht. Und die Rechnung mit dem Druckmittel geht leider nicht auf. Arthas hat ein neues. Sardak Dunkelschwinge ist in seiner Gewalt.“ „Dunkelschwinge hat sich schnappen lassen?“ Sylvanas wirkte zum ersten Male ehrlich irritiert. Der Kriegshäuptling beobachtete sie und fuhr dann etwas leiser fort:“ Allen Anschein nach war er auf der Spur der Blutelfe. Und wohl nicht vorsichtig genug dabei.“ Sylvanas zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Wenn schon. Wrynn wird das nicht aufhalten Bei Bolvar war ich mir da nicht so sicher, immerhin war Fordragon sein bester Freund und Ziehvater seines Sohnes. Selbst wenn die Kaldorei deswegen geschlossen abrücken – fünfhundert Bögen mehr oder weniger werden die Schlacht nicht entscheiden. Zumal Verstärkung auf dem Wege zur Argentumsfeste ist. Baron Varmont von Strabhands Flotte hat noch einmal Hundertschaften neuer Kämpfer geholt.“ „Varmont,“ knurrte Thrall. Ein finsterer Schatten huschte über sein Gesicht und für einen Moment schien er überhaupt nicht mehr im Raum anwesend zu sein. Sylvanas lupfte ihre spitzen Brauen. „Oh, ihr seid bekannt?“ Der Kriegshäuptling sah sie wieder an und es lag ein Blitzen in seinen Augen, dass selbst der untoten Elfe Unbehagen zu bereiten schien. Für einen kurzen Moment bleckte er seine Reißzähne und sprach dann mit leiser, dunkler Stimme. „Er war der Schlimmste von allen. Der gelangweilte Sohn eines kleinen Adeligen. Er hat die Kampfspiele für Schwarzmoor im Internierungslager Durnholde organisiert. Da konnte er zeigen, was wirklich in ihm steckt. Er hat Frauen und sogar Kinder unter dem grölenden Gelächter der geladenen Gäste von hungrigen Bären zerfleischen lassen.“ Sylvanas wirkte überrascht. „Jetzt habt ihr es geschafft, mich tatsächlich zu verblüffen. Von Baron Varmont habe ich bisher noch nichts dergleichen gehört. Soweit ich weiß, finanziert er den Krieg doch hier zu Teil mit.“ Thrall schüttelte den Kopf. „Ich rede von seinem Sohn. Caerdlon Varmont.“ Für einen Augenblick blitzen wieder seine Reißzähne auf. „Er ist der Einzige, der uns in Durnholde entkommen ist.“ Ein fast glaubwürdiger Ausdruck der Anteilnahme glitt über Sylvanas Gesicht. „Erst verweigern sie Euch die Ehre, auf dem Schlachtfeld zu sterben, pferchen Euch in diese Lager ein und dann so etwas. Ich bin erschüttert.“ „Spart euch euer falsches Mitgefühl, Elfe. Es ist Geschichte.“ „Trotzdem – ich habe mich immer gefragt, wie dieses Mädchen – Tabetha war ihr Name, nicht war? War sie nicht eure Ziehschwester? Auf jeden Fall habe ich mich immer gefragt, wie sie es so ganz alleine geschafft hat, euch aus diesem gut befestigten und gesicherten Lager herauszuschleusen. Wie tragisch, dass sie das mit ihrem Leben bezahlen musste.“ Wäre Sylvanas nicht bereits tot, hätte Thralls Blick spätestens jetzt dafür gesorgt. „Sprecht nie wieder von Tabetha, Untote.“ Die Elfe lenkte ein. „Verzeiht, wenn ich alte Wunden wieder aufgerissen habe. Manchmal bin ich einfach etwas gedankenlos. Eine Schwäche von mir.“ Thrall Antwort war ein verächtlicher Blick. Eine Weile beobachtete er das Flackern des Fackelfeuers an den Wänden und wandte sich wieder mit ausdruckslosem Gesicht Sylvanas zu. „Wann wird die Flotte eintreffen?“ „Ist sie bereits. Gestern Morgen. Heute Abend dürfte der Nachschub die Feste erreicht haben. Bald ist ganz Lordearon hier versammelt.“ Der Kriegshäuptling nickte. „Sie rekrutieren ihre Armee aus den nach Rache dürstenden Überlebenden.“ Jetzt wandte Thrall sich an Garrosh. „Immer wieder hast du mir in den Ohren gelegen angesichts der Überlegenheit der Allianz mehr Truppen nach Nordend zu holen. Vielleicht begreifst Du jetzt, warum ich das stets abgelehnt habe. Die Allianztruppen setzen sich zusammen aus einer knapp eintausendfünfhundert Mann starken, hervorragend ausgebildeten Armee Soldaten aus Sturmwind. Darnassus hat gut siebenhundert Fernkämpfer nach Nordend geschickt, Eisenschmiede ein Kontingent an Pionieren, eine Greifenflugstaffel sowie einige technische Einheiten, vielleicht auch noch mal an die sechshundert Zwerge. Dazu kommen Fordrings knapp zweihundert Paladine und Priester. Und natürlich die Magier aus Dalaran. Der Rest ihrer gut fünffachen Überlegenheit setzt sich zusammen aus Rekruten, die in vielen Fällen zuvor noch nie eine Waffe in den Händen gehalten haben! Damit sind wir ihnen an Kämpfern zahlenmäßig überlegen.“ „Es ist doch bekannt, dass die Menschen in der Schlacht erst einmal ihren Abfall vorwegschicken, um die ersten Reihen des Gegners zu lichten,“ warf Garrosh verächtlich ein. „Aber in Nordend macht diese Strategie überhaupt keinen Sinn,“ erwiderte Thrall. „Jeder Gefallene verstärkt die untoten Reihen des Lichkönigs und macht ihn stärker. Von daher ist das einzig richtige Vorgehen, so viele Gegner wie möglich auszuschalten ohne selber zu fallen. Und das können nur erfahrene Krieger.“ Der Kriegshäuptling sah in die Runde. „Sie haben Arthas eine Armee geschickt.“ Sylvanas wirkte amüsiert. „Man könnte fast meinen, dass da ein bösartiger Plan hinter steckt.“ „Der alte Mann muß das doch sehen!“ knurrte Garrosh. Sylvanas nickte. „Das tut er, Garrosh. Ihr habt die Schlachtpläne von ihm doch gesehen. Ein geradezu rührender Versuch, das Problem taktisch zu minimieren.“ „Warum schickt er die Bauern nicht einfach nach Hause?“ Garrosh verzog missmutig seinen Mund. „Das würde er sicher gerne tun, aber er führt diesen Krieg nicht alleine. Er ist angewiesen auf die Hilfen der Allianzpartner. Und wenn diese der Meinung sind, dass man dem Lichkönig mit Masse statt Klasse begegnen sollte, ob nun aus Kalkül oder Ignoranz, dann hat er kaum eine Wahl.“ Ein grimmiges Lächeln breitete sich über Thralls Gesicht aus. „Nun, Sylvanas, was Verrat angeht, da seid ihr doch die Expertin. Ihr hattet doch bereits gestern angedeutet, dass es Verräter bei der Allianz geben könnte. Glaubt ihr dass da jemand dem Lichkönig in die Hände spielt?“ Die untote Elfe sah den Kriegshäuptling kühl an. „Überlasst Sarkasmus denjenigen, die es beherrschen, Thrall. Ich dachte, wir hätten die Sache mit der Pforte des Zorns geklärt. Und was eure Frage angeht: Ja, ich bin sicher, dass da jemand dem Lichkönig in die Hände spielt.“ „Und ihr wisst auch, wer?“ Sylvanas schüttelte den Kopf. „Natürlich habe ich mir so meine Gedanken gemacht. Erschreckenderweise kann ich bei fast jedem eine Motivation finden- selbst bei Euch, Thrall. Deswegen sollten wir davon ausgehen, dass der Lickkönig unsere Angriffspläne kennt. Aber solange wir nichts Konkretes haben, können wir nur abwarten, bis der Feind sich aus der Deckung wagt- und das wird er spätestens in der Schlacht tun. Und deswegen werde ich es mir nochmals gut überlegen, ob ich meine Verlassenen in den Kampf schicke. “ „Gerade weil der Feind die Deckung verlassen wird, sollten wir in die Schlacht ziehen. Vielleicht kennt Arthas die Pläne, aber Fordrings Taktik kann immer noch funktionieren – wenn sich alle daran halten.“ „Und genau darauf würde ich nicht wetten, Kriegshäuptling.“ „Unsere Schamanen haben die Ahnen befragt. Wir werden siegreich sein.“ Sylvanas sah Thrall leicht verwundert an und schüttelte dann lächelnd den Kopf. „Wisst ihr, Thrall- bis gerade eben haben wir ein wirklich gutes, strategisches Gespräch geführt. Aber –eure hochgeschätzten Ahnen in allen Ehren- eure Zuversicht in den Orakelspruch eines Geistes kann ich nicht teilen. Ich werde nicht das Leben meiner Leute für eine bereits verlorene Schlacht aufs Spiel setzen.“ Ihr Lächeln nahm einen deutlichen, ironischen Zug an. „Verzeiht, wenn ich doch immer wieder vergesse, dass wir ja bereits tot sind. Ich korrigiere: Die Existenz meiner Leute werde ich nicht für eine verlorene Schacht riskieren.“ Mit diesen Worten schlug sie ihre Kapuze hoch, verneigte sich graziös vor Thrall wie auch vor Garrosh und verließ schwungvollen Schrittes die Kriegshalle. Garrosh sah ihr lange nach. „Sie wird kommen.“ Thrall nickte. „Natürlich wird sie. Sie wird es sich nicht entgehen lassen. Denn ihre Leute bedeuten ihr weit weniger, als sie vorgibt. Aber wir werden sie ihm Auge halten müssen.“ „Du bist zu nachsichtig mit diesem untoten Spitzohr, Häuptling. Warum gibst du dich immer noch mit ihr ab?“ Der Kriegshäuptling sah noch eine Weile in die Richtung, in der die Fürstin der Untoten verschwunden war und wandte sich dann mit einem feinen Grinsen an den jüngeren Ork. „Sie glaubt, sie spielt mit mir. Genau wie du glaubt sie, ich sei zu weich, zu nachgiebig. Und das macht sie unvorsichtig. So habe ich sie besser unter Kontrolle.“ Garrosh dachte einen Moment über Thralls Antwort nach. Dann stieß er einen leisen, unwilligen Laut aus, erwiderte aber nichts. Er ging zum Tisch und nahm seine schwere Axt auf.„Trotzdem wäre eine weitere Rotte Grunzer hier sicherlich von Vorteil.“ Thralls nachdenklicher Blick wandte sich wieder der Tür zu. „Der Krieg wird nicht nur in Nordend geführt, Garrosh. Ein Heer aus Sturmwind ist auf dem Weg nach Lordaeron. Varian Wrynn will Tatsachen schaffen. Er lenkt den Fokus auf Nordend, seine Hauptinteressen aber liegen in Azeroth. Ich habe den Frostwolfclan bereits im Alteracgebirge Stellung beziehen lassen, Verstärkung aus Durotar befindet sich auf See. Wrynn strebt die Vorherrschaft über ganz Azeroth an. Wenn ihm das gelingt, ist die Zukunft unseres Volkes in dieser Welt in Gefahr. Fällt Arthas also übermorgen in der Schlacht, wird der Kampf auf Azeroth weitergehen. Verlieren wir, wird der Lichkönig mit der größten Armee, die diese Welt je gesehen hat die Welt der Lebenden überrollen. So oder so- wir sehen ruhmreichen Zeiten entgegen, Garrosh. Sorgen wir also dafür, dass wir zumindest ehrenvoll zu unseren Ahnen eingehen!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)