Lichtbringer von MilliBee (Der Fall des Lichkönigs einmal anders...) ================================================================================ Kapitel 5: Jede Reise endet --------------------------- Als sich der Erkundungstrupp langsam den lang gestreckten Bergrücken hinaufbewegte, vergoldete die in ihrem Rücken untergehende Abendsonne mit ihren letzten Strahlen das Mauernwerk der hoch vor ihnen aufragenden Wehrtürme. So winzig, wie diese Festung von der Ferne aus gewirkt hatte, war Niamanee nun doch überrascht zu sehen, wie weitläufig diese imposante Wehranlage war. An der höchsten Stelle des sanft ansteigenden, nach hinten aber steil abfallenden Bergkammes thronte eine ganze Stadt, an deren höchster Stelle eine mächtige Burg emporragte, die an Trutzigkeit ihresgleichen suchte. Auf den beiden höchsten Türmen wehten schon aus der Ferne erkennbar die Banner der Argentumsdämmerung, goldene Sonnen auf weißem Grund. Auch wenn die Burg sich in ihrer Architektur grober und kantiger präsentierte als Niamanee es von den Burgen der Menschen bisher kannte, bot sie dennoch in ihrer Größe und Wehrhaftigkeit ein äußerst beeindruckendes Bild. „Seit wann ist das Argentumsbündnis hier in Nordend?“ Mathis schien kurz nachzurechnen. „Knapp drei Jahre, würde ich schätzen.“ Niamanees Blick wanderte wieder zu der Burg. „Diese Burg ist nicht in drei Jahren gebaut worden.“ Kopfschüttelnd lachte Mathis auf. „Ganz bestimmt nicht. Die Vyrkul haben sie errichtet, vor vielen hunderten von Jahren. War wohl eine ehemalige Königsfeste, so genau weiß das keiner, dazu ist die Burg einfach zu alt. Als ich hier mit den ersten Truppen ankam, haben wir das verlassene Gemäuer einfach annektiert und für uns passend gemacht. Dieses Klima konserviert einfach alles, die Mauern waren noch bestens in Schuss.“ „Und Arthas hat euch einfach gewähren lassen? Ich meine, ihr setzt ihm hier einen militärischen Angriffsstützpunkt direkt vor die Nase und er hat nicht darauf reagiert?“ „Nicht ein einziger Übergriff seinerseits in der ganzen Zeit.“ Mathis zuckte mit den Schultern. „Und gute Gelegenheiten hätte es für ihn in der ersten Zeit, als alles noch im Um- und Aufbau war, genug gegeben.“ Ein trockenes Grinsen huschte über das narbige Gesicht. „Aber vielleicht wollte er auch nur warten, bis hier so viele Truppen angekommen sind, dass sich ein Angriff auch richtig lohnt.“ Mittlerweile konnte man auch weitere Banner auf den Gebäuden unterhalb der Burg flattern sehen, Niamanee erkannte die langen, spitzen Elfenbanner einiger darnassischen Familien neben den kantigen Wimpeln verschiedener Zwergenclans und eine stattliche Anzahl Banner und Fahnen aus Sturmwind. Am häufigsten aber flatterte das Wappen Lordaerons in der leichten Abendbrise. „Ich sehe ausschließlich Banner der Allianz,“ stellte die Elfe fest. „Ich dachte immer, das Argentumbündis sei ein völkerübergreifendes Bündnis gegen den Lichkönig.“ Mathis kräuselte etwas unbequem die Lippen. „Na ja, ist es ja auch- irgendwie. Diese Burg hier war anfangs als gemeinsamer Stützpunkt gedacht gewesen. Aber die kulturellen Eigenheiten haben das Zusammenleben auf engem Raum doch etwas schwierig gestaltet, ganz zu schweigen davon, das jahrelang gewachsener Hass und Vorurteile sich nicht über Nacht hinwegfegen lassen. Dass schafft auch kein gemeinsamer Feind und mag er auch noch so grausam sein. Und da es auf beiden Seiten genügend Hitzköpfe gibt, die ständig Öl in die schwelende Feindschaft gießen, beschlossen Fordring und der alte Ork Saurfang, der Kriegsherr der Horde, der anfangs hier das Kommando hatte, dass die Horde sich ihren eigenen Stützpunkt errichten würde.“ Er wies mit dem Finger auf ein nicht erkennbares Ziel. „Irgendwo in dieser Richtung, ungefähr ein Tagesritt von hier entfernt haben die Neruber vor Ewigkeiten ein riesiges, oberirdisches Ziggurat gebaut, wahrscheinlich als Antwort auf die Königsfeste der Vyrkul. Nach allem, was man so weiß, haben sich beide Völker weit vor unserer Zeit hier mächtig beharkt. Das Ding fanden wir genauso verlassen vor wie die Königsfeste, als unsere ersten Truppen hier ankamen. Es liegt in einem fast uneinnehmbarem Talkessel und war ursprünglich unsere erste Wahl als Standort gewesen. Aber Angesichts der noch zu erwartenden Truppen erschein es den Strategen vom Bündnis dann doch zu klein und man wich zur Königsfeste aus. Jetzt hat sich Thrall mit seinen Orks und den Trollen dort häuslich niedergelassen.“ „Was ist mit Fürstin Sylvanas und ihren Verlassenen?“ „Die haben etwas weiter zur Küste hin ein altes Vyrkuldorf besetzt und bleiben lieber unter sich. Aber der Gestank ihrer teuflischen Hexenküchen, in denen sie ihre obskuren Seuchenexperimente machen, zieht manchmal bis zur Königsfeste hinauf.“ „Wieso lässt Hochlord Fordring das zu?“ „Weil sie angeblich versuchen, ein Mittel zu entwickeln, dass die Seuche neutralisiert.“ Wieder schlich sich Sarkasmus in das Grinsen vom Mathis. „Wer sollte sich sonst damit abgeben als die, die bereits tot sind und somit resistent gegen die Seuche?“ Niamanee antwortete mit einem freudlosen Lächeln und sah wieder zur Feste. Der breite Weg aus gestampften Schnee, der zur Spitze hinaufführte, lenkte die Karawane jetzt durch ein Meer unzähliger angespitzter Pfähle, die schräg in den vereisten Boden gerammt aus dem Schnee ragten und einen riesigen Halbkreis um die Festung beschrieben. Auf dem hinter dem Pfahlwall breiter werdenden Weg kam der Tross zum Stehen. Darion Mograine, der sie bislang angeführt hatte, wendete sein Pferd und ritt auf Kommandant Dunkelschwinge zu. Die beiden wechselten ein paar Worte, dann sah der Anführer der untoten Ritter auf und winkte seinen Reitern, die daraufhin mit ihren skelettierten Rössern gemächlich in lockerer Formation den Hang wieder hinab trabten. Mograine setzte ihnen im leichten Galopp nach. Niamanee sah den fort reitenden Todesrittern nach und schenkte Mathis einen fragenden Blick. „Warum gehen sie?“ Mathis grinste. „Weil sie tot sind.“ Da Niamanee die Erklärung ganz offensichtlich nicht ausreichte, setze er nach. „Das komische Flimmern über der Festung ist euch bestimmt schon aufgefallen, oder?“ Die Elfe nickte. „Ein Schutzschild gegen magische Angriffe- und vor allem gegen Untote. Schon beeindruckend, was die Zauberkünstler der Kirin Tor so alles können. Ungünstigerweise trennt dieser Schild nicht zwischen Verbündeten und Feind. Was bedeutet, dass, wenn immer Fürst Darion Mograine oder die dunkle Dame Sylvanas ihren Besuch ankündigen, der ganze Schild heruntergefahren werden muss. Und das wiederum bedeutet, dass während dieser Zeit die ganze Feste in Alarmbereitschaft ist, sämtliche Wachmannschaften verdreifacht und alle Geschütze bemannt werden.“ Auch Mathis schaute jetzt kurz den bereits zu schwarzen Punkten geschrumpften Reitern nach. „Scheint, als ob Mograine keine Umstände verursachen wollte.“ Von der Feste her erscholl jetzt der lang gezogene Ton eines Signalhorns. Der Erkundungstross hatte sich wieder in Bewegung gesetzt und Mathis schnalzte mit den Zügeln. Jetzt, wo sie merkten, dass es wieder nach Hause ging, legten sich die kompakten Bergponys noch einmal richtig ins Zeug und zogen stramm weiter in die Richtung der äußeren, weißen Wallanlage. Vorspringende, massive Winkel reihten sich wie ein Strahlenkranz um die hohe Mauer und gaben zusätzlichen Halt. Umso überraschter war Niamanee, als sie erkannte, dass diese mächtige Mauer komplett aus Eisblöcken hochgezogen worden war. Verblüfft wandte sie sich an Mathis. „Die Mauer ist ja aus Eis!“ Der graubärtige Mann nickte vergnügt. „Oh ja! Ist das billigste Baumaterial hier. Und versuch’ da mal ‚rüberzukommen.“ Dann schlich sich unübersehbarer Stolz in sein Lächeln. „War meine Idee. Hab’ die Pläne dafür entworfen. Nachdem der innere Festungsbereich die ganzen Truppen nicht mehr fassen konnte, mussten wir erweitern.“ „Aber schmilzt das Eis im Sommer nicht?“ Mathis schüttelte den Kopf. „Hier auf der Höhe haben wir das ganze Jahr über Permafrostboden und die Temperaturen im Sommer gehen wenig über den Gefrierpunkt. Das taut die Blöcke vielleicht ein bisschen an, mehr aber auch nicht. Außerdem ist inmitten der Mauer noch eine stabile Holzkonstruktion.“ Er schmunzelte. „Und das Ausbessern der Eismauern im Winter hält die Leute in Bewegung!“ „Was macht ihr als Baumeister aber dann bei einem Erkundungstrupp in dem Sturmgipfeln?“ Ein provokantes Lächeln glitt über Niamanees Gesicht. Mathis feixte. „Mir ist da drinnen die Decke auf den Kopf gefallen.“ Tatsächlich war dieser erste Schutzwall nicht komplett aus Eis. Immer wieder durchbrachen schmale, von Kanzeln gekrönte Steinabschnitte das Bauwerk, was aber erst in unmittelbarer Nähe sichtbar wurde, da der vereiste Stein sich geradezu organisch in das Eis einfügte. Über die Kanzelbrüstungen hinaus ragten die dunklen Spitzen wuchtiger Katapultpfeile. Zwei steinerne Wachtürme rahmten das schwere Holztor, dessen Flügel sich langsam öffneten. Ein knappes dutzend gut gerüsteter Soldaten trat hinaus und postierte sich zu beiden Seiten des Weges, während der Tross langsam durch die steinerne Pforte einkehrte. Niamanee warf noch einen letzten Blick zurück auf die bizarre, dunkle Silhouette der Eiskronenzitadelle, die ihren lauernden, spitzen Schatten der Argentumsfeste entgegenstreckte. Die letzten, roten Sonnenstrahlen leckten über die steinernen Zähne und tauchten den Granit in glänzendes Blut. Mit einem dumpfen Poltern schlossen sich die schweren Tore des Eiswalls hinter dem letzten Lastmammut. Interessiert sah Niamanee sich um – zu beiden Seiten des gewalzten und trassierten Weges ragten hunderte und aberhunderte der Zelte in den unterschiedlichsten Größen aus dem frisch gefallenen Neuschnee. Viele Zelte ähnelten den braungrauen Filzkuppeln, die auch der Erkundungstrupp benutzt hatte, nur waren diese hier weitaus größer und die meisten von ihnen hatten sogar Holztüren. Rauch zog durch steingefasste Rohre ab, während er bei den steil aufragenden, hellen Zelten, die immer wieder in kleineren Gruppen aus dem Meer der Filzkuppeln ragten, direkt aus einer Öffnung in der Zeltspitze stieg. Einige dieser Zelte waren mit wunderschönen Ranken und floralen Mustern in bräunlichen Tönen bemalt worden, zweifelsohne solides, elfisches Handwerk. So unterschiedlich die Zelte in ihrem Formen und Farben auch waren, eins hatten sie fast alle gemein: die aus den meisten Zelten träge aufsteigenden Rauchfahnen erfüllten die Luft mit einem allgegenwärtigen, beißenden Geruch nach brennendem Holz und schmauchenden Kohlen. Die unübersichtliche Ansammlung unzähliger Zelte wurde hier und da von größeren Gebäuden aus Holz, seltener aus Stein durchbrochen, die teilweise wohl als Ställe, Versorgungsmagazine und ganz offensichtlich auch als Schankstuben fungierten. Hinter der riesigen Zeltstadt erhob sich eindrucksvoll die aus roh behauenen, großen Steinen errichtete ursprüngliche Festungsmauer. Diese war um einiges höher als der Wall aus Eis und auch hier blitzten zwischen Schießscharten auf steinernen Kanzeln schwere Geschütze hervor. Sich gegenüberliegend waren in westlicher und östlicher Richtung zwei schlanke, weiß verputzte Türme nachträglich zwischen das Mauerwerk gesetzt worden, die in ihrer graziösen Fragilität in geradezu dramatischen Widerspruch zu der ansonsten sehr rauen Architektur standen. Ein schmaler Balkon umlief die jeweils mit einer knospenden Spitze aus schimmerndem Metall geschmückten Türme. An den Spitzen der Kuppeln schien das allgegenwärtige Flimmern regelrecht Funken zu schlagen und Niamanee begriff, dass der magische Schild von diesen beiden Türmen aus gespeist wurde. Mittlerweile hatte der Tross auf dem breiten Mittelweg angehalten. Mathis bedeutete Niamanee mit einer Handbewegung sitzen zu bleiben, sprang vom Kutschbock und ging auf Kommandant Dunkelschwinge und Golofin Gnollhammer zu. Da Golfins und Mathis Blick jeweils einmal kurz zu ihr hinüberschauten war klar, dass man über sie redete und wieder begann dieses ungute Gefühl in ihrer Magengegend zu nagen. Sie fühlte sich auf einmal sehr fehl am Platze. Hoffentlich würde man sie jetzt schnell zu Bolvar bringen. Dann würde alles wieder gut werden. Sie wandte sich ab und ließ ihren Blick über das rege Treiben zwischen den Zelten schweifen. Überall erhellten Fackeln und Feuerkörbe das Zwielicht des voranschreitenden Abends, Waffen wurden poliert und geputzt, an einigen offenen Lagerfeuern wurde gekocht und gegessen. Etwas weiter hinten auf einem größeren, freien Platz wurde Schwert- und Stabkampf geübt, während direkt daneben in einem dreckig zerwühlten Schneeloch an einem der Holzhäuser sich ein paar pelzige Schweine suhlten. Zwischen den Zelten kam jetzt eine Meute kläffender Schlittenhunde über den Mittelweg geschossen, die einer handvoll panisch gackernder Hühner hinterherjagte, gefolgt von einem wütend fluchenden Zwerg mit hochrotem Gesicht. Interessierte Blicke von allen Seiten beobachteten neugierig den zurückgekehrten Expeditionstrupp, einige der Kämpfer kamen auf sie zu und begrüßten die Heimkehrer, in der Hoffnung, aus erster Hand Neuigkeiten zu erfahren. Viele der Männer und Frauen trugen die goldene Sonne auf dem weißen Wappenrock der Argentumsdämmerung. Es gab ein, zwei irritierte Blicke, aber ansonsten wurde Niamanee kaum beachtet, offensichtlich war der Anblick einer Blutelfe hier nichts Ungewöhnliches. Mathis und Golofin kamen jetzt gemeinsam mit Jaelle zum Versorgungsschlitten zurück. Golofin räusperte sich in zwergentypischer Weise, rieb dann etwas nachdenklich seinen Bart und sah zu Niamanee auf. “Wir haben gerade überlegt, wo wir dich für’s erste unterbringen. Und Jaelle hat angeboten, dass du bei ihr unterschlüpfen kannst. Sie hat ihr Zelt hier mit Saana geteilt.” Der Zwerg sah für einen kurzen Moment betreten zu Boden. “Saana braucht kein Bett mehr.” Die ältere Frau erkannte offensichtlich sehr gut, was in diesem Moment in Niamanees Kopf vorging und ein freundliches Lächeln wärmte ihre harten Züge. “Es war nicht ihr Bett. Sie hat es ebenfalls übernommen. Es steht jetzt halt leer. Und ein leeres Bett weckt immer unschöne Erinnerungen.” Niamanees Blick wechselte ertwas verhalten zwischen den beiden Männern und Jaelle. Irgendwie liefen die Dinge hier gerade anders, als sie es sich vorgestellt hatte. Dann aber besann sie sich und nickte Jaelle mit einem dankbaren Lächeln zu. Golofin rieb sich mit offensichtlicher Erleichterung die Hände, grinste sie eine Spur zu breit an und erklärte:” Ich begleite Kommandant Dunkelschwinge jetzt zum Rapport auf die Burg.” Er sah sich kurz um. “Bin vor dem Wachwechselsignal wohl kaum zurück, kann also ein Weilchen dauern – aber danach treffen wir uns am Tor zur Festung und sehen weiter.” Niamanee neigte forschend ihren Kopf. “Kannst du mich nicht gleich zu Herrn Fordragon bringen?” Golofin verzog etwas ungemütlich das Gesicht. “Das ist alles nicht so einfach hier. Die Führungsspitze lässt einen nicht so ohne weiteres vor. Ich muss da erst einiges klären. Jaelle kümmert sich erst einmal um dich.” Dann räusperte er sich erneut, drehte sich um und eilte auf seinen kurzen Beinen Dunkelschwinge nach. Jaelle nickte zustimmend. „Lasst uns erste einmal deine Sachen ins Zelt bringen, damit du weißt, wo du heute Nacht schläfst.“ Mathis, der derweil begonnen hatte, den Schlitten abzuladen grinste herausfordernd. „Ich kann euch ja beim Tragen helfen.“ Jaelle winkte leicht verächtlich ab. „Ach, du alter Schwerenöter, als ob wir das nicht selbst könnten! Sie du mal zu, das die Pferde in den Stall kommen, haben eine extra Portion Hafer nach diesem Tag redlich verdient!“ Sie griff sich einen Rucksack, eine mit Tragegurten versehene Kiste sowie einen zusammengerollten Stapel Decken vom Versorgungsschlitten, wartete bis Niamanee sich ebenfalls ihr Gepäck übergeworfen hatte und winkte ihr dann zu folgen. Nachdenklich kratze Mathis sich am Kopf und sah den beiden Frauen nach, wie sie zwischen den Zelten verschwanden. Vor einem der graubraunen Kuppelzelte blieb Jaelle stehen, stieß die mit lustigen bunten Mustern bemalte Holztüre auf und wuchtete ihr Gepäck in den dunklen Innenraum. Dann fischte sie einen langen, dünnen Kienspan aus einem Holzkorb direkt am Eingang, entzündete ihn an den Flammen eines nahen Feuerkorbes, kehrte mit dem Licht ins Zelt zurück und steckte den Span in einen eisernen Halter. „Keine Luxusherberge – aber immerhin funktioniert der Ofen.“ Sie forderte Niamaee auf, ihre Sachen auf die grobe Bettstatt zur Rechten zu legen und begann, Holzscheite von einem größeren Stapel in die Öffnung eines niedrigen, schwarzen Metallzylinders zu stecken. Die schlichte Konstruktion stand vor einer nicht allzu großen, in einen Holzrahmen gefassten, Mauer aus aufgeschichteten Steinen, durch die das Ofenrohr nach außen führte. Mit dem Kienspan entzündete Jaelle die trockenen Scheite und bald flackerte in dem einfachen Ofen ein munteres Feuer. Niamanee hatte sich neben ihren Sachen auf das Bett gesetzt und Jaelle eine ganze Weile beobachtet. „Ihr müsst ja einen unglaublichen Holzverbrauch hier haben.“ Jaelle begann, ihren Rucksack auszupacken und zuckte mit den Schultern. „Die Holzfäller ziehen hier eigentlich täglich mit ihren Schlitten in die tiefer gelegenen Täler. Die Holzzuteilung pro Kopf ist trotzdem ganz schön knapp bemessen. Reicht im Prinzip für einmal pro Tag aufwärmen und Tee kochen.“ Ein flüchtiges Grinsen huschte jetzt über ihr Gesicht. „Aber ich war ja jetzt einen Monat nicht da, da haben sich Reserven angesammelt.“ Die Elfe betrachtete jetzt eine Weile die knisternden Flammen hinter der geöffneten Ofenklappe und spürte auch schon die erste Wärme auf ihren Wangen. Jaelle stellte eine gusseiserne Kanne auf die Abschlussplatte des Ofens, holte aus einer Truhe zwei Steingutbecher und stellte sie auf den wackeligen Holzblock, der in der Mitte des Zeltes als Tisch diente. Dann fischte sie noch einen kleinen Lederbeutel hervor und schüttelte ihn demonstrativ. „Fermentierter Rotsterntee- wärmt hervorragend in der Kälte!“ Niamanee lächelte schwach und sah Jaelle interessiert an. „Bevor du nach Nordend kamst. Ich meine, vor der Geißel, was hast du da gemacht?“ Jaelle seufzte und ihre schmalen Lippen umwehte ein Hauch von Bitternis. „Das, was nicht mehr marktfeile Töchter von kleinen Adeligen im Allgemeinen so machen. Sie gehen ins Kloster.“ Dann entspannten sich ihre Züge wieder. „Im Nachhinein das Beste, was ich tun konnte. All das, was ich dort lernte, kann ich hier jetzt bestens brauchen. Ob Kräuterkunde, Toxikologie, Astronomie oder trockene Buchhaltung – Langeweile ist ein guter Lehrmeister.“ „Habt ihr das Gelübde abgelegt?“ Jaelle lachte leise auf. „Das Licht möge nachsichtig sein- aber ich hatte bestimmt nicht vor, Nonne zu werden!“ Dann sah sie Niamanee forschend an. „Was ist mit dir? Wie sah dein Leben vorher aus?“ „Seid ich mich erinnern kann, wollte ich immer ein Sonnenritter werden, genau wie mein Vater. Aber sie haben mich nicht gelassen, ich war ihnen zu klein und schwächlich.“ Etwas Sehnsüchtiges lag jetzt auf dem bleichen Elfengesicht. „Daraufhin habe ich meinen Vater solange angebettelt und bedrängt, bis er mir schließlich Privatunterricht gegeben hat.“ „Erinnert mich an meine Jugend,“ fiel Jaelle lachend ein und wirkte im Dämmerlicht für einen kurzen Moment wie das junge Mädchen, das sie dereinst gewesen war. „Ich wollte auch unbedingt Schwertkampf lernen und habe ständig den Mägden die großen Waschlöffel geklaut, um damit herum zu fuchteln! Mein kleiner Bruder hat mir dann später tatsächlich die eine oder andere Kampfstunde erteilt. Er war der Meinung, dass sich seine große Schwester auch selbst verteidigen können sollte, würde er vielleicht einmal abberufen. Wenn er nur wüsste, wie recht er damit behalten hat!“ Niamanee nickte leicht. „Ich glaube, er weiß es.“ Dann wurde ihre Miene wieder nachdenklicher. „Tatsächlich wäre ich beinahe noch ein Sonnenritter geworden. Oder besser gesagt, Blutritter, da der Orden sich zu Ehren unserer Gefallenen umbenannt hat. Nachdem Arthas fast unser ganzes Volk ausgelöscht hatte, suchten sie händeringend nach Nachwuchs. Aber das waren nicht mehr die Sonnenritter, die ich früher so bewundert hatte. Umstände zwangen mich dazu, die Ausbildung kurz vor Ende abzubrechen. Mein Vater hat das alles nicht mehr erlebt. Aber hätte er mich damals nicht unterrichtet, ich wäre nicht hier.“ Jaelle war aufgestanden, hatte ein paar Krümel aus dem Lederbeutel in das mittlerweile kochende Wasser der Kanne geworfen, schüttete jetzt rötlichen, stark duftenden Tee in beide Becher und ermutigte Niamanee mit einem Kopfnicken, zuzugreifen. „Und nun sitzen wir beide hier im Eis am Ende der Welt und versuchen unser Leben neu zu ordnen, nicht wahr?“ Sie trank einen Schluck Tee und nickte Niamanee aufmunternd zu. Eine Weile saßen sich die beiden Frauen im Dämmerlicht des Ofenfeuers schweigend gegenüber, vertieft in die eigenen Gedanken und tranken bedächtig den dampfenden Tee. Die innere Unruhe, die Niamanee schon verspürt hatte, als sie sich der Feste genähert hatten wurde von Mal zu Mal drängender, doch brachte sie die entscheidende Frage einfach nicht über die Lippen. Irgendetwas in ihr klammerte sich immer verbissener an den sehnsüchtigen Wunsch, dass jetzt alles wieder gut werden würde. Jaelle setzte ihren leeren Becher ab und erhob sich schwungvoll. „Weißt du was? Es wird noch ein Weilchen bis zum Wachwechsel dauern, wie wäre es mit einer kleinen Führung?“ Leidenschaftslos zuckte Niamanee mit den Schultern, versuchte aber ein freundliches Lächeln. „Sehr gerne.“ Die kurzhaarige Frau stocherte noch ein wenig in dem bereits schon wieder heruntergebrannten Feuer, schloss die Ofenluke und erhob sich dann, um Niamanee den Filzvorhang vor dem Ausgang aufzuhalten. Als beide draußen auf dem niedergetretenen Schnee standen, schloss Jaelle sorgfältig die Türe und bedeutete der Elfe, ihr zu folgen. Jetzt, wo nur noch ein intensives, von violetten Schlieren durchzogenes Blau an Himmel an die kürzlich untergegangene Abendsonne erinnerte, war es merklich kälter geworden. Niamanee schob ihre Fellkapuze über ihr widerborstiges, silbriges Haar, zog sie fest zu und folgte Jaelle zwischen den Zelten hindurch. Das rege Treiben von vorhin war stiller geworden. An einigen Lagerfeuern wurde noch gegessen, gesprochen und gescherzt, gelegentlich grüßte der eine oder andere in Jaelles Richtung. Als sie den mit brennenden Stabfackeln flankierten Mittelweg überquerten, konnte man durch das geöffnete, aber bewachte Tor des inneren Festungswalls bis zur Burg hinaufsehen. In einigen Fenstern brannte Licht. Sehnsüchtig verharrte Niamanees Blick. Irgendwo dort hinter den Mauern war Bolvar. Dann riss sie sich wieder los und eilte Jaelle hinterher, die schon ein ganzes Stück weiter vorausgegangen war. Jaelle sah sie amüsiert an. „Ganz wie im richtigen Leben- in den anständigen Häusern hinter den hohen Mauern wohnen die, die was zu sagen haben.“ Niamanee zog die Brauen hoch. „Aber du bist doch ebenfalls eine Adlige.“ Jaelle schüttelte gutmütig den Kopf. „Das bedeutet hier nicht viel. Viele alte Strukturen haben sich zwar erhalten, aber der Großteil der militärischen Führungsspitze besteht hier aus Veteranen der Kämpfe in Lordaeron sowie wichtigen Führern der jeweiligen Völker. Allen voran natürlich Tirion Fordring und König Varain Wrynn. Herrn Fordring steht Muradin Bronzebart zur Seite, der die Dampfpanzereinheiten und Greifenstaffeln der Zwerge koordiniert. Dann wären da noch Erzmagier Rhonin, der Führer der Kirin Tor und Mondpriesterin Daidanis Silberschatten, die Hüterin des hiesigen Mondbrunnens, die Abgesandte aus Darnassus. Wenn’s hier mal Probleme geben sollte, wende dich am besten an Golofin, der kann gut mit Muradin Bronzebart, auch wenn er ständig über ihn schimpft. Oder aber du gehst direkt zu Herrn Balinar von Breenan, das ist Fordrings rechte Hand und ein feiner Kerl. Setzt sich immer sehr für seine Leute ein.“ Niamanee lächelte. „Ich denke, das wird Herr Fordragon schon alles für mich regeln.“ Jaelle nickte flüchtig. „Bestimmt!“ Die ältere Frau wies jetzt auf mehrere lang gestreckte, auffällig hohe Holzgebäude, die sich direkt unterhalb an die Festungsmauern schmiegten. „Das sind die Stallungen der Greifenstaffeln. Dahinter beginnen die Pferdeställe. Die Kriegsrösser der berittenen Kampfeinheiten sind oben in der Festung untergebracht, hier unten in den Ställen die Last- und Zugtiere. Auf denen man aber durchaus auch reiten kann. Wenn du also mal ein Pferd brauchst, wende dich an Mathis, Stallmeister Hagstrodt ist ein guter Freund von ihm.“ Sie waren jetzt an einem flachen, steinernen Gebäude angekommen, dem sich ein lang gezogener Holzanbau angliederte. Kästen und Fässer waren draußen an der Wand entlang gestapelt worden, einige steifgefrorene Säcke lagen obenauf. Durch die geschlossenen Holzläden des steinernen Vorbaus drang Licht. Jaelle nickte zufrieden. „Ah, der Herr Mikeli scheint noch geöffnet zu haben!“ Sie öffnete die Eingangstüre und schob Niamanee durch den schweren Vorhang ins Innere. Staunend sah die Elfe sich um. Überall um sie herum waren einfache Holzregale bis unter die Decke gebaut worden, voll gestopft mit Schachteln, Kisten, Säcken, und Gläsern. Abgebrochene Mammutzähne ragten zwischen Stapeln aus gerollten Schafsfellen heraus, direkt daneben schimmerten einige Ballen feinsten Stoffes, auf denen merkwürdige, grob geschnitzte Holzfiguren lagen. Ordentlich aufgereiht standen dutzende, umflochtene Glasballons auf dem Boden, gefüllt mit schimmerndem Öl, dahinter lehnte an der Wand ein ganzer Stapel Schneeschuhe neben Äxten und Schaufeln. Zwischen einer Unzahl getrockneter Kräutersträuße baumelten gedörrte Fische und gepökelte Schinkenflanken von der Decke. Durch den halbgeöffneten Vorhang hindurch, der in den rückliegenden Holzanbau führte, konnte man stapelweise Bierfässer und Weinschläuche erkennen. Hinter der aus Kisten zusammen gezimmerten, sehr provisorischen Theke stand auf einer weiteren Kiste in einem pelzbesetzten Mantel aus feinem Tuch ein sehr kleiner, knolliger Mann mit struppigen, mausgrauen Haaren und einem auffälligen Backenbart, der heftig gestikulierend auf eine weitere Person vor der Theke einredete. Der auffällig dürre Mann, mit geöffnetem Journal in der einen und tintenbenetzter Feder in der anderen Hand offensichtlich Ursache für die Erregung des Gnomes, ließ der Wortschwall völlig unbeeindruckt. Der knielange, schwarze Mantel, dessen hoher Stehkragen dass knochige, hakennasige Profil noch unterstrich, ließ ihn wie einen lauernden Geier wirken. „Ihr ruiniert mich, Herr Lemmele!“ jammerte die fistelige Stimme des Gnomes. „Wie soll ich denn meine enormen Kosten hier decken können, wenn ihr derartige Preise von mir verlangt!“ Der hagere Mann lächelte dünn wobei sich sein schmaler, schwarzer Schnurrbart sich zu einer schmalen Linie verzog. „Werter Herr Mikeli, ich würde es nicht wagen, euch zu übervorteilen. Dem Herrn Baron entstehen durch die gefährlichen Passagen nach Nordend sogar noch erhebliche Unkosten. Erst kürzlich ist ein Schiff seiner Flotte im Sturm verschollen. Aber da der Herr Baron es als Herzensaufgabe sieht, den Kreuzzug nach besten Kräften mit allem zu unterstützen, was ihm zur Verfügung steht, nimmt er all dies auf seine eigene Kappe und berechnet nur den Preis, den er selbst für die Waren auf dem Kontinent hat zahlen müssen. Und für diese Preise sind wir leider nicht verantwortlich.“ Er warf einen interessierten Blick auf die beiden eingetretenen Frauen und wandte sich wieder dem Gnom zu. „Ihr wisst doch, Herr Mikeli, wir leben in einer Welt voller Gier. Jeder scheint doch irgendwie vom Krieg profitieren zu wollen, nicht wahr?“ Der Gnom nickte und seufzte theatralisch: „Ja, ja, es ist eine schlechte Welt. Wie Recht ihr habt, werter Lemmele.“ Dann funkelte ein verschlagenes Grinsen in seinen kleinen Augen. „Ein Drittel jetzt, den Rest in vierzehn Tagen?“ „Die Hälfte jetzt, den Rest in zehn Tagen.“ „Einverstanden!“ Der Gnom streckte dem Mann fröhlich seine knubbelige Kinderhand entgegen und der Mensch schlug ein. Während Lemmele zufrieden etwas in sein Journal kritzelte wandte sich der Gnom zuvorkommend an Jaelle. „Fräulein von Keldorf! Ich habe eure Bestellung noch nicht auspacken können, wie ihr seht, ist die Lieferung erst kürzlich gekommen! Aber morgen, da werde ich alles für euch zusammengestellt haben!“ Jaelle winkte lachend ab. „Das hat keine Eile, Mikeli, es war ja gar nicht geplant, dass wir so früh zurückkehren würden! Ich wollte unserer Freundin hier nur den Laden zeigen, in dem man fast alles kaufen kann!“ Niamanee sah Jaelle etwas überrascht und gleichwohl verunsichert an. Freundin hatte schon lange niemand mehr zu ihr gesagt. Der Gnom verbeugte sich in Niamanees Richtung, was aufgrund seiner gedrungenen Statur unfreiwillig komisch wirkte. „Besuch aus Silbermond haben wir tatsächlich nicht allzu oft hier. Mein Laden steht ihnen zur Verfügung, Fräulein...?“ Er sah die Elfe mit fragend hochgezogenen Brauen an. Niamanee fühlte sich von der beflissenen Freundlichkeit des Gnomes etwas überrollt, nannte aber höflich ihren Namen. Lemmele nickte ihr schmallippig lächelnd zu. „Der Baron hat recht gute Handelsbeziehungen nach Silbermond. Ihr kommt mir irgendwie bekannt vor – stammt ihr aus einer der größeren Familien?“ Mit ruhigem Blick schüttelte Niamanee ihren Kopf. „Nein. Unwahrscheinlich, dass wir uns begegnet sind.“ Lemmeles feiner Schnurrbart zuckte nicht einmal, als er ihr erneut zunickte und sich dann an Jaelle wandte. „Ich hörte von dem Überfall heute, Fräulein von Keldorf! Es grenzt ja geradezu an ein Wunder, dass niemand ernsthaft zu Schaden gekommen ist! Vor allem, nachdem das mit Wolkenfänger und seiner Truppe passiert ist. Das Licht hatte ein wohlwollendes Auge auf euch!“ „Nun, Kommandant Dunkelschwinge und das rechtzeitige Eingreifen von Fürst Mograine haben sicherlich einen großen Anteil an unserer glücklichen Rettung,“ entgegnete Jaelle mit verbindlicher Freundlichkeit. „Aber es war sicher der Wille des Lichts, dass all dies so geschah.“ Sie schenkte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Gnom. „Ich komme die Tage wieder, Mikeli, mach’ dir also keine Umstände!“ Der Gnom nickte eifrig. „Ich werde alles für euch bereitgestellt haben. Und ihr, Fräulein Niamanee seid natürlich auch immer herzlich gerne hier gesehen – sagt mir, was ihr braucht und ich werde es beschaffen. Für einen kleinen Aufpreis geht fast alles.“ Er grinste breit. Jaelle winkte ab, schob Niamanee zur Türe und warf noch einen Blick mit hochgezogerenr Braue zurück. „Ihr würdet das Holzbein eurer Großmutter verkaufen, wenn’s für’s Geschäft einträglich wäre, Mikeli! Gute Geschäfte noch und einen schönen Abend!“ Vor dem Magazin wandte sich Jaelle amüsiert wieder an die Elfe. „Mikeli ist ein hinterlistiger, kleiner Halsabschneider – aber er hat ein gutes Herz. Er haut nur diejenigen übers Ohr, die sich’s leisten können oder aber ihm dumm kommen. Ansonsten nimmt er recht faire Preise. Und man kann bei ihm anschreiben.“ „Wer war dieser andere Mann bei ihm? Dieser Herr Lemmele?“ Jaelle verzog etwas herablassend ihren Mund. „Wir nennen ihn nur den Geier. Lemmele ist Baron Varmonts Buchalter. Staubtrocken und rechtwinklig. Und hundertprozentig korrekt. Ich glaube der Mann hat die Zahlen seiner Journale von den letzten zehn Jahren auswendig im Kopf.“ „Und wer ist dieser Baron Varmont?“ „Ihr kennt Baron Varmont nicht?“ Jaelle wirkte etwas verwundert, besann sich aber dann und nickte. „Ich vergesse immer, dass du ja längere Zeit in der Scherbenwelt warst und erst vor kurzem hier angekommen bist. Nun, Baron Adelphis Varmont von Strahband ist quasi so etwas wie ein Nationalheld hier. Es ist ihm gelungen, den Staatschatz von Lordaeron vor der Geißel in Sicherheit zu bringen. Beide Söhne wie auch seinen Bruder hat er auf der Flucht verloren. Der Staatschatz von Lordaeron finanziert all dies hier. Ohne das Gold wäre es Tirion Fordring nicht möglich gewesen, die Streitmacht hier gegen den Lichkönig zu führen. Varmont legt aber selber noch ordentlich drauf. Seine Handelsflotte war just in Stormwind eingelaufen, als Arthas mit seiner Armee Lordaeron-Stadt zerstörte. Und entging damit der Vernichtung. Und jetzt nutzt er seine Schiffe, um die Versorgung hier aufrecht zu erhalten. Kostet ihn wohl ein Vermögen.“ Ein verschmitztes Lächeln breitete sich in ihrem Gesicht aus. „Mein Vater wollte mich damals unbedingt mit Caerdlon Varmont verheiraten, dem jüngsten Sohn von Baron Varmont. Er hatte schon alles eingefädelt und in die Wege geleitet – eine Vermählung mit Caerdlon hätte das gesellschaftliche Ansehen unserer Familie enorm gesteigert, ganz zu schweigen von den finanziellen Vorteilen. Aber im Gegensatz zu seinem Vater, einem wirklich netten, älteren Herrn, war Caerdlon ein Widerling. Arrogant, überheblich und rücksichtlos. Gehörte zu der Sorte Mann, die als Jungs schon Frösche aufgeblasen und zum Platzen gebracht haben. Ich habe mich geweigert. Aber all mein Zetern half nichts. Also bin ich einfach am Tage der Hochzeit weggelaufen und habe meine Familie in die peinlichste Situation ihres Lebens gebracht. Das haben sie mir nie verziehen und eigentlich ist Caerdlon der Grund, warum ich ins Kloster abgeschoben wurde.“ Genugtuung strich über ihr Gesicht. „Ist auf der Flucht von Arthas selbst aufgeschlitzt worden. Eines seiner Opfer, das ich wahrlich nicht bedauere.“ Sie näherten sich nun einem größeren, steinernen Gebäude mit hoher, weißer Schneemütze auf dem schrägen Holzdach, an dessen rückwärtiger Wand ein riesiger Stapel Holzscheite aufgeschichtet worden war. Aus dem breiten Schornstein zog dichter, funkendurchsetzter Rauch und warmer Feuerschein fiel durch hornverglaste Fenster. Schon von weitem schallte den beiden Frauen Musik, Lachen und fröhliches Stimmengewirr entgegen und beantwortete die Frage, wohin das rege Treiben vor den Zelten entschwunden war. Am Eingang der schweren Holztüre schaukelte neben dicken Knoblauchzöpfen an einem schmiedeeisernen Haken eine am Hals aufgehängte, grob gestopfte Stoffpuppe mit zerrissenem blauem Umhang und verbeulter Blechkrone in der seichten Abendbrise. Jaelle schrie gegen den Lärm an. „Hier im hängenden Prinzen abends noch ein Platz zu bekommen, ist nahezu unmöglich – es sei denn, man kennt den Besitzer und...“ Der Rest ihrer Worte ging in lautem Gejohle, quäkenden Jaulen schräg gespielter Dudelsäcke und dem treibenden Rhythmus wild geschlagener Trommeln unter, als Jaelle die schwere Türe aufstieß. Ein Schwall warmer, braten- und bierduftgeschwängerter Luft wallte ihnen entgegen und ließ Niamanee unwillkürlich zurückweichen, aber Jaelle zog sie bereits am Ärmel ins Innere. Das Wirtshaus war brechend voll. An einigen Tischen wurde noch gegessen und getrunken aber die meisten der Tische fungierten mittlerweile als Steh- und Tanzfläche. Menschen und Zwerge, wie auch vereinzelte Elfen schunkelten und tanzten zum Rhythmus der Musik und schickten enthusiastische Anfeuerungsrufe in die Richtung der Theke, um die sich ein größerer Pulk Besucher gescharrt hatte und immer wieder frenetisch applaudierte. Obwohl die Schänke völlig überfüllt war, rückten die Besucher dennoch gut gelaunt zur Seite und bemühten sich, Jaelle und Niamanee irgendwie noch hineinzulassen. Von vielen Seiten wurde ihnen ausgelassen zugeprostet, niemand schien sich an grünleuchtenden Augen zu stören. Von vorne kam jetzt Bewegung in die Menge, die feiernden Gäste rückten noch ein Stück beiseite. Mit vergnügtem, hochrotem Gesicht schob Dolmin seinen gedrungenen Körper durch die Massen und winkte Jaelle und Niamanee begeistert zu. „Jaelle! Fräulein Niamanee! Kommt her, das Bier geht auf’s Haus!“ Jaelle winkte ihm zu und versuchte, gegen Musik und Stimmen anzuschreien. „Der ‚hängende Prinz’ wird von dem Onkel der Kohlenfaust-Brüder bewirtschaftet! Die feiern hier wohl grad’ ihre wohlbehaltene Rückkehr!“ Sie schob die Elfe zwischen den eng stehenden Besuchern hindurch vor zum Tresen. Niamanee, der solcherart Veranstaltungen bisher völlig fremd waren, fiel es zunächst schwer, den drängenden Fluchtreflex zu unterdrücken, wollte aber nicht unhöflich sein und hielt sich dicht an Jaelle. Die Nähe der ganzen Personen um sie herum war ihr ausgesprochen unangenehm. Dem mitreißenden Rhythmus der Musik konnte sie sich allerdings immer weniger entziehen. Und als sie merkte, das ihr Fuß schon längst begonnen hatte im Takt der Trommeln zu zucken, entschied sie, dass es ihr hier doch ganz gut gefiel. So viele fröhliche Personen hatte sie schon lange nicht mehr auf einem Haufen gesehen. Und nun erkannte sie auch den Grund der jubelnden Masse vor der Theke. Auf der biernassen und bereits sehr abgenutzten Thekenplatte hockte Kulgin mit vor der Brust verschränkten Armen und schleuderte seine Beine im Rhythmus der Musik von sich, wobei er sich unter wilden Anfeuerungsrufen und Applaus mit abruptern Hocksprüngen in immer neue, gewagtere Positionen manövrierte und die Wildheit seines merkwürdigen Tanzes mit dem Anschwellen der Musik immer mehr zunahm. Dabei flogen seine schwarzen Zöpfe nur so um ihn herum, Schweiß ran ihn in Strömen über das erhitzte Gesicht, aber er schien nicht im Geringsten aus der Puste zu kommen. Die Spielgruppe, der man eine kleine Bühne aus zusammengestellten Tischen improvisiert hatte, bestand aus zwei dudelsackspielenden Männern, drei trommelnden Zwergen, von denen einer eine Frau zu sein schien und zwei Elfen mit Flöte und Harfe. Niamanee hätte allerdings niemals vermutet, das man diesen Instrumenten solche Töne entlocken konnte! Mit zwei randvollen Humpen schaumigen Bieres kehrte Dolmin zurück und drückte sie Niamanee und Jaelle in die Hand. Jaelle kippte sogleich einen ordentlichen Zug die Kehle hinunter während Niamanee höflich nippte. Sie mochte kein Bier. Vorsichtig stellte sie den Humpen zwischen den Gästen hindurch auf einen der Tische in der sicheren Gewissheit, dass er schon einen neuen Besitzer finden würde. In der Menge war mittlerweile ein weiteres bekanntes Gesicht aufgetaucht. Mathis stand mit zwei der Nachtelfen des Expeditionstrupps am anderen Ende der Theke und als er Jaelle und Niamanee erkannte, prostete er ihnen zu und begann sich mit dem beiden Elfen im Schlepptau einen Weg zu den beiden Frauen zu bahnen. „Schon eingelebt?“ Niamanee konnte seine Worte kaum verstehen, sehr wohl aber riechen, dass er bereits mehr als ein Bier getrunken haben musste, ebenso wie die ihn begleitenden Nachtelfen, zwei jüngere, schlaksige Burschen mit rot leuchtenden Wangen in ihren untätowierten Gesichtern. Jaelle beugte sich zu Mathis vor. „Wolltest du nicht ein heißes Bad nehmen?“ „Aber sicher! Muß nur noch die passende Begleitung finden!“ Mathis grinste die kurzhaarige Frau keck an. Diese gab ihm mit gespielter Entrüstung einen Klaps gegen den Kopf. „Das hättest du wohl gern!“ Die Musik steigerte sich mittlerweile zum Finale und von der Bar her erklang jetzt ein lautes Scheppern und aufbrandendes Gelächter – zweifelsohne hatte Kulgin soeben für einen würdigen Abgang gesorgt. Einer der Elfen drehte sich jetzt zur Spielgruppe um und brüllte:“ Einen Tanz! Los, einen Tanz!“ Beipflichtende Rufe erhoben sich und immer mehr Stimmen fielen in den Chor mit ein. Der Flötenspielende Elf lachte, hob sein Instrument und nickte seinen Mitmusikanten zu. Mit den ersten Flötentönen wurden allenthalben Tische und Stühle gerückt, mit dem Einsetzen der schwungvollen Trommeln sprangen auch schon die Ersten auf die frei gewordenen Fläche, stampften, hüpften und drehten sich im Rhythmus der wirbelnden Musik ohne ersichtliche Tanzchoreografie aber unbändigem Spaß an der Sache während ein großer Teil der Besucher einen Kreis gebildet hatte und vergnügt dazu klatschte. Mathis hatte Jaelle aufgefordert, die ihm auch ohne zu Zögern auf die Tanzfläche folgte. Niamanee sah den beiden amüsiert nach und war völlig perplex, als sich gänzlich unerwartet einer der beiden Elfen vor sie stellte, sich höflich verneigte und ihr galant den Arm bot. „Ich..ich kann nicht tanzen,“ stammelte sie und sah hilfesuchend zu Dolmin. Dieser aber grinste nur und knuffte sie freundschaftlich. „Ach was, tanzen kann jeder! Lass deine Beine nur machen!“ Mit einem letzten, entgeisterten Blick auf Dolmin lies Niamanee sich zaudernd auf die Tanzfläche ziehen, gestatte es, das der Nachtelf sich mit einem belustigten Zwinkern in den Augen bei ihr unterhakte und versuchte irgendwie seinen Schritten zu folgen. Der Elf bugsierte sie geschickt über die volle Tanzfläche, passte sich immer wieder ihren stolpernden Schritten an, schien trotz ihrer Unbeholfenheit großen Spaß dabei zu haben. Und was zunächst hölzern und ungelenk begann wurde immer fließender je mehr sie sich von der Musik mitreißen lies. Begleitet vom rhythmischen Klatschen vieler Hände und Jubel in unterschiedlichen Sprachen zog die Musik sie in einen bunten Strudel aus Leichtigkeit und Frohsinn, ließ sie für einen Moment alles Gewesene vergessen. Hier und jetzt waren alle gleich und sie fühlte sich als eine von ihnen. Am eisigen Ende der Welt, im Schatten der größten Gefahr tanzte sie mit denen, die eigentlich ihre Feinde sein sollten, fröhlich und unbekümmert Arm in Arm, dicht an dicht als ob es keinen Morgen mehr gäbe. Es war ein Gefühl von Ausgelassenheit und Unbekümmertheit wie sie es noch nie zuvor verspürt hatte. Erst, als die Tanzmusik langsam zu ihrem Ende fand, realisierte Niamanee atemlos, das ihre Mundwinkel immer noch in einem breiten Lachen gefangen waren. Der Nachtelf brachte sie zu ihrem Platz, an dem bereits Mathis und Jaelle standen, zurück. „Niamanee, ihr seht bezaubernd aus, wenn ihr lacht. Hat euch das eigentlich schon mal jemand gesagt?“ Ganz verlegen wandte die Elfe sich ab und sah nur noch aus den Augenwinkeln, wie das Lächeln des Nachtelfen noch breiter wurde. „Und wenn ihr errötet, ebenso!“ Mit einer erneuten Verbeugung verabschiedete er sich höflich. In dem Moment wurde die Türe der Schänke aufgestoßen und ein dumpfes Horn geblasen. Augenblicklich wurde es bis auf leises Raunen von allen Seiten ruhig. „Wachwechsel!“ Eine polternde Stimme donnerte laut hörbar durch den Raum. „Und wehe, ich erwische einen von euch Bagaluten mit einer Fahne auf den Mauern! Dann werde ich diesen Laden irgendwann doch noch mal niederbrennen lassen!“ Die Türe schlug laut vernehmlich wieder zu. Vereinzelte, scherzende Protestrufe wurden laut, jetzt setzen langsam auch wieder die Gespräche ein. Aber es war eine deutliche Unruhe eingekehrt, Stühle wurden gerückt und eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Besuchern verließ einer nach dem anderen das Wirtshaus. Die Musiker indes begannen wieder zu spielen. Immer noch peinlich berührt von den Komplimenten des Nachtelfen wandte sich Niamanee an Jaelle. „Wer war das denn gerade? Ist jetzt hier Schluss?“ Jaelle schüttelte entspannt den Kopf. „Iwo. Eher Schichtwechsel. Das war der wachhabende Offizier Brunslog und der wird sich hüten, den hängenden Prinzen schließen zu lassen, wo er doch einer seiner besten Kunden ist.“ Dann wurde sie etwas ernster. „Aber wir sollten auch gehen, Golofin wartet bestimmt bereits am Tor.“ Natürlich, Golofin! Für den Moment hatte sie sogar Bolvar vergessen – und verspürte nun Schuldgefühle für diesen kurzen Augenblick des Frohsinns. Zögerlich schlüpfte sie wieder in ihre Jacke und folgte Jaelle aus dem Gasthaus, Mathis schlug seinen Kragen hoch und eilte hintendrein. Niamanee war den beiden wie auch all den anderen hier so unendlich dankbar, dass sie hier so herzliche Aufnahme gefunden hatte, dennoch erstickte das erneut aufgeflammte, nagende Gefühl in im Magen jeglichen fröhlichen Gedanken wie auch die Vorfreude, Bolvar wieder zu sehen. Sie mochte die Gemeinsprache vielleicht noch nicht perfekt beherrschen – dass ihr aber ständig ausgewichen wurde, wenn die Sprache auf Bolvar Fordragon kam, war auch ihr nicht entgangen. Irgendetwas war nicht so, wie es sein sollte und die schattigen Schleier einer dunklen Vorahnung trübten immer mehr ihre Umgebung. Golofin wartete bereits auf sie am gewaltigen Tor des inneren Festungswalls. Und während Mathis in immer noch heiterer Stimmung von der Feier im ‚hängenden Prinzen’ erzählte, fiel der Blick des Zwerges auf Niamanees Gesicht. Mit einer Handbewegung brachte er Mathis zum Schweigen und nickte der Elfe nachdenklich zu. „Kommt, Fräulein Niamanee. Ich bringe euch zu Herrn Balinar von Breenan, Hochlord Fordrings rechte Hand.“ Das Licht zweier heller, mehrflammiger Öllampen ließ die rauen Wände des schlicht eingerichteten Raumes in einem warmen Gelb erstrahlen. Balinar von Breenan hatte sich auf einem hochlehnigen, ledergepolsterten Stuhl niedergelassen und sah Niamanee und Golofin, die auf fellbedeckten Scherenstühlen ihm gegenüber an dem schmalen Tisch Platz genommen hatten, mit ruhiger, ernster Miene an, während hinter ihm leise das kleine Kaminfeuer knisterte. Er war ein kräftig gebauter Mann Ende Dreißig, dessen kurz geschnittenes, fast blauschwarzes Haar sich schon recht weit vom Stirnansatz zurückgezogen hatte. Ein drahtiger schwarzer Bart rahmte seinen Mund, während seine Wangen sorgfältig glattrasiert waren. Er trug ein einfaches, aber gut gearbeitetes rauledernes Wams unter einem nachtblauen Wollumhang und das einzig Augenfällige war die schwere Kette mit der geballten Faust aus funkelndem Silber, die um seinen Hals hing. Freundliche, braune Augen wechselten zwischen der Elfe und dem Zwerg. Dieses Zimmer im linken Flügel der gewaltigen Burg war offensichtlich sein Privatraum. Im hinteren Bereich stand ein einfaches, mit einer dunklen Pelzdecke überzogenes Bett, gegenüber ein hölzernes Gestell, bekleidet mit einer blankpolierten, in ihrer Schlichtheit sehr elegant wirkenden Plattenrüstung. Daneben hingen an zwei Haken in der Wand zwei aufwendige Schwertgehänge unter einem Reiterschild, den die goldene Sonne des Argentumbündnisses zierte. Der einzige Luxus in diesem Raum war ein großer, dunkel gemusterter Teppich auf dem steinernen Boden und schwere, dunkle Wollvorhänge vor dem schmalen Fenster. Balinar hatte Niamanee und Golofin ein Glas Wein angeboten, aber beide hatten dankend abgelehnt. Der Paladin nickte leicht und seine Augen blieben auf Niamanee hängen. „Ihr seid also der Besuch aus Silbermond, dem unser guter Golofin hier sein Leben verdankt.“ Während Golofin etwas unbequem seinen Mund verzog blieb Niamanees Blick starr, Balinars Worte drangen nur wie durch dichten Nebel gedämpft zu ihr. „Da ihr euch ja schon mit einigen hier recht gut angefreundet habt, sehe ich keine großen Schwierigkeiten. Wenn ihr also bei uns bleiben wollt, seid ihr herzlich willkommen.“ Sein Lächeln verebbte langsam. „Außerdem berichtete man mir, dass ihr sehr eng mit Hochlord Bolvar Fordragon befreundet gewesen und seinetwegen hier zur Argentumsfeste gereist seid.“ Die Worte standen bereits in seinem Gesicht, bevor er sie aussprach. Tief in ihrem Innersten hatte sie es bereits die ganze Zeit gespürt. Dennoch trafen sie die Worte mit unerwarteter Wucht. „Ich bedauere sehr, euch diese Nachricht überbringen zu müssen. Hochlord Bolvar Fordragon fiel an der Pforte des Zorns. Er starb als Held.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)