Suddenly von abgemeldet (Plötzlich sehe ich dich mit anderen Augen) ================================================================================ Kapitel 20: Erinnerung - Thalia ------------------------------- Um kurz vor sieben werde ich von Pollux wieder geweckt. Gähnen und Seufzen erfüllt den Raum, als wir uns alle langsam aufsetzen. Plötzlich, für mich ohne ersichtlichen Grund, bedeutet Katniss uns zu schweigen. Kaum sind alle still, hören wir einen zischelnden Laut. Bei genauerem hinhören kann man feststellen, dass es sich um ein Wort handelt, um einen Namen, der am laufenden Band wiederholt wird:„Katniss.“ Bestürzt schaue ich neben mich und treffe Finnicks Blick. Ein trauriges Lächeln hat sich auf seine Gesichtszüge geschlichen, als er nach meiner Hand greift und seine Finger mit den meinen verschränkt. Jedem im Raum ist klar, was das gezischelte „Katniss“ bedeutet. Unsere Frist ist abgelaufen. Snow und seine Handlanger haben herausgefunden, dass wir nur einen einzigen Mann verloren haben. Ich merke, wie Panik in mir aufsteigt. Nein! Wieso? Wieso müssen jetzt schon wieder Mutationen kommen, denn was anderes wird wohl kaum solche Laute so ausstoßen zu können. Der Griff meiner Hand um Finnicks wird fester. Ich bin kurz vorm Weinen, dass merke ich genau und dann laufen auch wirklich stumme Tränen über meine Wange, als Peeta, genau wie das etwas da draußen nach Katniss ruft und diese einen Pfeil auf seinen Kopf abschießen will. Wie als wollte Finnick mich beschützen, nimmt er mich in den Arm und wiegt mich sachte hin und her, dabei lässt er genauso wenig wie ich Peeta und Katniss aus den Augen. Plötzlich scheint Peeta wieder normal zu sein, denn er ruft: „Katniss! Katniss! Verschwinde von hier!“ Verwundert fragt sie: „Warum? Woher kommt dieses Geräusch?“ „Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass es dich töten soll“, antwortet ihr Peeta und klingt dabei panisch und alarmiert. „Lauf weg! Verschwinde! Mach schon!“ Nach einer Sekunde schaut Katniss uns alle nacheinander an. „Was immer es ist, es ist hinter mir her. Vielleicht sollten wir uns jetzt wirklich trennen“, schlägt sie vor. Energisch wird ihr widersprochen. Widerstrebend gibt sie nach. „Ersetzt die Munition aus Peetas Gewehr durch echte und gebt es dann Pollux!“, weißt sie uns an. Danach geben sie und Gale ihre Gewehre Mesalla und Cressida, da Katniss und Gale ihre Bögen als Schusswaffen haben. Auch ich, als miserable Schützin, gebe das Gewehr an meiner Seite ab und reiche es Castor, obwohl Finnick protestierend den Mund aufmacht. „Jetzt ist keine Zeit für Diskussionen! Du weißt genauso gut wie ich, dass ich mich mit einem Gewehr eher selber umbringe, als dass ich irgendwas anderes töte. Ich hab auch immer noch meinen Dolch“, raune ich ihn an. Protestierend öffnet er den Mund, doch ich lege meine Hand auf diesen und schaue ihn ernst an. Ich weiß genau, dass er die Bedeutung des Blickes versteht: Lass mir meinen Dolch, Dolch sein und protestier nicht. Messer und Dolche sind wenigstens Waffen, mit denen ich umzugehen weiß. Seufzend gibt sich mein bester Freund geschlagen und drückt kurz resignierend meine Hand. Kaum sind alle irgendwie mit Waffen ausstaffiert brechen wir auf. Wir eilen durch die Tunnel und werden dabei unvorsichtig. Machen viel Krach. Gerade als wir durch ein Überlaufrohr und eine verwahrloste Gleisstrecke hetzen hören wir heisere und kehlige Laute, die von den Tunnelwänden hallen. „Avoxe“, stellt Peeta fest. Ich weiß schon, auf was er hinaus will, bevor er es sagt, schließlich saß ich in einer Zelle gegenüber. „Genau so hat Darius geschrien, als er gefoltert wurde.“ Mit genau diesen Worten hat er Bilder in mir hervorgerufen, die ich eigentlich vergessen wollte. Bilder eines verstümmelten Mannes, der innerlich gebrochen ist und schon längst breit wäre, alles zuzugeben, was man ihm hätte andrehen wollen. Bilder von spritzendem Blut. Bilder von Schlägen und Folterung. Tief einatmend schließe ich für einen Schritt meine Augen, um die Bilder des wehrlosen und schreienden Rotschopfs aus meinen Gedanken für wenigstens nur einen Moment bei Seite zu schieben. Nur halb bekomme ich mit, dass Katniss sich schon wieder Opfern will. Doch das können die anderen ihr erfolgreich austreiben. Ich weiß nicht wieso, aber auf einmal muss ich genau wie Katniss würgen. Denn der Geruch ist unverkennbar. Rosen, dieselben Rosen, die Snow immer an seinen Anzügen befestigt hat. Normalerweise reagiere ich nicht auf den Duft von diesen Rosen, doch jetzt löst der Geruch in mir noch schlimmere Übelkeit aus, als der Gedanke an Essen. Gemeinsam treten Katniss und ich zur Seite und taumeln raus auf den Transfer, eine exakte Kopie des oberirdischen Straßennetzes, was die Haupt- und Querstraßen hier unten bildet. Kaum stehen wir dort sprengt Katniss auch schon eine Kapsel in die Luft, danach eilen wir nebeneinander weiter, die anderen unserer Gruppe hinter uns her. Plötzlich reißt uns Finnicks Stimme zurück. „Katniss! Thalia!“ Synchrone fahren wir herum, beide bereit, was auch immer anzugreifen. Doch das ist unnötig, auf dem Boden liegen schon zwei abgefeuerte Pfeile, ohne dass sie etwas gegen den breiten goldenen Strahl zwischen Decke und Boden ausrichten konnten. Mitten in diesem steht Mesalla, auf einem Fußballen balancierend, mit weit aufgerissenem Mund und in den Nacken gelegten Kopf. Es sieht so aus, als würde er schreien. Fassungslos sehen wir dabei zu, wie seine Haut anfängt wie Kerzenwachs auf den Boden zu tropfen. Solange, bis uns Peeta weitertreibt. Ich zwinge meine Beine trotz meiner Erschöpfung schnell zu laufen, sodass ich an der nächsten Kreuzung fast in Katniss reingelaufen wäre Durch eine MG-Salve rieselt plötzlich Putz von der Decke und wir sehen uns einer Truppe von Friedenswächtern gegenüber. Da ich, neben Peeta, die Einzige ohne Schusswaffe bin, bleibt mir nicht viel übrig, als allen dabei zuzusehen, wie sie auf die Friedenswächter schießen, während wir zur gegenüberliegenden Seite flüchten. Unvermittelt bekommen ihre weißen Uniformen rote Flecken. Doch aus einem einmündenden Tunnel kommen mehrere neue hervor. Was auf den ersten Moment, wie Friedenswächter wirkt, ist in Wirklichkeit eine schreckliche Mutation des Kapitols. Die Mutationen ähneln in Farbe und Größe mit ihren vier Gliedmaßen zwar schon den Friedenswächtern, auf die sie sich gerade stürzen, doch sonst erinnern sie eher an Reptilien, mit ihren langen Schwänzen und ihrem gekrümmten nach vorne ragenden Körper. Vor unseren Augen fallen sie über die toten sowie die lebenden Friedenswächter her und reißen ihnen nacheinander die behelmten Köpfe vom Leib. Unbewusst entfährt mir ein spitzer Schrei, denn diese Mutationen vor mir erinnern mich so sehr an meine 1. Hungerspiele, dass ich Angst bekomme. Als die weißen Mutationen sich auf alle viere fallen lassen und auf uns zugestürmt kommen, glaube ich nicht nur mich an sie zu erinnern, sondern weiß ganz genau, dass ich solchen wie ihnen in den 69. Hungerspielen schon begegnet bin. Bevor ich panisch wie ein wild gewordenes Huhn Hals über Kopf fliehe, packt mich Finnick am Arm und zieht mich hinter sich her. Wir überqueren dicht an einer der Wände laufend die Kreuzung, von der wir kamen, dann schießt Katniss die Kapsel ab, die den Fleischwolf aktiviert. Ich keuche schwer und zittere am ganzen Leib, halte Finnicks Hand so fest, dass meine Fingerknöchel weiß hervortreten. Immer wieder schaue ich über meine Schulter, um mich zu vergewissern, dass die Echsenmutationen nicht direkt hinter uns sind. Wieder laufen wir los. Rennen hinter Pollux her, der uns über den Transfer und dann über einen dreißig Zentimeter breiten Vorsprung über dem Hauptwasserkanal herführt. Ein Seitenblick auf das Wasser sagt einem deutlich: Fall rein und du bist tot! Wir rennen jetzt nicht nur, sondern sind auch wieder halbwegs auf unsere Sicherheit bedacht. Ehrlichgesagt, bin ich erleichtert, als wir eine schmale Brücke überquert haben und vor einer Leiter in einer Nische stehen. „Wartet!“, ruft Katniss plötzlich. „Wo sind Jackson und Leeg 1?“ Homes antwortet ihr: „Beim Fleischwolf, die Mutationen aufhalten.“ Voller entsetzten will Katniss schon zurücklaufen um die beiden Frauen zu retten, doch hält der ältere Mann sie auf. „Lass sie nicht vergeblich gestorben sein, Katniss. Für die beiden ist es sowieso zu spät. Schau!“ Ich folge mit meinem Blick seinem Kopfnicken Richtung Rohr und würde mich am liebsten in die Brühe im Hauptwasserkanal stürzen, denn über den Vorsprung schlittern schon die Mutationen. Auch wenn Gale die Brücke sprengt, weiß ich, dass das keinen Sinn hat. Diese Echsen finden immer einen Weg, um an ihre Beute zu gelangen. Warum, warum erinnert sich keiner an diese Viecher, die in meinen Spielen einem so viele Probleme gemacht haben. Wie um meinen aufkommenden Pessimismus zu stärken stürzen sich nacheinander die Mutationen in die Giftbrühe des Kanals und schwimmen auf uns zu. Sofort eröffnen die Leute um mich herum das Feuer auf sie und schaffen es auch die Teile zu töten, auch wenn es nicht leicht ist. Doch auch wenn Finnick und die anderen ein paar von den Mutationen getötet haben, folgen sofort neue und es sind so unendlich viele. Ich muss mich zwingen, um den anderen zu helfen. Mit meinem, von Beetee verbesserten Dolch mit Hitzefunktion, steche ich auf die Kreaturen zu unseren Füßen ein und bringe so deren Köpfe zum Platzen. Wie schon gesagt es kommen aber immer neue dazu. Ich schließe schon innerlich mit meinem Leben ab, als Homes mich in Pollux Arme schubst und ihm aufträgt, mich und andere nach oben zu bringen. In dem Moment springt eine der Echsenmutationen auf uns beide zu. Im letzten Moment kann Finnick sie mit seinem Dreizack töten. Auch er bedeutet Pollux drängend mich nach oben zu bringen. Vor Panik geht meine Atmung ganz schwer und ich bin wie gelähmt. Ich bin froh, dass Pollux mich mehr die Leiter hochschiebt, als dass ich selber hochklettere. Ich schaue nach unten. Unter mir kann ich Pollux und Katniss erblicken. Sonst niemanden, aber ich glaub noch weitere Leute unter mir zu hören als die beiden. Gemeinsam erreichen wir eine Plattform. Klettern eine weitere Leiter hoch und landen wieder auf einer Plattform. Keuchend lehne ich mich gegen eine der schimmligen Wände und halte meinen wieder stärker schmerzenden Arm. Gleichzeitig schaue ich, wer noch nach oben gekommen ist. Pollux, Katniss, Peeta und Cressida. Sonst niemand. Genau wie Katniss eile ich zurück zu der Leiter und will ebenso wie sie wieder nach unten klettern, als sie auch schon wieder hochkommt und Gale hinter sich hochzieht. Gebannt starre ich in die Tiefe. „Kommt da noch wer, Gale? Sag es mir!“, dränge ich den Schwarzhaarigen ohne meinen Blick von dem Schacht zu lösen. Nur einen Moment schaue ich Gale an und sehe wie er keuchend nickt. „Finnick. Er war fünf oder sieben Stufen unter mir, er müsste jeden Augenblick hochkommen.“ Kaum hat er die Worte ausgesprochen, sehe ich auf einen bronzefarbenen Haarschopf. Trotz meines schmerzenden Armes ziehe ich mit Katniss Hilfe Finnick zu uns hoch. Unter ihm sehen wir langsam eine der Mutationen die Leiter hochklettern. Ich kann Finnick nur dicht an mich ranziehen, zurückweichen und mich mit ihm gegen eine der Wände pressen, denn Katniss hat eilig die Holo-Bombe aktiviert und in den Schacht fallen gelassen. Durch die Explosion erzittert die ganze Plattform und es regnet Mutations- und menschliche Fleischfetzen auf uns runter. Dann endet es auch schon wieder. Pollux verschließt das Rohr. Noch immer presse ich Finnicks Kopf gegen meine Brust und atme schwer. „Hier können wir nicht bleiben“, höre ich Katniss sagen. Sie hat recht, dennoch kann ich nicht aufstehen und nicht nur, weil Finnick halb auf mir liegt. Obwohl es der falsche Zeitpunkt ist, fange ich an zu weinen und merke fast im selben Moment, dass mein Hemd ebenfalls von Tränen durchdrängt wird. Während die anderen sich um Peeta und Gale kümmern sitzen Finnick und ich aneinandergeklammert da und weinen, weil wir beide und unser Kind noch leben und weil wir leben und die anderen nicht mehr. Es hört sich vielleicht verdreht an, doch so ist es. Auf der einen Seite bin ich erleichtert, dass er und ich noch leben, doch gleichzeitig wünsche ich mir, dass auch die anderen leben würden. Schließlich tritt Cressida zu uns und hilft uns hoch. Wie benommen klettere ich eine weitere Leiter hoch und lande in einem Haushaltraum. Vor mir auf dem Boden liegt eine tote Frau in türkisfarbenem Bademantel und mit magentafarbenem Haar. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)