Die Zitrone und der Rabe von Magical_Yaku (und andere Geschichten) ================================================================================ Kapitel 6: Neujahr ------------------ ⌠ORANGE CAFE⌡ Neujahr Die Nacht war kalt und klar und gefüllt von seltsamer Stille. Vom Dach des Cafes aus konnte man weit über die Stadt sehen, zu Bahnhof und Kirchturm, zur Insel hinüber und auf der anderen Seite Park und Zentrum. Über allem lag eine dünne Schicht Schnee durchsichtig weiß. Die Tür zum Treppenhaus wurde leise geschlossen. Schwarze Schuhe bewegten sich fast lautlos über den Boden, nur das Geräusch der Hose. Er legte die blassen Hände auf die Brüstung. Der andere rührte sich nicht. »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Fare.« Es war die erste Nacht des Jahres, auf die der erste Morgen folgen würde, und alle drei waren, wie sie immer waren. Der silberhaarige Junge mit seinen kalten grauen Augen und den halb schwarzen Lippen, sein Freund mit dem fliederfarbenen Haar und dem Kreuzanhänger und die Nacht. Natürlich. Wie sollte sie sich auch unterscheiden, wo es doch dieselbe war wie alle vorangegangenen. »Wieso kannst du nicht wenigstens heute lachen?« »Was ist heute anders als sonst?« »Tu mir den Gefallen. Ich mag Neujahr.« Er beugte sich zu ihm, strich mit beiden Händen die Haare aus Fare’s Gesicht nach hinten, band sie mit dem schwarzen Band zusammen, das er in der gleichen Bewegung aus seinem eigenen gezogen hatte. »Wa …« Severin lächelte ihn an. »Du bist schön. Ein bisschen wie Yva.« Mit einem Satz war er auf der schmalen Mauer und lief ein Stück. Es war ein sonderbares Bild, das, wie es war, nicht stimmte. Aus vielen Einzelteilen zusammengesetzt und irgendetwas war falsch. Niemand sagte ein Wort und alle redeten viel. Hast du keine Angst. Doch. Wenn du fallen würdest. Ich falle nicht. Man würde dich vermissen. Wer. Alle. Und du? Der Wind blies heftig, aber die Schneeflocken schwebten ganz sanft hinab, schmolzen im Gesicht und auf den Händen. Der Vogel in Severins Nähe und Fare’s stumme Augen. Es soll Menschen geben, die den Wind drehen können und die Zeit umkehren, erzählt jemand und dabei schaut er in den Abgrund und lacht. »Den Wind verändern?« »Schweigende Vögel wieder singen lassen.« Die schwarze Schleife löste sich im Wind, wurde wieder eingefangen. Der andere hockte sich hin und zündete eine Zigarette an. Sogar Camille sei gekommen, sagt er abwesend. Er träumt schon wieder. Und der Wind, der an die Frühlingsstürme erinnert. Wenn er fiele. Der Rabe würde ihn nicht halten. Er ist nicht echt. Seine Raben verlassen den Hafen nicht. Wenn er fiele. Plötzlich blickte er ihn an. Durchdringende graue Augen. Wenn er fiele, würde Nico gerade auf der Straße rauchen und ihn auffangen. Das war seine Art von Flügeln. Von schwarzer Farbe wie seine Vögel und ebenso stark. »Du lächelst ja«, stellte Severin zufrieden fest. »Ein beeindruckendes Lächeln. Woran denkst du?« Fare schüttelte den Kopf. »Geh wieder zu den anderen. Ich komm gleich nach.« Der silberhaarige Junge sprang zurück aufs Dach Richtung Treppenhaus. »Dein Wort in Gottes Ohren.« und verschwand in der Dunkelheit hinter der Tür. Der Jüngere legte den Kopf in den Nacken. Im Osten färbte sich der Himmel bereits hellblau. Er schien weiter entfernt als sonst, aber die Nacht war wie immer, war wie auf Dawn’s Fotos, die unten an seiner Wand hingen und den Tisch bedeckten. Derselbe Himmel, dieselbe bizarre Schönheit. Einige Minuten noch blieb er stehen, atmete die kalte Luft und dachte an Balthasar. Der Vogel saß noch immer auf der Mauer. Schwarze Federn anstelle von weißen Flocken. Jemand rief ihn, das Tier flog davon. Er blickte über die Schulter nach unten. Zwei kleine Gesichter wach und heiter. Eine der vier Hände hielt eine Croisic-Karte. Aber von hier aus konnte er nicht erkennen, welche es war. Fare verließ seinen Aussichtspunkt. Der erste Morgen des Jahres. Was wünschst du dir?, hatte Severin gefragt. Und sag nicht, gar nichts. Dann lügst du. * Die Sonne hatte den Schnee geschmolzen und die Straßen getrocknet und auf den Steinen vor dem Cafe lag eine einsame Croisic-Karte im Staub. Neujahr war ihr Name. Als einzige im Spiel erfüllte sie einen beliebigen Wunsch. [Neujahr] - Ende Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)