Wolfserinnerungen - Der Erste Schnee von Scarla ================================================================================ Kapitel 24: Abschied -------------------- Der Himmel war dunkel, fast schwarze Wolken hingen so tief, das man meinte, nur die Hand ausstrecken zu brauchen, um sie zu berühren. Es regnete, den ganzen Tag hindurch schon. Es war ein feiner Nieselregen, der langsam aber beharrlich alles durchnässte, was durch ihn hindurch lief. Wer nicht musste, ging nicht vor die Tür, erledigte seine Arbeit drinnen vor dem Kamin, der auch Tagsüber schon in manchem Haus in diesen Spätherbsttagen brannte. So war es nicht verwunderlich, das die dunkel gekleidete Gestalt, die Kapuze des Umhangs tief ins Gesicht gezogen, niemanden antraf, als sie allein durch das Dorf lief. Man sah ihr an, dass sie schon lange Unterwegs war, denn die Stiefel waren dick mit Matsch verkrustet, der Umhang dunkel vom Regen und Straßendreck. Die Schritte, einst wohl weit ausgreifend und beschwingt, waren klein und wirkten müde. Als die Gestalt das Dorf schon fast verlassen hatte, da blieb sie noch einmal stehen und blickte sich suchend um. Kein Mensch war zu sehen und es schien auch nicht so, als würde jemand auftauchen, dennoch ging sie nicht weiter, stand und wartete. Eine ganze Weile geschah nichts, dann jedoch raschelte es in einem Busch und eine Polarfüchsin, das weiße Fell nass und Platt am Körper klebend, trat auf den Weg vor ihn. Aus roten Augen, die mit einem Schwarzen Muster umrandet waren, das an Flügel erinnerte, schaute sie zu ihm auf und setzte sich auf den matschigen Boden. »Hallo Chaya. Ich wusste, dass ich dich noch einmal treffen würde, bevor ich nach Hause kommen kann«, sprach die Gestalt und schob die Kapuze zurück. Es war Lugh Akhtar, der aus seinen leuchtenden Augen wohlwollend auf die weiße Füchsin blickte. Die verzog ihre Schnauze zu einem Zähnebleckenden Grinsen, wirkte dabei aber seltsam nachdenklich, fast traurig. »Sprichst du nicht mehr mit mir?«, fragte er sanft und lächelte. »Doch, natürlich, nur…« Sie seufzte und schaute auf den Boden, schob mit ihren Pfoten ein wenig den Matsch hin und her. »Weißt du, Lugh Akhtar, es ist jetzt Zeit, Lebewohl zu sagen. Und das habe ich noch nie gerne getan.« »Lebewohl? Aber wieso?« Er starrte sie aus großen Augen an, verstand nicht, wieso sie gehen wollte. »Wir sind doch gerade erst Freunde geworden.« »Ich weiß, aber…« Sie verwandelte sich in das Menschenmädchen. Langsam ging sie zu Lugh Akhtar und umarmte ihn, drückte sich fest an ihn. »Deine Geschichte ist hier zu Ende, mein weißer Wolf. Du kannst jetzt dein Leben so führen, wie du es tun willst. Die Zeit deiner Abenteuer ist vorbei, ab jetzt musst du nur noch der liebevolle Ehemann und Vater sein. Lebe, wie du es willst, nicht mehr, wie ich es dir andichte.« »Und deswegen musst du gehen?«, fragte er leise. »Ja. Ich habe dich nur auf deinen Abenteuern begleitet, auf dem Weg in dein Glück, darfst du den Weg alleine aussuchen. Außerdem gibt es andere, die darauf warten, das jemand ihre Geschichte erzählt.« »Andere? Wer?« »Mana zum Beispiel. Auch sie werde ich für eine Weile auf ihrem Weg begleiten. Und nicht nur sie. Aber das ist dann eben nicht mehr deine Geschichte und deswegen muss ich mich hier von dir verabschieden.« »Für immer?« »Nein, natürlich nicht.« Sie lachte und schlenderte langsam in die Richtung, in die zu gehen er im begriff gewesen war, bevor er angehalten hatte. »Also… werden wir uns noch einmal wieder sehen?« »Ja. Spätestens in Manas Geschichte«, lachte sie. »Und danach?« Sie zögerte, während sie vor sich hin schlenderte. Sie verschränkte die Arme hinter dem Rücken und schaute in den Himmel hinauf, während sie ging. »Das weiß ich noch nicht. Das ist deine Entscheidung, Lugh Akhtar. Wenn du lust hast, irgendwann noch einmal ein Abenteuer zu erleben, dann werde ich auf jeden Fall wieder an deiner Seite sein. Ich aber will dich zu nichts drängen, diese Entscheidung liegt ganz allein bei dir.« Der junge Zauberer nickte und lächelte dankbar. Eine Weile liefen sie nebeneinander her. »Darf ich dich etwas fragen, Chaya?«, erkundigte er sich irgendwann. »Natürlich. Was auch immer du willst.« »Als wir uns das allererste Mal trafen, da hatte ich das Gefühl, das du meine Augen sehr, sehr gerne magst. Und ich hatte das Gefühl, das mir auch verständlich machen wolltest, dass du jede Gestalt annehmen kannst, die du willst. Warum also hast du rote Augen und nicht solche wie ich?« Sie schwieg lange, schien nachzudenken. Scheinbar wusste sie nicht genau, wie sie es erklären sollte. »Weil es für mich niemals in Frage kam. Ich kann es nicht erklären, aber für mich käme es einem Schlag in die Magengrube gleich, einem anderen Geschöpf ebensolche Augen geben zu müssen. Einzig und alleine Mana durfte sie noch bekommen, weil Mana dir gleich ist. Irgendwie. Und Nanook, weil er ebenso besonders ist.« »Mana hat blaue Augen«, widersprach der junge Zauberer. »Als Mensch, ja«, bestätigte Schatten und lächelte wissend. »Kanoa hat sie doch auch.«, widersprach Lugh Akhtar weiter, ohne auf ihren Einwand einzugehen. »Die leuchten aber nicht so sehr. Sie sind vielfarbig, aber sie leuchten nicht. Das ist ein Unterschied.« Sie lächelte. »Und woher habe ich sie? Wer hat sie mir gegeben und wieso?« Auch jetzt antwortete Schatten nicht sofort. Für eine ganze Weile liefen sie still weiter. »Sie sind ein Geschenk. Von der Magie. Sie hat dir dieses Geschenk gemacht um zu zeigen, dass du ihr Herr bist, das sie tut, was auch immer du verlangen magst. Das sie dich akzeptiert, weil du mit einer Tat ihren Respekt gewonnen hast.« »Das klingt fast so, als wäre die Magie ein Lebewesen.« »Das ist sie auch. In gewisser Weise zumindest.« »Und bei den anderen? Bei Soul zum Beispiel.« »Hat es ähnliche Gründe, nur bei Soul nicht. Sie hatte ihres von Geburt an. Es ist… eher so eine art Mutation könnte man sagen. Es hat keine Bedeutung, es ist einfach da.« Der junge Zauberer nickte zögernd, während sie vom Weg abbogen. Über einen besseren Trampelpfad ging es zu seinem zu Hause. Dort würde Nea auf ihn warten. Derweils wurde der Regen stärker, doch sie beiden waren sowieso nass, deswegen störte es sie gar nicht weiter. »Ich habe noch ein Geschenk für dich, Lugh Akhtar«, sagte Schatten irgendwann, als sie den halben Weg schon fast gelaufen waren. »Ein Geschenk?« Erstaunt blieb der junge Zauberer stehen und schaute sie an. »Ja.« Sie lächelte unsicher und wühlte nervös mit ihren nackten Füßen im Schlamm. Seltsamerweise fiel Lugh Akhtar erst jetzt auf, das er sie noch nie in Schuhen gesehen hatte. Wieso war das wohl so? Er dachte kurz daran, sie das zu fragen, doch er entschied sich dagegen. Das war unwichtig, es war egal, hatte keine Bedeutung. Schon gar nicht in diesem Moment. »Ich habe aber nichts für dich«, sagte er stattdessen. »Ich will auch nichts. Und deswegen mache ich auch keine Geschenke. Ich mache sie, weil mein Gegenüber sich darüber freut, nicht, weil ich selbst etwas haben möchte. Aber egal. Weißt du, was dein Name bedeutet? Was heißt Lugh Akhtar?« »Lichterstern. Lugh bedeutet Licht, Akhtar heißt Stern«, antwortete er und lächelte. Hope hatte es vor langer Zeit einmal Cinder erzählt und sie hatte ihn deswegen des Öfteren schon so genannt. »Genau.« Schatten lächelte und zauberte hinter ihrem Rücken ein Halsband hervor. Es war aus goldenen Platten, wie sein altes zuvor auch. Dazu war es mit Steinen besetzt, doch diese waren nicht alle blau, sondern hatten verschiedene Farben. Und an ihm dran baumelte ein neuer Anhänger in Sternenform, der genauso aussah, wie sein alter auch, nur viel heller leuchtet, als wäre er von einem inneren, blauen Feuer erfüllt. »Das ist ja…« Zögernd griff er danach und sie gab es ihm lächelnd. »Aber er ist doch in Milliarden Splitter zerbrochen!« Staunend schaute er sie an. »Es ist auch nicht derselbe. Es ist ein anderer. Der, den du von deiner Mutter bekommen hast, war aus Eis. Dieser hier ist aus Licht«, erklärte das Mädchen lächelnd. »Und die bunten Steine? Welche Bedeutung haben sie?« »Sie stehen für die, die dir nahe sind. Wer welche Farbe hat, verrate ich dir aber nicht«, antwortete sie und grinste. »Das zu wissen ist auch gar nicht wichtig. Viel wichtiger und auch viel schöner anzusehen ist, dass es viele sind«, antwortete Lugh Akhtar und lächelte glücklich. Er musste daran denken, wie leer und einsam sein Leben war, bevor er Nea getroffen hatte. Bevor sein erstes, wirkliches Abenteuer begann. Ihm war sein Leben egal, heute freute er sich über jeden neuen Tag. »Freut mich, dass dir mein Geschenk gefällt. Dann ist es jetzt wohl an der Zeit, abschied zu nehmen«, überlegte das Mädchen, während es aufhörte zu regnen. »Dann sage ich dir hier Auf Wiedersehen.« Sie nickte und schaute in den Himmel. Er folgte ihrem Blick und erkannte erstaunt, dass es zu schneien begonnen hatte. »Schnee?«, fragte er. »Den mag ich lieber als regen«, grinste sie. »Aber es ist erst Herbst.« »Auch ich kann es schneien lassen, wenn ich es möchte.« Sie zwinkerte, lächelte noch einmal und wandte sich ab. »Nun, wir…«, begann sie, doch er hielt sie am Arm fest. »Ich habe auch noch ein Geschenk für dich«, erklärte er und bevor sie wusste, sie ihr geschah, das küsste er sie auch schon. Für eine Weile starrte sie bloß wie in Trance vor sich hin, dann lächelte sie. »Danke, mein Freund«, flüsterte sie und er wusste, das sie die wahre Bedeutung dieser Geste verstand. »Nicht dafür. Und vergiss nicht, immer zu lächeln und nicht mehr zu weinen. Für Tränen haben wir keinen Grund mehr. Wir beide nicht. Wir sind nicht mehr allein. Gemeinsam bis ans Ende der Welt.« »Bis ans Ende der Welt«, nickte sie bestätigend und lächelte glücklich. Dann verwandelte sie sich wieder in einen Fuchs und verschwand in einer Wolke aus leuchtendem Schnee. Eine ganze Weile blickte Lugh Akhtar ihr noch lächelnd nach, in die Landschaft hinaus. Dann zog er wieder die Kapuze über das weiße Haar und ging weiter. Um ihn herum wurde die Welt mit einer weißen Decke zugedeckt. Man konnte den Weg sehen, den er gegangen war, denn er hinterließ Spuren in der Welt. Doch vor ihm lag ein strahlendes, unbeschriebenes Weiß. Er würde sie mit neuen Spuren schmücken, mit einer neuen Geschichte. Irgendwann. 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