Marie-Antoinette von abgemeldet (Warum französische Kaiserinnen Streit verursachen) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Der etwas übermüdete Gesichtausdruck stand ihm überhaupt nicht. Als Oliver sein Atelier verließ trug er nichts weiter, als seinen Schlafanzug, der seidig über seine Haut fiel und ihm, wie auch die Müdigkeit, nicht stand. Eigentlich wäre er auf dem Weg zu seinem Bett gewesen. Ein Bett – Was würde er nun dafür geben? Viel. Doch sein Vorhaben wurde aufgehalten. Als er durch die weiten, malerisch gestalteten Gänge ging, war ihm aufgefallen, dass die Statuen, die sonst an den Seiten standen und den Gang in seiner Schönheit aufwertete, nicht so aussahen, wie sonst. Einen Moment lang blieb er stehen, sah bedacht in die Luft. Moment. Seit wann hatte er Statuen in seinen Gängen? Er schüttelte den Kopf. Nein, das konnte gar nicht sein. Wie jeder Künstler wusste wirkten Statuen nur beengend auf die Räumlichkeiten. Eine Weile brauchte er, um zu registrieren, dass die Statuen, die sich plötzlich auch noch bewegen konnten, auf ihn wirr einredeten. Nur eine Sekunde lang fragte er sich, ob er halluzinierte. Er halluzinierte nicht. „Oliver? Geht es dir gut? Wir hatten uns verabredet…“, hörte er eine beruhigende Stimme und eigentlich war es ihm gleich, ob er auf dem Fußboden oder in einem Bett schlafen würde. Die Stimme war so beruhigend, dass es einfach egal war. Er brauchte einige Sekunde, um sie zuordnen zu können. „Du bist schon zum vierten Mal nicht gekommen!“, beschwerte sich ein anderer. „Ich hätte dich fast ein bisschen vermisst.“ Als er einige Male verwirrt blinzelte, bemerkte er, dass es sich zuerst um Robert, später dann um Enrico gehandelt hatte. Die Erkenntnis weckte ihn sekündlich auf und es durchfuhr ihn, wie ein Blitz. Plötzlich hellwach stand er kerzengerade vor ihnen. „Naja, das liegt daran, also, ähm… Ich habe verschlafen!“, versuchte er sich aus der Bredouille zu befreien, aber es gelang ihm nicht. Johnny betrachtete ihn missmutig. „Wieso ist dein Schlafanzug denn dann mit Farbe beschmiert?“ „Er ist nicht beschmiert! Das ist Kunst, du Banause!“ Auf diesen Konter resignierte Johnny mit einem genervten Brummen, bevor er sich abwandte – Wahrscheinlich konnte er die bloße Anwesenheit des Künstlers nicht mehr ertragen, der mit allen Mitteln seine Teamkameraden loswerden wollte. Aber warum denn? „Du hast um drei Tage verschlafen?“, fragte Robert ihn. Man konnte nicht abstreiten, dass er verwundert war, denn sein Gesicht sprach Bände. Wohlmöglich mochte gerade einiges in seinem Kopf vorgehen. Log er? Oder wollte er einfach seine Ruhe? Was hatte es mit den Farben auf sich? „Ja! Herr Gott, ist das denn so schlimm? Ich bin eh ein verdammt guter Blader, also werde ich das Training sowieso nicht nötig haben.“ Das war die Wahrheit. Er war ein wirklich guter Blader, ohne Frage. Allerdings schien das jemand anders nicht so zu sehen… Eine gewisse negative Energie verbreitete sich in der Halle. Oliver bemerkte es und sah sich um, ehe er in Johnnys vorwurfsvolles Gesicht sah. „Was denn? Was hast du?“ „Gar nichts, außer das du total dämlich bist! Wenn du nicht zum Training erscheinst, wirst du total untergehen!“ „Höre ich da einen Anflug von Sorge?“, kokettierte Oliver mit einem beißenden Unterton. Johnny schien mit seiner Beherrschung zu ringen. Eine schwere Hand legte sich auf die Schulter des Jungen im Pyjama, während dieser sich langsam umwandte und erneut in Roberts Gesicht blickte. „Du hast nicht wirklich verschlafen, oder? Sag uns doch zumindest die Wahrheit, vielleicht können wir es ja verstehen.“ „Ich kann es verstehen! Es geht bestimmt um ein Mädchen!“, sagte der Italiener. „Und ich dachte, es ist nie so weit! Ich hatte schon fast die Hoffnung aufgegeben…“ Die Wahrheit, die Wahrheit! Unmöglich konnte er ihnen die Wahrheit verraten! Aber sie würden es bemerken, würde er lügen, also… Musste er die Wahrheit nur ein bisschen verändern. Ein kleines bisschen, sodass es nur eine kleine Blamage wäre. Die Gedanken hinter seinen violetten Augen rasten und es war schwer für ihn, einen roten Faden zu finden, als er meinte, doch eine Lösung zu haben. „Na ja…“ Die gesamte Aufmerksamkeit lag wieder auf ihm, als er vor sich hin druckste. Herrlich! Kaum wollte er etwas sagen, war ihm sein eigentlicher Plan wieder entfallen. Nur schwer konnte er den erwartungsvollen Blicken stand halten. Es erdrückte ihn. Auch, wenn er noch so gern im Zentrum stand, war es nun eine große Qual. Was sollte er auch sagen? „Also… Eigentlich habe ich ja gar nicht verschlafen…“ Er meinte aus den Gesichtern seiner Kameraden lesen zu können, was sie gerade dachten. Langsam ließ er seinen Blick durch die Reihe schweifen. Robert sah ihn mitleidig an, wahrscheinlich dachte er aber auch schon darüber nach, wie er ihn eines besseren belehren konnte. Johnny… Nun, er war halt Johnny. Ein Wort dazu fiel ihm nicht ein. Enrico hingegen strahlte ihn an und erwartete wohl schon eine Frauengeschichte. Aber sie alle hatten doch so Unrecht! Er musste nicht belehrt werden, und es war auch kein Mädchen – Es war lediglich seine Leidenschaft, die ihn momentan dazu brachte, das Training häufiger ausfallen zu lassen. „Ich… Zeichne momentan etwas.“ Große Erleichterung, aber auch Ärger, meinte er in den Gesichtern seines Teams erkennen zu können – Abgesehen von Enrico, der wohl seiner Fantasie eines ‚erwachsenen Olivers’ nachzutrauern schien. „Was ist es denn, dass es dich so wahnsinnig viel Zeit und Nerven kostet? Normalerweise bist du ja immer recht schnell dabei… Ist es ein Panorama?“ Oliver schüttelte den Kopf. Sonst hatte Robert sich nie so wirklich darüber erkundigen wollen, was es denn nun wirklich war. Im Allgemeinen verliefen ihre Wege recht von einander getrennt. Eigentlich schade, denn er war ja ein netter Mensch. „Ist es eine Frau?“ Erneut ein Kopfschütteln. Enrico sagte seinen Träumen Lebewohl. Als wäre es seine Erwartung lag der Blick des Jüngsten auf dem des vermeintlichen Rebellen. Ihre Blicke trafen sich einen Moment. „Was?“, fragte er gereizt. Oliver sah ihn verwirrt an. „Nichts, ich dachte nur, du möchtest vielleicht auch nachfragen.“ „Ich halte es nicht mehr aus! Ich schaue jetzt nach!“ Johnnys Stimme überschlug sich und er wandte sich auf den Absätzen um, um in Richtung des Ateliers zu marschieren. Er kam nicht weit, denn Oliver war ihm auf den Fersen und schließlich an seinen Armen. „Du darfst da nicht reinsehen!“, sagte er und riss an dem Arm des Älteren, als wäre er eine Puppe. Er schüttelte ihn ab. „Ist mir egal!“ „Nein!“ Oliver hatte sich erhoben und vor die Tür zu seinem Atelier gestellt. Schützend breitete er beide Arme aus und erhoffte sich so Gnade. Es würde so peinlich werden, wenn die Tür sich öffnete und sie hinein gehen würden! Als Johnny ihn beiseite stoßen wollte reagierte der Älteste der Gruppe schnell genug und hielt ihn fest. „Es reicht. Wenn er nicht mehr zu uns gehören will, dann lassen wir ihn.“ „Ich sehe das nicht ein! Er hat Geheimnisse vor uns und wir dürfen nicht sehen, was er malt! Er ist so ein Mädchen! Das macht mich rasend!“ Johnny befreite sich aus dem Griff, allerdings schien sein Temperament abgekühlt, denn er versuchte nicht, sich an Robert vorbei zu drängen. „Geheimnisse haben hier nichts zu suchen. Darum reicht es.“ Die ernsten Worte des Teamcaptains bereiteten Oliver tatsächlich Sorgen. Sollte er wirklich aus dem Team ausgeschlossen werden? Natürlich, alleine oder überhaupt nicht, aber… „Ich will doch im Team bleiben…“ Oliver ließ die Arme sinken und blickte die Drei an, denn auch Enrico hatte sich dem Szenario allmählich genähert. „Ja, ich hätte auch gerne, dass Oliver im Team bleibt! Sonst bin ich ja zu oft mit diesem Möchtegernrabauken alleine.“ Ein Grinsen erschien auf seinen Lippen und natürlich fühlte sich Johnny angesprochen. Er sparte sich die Mühe, etwas darauf zu erwidern, sondern verdrehte nur die Augen, ehe er selber zu Wort kam: „Also ich kann auf ihn gut verzichten.“. Robert nahm die Meinungen zur Kenntnis. „Es wäre schade, wenn du gehen müsstest. Du bist ein guter Blader und eigentlich gar nicht so übel. Also, menschlich.“ Oliver seufzte. „Aber wenn du es uns nicht zeigen möchtest, dann musst du es auch nicht… Es wäre nur nett, wenn du das Training nicht vernachlässigen würdest und uns zumindest sagen würdest, was du vorhast.“ Eine Stille entstand und Oliver senkte schuldbewusst den Blick. „Ich hab die Schnauze voll!“ Laut hallte die Stimme durch das Anwesen, als Johnny sich tatsächlich an Robert vorbei schob, Oliver zur Seite drängte und das Atelier öffnete. Es war unglaublich schnell gegangen, sodass Oliver nur hinterher hechten konnte. „Wo ist dein Model, hm? Zeig es uns!“, knurrte Johnny. Ein Fiepen unterbrach die angespannte Atmosphäre. „Nein, Marie-Antoinette!“ Oliver war zu Boden gegangen und alles schien in ein heilloses Chaos zu versinken. „Marie-Antoinette? Also doch eine Frau!“, ertönte Enricos Stimme von hinten. „Marie-Antoinette ist doch schon lange tot?“ Robert, der gut informiert war über jegliche geschichtliche Einzelheiten, erkannte natürlich direkt, um wen es sich hierbei handelte, doch von der französischen Königin fehlte jede Spur. Und warum kniete der Künstler am Boden? Er schloss die Hände um etwas, hielt es fest. „Jetzt habt ihr sie total erschrocken!“ „Wen denn?“ Johnny schien es nicht ganz zu verstehen und war immer noch genervt. „Und sie war vorher so schön ruhig! Habt ihr überhaupt eine Ahnung, wie viel Mühe mich das gekostet hat? Jetzt ist sie bestimmt auch noch dreckig!“ Robert machte einige Schritte nach vorne und kniete sich nieder. Ein gelbes Fellknäuel schien sich in der aus Händen geformten Kuppel zu bewegen. „Ein Küken?“ Roberts Stimme brach die Stille und die Ratlosigkeit war in den Gesichtern aller abzulesen, als Oliver sich wieder erhob und das Küken, das schnell atmend dalag, in seinen Händen hielt. „Das ist nicht irgendein Küken! Das ist meine kleine Marie-Antoinette.“, betrauerte er den kleinen Vogel, der mehr als nur erschöpft wirkte. Geradezu bemitleidenswert. „Du malst nicht wirklich dieses… Ding, oder?“ Es missfiel Johnny merklich. „Dafür hast du uns versetzt?“ Verständnislos meldete sich nun auch Enrico zu Wort. Ja, es war wirklich peinlich und vor allen Dingen schienen seine Kameraden es nicht wirklich zu verstehen. Schon vom ersten Moment an, seit er das Küken auf einer Straße gefunden hatte, war es ihm ans Herz gewachsen. Es bekam einen Namen, wurde gepflegt, lobhudelt und nie alleine gelassen. Und schließlich wollte er es auch malen. Genau so erklärte er es den anderen Dreien, die den Blick nicht von der kleinen, gelben Kugel nehmen konnten. „Und na ja, ich dachte, ihr fändet es total doof, wenn ich euch erzähle, dass ich unser Training wegen einem Huhn schwänze… aber es ist so süß und lieb! Sie kann sogar ein bisschen singen!“ „Singen.“, wiederholte Johnny nur ungläubig. „Also für mich ist das geklärt, wir gehen!“ „Das halte ich für keine gute Idee.“ Auf die Worte des Italieners drehte er sich wieder um. „Wieso?“ „Naja, das Küken… Es ist an dir.“ „Was!?“ Tatsächlich befand sich das kleine, gelbe Federtier im Haar des aufbrausenden Jungen und schien es sich dort gemütlich gemacht zu haben. „Wie ist es dahin gekommen!?“ Oliver hob die Schultern auf die Frage und antwortete: „Ich glaube, es mag dich.“. „Na, das ist ja herzallerliebst.“, kommentierte Robert und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Ja, ich hätte auch nicht gedacht, dass es wirklich jemanden gibt, der Johnny leiden kann.“ Auch Oliver grinste nun und beobachtete, wie Robert das Küken nahm und es betrachtete. Auch Enrico hielt es in den Händen, hob es vor sein Gesicht und vernahm sein leises Fiepen, das einem Gesang glich. „Also ich glaube, das kann man vergeben!“ Robert seufzte auf seine eigene Erkenntnis. „Aber lange kann das so nicht weiter gehen. Warum bringst du Marie-Antoinette nicht einfach mal zum Training mit?“ „Oh ja, so ein kleines Tierchen motiviert einen ganz bestimmt!“ Auch Enrico war von dieser Idee begeistert. Erneut lag Olivers Blick auf Johnny. „Was?“, fragte er und klang genau so gereizt, wie einige Momente vorher. „Ich dachte nur, du willst auch was dazu sagen?“ Der Ältere seufzte und tat es mit einem: „Mach doch, was du willst!“ ab. Konnte sich sein Herz tatsächlich für das Küken erweichen? Am Ende zeigte das Bild nicht nur Marie-Antoinette. Sondern auch Johnny, Robert, Enrico und Oliver. Jeder hatte für diese Konstellation seine eigenen Gründe. Robert meinte, es wäre vielleicht gut für die PR, Enrico hielt es für ein nettes Andenken und Johnny musste das Küken halten – Wenn das nicht nur eine fadenscheinige Ausrede war, um dem Knäuel näher sein zu können. Und Oliver… Oliver wollte einfach mit seinen Freunden zusammen sein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)